VwGH 87/01/0319

VwGH87/01/031923.3.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerden 1. der DH in A und 2. des SH in A, beide vertreten durch Dr. Filip Sternberg, Rechtsanwalt in Wien I, Plankengasse 4, gegen zwei Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 23. September 1987, Zl. 219.789/3‑II/6/86, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1
AsylG 1968 §1 idF 1974/796
AVG §37
AVG §56
AVG §58 Abs2
AVG §60
FlKonv Art1 AbschnA
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1987010319.X00

 

Spruch:

1. Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin wird als unbegründet abgewiesen.

2. Der angefochtene Bescheid betreffend den Zweitbeschwerdeführer wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Erstbeschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Bund hat dem Zweitbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beiden Beschwerden wurden wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung verbunden.

Die beschwerdeführenden Eheleute, tschechoslowakische Staatsangehörige, sind am 26. Juli 1986 legal mit ihrem Personenkraftwagen und in Begleitung ihrer beiden Kinder, geboren 1974 und 1980, in das Bundesgebiet eingereist und haben am 28. Juli 1986 Asylantrag gestellt. Der Zweitbeschwerdeführer begründete den Antrag im wesentlichen damit, er habe im Jahre 1962 das Gymnasium mit Matura und im Jahre 1968 die Hochschule für Bauwesen als Diplomingenieur abgeschlossen. Anschließend sei er bis zum Jahre 1972 Investitionsreferent für den Ausbau am Gaswerk Preßburg gewesen. Dann habe er in den Jahren 1972 und 1973 seinen Militärdienst geleistet. Anschließend sei er bis zum Jahre 1974 als Investitionsreferent in einem Bauunternehmen, danach bis zum Jahre 1978 ebenfalls als Investitionsreferent bei der staatlichen Druckerei und bis zum Jahre 1984 als Leiter der Investitionsabteilung der westslowakischen Druckerei in Preßburg tätig gewesen. Zuletzt sei er bis zu seiner Ausreise selbständiger Referent bei der Firma H gewesen. Sein Vater sei 1952 als Zollbeamter aus dem Staatsdienst entlassen worden. Er habe die Arbeitsplätze für tschechoslowakische Verhältnisse oft gewechselt, weil ihm überall nach einer bestimmten Zeit der Beitritt in die kommunistische Partei „angeboten“ und er wegen seiner diesbezüglichen Weigerung „sofort schlechter gestellt“ worden sei. Aus diesem Grunde habe er seine Arbeitsplätze immer aufgekündigt. Während seiner Tätigkeit als Leiter der Investitionsabteilung bei der tschechoslowakischen Druckerei habe man ihn „mit Gewalt“ zum Parteibeitritt überreden wollen. Als der Betriebsleiter erfahren habe, daß der Beschwerdeführer seine Tochter firmen habe lassen, habe man den Beschwerdeführer entlassen. Öffentliche Kritik an der kommunistischen Partei habe sich der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf sein Herkommen und seinen Arbeitsplatz nicht erlauben können. Zu seiner „eigenen Überraschung“ habe der Zweitbeschwerdeführer für sich und seine Familie eine Ausreiseerlaubnis ausgestellt erhalten.

Die Erstbeschwerdeführerin führte zur Begründung ihres Antrages aus, sie habe die technische Mittelschule für Bauwesen mit Matura im Jahre 1962 und die Hochschule für Bauwesen als Diplomingenieur 1968 abgeschlossen. Sie sei in mehreren Betrieben bis zur Ausreise als Bauprojektantin beschäftigt gewesen. Sie lehne den Kommunismus ab und sei demnach auch nicht Mitglied der kommunistischen Partei gewesen. Bei der Aufnahme in die Mittelschule habe sie wegen ihrer bürgerlichen Abstammung Schwierigkeiten gehabt, bei der Aufnahme an der Hochschule jedoch nicht. Sie sei in ihrem Heimatland nie direkt zum Parteieintritt aufgefordert worden. Dem Regime gegenüber habe sie sich „passiv‑kritiklos“ verhalten. Direkte politische Verfolgungen könne sie persönlich nicht behaupten, doch habe die gesamte Familie darunter gelitten, daß kein Familienmitglied aktiv für den Kommunismus eingetreten sei. Man habe ihr den Religionsunterricht ihrer Kinder vorgehalten. Berufliche Aufstiegschancen habe sie keine gefunden. In den Jahren 1962 und 1983 habe sich die Erstbeschwerdeführerin in Österreich aufgehalten, sei jedoch jeweils in ihr Heimatland zurückgekehrt. Im Jahre 1978 habe sie eine Ausreiseerlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland erhalten, diese jedoch nicht ausgenützt.

Mit zwei Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 11. August 1986 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführer nicht Flüchtlinge im Sinne der Konvention sind.

In der gegen diesen Bescheid vom Zweitbeschwerdeführer eingebrachten Berufung wurde im wesentlichen ausgeführt, er sei wegen seine Parteilosigkeit als Akademiker gezwungen gewesen, minderwertige Berufspositionen einzunehmen. Ein Parteibeitritt habe sich jedoch nicht mit seinem Gewissen als praktizierender Christ vereinbaren lassen. Er sei praktisch von Anfang seines Berufslebens an Repressalien ausgesetzt gewesen, die immer bedrohlichere Formen angenommen hätten. Der „Höhepunkt der Benachteiligungen“ sei im Jahre 1984 erreicht worden, als seine Tochter die heilige Kommunion empfangen habe. Man habe ihn damals einige Male verwarnt, mit der Entlassung bedroht und schließlich auch entlassen. Mittlerweile sei in seiner Abwesenheit ein Verfahren wegen Republikflucht eingeleitet worden. Mit Schreiben vom 4. August 1987 teilte der Zweitbeschwerdeführer mit, daß er wegen Republikflucht verurteilt worden sei.

Die Erstbeschwerdeführerin führte in ihrer Berufung aus, ihre Gründe der Flucht unterschieden sich im wesentlichen nicht von denen ihres Ehemannes. Als praktizierende Christen wollten die Beschwerdeführer nicht die Familie trennen. Gleichzeitig möchten sie ihren Kindern eine „freie Entfaltung“ bieten, denn die Kinder müßten faktisch für die Fehler ihrer Eltern büßen. Auch gegen die Erstbeschwerdeführerin sei ein Strafverfahren wegen Republikflucht eingeleitet worden. Eine Verurteilung sei sicher.

Mit den nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden wurden die Berufungen abgewiesen. In den Begründungen dieser Bescheide wird im wesentlichen gleichlautend ausgeführt, aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer ließen sich keine Verfolgungshandlungen, die eine Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention rechtfertigen würden, entnehmen. Die Ablehnung des herrschenden Regimes im Heimatstaat rechtfertige nicht die Anerkennung als Flüchtling. Die Beschwerdeführer seien durchwegs in Vertrauensstellungen tätig gewesen; die belangte Behörde könne keine Benachteiligungen erkennen. Bezüglich der behaupteten Verurteilungen wegen Republikflucht sei darauf hinzuweisen, daß die Bestrafung wegen Übertretung paßrechtlicher und den Aufenthalt von tschechoslowakischen Staatsbürgern im Ausland regelnder Vorschriften für sich allein nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention gewertet werden könne.

Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, es sei Erfahrung, daß Personen, die in ihrem Heimatstaat als „politisch unzuverlässig“ gelten, eine Ausreiseerlaubnis, wenn überhaupt, so nur unter den größten Schwierigkeiten ausgestellt bekämen. In diesem Zusammenhang sei zu bemerken, daß die behauptete Weigerung, der kommunistischen Partei beizutreten, unglaubwürdig erscheine. Vielmehr bestehe in Anbetracht der beruflichen „Kompetenzen“ und auch der Problemlosigkeit der Ausreise in das westliche Ausland die Vermutung, daß der Zweitbeschwerdeführer sehr wohl Mitglied der kommunistischen Partei seines Heimatstaates gewesen sei. Darüber hinaus sei festzustellen, daß es ihm, falls er tatsächlich irgendeine konkrete Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention erlitten hätte, bereits im Jahre 1972 anläßlich seines ersten Aufenthaltes in Österreich möglich gewesen wäre, einen Asylantrag zu stellen. Es erscheine unglaubwürdig, daß der Zweitbeschwerdeführer bei tatsächlich gravierenden Eingriffen in seine Grundrechte diese nicht sofort bei der ersten Einreise in ein westliches Land den zuständigen Behörden zur Kenntnis gebracht hätte. Bezüglich seines Vorbringens im gesamten Asylverfahren sei festzustellen, daß „Schwierigkeiten“ und „Benachteiligungen“ nicht nur behauptet, sondern auch durch geeignete Beweismittel zu stützen seien. Die alleinige Behauptung von Nachteilen, ohne diese glaubhaft machen zu können, führe nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Gegen diese Bescheide richten sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen Beschwerden. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht, die Rechtsstellung als Flüchtlinge zu erhalten, verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 126, in der Fassung der Novelle vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. I, Abschnitt A, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. I Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt. Nach Art. I A Punkt 2 der Konvention ist als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf die Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die Beschwerdeführer bringen zunächst übereinstimmend vor, sie lehnten das in ihrem Heimatland bestehende kommunistische Regime ab - sie seien aus religiösen Gründen der kommunistischen Partei nicht beigetreten - und sie seien wegen Republikflucht verurteilt worden. Dem ist entgegenzuhalten, daß nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine bloß negative Einstellung gegenüber dem im Heimatstaat eines Asylwerbers herrschenden politischen System noch keinen Grund für die Anerkennung als Konventionsflüchtling darstellt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Mai 1986, Zl. 84/01/0275 und vom 10. Februar 1988, Zl. 86/01/0252). Weiters ist auch zu beachten, daß auch die Bestrafung wegen Übertretung paßrechtlicher oder sonstiger den Aufenthalt im Ausland regelnder Vorschriften im Zusammenhang mit der Anerkennung als Flüchtling nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutungslos ist (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 11. November 1987, Zl. 87/01/0136 und vom 10. Februar 1988, Zl. 86/01/0252). Die Erstbeschwerdeführerin bringt weiters vor, der Grundsatz der Familieneinheit bedinge auch, daß die von ihrem Ehemann angeführten Gründe auch für sie gelten müßten. Dem ist entgegenzuhalten, daß dieser Grundsatz weder im Asylgesetz noch in der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge enthalten ist und es nur darauf ankommt, ob konkrete Verfolgungshandlungen gegen den einzelnen Asylwerber gesetzt worden sind.

Die Beschwerdeführer behaupten auch, die belangte Behörde habe keinen konkreten Sachverhalt festgestellt. Dem ist entgegenzuhalten, daß im Asylverfahren das Vorbringen der Flüchtlinge als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden muß und daher die Wiedergabe ihres entscheidungswesentlichen Vorbringens als ausreichende Sachverhaltsfeststellung anzusehen ist. Daß das Vorbringen der Beschwerdeführer unvollständig oder aktenwidrig wäre, haben die Beschwerdeführer nicht behauptet.

Angesichts der zitierten Judikatur und unter Berücksichtigung der maßgeblichen Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach konkrete Verfolgungshandlungen der tschechoslowakischen Behörden gegenüber der Erstbeschwerdeführerin nicht glaubhaft gemacht werden konnten, - die Beweiswürdigung hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin erweist sich durchaus als schlüssig, zumal sie konkrete Verfolgungshandlungen gegen sich nicht einmal behauptet hat - erweist sich, daß die belangte Behörde ihren Bescheid betreffend die Erstbeschwerdeführerin nicht mit den von ihr behaupteten Rechtswidrigkeiten belastet hat.

Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Zweitbeschwerdeführer behauptet in der Beschwerde, seine Flucht mit seiner Familie sei aus wohlbegründeter Furcht aus Gründen der Religion erfolgt, weil er 1984 entlassen worden sei, nachdem er seine Tochter zur Firmung und zur Kommunion geführt habe. Darauf sei die belangte Behörde nicht eingegangen. Die Beweiswürdigung hinsichtlich der Vermutung der belangten Behörde, er sei Parteimitglied, obwohl er dies nie gewesen sei und dies stets in Abrede gestellt habe, und er hätte keine Benachteiligungen erlitten, weil er schon 1972 anläßlich eines Aufenthaltes in Österreich einen Asylantrag hätte stellen können, sei unschlüssig.

Mit diesem Vorbringen ist der Zweitbeschwerdeführer im Recht. Denn tatsächlich ist die belangte Behörde nicht auf die Frage eingegangen, ob gegenüber dem Zweitbeschwerdeführer aus Gründen der Religion Verfolgungshandlungen seitens seines Heimatstaates gesetzt worden sind. Woraus die belangte Behörde zur „Vermutung“ kommt, daß der Zweitbeschwerdeführer der kommunistischen Partei angehöre, obwohl er dieses stets in Abrede gestellt habe, läßt sich deshalb nicht nachvollziehen, weil aus einer beruflichen Stellung und einer problemlosen Ausreise in ein westliches Ausland sich keineswegs zwingend der Schluß auf die Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei ergibt. Schließlich kann aus einem Aufenthalt in Österreich im Jahre 1972, als der Beschwerdeführer noch nicht verheiratet war und keine Verfolgungshandlungen aus Gründen der Religion vorlagen, nicht geschlossen werden, daß gegen den Zweitbeschwerdeführer auch nun keine Eingriffe in seine „Grundrechte“ und keine „Benachteiligungen“ vorliegen.

Da die Begründung insofern mangelhaft geblieben und nicht auszuschließen ist, daß bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid betreffend den Zweitbeschwerdeführer gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Aussprüche über den Aufwandersatz gründen sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 23. März 1988

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