VfGH B1211/86

VfGHB1211/8625.9.1987

Abweisung eines Antrages der auf Kosten des Krankenversicherungsträgers untergebrachten Bf. auf Gewährung von Taschengeld; keine Bedenken gegen §5 der Nö SozialhilfeV, der die Gewährung von Taschengeld an die Unterbringung in einer Nö. Sozialhilfeeinrichtung knüpft; diesen Personen ist stets ein Taschengeld zu gewähren; bei anders untergebrachten Personen ist die Behörde verpflichtet, im Einzelfall zu untersuchen, ob Hilfe zum Lebensunterhalt (etwa in Form eines Taschengeldes) benötigt wird; unterschiedliche Verfahrensregelung nicht unsachlich; keine Willkür

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
Nö SozialhilfeV (LGBl 9200/1-13) §5
Nö SozialhilfeG §9
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
Nö SozialhilfeV (LGBl 9200/1-13) §5
Nö SozialhilfeG §9

 

Spruch:

Die Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

und dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Bf. durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Die Bf. ist nach der Aktenlage nicht in der Lage, für ihren Unterhalt aus eigenen Kräften aufzukommen. Sie ist nach dem ASVG bei ihrem Vater in der Krankenversicherung mitversichert. In der Zeit vom 15. März 1985 bis 18. Feber 1986 hielt sie sich auf Kosten des Krankenversicherungsträgers, der NÖ Gebietskrankenkasse, im Landeskrankenhaus Klosterneuburg auf.

Am 9. Juli 1985 beantragte sie bei der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt, ihr ab diesem Zeitpunkt ein Sozialhilfe-Taschengeld zu gewähren. Damals bezog sie von ihrem Vater kein Taschengeld; seit Dezember 1985 erhielt sie jedoch von ihm eine solche Zuwendung.

b) Die BH Wiener Neustadt erledigte den erwähnten Antrag nicht. Aufgrund eines deshalb von der Bf. gestellten Devolutionsantrages entschied darüber die NÖ Landesregierung mit Bescheid vom 27. Oktober 1986. Sie gab dem Antrag unter Bezugnahme auf die §§2 und 9 Abs5 des NÖ Sozialhilfegesetzes, LGBl. 9200-5, (NÖ SHG) keine Folge.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

3. Die NÖ Landesregierung als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift; sie begehrt, die Beschwerde abzuweisen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 10413/1985) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung, 10338/1985).

2.a) Nach §1 NÖ SHG hat die Sozialhilfe jenen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen (Abs1). Die Sozialhilfe umfaßt u.a. die Hilfe zum Lebensunterhalt (Abs2 lita).

Dem §2 Abs1 zufolge ist Sozialhilfe, sofern nicht anderes bestimmt ist, nur zu gewähren, soweit die Hilfe nicht von anderer Seite geleistet wird.

§9 enthält nähere Bestimmungen über die Hilfe zum Lebensunterhalt; er lautet:

"(1) Hilfe zum Lebensunterhalt ist dem zu gewähren, der den notwendigen Lebensunterhalt für sich und seine mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend selbst beschaffen kann und nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

(2) Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt den Aufwand für die notwendigen Bedürfnisse des täglichen Lebens, insbesondere Nahrung, Kleidung, Körperpflege, Unterkunft, Beheizung, Beleuchtung, Kleinhausrat sowie persönliche Bedürfnisse zur angemessenen Bildung und Pflege der Beziehungen zur Umwelt.

(3) Als Hilfe zum Lebensunterhalt können auch die Kosten übernommen werden, die erforderlich sind, um einen Anspruch auf eine angemessene Alterssicherung zu erlangen.

(4) Hilfe zum Lebensunterhalt kann durch laufende oder einmalige Geldleistungen oder durch Sachleistungen, insbesondere durch Gewährung des Lebensunterhaltes in einem geeigneten Heim, erfolgen.

(5) Die Gewährung des Lebensunterhaltes in einem geeigneten Heim umfaßt auch ein angemessenes Taschengeld, es sei denn, dessen Verwendung wäre durch oder für den Hilfeempfänger nicht geboten. Die Höhe des Taschengeldes ist durch V der Landesregierung zu bestimmen."

b) Zum hier maßgebenden Zeitraum (9. Juli bis 30. November 1985) galt die NÖ Sozialhilfeverordnung, LGBl. 9200/1-13, (NÖ SHV). Deren §5 bestimmt über das Taschengeld:

"Sozialhilfeempfängern, die in einer NÖ Sozialhilfeeinrichtung untergebracht sind und das 15. Lebensjahr vollendet haben, ist ein Taschengeld in der Höhe von S 450,-monatlich zu gewähren. Im Dezember jeden Jahres ist das Taschengeld in doppelter Höhe auszuzahlen."

3. Strittig ist die Frage, ob der Bf. für die Zeit vom 9. Juli bis 30. November 1985 ein Taschengeld nach dem NÖ SHG gebührte.

a) aa) Der angefochtene Bescheid verneint diese Frage zunächst mit der Begründung, daß ein Taschengeld nach §9 Abs5 NÖ SHG und §5 NÖ SHV nur zustehe, wenn der Hilfsbedürftige in einer NÖ Sozialhilfeeinrichtung, (nicht aber, wenn er in einem Krankenhaus auf Kosten der Sozialversicherung) untergebracht ist.

bb) Die Bf. erachtet diese Regelung für gleichheitswidrig. Es sei sachlich nicht begründet, Personen, die sich in einer Anstalt oder einem Heim auf Kosten der Sozialversicherung aufhalten, in Ansehung des Taschengeldes gegenüber jenen Personen zu benachteiligen, die gleichartig, jedoch auf Kosten der Sozialhilfe untergebracht sind.

cc) §9 Abs5 NÖ SHG schließt an den vorangehenden Abs4 an und bezieht sich auf ihn. Abs5 meint mit dem "geeigneten Heim" ausschließlich ein solches iS des Abs4, also die "Gewährung des Lebensunterhaltes in einem geeigneten Heim" durch den Sozialhilfeträger, d.i. die Unterbringung in einem Heim auf dessen Kosten oder mit anderen Worten die Unterbringung in einer nö. Sozialhilfeeinrichtung. Der VfGH hat sohin keine Bedenken, daß sich §5 NÖ SHV nicht im Rahmen des Gesetzes hält.

Er teilt auch nicht die Bedenken der Bf., daß die getroffene Regelung unsachlich sei. Voraussetzung für die Unterbringung einer Person auf Kosten des Sozialhilfeträgers in einem Heim ist, daß sie hilfsbedürftig in der Bedeutung des §1 Abs1 und §9 Abs1 NÖ SHG ist. Einer solchen Person muß stets, ohne daß dies noch zusätzlicher Feststellungen bedürfte, ein Taschengeld gewährt werden, um den Lebensunterhalt iS des §9 Abs2 NÖ SHG zu sichern.

Anders verhält es sich jedoch mit Personen, die nicht auf Kosten des Sozialhilfeträgers in einem "Heim" untergebracht sind, etwa auf Kosten des gesetzlichen Krankenversicherungsträgers in einem Krankenhaus. In einem solchen Fall ist die Behörde im Einzelfall verpflichtet festzustellen, ob der Untergebrachte hilfsbedürftig nach dem NÖ SHG ist, so inbesondere, ob er - trotz dieser Unterbringung Hilfe zum Lebensunterhalt, etwa in Form eines Taschengeldes, benötigt oder nicht; dies ungeachtet dessen, daß nur im §9 Abs5, nicht aber auch im §9 Abs1 und 2 NÖ SHG von einem Taschengeld explizit die Rede ist.

Bei gleicher Voraussetzung ist die gleiche Leistung (Taschengeld) zu gewähren. Die unterschiedliche Regelung des Verfahrens ist sachlich; das vereinfachte Verfahren bei der ersten Fallgruppe ist nämlich verwaltungsökonomisch begründet.

Von diesem - verfassungsrechtlich also unbedenklichen Inhalt des Gesetzes und der V ist die NÖ Landesregierung bei Erlassung des angefochtenen Bescheides ausgegangen.

b) Die Bf. könnte durch den Bescheid daher nur wegen willkürlicher Gesetzeshandhabung verletzt worden sein. Auch dies ist nicht der Fall:

aa) Die Behörde begründet ihr Ansicht, daß der Bf. auch nach anderen Vorschriften als jenen des §9 Abs5 NÖ SHG und §5 NÖ SHV kein Taschengeld gebühre, damit, daß Sozialhilfe nur subsidiär gewährt werde; die Sachwalterin der Bf. habe nicht einmal den Versuch unternommen, für die Bf. von deren Vater Taschengeld zu bekommen.

bb) Die Bf. meint, daß es nur darauf ankomme, ob das Taschengeld von dritter Seite tatsächlich gewährt wird, nicht aber darauf, ob ein Anspruch bestehe.

cc) Hiebei handelt es sich um die Frage der Auslegung eines einfachen Gesetzes, die nicht vom VfGH, sondern vom VwGH zu klären ist. Selbst wenn die Behörde geirrt haben sollte, kann ihr nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe willkürlich gehandelt.

c) Die Bf. ist durch den bekämpften Bescheid also nicht im Gleichheitsrecht verletzt worden.

4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß die Bf. in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem VwGH abzutreten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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