Normen
AsylG 1968
AVG §56
AVG §62 Abs2
AVG §68 Abs4
B-VG Art131a
B-VG Art133 Z1
B-VG Art18
EGVG Art2 Abs2 A Z5
EGVG Art2 Abs6 lite
FlKonv Art18
PaßG 1969 §19 Abs1
PaßG 1969 §20 Abs1 litd
PaßG 1969 §4 litd
PaßG 1969 §4 lite
VwGG §28 Abs1 Z4
VwGG §34 Abs1
VwGG §41 Abs1
VwGG §42 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1986:1984010299.X00
Spruch:
Die am 2. Oktober 1984 vormittag von einem Organ der Bundespolizeidirektion Linz in der Bundespolizeidirektion Linz (fremdenpolizeiliches Referat) vorgenommene Abnahme des Konventionsreisepasses (Reisedokuments) des Beschwerdeführers wird für rechtswidrig erklärt.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.810,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste am 20. April 1984 mit einem Kurzvisum, ausgestellt von der österreichischen Botschaft in Ankara am 12. April 1984, gültig bis 26. April 1984, in das Bundesgebiet ein und stellte am 27. April 1984 bei der Bundespolizeidirektion Wels Antrag auf Asylgewährung. Zur Begründung führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, er habe sich, nachdem er aus Persien wegen politischer Verfolgung hatte fliehen müssen, seit Juni 1982 in der Türkei aufgehalten. Seine Identität habe er durch den ihm von seinem Bruder überlassenen Reisepaß nachgewiesen. Da sich im Frühjahr 1984 die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der Türkei und dem Iran verbessert hätten und daher die Gefahr bestanden habe, daß er in den Iran zurückgebracht werde, habe der Beschwerdeführer die Flucht nach Österreich fortgesetzt.
Nach eingehendem Ermittlungsverfahren stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich mit Bescheid vom 4. Juni 1984 die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Sinne der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, fest.
Mit Schreiben vom 17. Juli 1984 teilte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich der Bundespolizeidirektion Wels mit, nach Auskunft der österreichischen Botschaft in Ankara habe der Beschwerdeführer nach Vorlage einer türkischen Aufenthaltsberechtigung, ausgestellt am 2. April 1984, eines unbeschränkten türkischen Studentenvisums, erteilt am 12. Juli 1983, sowie einer Busrückfahrkarte von der Busgesellschaft V, einen für 20 Tage gültigen Sichtvermerk für eine Touristeneinreise nach Österreich erhalten.
Die Bundespolizeidirektion Wels stellte dem Beschwerdeführer, nach niederschriftlicher Einvernahme am 3. September 1984 über die Angaben der österreichischen Botschaft in Ankara, am 4. September 1984 einen Konventionsreisepaß aus.
Da sich die Behördenzuständigkeit durch Wohnsitzwechsel des Beschwerdeführers mittlerweile geändert hatte, lud die Bundespolizeidirektion Linz über Auftrag der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich den Beschwerdeführer mit Ladungsbescheid vom 26. September 1984 in Angelegenheit "fremdenpolizeiliche Überprüfung" unter Mitnahme des Konventionsreisepasses binnen drei Tagen nach Zustellung des Ladungsbescheides vor.
Während der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers zum Gegenstand "Parteiengehör zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes; vorläufige Abnahme des Konventions-Rd." am 2. Oktober 1984 hat der Leiter der Amtshandlung den Konventionsreisepaß (Reisedokument) des Beschwerdeführers einbehalten.
Gegen diese Abnahme richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Beschwerdeführer behauptet, durch die verwaltungsbehördliche Maßnahme in seinem Recht auf Ausstellung (Besitz) eines Konventionsreisepasses, bzw. auf ein ordentliches Verfahren zur Entziehung des Konventionsreisepasses gemäß §§ 9, 19, 20, 37 Paßgesetz 1969, BGBl. Nr. 422 igF., verletzt zu sein. Er stellte den Antrag, diese Rechtsverletzung festzustellen und ihm den Ersatz der Verfahrenskosten zuzusprechen.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet, die Beschwerde als unbegründet kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Dem Beschwerdeführer wurde von einem Organ der Bundespolizeidirektion Linz bei der niederschriftlichen Einvernahme am 2. Oktober 1984 in der Bundespolizeidirektion Linz (fremdenpolizeiliches Referat) der Konventionsreisepaß (Reisedokument) abgenommen. Bei dieser Abnahme handelt es sich um einen in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person vorgenommenen, der Bundespolizeidirektion Linz zuzurechnenden Verwaltungsakt.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 lit. b und Art. 131 a B-VG in der Fassung des Art. I Z. 4 und 5 des B-VG BGBl. Nr. 302/1975 erkennt der Verwaltungsgerichtshof über Beschwerden, womit Rechtswidrigkeit der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person behauptet wird. Diese Person kann Beschwerde erheben, wenn sie durch die betreffende Maßnahme in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet. Der Beschwerdegegenstand ist bei einer solchen Beschwerde der gleiche wie bei einer auf Grund des Art. 144 Abs. 1 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde. Verschieden sind die Prüfungsmaßstäbe (Verfassungsgerichtshof: verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte; Verwaltungsgerichtshof: sonstige eingeräumte Rechte). Der Prüfungsmaßstab wird durch die Beschwerdebehauptungen bestimmt; nach diesen richtet sich die Abgrenzung der Zuständigkeiten (Behauptung, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt zu sein, begründet der Verfassungsgerichtshof Zuständigkeit etc.). Da es kein subjektives Recht auf gesetzmäßige Führung der Verwaltung (Art. 18 B-VG) gibt, ist die Frage der Verletzung eines subjektiven Rechtes durch eine "faktische Amtshandlung" jeweils im einzelnen zu prüfen. Dabei muß es sich nicht um die Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte handeln, sondern es können durchaus auch solche privatrechtlichen Charakters betroffen sein. Jedenfalls muß es sich aber um Eingriffe in ausdrücklich von der Rechtsordnung zugestandene Rechte handeln, nicht bloß um Eingriffe in eine rechtlich nicht geregelte Freiheitssphäre (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Jänner 1979, Zl. 727/78).
Gemäß § 19 Abs. 1 Paßgesetz 1969 ist ein Reisepaß zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses gerechtfertigt hätten oder rechtfertigen würden.
Nach § 20 Abs. 1 lit. d leg. cit. obliegt u. a. die Entziehung von Fremdenpässen und Konventionsreisedokumenten den Bezirksverwaltungsbehörden, im örtlichen Wirkungsbereich von Bundespolizeibehörden diesen. Da § 20 leg. cit. über das Verfahren nichts aussagt, ist gemäß Art. II Abs. 2 Z. 5 EGVG 1950 bei Vorliegen der im § 19 Paßgesetz 1969 genannten Voraussetzungen ein Reisepaß (vgl. § 4 lit. d und e des PaßG 1969) mit Bescheid zu entziehen, d. h. die Paßentziehung stellt einen verfahrensgebundenen Akt dar.
Die Ansicht der belangten Behörde, wonach die Abnahme des Reisepasses durch einen mündlichen Bescheid erfolgt sei, ist deswegen verfehlt, weil der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 21. November 1962, Zl. 1657/62 (siehe Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, S. 252) ausgesprochen hat, daß die Erlassung eines mündlichen Bescheides einer Beurkundung sowohl des Bescheidinhaltes als auch der Tatsache seiner Verkündung in Form einer Niederschrift bedarf, ohne die von einer Bescheiderlassung nicht gesprochen werden kann (vgl. auch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. März 1982, Zl. 06/3083/80, und vom 6. Oktober 1983, Zlen. 81/06/0119, 0120). Mangels Erfüllung dieser formalen Mindesterfordernisse ist der realisierte Verwaltungsakt als Bescheid absolut nichtig, hat jedoch als verfahrensfreier Verwaltungsakt insofern Geltung, als die Paßabnahme einen unmittelbaren Eingriff in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers bedeutet, weil damit die Ausübung des mit dem Besitz des Passes verbundenen Rechtes auf Grenzübertritt verhindert wird. Zu prüfen war daher, ob die unmittelbare behördliche Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Gesetze (Art. 18 B-VG) ausgeübt wurde. Weder das Paßgesetz 1969 noch das Asylgesetz oder sonst eine Rechtsvorschrift bieten für die von der Behörde gewählte Vorgangsweise eine gesetzliche Deckung; insbesondere läßt sich auch aus Art. II Abs. 6 lit. e EGVG 1950 eine Ermächtigung aus dem von der Behörde herangezogenen Grund der Sicherung der Strafverfolgung nicht ableiten.
Da die Abnahme des Reisepasses des Beschwerdeführers demnach ohne gesetzliche Grundlage erfolgte, war der angefochtene Verwaltungsakt gemäß § 42 Abs. 4 VwGG für rechtswidrig zu erklären.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243, die auf Grund ihres Art. III Abs. 2 im vorliegenden Fall anzuwenden ist.
Wien, am 5. November 1986
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