VwGH 87/11/0244

VwGH87/11/024414.6.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde der Heidemarie R in K, vertreten durch Doris D als Sachwalter, diese vertreten durch Dr. Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien II, Taborstraße 10, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 27. Oktober 1986, Zl. VII/I-F-5130/52-86, betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

SHG NÖ 1974 §2 Abs1 idF 9200-5;
SHG NÖ 1974 §9 idF 9200-5;
SHG NÖ 1974 §2 Abs1 idF 9200-5;
SHG NÖ 1974 §9 idF 9200-5;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die am 22. Mai 1956 geborene Beschwerdeführerin ist nach der Aktenlage nicht imstande, für ihren Unterhalt aus eigenen Kräften aufzukommen. Sie ist nach dem ASVG bei ihrem Vater in der Krankenversicherung mitversichert. In der Zeit vom 15. März 1985 bis 18. Februar 1986 hielt sie sich auf Kosten des Krankenversicherungsträgers, der NÖ Gebietskrankenkasse, im NÖ Landeskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Klosterneuburg auf. Für die Beschwerdeführerin besteht Sachwalterschaft. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 24. Mai 1985 wurde Sigrid Sch. zur Sachwalterin mit unbeschränktem Wirkungskreis bestellt und gleichzeitig der bisherige Sachwalter Franz R, Vater der Beschwerdeführerin, dieser Funktion enthoben.

Am 9. Juli 1985 beantragte die Beschwerdeführerin bei der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt, ihr ab diesem Zeitpunkt ein Sozialhilfe-Taschengeld zu gewähren. Damals bezog sie von ihrem Vater kein Taschengeld; seit Dezember 1985 erhielt sie jedoch von ihm eine solche Zuwendung.

Die Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt erledigte den erwähnten Antrag nicht. Auf Grund eines deshalb von der Beschwerdeführerin gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 gestellten Devolutionsantrages entschied darüber die NÖ Landesregierung mit Bescheid vom 27. Oktober 1986. Sie gab dem Antrag unter Bezugnahme auf die §§ 2 und 9 Abs. 5 des NÖ Sozialhilfegesetzes, LGBl. 9200- 5, (NÖ SHG) keine Folge.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Diese wurde mit Erkenntnis vom 25. September 1987, B 1211/86, als unbegründet abgewiesen. In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die Beschwerdeführerin hat eine weitere schriftliche Äußerung erstattet.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie begehrt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 NÖ SHG hat die Sozialhilfe jenen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen. Gemäß Abs. 2 lit. a umfaßt die Sozialhilfe die Hilfe zum Lebensunterhalt.

Der mit "Nachrang der Sozialhilfe" überschriebene § 2 leg. cit. bestimmt in seinem Abs. 1, daß, sofern nicht anderes bestimmt ist, Sozialhilfe nur zu gewähren ist, soweit die Hilfe nicht von anderer Seite geleistet wird.

Gemäß § 9 Abs. 1 leg. cit. ist Hilfe zum Lebensunterhalt dem zu gewähren, der den notwendigen Lebensunterhalt für sich ... nicht oder nicht ausreichend selbst beschaffen kann und nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält. Gemäß Abs. 2 umfaßt der notwendige Lebensunterhalt den Aufwand für die notwendigen Bedürfnisse des täglichen Lebens, insbesondere Nahrung, Kleidung, Körperpflege, Unterkunft, Beheizung, Beleuchtung, Kleinhausrat sowie persönliche Bedürfnisse zur angemessenen Bildung und Pflege der Beziehungen zur Umwelt. Nach Abs. 4 kann Hilfe zum Lebensunterhalt durch laufende oder einmalige Geldleistungen oder durch Sachleistungen, insbesondere durch Gewährung des Lebensunterhaltes in einem geeigneten Heim, erfolgen. Gemäß Abs. 5 umfaßt die Gewährung des Lebensunterhaltes in einem geeigneten Heim auch ein angemessenes Taschengeld, es sei denn, dessen Verwendung wäre durch oder für den Hilfeempfänger nicht geboten. Die Höhe des Taschengeldes ist durch Verordnung der Landesregierung zu bestimmen.

Nach den Ausführungen im genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. September 1987 hat die Sozialhilfebehörde bei Personen, die nicht auf Kosten des Sozialhilfeträgers in einem "Heim", sondern etwa - so wie die Beschwerdeführerin in der hier relevanten Zeit (vom 9. Juli 1985 bis einschließlich November 1985) - auf Kosten eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers in einem Krankenhaus untergebracht sind, im Einzelfall zu prüfen, ob der Untergebrachte nach dem NÖ SHG hilfsbedürftig ist, so insbesondere, ob er - trotz dieser Unterbringung - Hilfe zum Lebensunterhalt, etwa in Form eines Taschengeldes, benötigt oder nicht. Dabei sei ohne Belang, daß nur im § 9 Abs. 5, nicht aber auch im § 9 Abs. 1 und 2 NÖ SHG von einem Taschengeld explizit die Rede sei; bei gleicher Voraussetzung sei die gleiche Leistung (Taschengeld) zu gewähren. Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes. Es ist daher davon auszugehen, daß auch Personen, die etwa auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers in einem Krankenhaus untergebracht sind, einen Anspruch auf Gewährung eines Sozialhilfe-Taschengeldes haben, sofern sie in Ansehung der von dieser Leistung abzudeckenden Bedürfnisse des täglichen Lebens hilfsbedürftig im Sinne des NÖ SHG sind.

Die Beschwerdebehauptung, die belangte Behörde vertrete im angefochtenen Bescheid die Rechtsansicht, es sei nur dann ein Taschengeld zu gewähren, wenn der Betroffene auf Kosten des Sozialhilfeträgers in einem Heim untergebracht sei, und es bestehe nur bei Heimunterbringung ein Anspruch auf zusätzliche Geldleistungen (§ 9 Abs. 5 NÖ SHG), hält der Verwaltungsgerichtshof nicht für berechtigt. Dem angefochtenen Bescheid läßt sich nämlich nicht entnehmen, daß die belangte Behörde ihrer Entscheidung letztlich diese Rechtsauffassung zugrunde gelegt und das Taschengeldbegehren der Beschwerdeführerin deshalb abgelehnt hat.

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ging die belangte Behörde vielmehr davon aus, daß wegen der Unterbringung der Beschwerdeführerin in einer Krankenanstalt auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers unter Bedachtnahme auf den Grundsatz der Subsidiarität zu prüfen sei, ob bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch vorliegen. Die belangte Behörde berücksichtigte dabei den gesetzlichen Unterhaltsanspruch der Beschwerdeführerin gegenüber ihrem ehelichen Vater, der für sie in der fraglichen Zeit erhöhte Familienbeihilfe (S 2.600,--) und den Kinderzuschuß zu seiner Pension (in Höhe von S 508,50 monatlich) bezogen habe. Der Vater der Beschwerdeführerin sei jederzeit bereit gewesen, ihr ein Taschengeld zur Verfügung zu stellen, er hätte nur dazu aufgefordert werden müssen. Außerdem hätte die Möglichkeit bestanden, gemäß § 12 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 beim Pflegschaftsgericht die Auszahlung der erhöhten Familienbeihilfe an die damalige Sachwalterin zu erwirken. Diese habe jedoch nicht einmal versucht, beim Vater der Beschwerdeführerin ein Taschengeld für sie zu erlangen oder die Auszahlung der Familienbeihilfe in der genannten Weise zu erwirken. Daher bestehe im Hinblick auf § 2 NÖ SHG kein Anspruch auf ein Sozialhilfe-Taschengeld.

Die Beschwerdeführerin bestreitet die getroffenen Feststellungen nicht. Sie vertritt die Auffassung, es komme nicht darauf an, ob ein Hilfesuchender die für seinen Lebensunterhalt erforderlichen Mittel von einem Dritten beschaffen könne, sondern ausschließlich darauf, ob er sie tatsächlich erhalte. Es stehe unbestritten fest, daß die Beschwerdeführerin von ihrem Vater im fraglichen Zeitraum ein Taschengeld nicht erhalten habe. Daher stehe der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt diese Meinung nicht. Für den geltend gemachten Anspruch ist nicht allein maßgebend, ob die Beschwerdeführerin in der fraglichen Zeit ein Taschengeld von ihrem Vater tatsächlich erhalten hat oder nicht. Bei ihrem diesbezüglichen Vorbringen mißt die Beschwerdeführerin dem im § 2 Abs. 1 NÖ SHG verankerten Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe, der mangels entgegenstehender Bestimmungen auch im Bereich der Regelungen des Abschnittes II über die Hilfe zum Lebensunterhalt zum Tragen kommt, nicht die ihm zukommende Bedeutung bei. Dieser Grundsatz hat zur Folge, daß Hilfsbedürftigkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 NÖ SHG bei Bestehen eines Unterhaltsanspruches grundsätzlich erst dann angenommen werden kann, wenn der Unterhaltsberechtigte den Unterhaltspflichtigen zur Leistung des Lebensunterhaltes aufgefordert hat, dieser aber, aus welchem Grund immer, die ihm obliegende Leistung nicht erbringt. Vorher besteht kein Grund zur Annahme, daß der Unterhaltsberechtigte in Ansehung seines Lebensunterhaltes der Hilfe der Gemeinschaft bedarf (§ 1 Abs. 1). Aus dem besagten Grund ist Hilfsbedürftigkeit auch dann zu verneinen, wenn dem Hilfesuchenden die nach Lage des Falles erforderliche rechtzeitige Durchsetzung seines Unterhaltsanspruches mit Hilfe der Gerichte oder Verwaltungsbehörden möglich und auch zumutbar ist, wie etwa bei einem bereits vorhandenen und realisierbaren Exekutionstitel (vgl. das zum Wiener Sozialhilfegesetz ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. April 1988, Zl. 88/11/0001) oder durch Erwirken einer gerichtlichen Anordnung nach § 12 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967. Es sind daher bei Beantwortung der Frage, ob ein Unterhaltsberechtigter den notwendigen Lebensunterhalt "nicht erhält", er also insoweit "der Hilfe der Gemeinschaft bedarf" und somit hilfsbedürftig im Sinne des NÖ SHG ist, jeweils auch die vorstehend angeführten Erwägungen maßgebend.

Im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage erweist sich die Beschwerde als nicht berechtigt. Die Beschwerdeführerin selbst hat nicht behauptet, daß sie ihren Vater - er bezog für sie die im angefochtenen Bescheid angeführten Leistungen - in dem fraglichen Zeitraum zur Leistung eines Taschengeldes aufgefordert und daß er diese verweigert habe. Die Feststellung der belangten Behörde, die Sachwalterin habe es abgelehnt, an den Vater der Beschwerdeführerin im fraglichen Zeitraum zwecks Gewährung eines Taschengeldes heranzutreten, wird nicht bestritten. Die Beschwerdeführerin ist auch der Feststellung nicht entgegengetreten, ihr Vater sei jederzeit bereit gewesen, ihr ein Taschengeld zu gewähren, es hätte lediglich einer entsprechenden Aufforderung an ihn bedurft. Im Hinblick darauf kann nicht gesagt werden, daß die Beschwerdeführerin in der fraglichen Zeit in Ansehung des Bedarfes nach einem Taschengeld hilfsbedürftig im Sinne des NÖ SHG war. Damit entspricht die Ablehnung ihres Antrages auf Gewährung eines Sozialhilfe-Taschengeldes durch den angefochtenen Bescheid dem Gesetz.

Die Beschwerde war sohin gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 14. Juni 1988

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