European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGVO:2023:LVwG.1.421.2023.R10
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Erkenntnis
Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch seine Richterin Dr. Wischenbart über die Beschwerde der M H, G, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft B vom 17.04.2023, Zl , Übertretungen des Versammlungsgesetzes (VersG), zu Recht erkannt:
Gemäß § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.
Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.
Begründung
1. Im angefochtenen Straferkenntnis wurde der Beschuldigten Folgendes vorgeworfen:
Spruch
1.
Datum/Zeit: xx.xx.xxxx, xx:xx Uhr |
Ort: xxxx B, x, LPD Vorarlberg |
|
Sie haben es als Veranstalter der öffentlich zugänglichen Versammlung zum Thema Klimakrise welche am xx.xx.xxxx von xx:xx Uhr bis xx:xx Uhr im Landtagssaal im Landhaus in xx, xxxxB veranstaltet wurde, unterlassen, diese Versammlung spätestens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung der zuständigen Behörde (LPD V) schriftlich anzuzeigen. |
2.
Datum/Zeit: xx.xx.xxxx, xx:xx Uhr – xx:xxUhr |
Ort: xxxx B, xx, Landtagssaal |
|
Sie haben im Umkreis von 300 m vom Sitz des Landtags entfernt, nämlich im Landtagssaal im Landhaus, eine öffentlich zugängliche Versammlung zur Klimakrise veranstaltet, obwohl der Landtag zur selben Zeit an dieser Örtlichkeit versammelt war. Während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt ist, darf im Umkreis von 300 m von ihrem Sitze keine Versammlung stattfinden. |
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:
1. | § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953, BGBl. Nr. 98/1953, idF BGBl. I Nr. 63/2017 |
2. | § 7 Versammlungsgesetz 1953, BGBl. Nr. 98/1953, idF BGBl. Nr. 392/1968 |
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:
Geldstrafe von | falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von | Gemäß |
1. € 100,00
| 5 Tage(n) 20 Stunde(n) 0 Minute(n) | § 19 Versammlungsgesetz 1953, BGB l. Nr. 98/1953, idF BGBl. I Nr. 50/2012 |
2. € 100,00
| 5 Tage(n) 20 Stunde(n) 0 Minute(n) | § 19 Versammlungsgesetz 1953, BGBl. Nr. 98/1953, idF BGBl. I Nr. 50/2012 |
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:
€ 20,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens € 10,00 für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher
€ 220,00“ |
2. Gegen dieses Straferkenntnis hat die Beschuldigte rechtzeitig Beschwerde erhoben. In dieser bringt sie im Wesentlichen vor, ihr Einspruch vom 23.03.2023 sei beim Straferkenntnis gar nicht berücksichtigt worden. Weder sei ihre angespannte finanzielle Situation aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit noch ihre hehren Motive berücksichtigt worden. Es sei auch nicht erwiesen, dass sie die Versammlungsleiterin des Protestes gewesen sei. Trotzdem sei ihr das vorgeworfen worden.
Sie sei nicht die Versammlungsleiterin des Protestes gewesen. Ihr könne ein Verstoß nach § 2 nicht zur Last gelegt werden. Daher sei der Verstoß nach § 2 vollumfänglich aufzuheben. Dies stelle einen erheblichen Feststellungsmangel dar, weil so aus dem festgestellten Sachverhalt die Rechtsfolge einer dadurch allenfalls erfolgten Übertretung der herangezogenen Strafnorm nicht abzuleiten sei. Es sei insbesondere nicht festgestellt worden, dass oder wodurch sie in den anderen Teilnehmenden den Willensentschluss hervorgerufen hätte, sich zu versammeln. Vielmehr scheine es so, als würde allen VersammlungsteilnehmerInnen dieser Verstoß aus politischen Gründen in Sippenhaftung vorgeworfen, um die Proteste zu unterdrücken. Mit dem Vorwerfen des zweiten Verstoßes könne die Behörde die Strafen doppelt so hoch ansetzen. Das mache die Behörde nur, um sie durch horrend und absurd hohe Geldstrafen von ihrem Recht, an politischen Versammlungen teilzunehmen, abzuhalten. Demokratisch legitime Proteste aus politischen Gründen unterdrücken zu wollen, weil sie unbequem seien, sei nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch eine direkte Gefährdung der Demokratie.
Die Strafe sei viel zu hoch. Bei der Strafbemessung sei nicht berücksichtigt worden, dass die Höhe der Strafe für sie existenzbedrohend sei. Sie sei arbeitslos und verfüge aktuell über kein Einkommen. Sie habe auch kein nennenswertes Vermögen, von dem sie die Strafe bezahlen könnte. Wie alle Menschen in Österreich spüre sie die extreme Teuerung bei den Lebenshaltungskosten. Ihr eine Strafe in dieser Höhe aufzubrummen für die Teilnahme an einem legitimen Protest mitten in der Klima- und Teuerungskrise bedeute, dass die Behörde völlig rücksichtslos und ohne Augenmaß versuche, sie ihres Rechtes auf Teilnahme an politischen Versammlungen zu berauben. Zudem stehe die Strafhöhe in keinem Verhältnis. Zum Vergleich: In anderen Bundesländern würden ähnliche Verstöße mit Strafen um 50 bis 60 Euro geahndet. Warum in Vorarlberg ein ähnlicher Verstoß viermal so teuer sein solle, sei nicht nachvollziehbar und lasse die Vermutung von Willkür bzw gezielter Verfolgung durch die Behörden zu. Sie sei verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Es zwinge sich ihr der Eindruck auf, dass hier aus politischen Gründen mit zweierlei Maß gemessen werde.
Sie habe niemanden verletzt. Im Gegenteil, sie sei von der LPD Vorarlberg selbst als illegitim zugegebenen Amtshandlung vom Beamten O G des Verfassungsschutzes verletzt worden. Der Mann im Alter ihres Vaters habe sie, während sie friedlich eine Rede verlas, um die EntscheidungsträgerInnen an ihre Verantwortung zum Schutz der Menschen in Österreich zu erinnern, an den Haaren gerissen und sie dadurch zu Boden geworfen. Zudem liege hier ein Verfahrensfehler vor. Die LPD Vorarlberg habe selbst die Rechtswidrigkeit der gesetzten Maßnahme gegen sie eingeräumt und das Verwaltungsgericht Vorarlberg ersucht, dies festzustellen. Dass sie dennoch belangt werden solle, obwohl feststehe, dass die polizeiliche Maßnahme rechtswidrig gewesen sei, erschließe sich ihr nicht.
In § 7 Versammlungsgesetz heiße es: „Während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt ist, darf im Umkreis von 300 m von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden“. Die Versammlung, an der sie teilgenommen habe, habe nicht unter freiem Himmel stattgefunden. Sie habe, wie im Schreiben an der Behörde dokumentiert sei, im Landtagsaal stattgefunden. Somit treffe § 7 nicht zu und der Verstoß sei vollumfänglich aufzuheben.
Die Behörde habe ihre hehren Motive völlig außer Acht gelassen. Sie habe aus Liebe zur Demokratie und zur Wahrung des sozialen Friedens gehandelt. Wenn es nicht mehr genügend Nahrung und/oder sauberes Wasser für die Menschen gebe, sei der soziale Frieden und die Demokratie in akuter Gefahr. Wenn die Klimakrise nicht eingedämmt werde, würden sie auf Nahrungs- und Trinkwasserknappheiten zusteuern. Sie wolle sich im Landtag einbringen und die EntscheidungsträgerInnen an ihre Verantwortung für die Menschen in Österreich und Vorarlberg erinnern.
Ihren Handlungen mangle es bereits an Rechtswidrigkeit, da diese durch den rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt seien. Sie handle in Notwehr. Dieser Aspekt sei von der Behörde völlig außer Acht gelassen worden. Die Bundesregierung habe bereits am 26.09.2019 den Climate Emergency ausgerufen, aber trotzdem halte sie § 3 des Bundesverfassungsgesetzes über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung nicht ein. Zudem habe das Europäische Parlament explizit den Klimanotstand ausgerufen und damit - wie zahlreiche weitere Institutionen weltweit - signalisiert, dass es die eindringlichen Warnungen seitens der Wissenschaft bemerkt habe. In der Schweiz habe ein Bezirksgericht KlimaaktivistInnen wegen rechtfertigenden Notstandes freigesprochen, nachdem sie sich trotz Aufforderung nicht aus der Bankfiliale entfernt hätten, wo sie auf klimaschädliche Investitionen aufmerksam gemacht hätten. Am 05.04.2023 hätten sich Österreichs Universitäten hinter die Klimabewegung gestellt. Am 21.04.2023 hätten sich 1.400 Fachleute mehr hinter die Klimaproteste gestellt und bestätigt, dass der Protest als letztes Mittel legitim sei. Der Appell an die Behörden und die Regierung laute „handeln statt kriminalisieren“. Sie bitte die Behörde und das Verwaltungsgericht, wenn sie schon nicht auf sie hören würden, sie sollten auf die Universitäten und 1.400 Fachleute hören.
Durch die eskalierende Klimakatastrophe, die sie jetzt gerade beobachten könnten, würden unmittelbar drohenden Nachteile und eine existenzielle Gefahr für die menschliche Zivilisation entstehen. Das sei nicht ihre Privatmeinung. Das seien Messtatsachen. Vielfach durchgeführte Studien würden dies belegen. Klimaschutz sei kein Hobby für ungewaschene Ökos, es sei Zivilisationsschutz. Die EU habe diese Tatsache bereits 2019 anerkannt. Bereits 2021 habe sich der renommierte Klimafolgenforscher Professor Dr. Hans-Joachim Schellenhuber dazu geäußert. Sie wisse nicht, wie es den Menschen, die in ihren Behörden oder beim Verwaltungsgericht arbeiten gehe, aber sie werde sich nicht in so einen Bus hineinsetzen. Und schon gar nicht ihre Kinder. Sie versuche alles Friedliche in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Regierung an ihre Verantwortung für den Schutz der Menschen in Österreich zu erinnern. Dieser Protest sei ein Teil davon. Sofortige Systemübergänge seien notwendig. Erst kürzlich sei der neueste Synthesebericht des Weltklimarates vorgestellt worden. Die WissenschaftlerInnen würden betonen, dass es jetzt dramatische Änderungen in den bestehenden ökonomischen Strukturen brauche. Jede weitere Verzögerung berge brachiale Risiken. Antonio Guterrez, der höchste Beamte der Welt, habe den Bericht mit „Verzögerung bedeutet den Tod“ kommentiert. Trotzdem würden die Regierungen nicht handeln. Sie hätten kein Klimaschutzgesetz in Österreich. Nicht einmal einfachste Schutzmaßnahmen, wie zum Beispiel eine Temporeduktion würden umgesetzt werden.
Die Güterabwägung sei klar. Für die Annahme eines rechtfertigenden Notstandes sei es erforderlich, dass das zu rettende Gut höherwertig sei als das verletzte Gut. Die voranschreitende Klimakrise würde ihre Lebensbedingungen nachhaltig gefährden und stelle eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Menschen dar. Sie und die anderen Menschen wollten mit ihren Handlungen bewirken, dass politische EntscheidungsträgerInnen endlich die notwendigen Schritte setzen, um einem weiteren Voranschreiten der Erderhitzung entgegenzuwirken, sodass schwerwiegende Schäden an Menschen und Umwelt noch verhindert werden könnten. Die Rechtsgüter Leib und Leben sowie das allgemeine Rechtsgut Umwelt seien jedenfalls höherwertig als die Nachteile, die aus einer vermeintlichen Beeinträchtigung durch 15 Minuten Sitzungsverzögerung entstehen würden. Die Notstandshandlung müsse des Weiteren das angemessene Mittel darstellen, um die Gefahr von dem bedrohten Rechtsgut abzuwenden bzw dürfe kein anderer schonenderer Weg zur Rettung des höherwertigen Gutes zur Verfügung stehen. Ziviler Ungehorsam sei in dieser Notsituation ein angemessenes Mittel. Alle Klimaschutzaktivitäten und jeder Klimaaktivismus, inklusive zivilem, friedlichem Ungehorsam, seien unabdingbar zur Abwehr der Klimakatastrophe. Friedlicher, ziviler Ungehorsam als erfolgreichste Protestform der Geschichte sei geeignet, um auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen und die Regierung zum Handeln zu bewegen. Die Forschung von Eric Chenoweth, Professorin an der Stanford University, belege das. Die Angemessenheit könne verneint werden, wenn politische EntscheidungsträgerInnen bereits hinreichende Maßnahmen setzen würden, um schwerwiegende Schäden, die aus der Erderhitzung resultieren würden, abzuwenden. Dies sei jedoch nicht der Fall. Vielmehr werde die Klimakatastrophe durch die aktuellen Maßnahmen gefördert, indem Steuergeld zur Finanzierung der Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Verfügung gestellt worden sei und werde. Zuletzt sei gar das Erdgasbevorratungsgesetz verabschiedet worden und die Landesregierung in Vorarlberg wolle weiterhin fossile Megaprojekte wie die Tunnelspinne oder die S 18 bauen. Alle anderen friedlichen Mittel seien bereits in den letzten 30 Jahren ausgeschöpft worden: Petitionen, angemeldete Massendemonstrationen oder symbolischer Aktionismus. Nichts hätten die Klimaschutzmaßnahmen gebracht, die dringend benötigt würden, um den sozialen Frieden und die Demokratie zu erhalten. Die Regierung in Österreich habe diese Versuche weitestgehend ignoriert. Sie beteilige sich an diesen Protesten aus purer Verzweiflung und weil ihr die Demokratie am Herzen liege. Sie habe ihre Arbeit geliebt und gut gemacht, aber ihr Chef habe sie wegen ihres Engagements in ihrer Freizeit loswerden wollen, darum habe sie ihre Karriere aufgegeben. Sie sei 26 Jahre alt. Sie sollte die Nächte durchfeiern, ihre Jugend genießen und nicht brutalst bestraft werden, weil sie sich für eine lebenswerte Zukunft einsetzen müsse, weil die Regierung ihrer Verantwortung nicht nachkomme. Es gehe um das Überleben der Menschheit. Sie erbitte das Gericht untertänigst festzustellen, dass ihr Protest legitim und notwendig gewesen sei. Es bleibe keine Zeit mehr. Alle Institutionen des Staates müssten die Demokratie schützen. Ihre Handlungen seien in Anbetracht der geschilderten Umstände und der Zwecklosigkeit anderer Maßnahmen somit das angemessene Mittel, um eine notwendige Auseinandersetzung der Landesregierung mit dieser Thematik herbeizuführen, sodass schlimmere Schäden verhindert werden könnten.
Selbst wenn das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes verneint würde, wäre zumindest ein entschuldigender Notstand anzunehmen, da aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse und dem daraus resultierenden dringenden Handlungsbedarf ein rechtmäßiges Verhalten nicht mehr zugemutet werden könne.
Sollte das Gericht davon ausgehen, dass weder rechtfertigender noch entschuldigender Notstand vorgelegen sei, so sei jedenfalls ein entschuldigender Verbotsirrtum im Sinne eines Irrtums über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes vorgelegen. Sie sei aufgrund des Klimanotstandbeschlusses des Nationalrates sowie auch des Klimanotstandbeschlusses des Landtages Vorarlberg vom 04.07.2019 zu Recht davon ausgegangen, dass eine Notsituation vorliege. Da diesen Beschlüssen jedoch keine entsprechenden Gesetze und Verordnungen zur Eindämmung der Klimakatastrophe folgen würden, sondern im Gegenteil Steuergeld zur Finanzierung der Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Verfügung gestellt worden sei und fossile Megaprojekte wie die Tunnelspinne und die S 18 weiterverfolgt würden, habe sie handeln müssen und sei begründet davon ausgegangen, aufgrund der Notsituation gerechtfertigt zu handeln. Sollte sie sich geirrt haben, wäre dieser Irrtum vom Österreichischen Nationalrat und vom Land Vorarlberg veranlasst und daher nicht ihr vorwerfbar.
3. Das Landesverwaltungsgericht hat in dieser Angelegenheit eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Folgender Sachverhalt steht fest:
Während der Landtagssitzung am xx.xx.xxxx im Landtagssitzungssaal in B stand ein Zuhörer um ca xx.xx Uhr von seinem Sitz im Besucherbereich auf und hielt gemeinsam mit zwei weiteren Personen ein oranges Banner mit dem Schriftzug „Hört auf den Klimarat“ und dem Logo der „Extinction Rebellion“ in die Höhe. Zeitgleich erhoben sich vier weitere Personen mit einem weiteren Banner von ihren Sitzen im Besucherbereich. Die Protestierenden skandierten Parolen und filmten die Protestaktion.
Die Beschuldigte versuchte dabei um ca xx.xx Uhr eine Ansprache zu halten. Jeder der Protestierenden führte eine vorher festgelegte Tätigkeit durch. Die Protestierenden, inklusive der Beschuldigten wurden vom Landtagspräsidenten ermahnt, auf ein mangelndes Rederecht hingewiesen, mehrfach aufgefordert den Saal zu verlassen und schließlich über dessen Anordnung nacheinander – widerstandslos – aus dem Sitzungssaal entfernt.
Der Landtagspräsident unterbrach die Sitzung bis zur Wiederherstellung der Ordnung im Saal.
4. Dieser Sachverhalt wird auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere auf Grund der Einsicht in den Verwaltungsstrafakt und in das Video der Landtagssitzung vom xx.xx.xxxx (Quelle: Vorarlberger Landtag – Videoarchiv), sowie der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung als erwiesen angenommen. Der Sachverhalt ist unstrittig.
In der mündlichen Verhandlung gab die Beschuldigte im Wesentlichen an, sie habe einen Stick mit Videobeiträgen dabei. Sie hätten immer jemanden in ihrer Gruppe, der diese Filme mache und dies auch zur sozialen Gerechtigkeit, damit im Falle, wenn es zu einem Prozess kommen würde, sie auch Beweismittel dabeihätten. Auf diesem Video sei auch ersichtlich, dass bei ihrer Aktion am xx.xx. im Landhaus zuerst ein Herr gesprochen habe, der dann hinausgezerrt worden sei und dann erst in weiterer Folge habe sie gesprochen. Auf dem Video sei auch die Außenkommunikation nachher zu sehen und es sei also auch klar, dass nicht sie dieses Video gemacht habe und in die sozialen Medien gestellt habe. Der Herr, der damals gesprochen habe, habe dann nachher auch erzählt, aus welchem Grund dieser Protest gemacht worden sei. Dort habe sie nichts mehr gesagt. Es sei nicht das erste Mal, dass man ihr die Veranstalterschaft vorwerfe, sie habe diesbezüglich eine 10-Punkteliste mitgenommen und wolle diese nunmehr erläutern.
Auf Frage, wie es entstehe, dass so ein Protest überhaupt zustande kommen würde, gebe sie an, das sei hier in ihrer Punkteliste der Punkt: Zwecks Entwicklung der Proteste - und diesen erläutere sie jetzt. Es sei so, dass diese Idee zu diesem Protest am xx.xx. nicht von ihr gekommen sei. Es sei von einer anderen Person gekommen, die sich schon einmal von dem Verein Extinction Rebellion etwas abgeschaut habe, die im Nationalrat einen erfolgreichen Protest gemacht hätten und von dieser Person sei dann die Idee gekommen. Dazu erläutere sie, die Extinction Rebellion habe keine Rechtspersönlichkeit. Es sei kein Verein. Es sei lediglich eine Bewegung. Diese Person habe das in ihrer Mediengruppe, bei der sie zusammen vernetzt seien, eben vorgeschlagen. Sie habe das damals gelesen und habe sich damals gedacht, dass dies eine gute Protestidee sei, die sie noch nicht probiert hätten und habe sich überlegt, ob sie dabei teilnehme. Sie habe nicht die Protestgruppe erstellt. Sie habe auch keinen Versammlungswillen geweckt. Sie habe lediglich mitgemacht, weil diese Person habe damals aufgerufen und sie habe lediglich gesagt, dass sie mitmache. Diese Person habe Kontakte in Wien mit Personen, die in Wien solche Veranstaltungen gemacht hätten und diese Person habe dann auch den Termin ausgesucht und als sie diesen erfahren habe, sei sie noch berufstätig gewesen und habe Urlaub beantragen müssen. Die Aufgaben seien dann auch eben von dieser einen Person verteilt worden und sie seien gefragt worden, ob beispielsweise jemand das Banner tragen könne usw und so fort. Sie habe sich dann freiwillig dazu bereit erklärt, da sie gerne Texte schreibe und Pressemitteilungen mache, dass sie eben diese Pressemitteilung mache und Punkt. Das heiße, diese Person sei ihr schon bekannt und diese Person wisse auch, dass sie das könne.
Auf Frage, wie das Transparent hergekommen sei, sage sie, dazu könne sie sich nicht mehr erinnern. Es sei so, dass sie ja damals auch eine Rede gehalten habe, aber es sei ja gar nicht der Plan gewesen, dass sie diese Rede halte, eigentlich wäre der junge Mann, der auf dem Archivvideo vom xx.xx. gesehen wird, der hätte eigentlich die Rede halten sollen. Er habe damals ja auch angefangen. Es sei so gewesen, dass sie schon im Vorfeld ausgemacht hätten, dass, falls irgendetwas passiere und der junge Mann, der die Rede hätte halten sollen, diese nicht fertig halten könne, dass dann sie einspringe und dann auch noch eine andere Person einspringe, falls sie nicht mehr weitermachen könne und es sei dann auch so gewesen, dass, als der junge Mann, der die Rede gehalten habe, als dieser entfernt worden sei, dass sie dann einfach weitergemacht habe, aber die Situation sei danach so chaotisch geworden, dass die Reden abgebrochen worden seien. Sie habe diese Kundgebung auch nicht gestartet, sie sei immer auf der Seite gesessen und habe eigentlich gewartet, bis jemand das Signal gebe und diese Person, die das Signal gegeben habe, das sei eben nicht sie gewesen. Jemand von ihnen und das sei nicht sie gewesen, habe sich namentlich als Besucher für diese Landtagssitzung angemeldet. Diese Person könne dann natürlich zwei oder drei Personen mitbringen, die nicht angemeldet seien. Aber sie sei hier namentlich nicht aufgeschienen, weil sie nicht diese Anmeldung gemacht habe. Es könne auch sein, dass mehrere Personen von ihnen diese Anmeldungen gemacht hätten, weil man immer nur zwei oder drei Personen mitnehmen könne, aber sie habe definitiv keine Anmeldung gemacht, jemand habe es für sie gemacht, das heiße, jemand habe sie einfach mitgenommen.
Dazu gab der Behördenleiter an, dass es so sei, dass in der Anzeige drinnen gestanden sei, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Auftretens als federführend angesehen worden sei. Das sei schon in der Anzeige vermerkt worden, dass sie die Organisation verneint habe. Sie hätten dann in weiterer Folge das ordentliche Verfahren eingeleitet und die Beschwerdeführerin zur Rechtfertigung aufgefordert, aber sie habe keine Rechtfertigung zu diesem Sachverhalt abgegeben.
Die Beschwerdeführerin replizierte darauf, dass sie ja auch mit Anwälten und Anwältinnen in Kontakt seien und sich diesbezüglich beraten ließen und sie seien diesbezüglich beraten worden, dass diese Rechtfertigungen oft von Behörden gegen sie verwendet würden und sie wollten eigentlich nicht, dass sie durch Rechtfertigungen sich dann noch selbst schädigen.
Sie habe den Protest im Vorfeld nicht maßgeblich mitorganisiert. Sie habe sich wie die anderen Teilnehmer verhalten und keine zentrale Rolle eingenommen. Sie bedanke sich bei der Behörde für die Gelegenheit, das Pressesprechpersonen nicht pauschal als Veranstalter gesehen werden könnten. Stichhaltige Gegenbeweise hätten sich für sie nicht dargestellt. Sie wolle noch einmal sagen, dass die Aussage des Zeugen Inspektor unwahr sei, dass sie gesagt hätte, sie hätten das gemeinsam so beschlossen.
Der Behördenleiter gab dazu an, dass es eben die Rechtsansicht gebe, dass, wenn eine geringe Anzahl von Personen auftreten würde, dass dann alle als Veranstalter zu sehen seien, dazu würde es Entscheidungen vom LVwG Wien und jüngst auch vom LVwG Tirol geben und auch im Praxiskommentar zum Versammlungsrecht von Aigner/Kepplinger werde darauf hingewiesen.
Dazu gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr die Judikatur vom Landesverwaltungsgericht Wien sehr wohl bekannt sei und auch die Argumentation bezüglich der Veranstalter im Kollektiv, aber es gebe dazu keine höchstgerichtliche Rechtsprechung.
Der Landtagspräsident Mag. H S gab als Zeuge im Wesentlichen an, es sei damals ein ganz normaler Parlamentstag gewesen, bis zu dem Zeitpunkt, als einzelne Personen sich erhoben und begonnen hätten, die Landtagssitzung zu stören. Er habe keine Wahrnehmung diesbezüglich gemacht, dass die Beschwerdeführerin diesbezüglich eine federführende Rolle gehabt hätte, einen Befehl erteilt hätte oder so ähnlich. Zu dem Zeitpunkt, als er diese Störung wahrgenommen habe, seien die Personen alle zusammengestanden. Er habe eigentlich die Politiker im Auge gehabt und die Wortmeldungen betrachtet, er habe die Besuchergalerie eigentlich nicht im Auge gehabt.
Die Landtagsdirektorin Dr. B G gab als Zeugin im Wesentlichen an, sie habe keine spezielle Wahrnehmung dazu, was in der Besuchergalerie vor sich gegangen sei. Sie habe auch die Besuchergalerie nicht im Auge gehabt, weil sie bei der Landtagssitzung mit anderen Dingen beschäftigt sei. Dass Frau H irgendeinen Befehl gegeben hätte oder eine führende dominante Rolle eingenommen hätte, sei für sie nicht wahrnehmbar gewesen.
Der Zeuge Insp. E gab bei der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen an, er sei bei der Aktion dabei gewesen. Sein Kollege habe die Anzeige verfasst. Bei ihnen in der Dienststelle sei die Meldung gekommen, dass beim Landhaus Plakate aufgehängt würden. Sie seien dann zum Landhaus gegangen, hätten aber im Außenbereich nichts festgestellt. Sie seien dann hineingegangen und dort seien ihnen schon die ersten Personen, die herausgetragen worden seien, entgegengekommen. Im Landhaus sei ihm nichts aufgefallen diesbezüglich, dass die Beschuldigte eine Führung in der Gruppe gehabt hätte, aber vor dem Landhaus, als sie von den Beteiligten die Daten aufgenommen hätten, habe Frau H für die Gruppe gesprochen und sei für diese eingetreten. Das sei eigentlich gewesen, als diese Aktion schon wieder vorbei gewesen sei. Er könne sich nicht mehr genau erinnern, was die Beschwerdeführerin selbst gesagt habe, aber sein Kollege sei noch einmal in das Landhaus hineingegangen und derweil habe die Beschwerdeführerin über den Klimanotstand und den zivilen Ungehorsam gesprochen und als der Kollege wieder herausgekommen sei und gefragt habe nach der Veranstaltung, habe die Beschwerdeführerin die Frage, wer denn dies veranstaltet habe, damit beantwortet, dass es keinen Veranstalter gebe, sondern das im Kollektiv veranstaltet worden sei.
5.1. Rechtliche Beurteilung:
Nach § 2 Abs 1 VersG, BGBl Nr 98/1953 idF BGBl I Nr 63/2017, muss, wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, dies wenigstens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§ 16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muss spätestens 48 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.
Gemäß § 7 VersG, idF BGBl Nr 392/1968, darf während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt ist, im Umkreis von 300 m von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden.
Gemäß § 19 VersG, idF BGBl I Nr 50/2012, sind Übertretungen dieses Gesetzes, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, aber von der Landespolizeidirektion, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 720 Euro zu ahnden.
5.2. Rechtliche Würdigung:
Gegenständlich ist zu prüfen, ob es sich bei der Protestaktion während der Sitzung des Vorarlberger Landtags am 14.12.2022 um eine anzeigepflichtige Versammlung iSd § 2 Abs 1 VersG und es sich bei der Beschuldigten um die Veranstalterin der selbigen handelt, womit eine Bestrafung nach dem VersG wegen Unterlassung der Anzeige zulässig wäre (siehe Spruchpunkt 1.).
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob eine Bestrafung der Beschuldigten dafür, dass während der Sitzung des Landtages eine Versammlung abgehalten wurde, möglich ist; dies unter Berücksichtigung, dass die Beschuldigte in der Landtagssitzung durch den Landtagspräsidenten im Rahmen der Sitzungspolizei aufgefordert wurde, den Raum zu verlassen bzw die Entfernung der Beschuldigten angeordnet wurde (siehe Spruchpunkt 2.).
5.2.1. Vorliegen einer Versammlung sowie Veranstaltereigenschaft der Beschuldigten:
5.2.1.1. Vorliegen einer Versammlung:
Unter einer Versammlung im Sinne des VersG ist nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine Zusammenkunft mehrerer Menschen zu verstehen, die in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation, usw) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. Im Falle einer nicht angezeigten Zusammenkunft ist für das Vorliegen einer Versammlung jenes Bild maßgeblich, welches sich den einschreitenden Organen an Ort und Stelle bietet (vgl VwGH 18.05.2009, 2009/17/0047; VfGH 29.09.1989, B 706/89).
Die Beurteilung, ob eine Zusammenkunft eine Versammlung ist, hat sich – so Verfassungsgerichtshof (VfGH) 15.6.2023, E 1135, 1142/2022, Rz 26-29 – primär an ihrem Zweck und den Elementen der äußeren Erscheinungsformen (wozu die näheren Modalitäten, die Dauer und die Anzahl der Teilnehmer der Veranstaltung gehören) zu orientieren. Dabei kommt es auf das erkennbar geplante Geschehen und nicht etwa darauf an, ob die beabsichtigte Zusammenkunft vom Veranstalter bei der Behörde formal als „Versammlung“ angezeigt wurde (VfSlg 11.651/1988). Der VfGH hat in bestimmten Fallkonstellationen zwar ausgesprochen, dass der Einsatz von Kommunikationsmitteln wie das Aufstellen eines Informationsstandes das erforderliche Entstehen einer Assoziation der Zusammengekommenen – also das Vorliegen einer Versammlung – für sich genommen noch nicht belegt (VfSlg 10.608/1985, 11.651/1988), oder er hat gar unter Bedachtnahme auf den konkreten Sachverhalt den Charakter als Versammlung verneint (VfSlg 11.935/1988, 12.161/1989). Meist jedoch hat der VfGH einer Zusammenkunft mehrerer Menschen den Versammlungscharakter nicht abgesprochen (VfSlg 20.450/2021 zur Zusammenkunft im Festsaal der Technischen Universität Wien). Auch der Umstand, dass Versammlungen nicht auf geladene Gäste beschränkt, sondern öffentlich zugänglich sind, dies mit dem Ziel, möglichst viele Menschen von politischen Konzepten und Ideen zu überzeugen, war stets ein in die allgemeine Betrachtung wesentlich einfließender Aspekt. Maßgeblich für die Qualifikation als Versammlung ist, dass es sich um ein der politischen Zielsetzung dienenden, allgemein zugänglichen und nicht auf geladene Gäste beschränktes (§ 2 Abs 1 Satz 1 VersG; dazu VfSlg 7762/1976, 9783/1983, 10.443/1985) Zusammentreffen von Menschen zum Austausch und zur Diskussion handelt.
Im gegenständlichen Fall ist offensichtlich, dass die Beschuldigte ihre Meinung zum Klimawandel bzw zum „Klimanotstand“ zum Ausdruck bringen wollte und sich hiefür mit sechs weiteren Personen zu dieser Protestaktion zusammenschloss. Eine Einladung an andere Personen bzw eine öffentliche Aufforderung erfolgte nicht. Allerdings wurde die Protestaktion während einer öffentlich zugänglichen Landtagssitzung durchgeführt und wurde eindeutig die Meinungskundgabe an Adressaten außerhalb des Kreises der Protestierenden bezweckt. Dies deutet folglich darauf hin, dass die Aktion nicht auf geladene Gäste beschränkt war, sondern eine möglichst breite Öffentlichkeit erreicht werden sollte. Allein durch die Wahl des Versammlungsorts war es den Protestierenden unmöglich Vorkehrungen zu treffen, um andere von der Versammlung auszuschließen. Aus Sicht des erkennenden Gerichtes handelt es sich bei der gegenständlichen Meinungskundgabe, wobei Transparente in die Höhe gehalten und Parolen skandiert wurden, um eine Versammlung iSd Art 12 StGG, Art 11 EMRK und § 1 VersG. Somit genießt die Beschuldigte grundrechtlichen Schutz, da nach der Rechtsprechung des VfGH auch nicht in Entsprechung des VersG angezeigte Versammlungen grundrechtlich geschützt sind (VwGH 29.03.2004, 98/01/0213).
5.2.1.2. Veranstaltereigenschaft der Beschuldigten:
Als Veranstalter einer Versammlung kann nur auftreten, wer Rechtspersönlichkeit besitzt, also neben einer natürlichen Person etwa ein Verein oder eine politische Partei (vgl etwa VfSlg 11.258/1987 und VfSlg 19.852/2014, jeweils mwN). Veranstalter einer Versammlung im Sinne des VersG ist eine natürliche oder juristische Person, die die Versammlung einberuft, also zu ihr einlädt oder sie organisiert; das ist der Einberufer, Organisator, Initiator oder Planer der Versammlung. Veranstalter ist sohin, wer in den potenziellen Teilnehmern den Willen zum sich versammeln hervorrufen will, was regelmäßig in Form einer Einladung (durch Plakate, persönliches Anschreiben, Aufrufe in Zeitschriften, im Internet etc) erfolgt.
Nach der Rechtsprechung gilt weiters als Veranstalter auch eine Person, die in der Öffentlichkeit oder gegenüber der Behörde als solcher auftritt bzw wer eine führende Rolle in der Versammlung einnimmt (vgl VwGH 22.03.2018, Ra 2017/01/0359, mit Hinweis auf Fessler/Keller, Vereins- und Versammlungsrecht³ [2013] S 271). Unter einer führenden Rolle ist etwa die Bestimmung der Richtung des Demonstrationszuges, der Aufruf, behördliche Anordnungen zu befolgen bzw nicht zu befolgen, oder die Bestimmung des Zeitpunkts der Beendigung der Versammlung zu verstehen (VwGH 22.03.2018, Ra 2017/01/0359).
Den Veranstalter trifft die – durch § 19 VersG verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte – Pflicht, die Versammlung gemäß § 2 Abs 1 VersG anzuzeigen (vgl VwGH 21.03.1990, 90/01/0019).
Die Beschuldigte hat die Veranstaltereigenschaft der Versammlung bestritten. Sie hat in der mündlichen Verhandlung von einer fremden Person gesprochen, die ihr bekannt sei, die die Veranstalterin gewesen sein soll. In der Anzeige der PI B vom xx.xx.xxxx wird diesbezüglich ausgeführt, dass gemäß Polizeiangaben die Beschuldigte aufgrund ihres Auftretens als federführend angesehen werden könne. Der Zeuge Insp. E hat in der Verhandlung angegeben, dass er sich erinnern kann, dass die Beschuldigte von einer gemeinschaftlichen Organisation („im Kollektiv“) dieser Protestaktion gesprochen habe.
Das der Beschuldigten nachweisbare Verhalten während der Versammlung am xx.xx. während der Landtagssitzung hat keine Hinweise ergeben, dass sie eine führende Rolle während der Versammlung, bzw bei deren Planung und Organisation eingenommen hätte. Die von ihr gesetzten Handlungen sind überaus typisch für einen (bloßen) Teilnehmer an einer Protestaktion und nach Ansicht des erkennenden Gerichtes als bloß geringfügige Unterstützungshandlungen bei der Durchführung der vorliegenden Versammlung anzusehen. Darüber hinaus sind die Handlungen der Beschuldigten nahezu ident mit jenen, die auch die anderen sechs Personen vorgenommen haben.
Die belangte Behörde hat neben der Beschuldigten auch die weiteren Protestierenden jeweils als Veranstalter geahndet und somit jeder der protestierenden Personen eine führende Rolle unterstellt. In der mündlichen Verhandlung hat sich der Vertreter der belangten Behörde diesbezüglich auf zwei Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes Wien (VGW-001/021/21384/2014-5 und VGW-001/038/1253/2015-4) berufen. Im Erkenntnis VGW-001/021/21384/2014-5 vom 15.12.2014 wird festgehalten:
„…..Die Bf folgte diesen Aufruf, es handelte sich somit um keine Spontan- oder Eilversammlung. Die Willensbildung über den Beschluss zur Abhaltung der Demonstration in der Art und Weise, wie sie stattgefunden hat, erfolgte dann aber vor Ort, von allen Personen der sich eingefundenen Gruppe gleichberechtigt und gleichteilig und wirkten auch alle Personen der versammelten Gruppe gleichberechtigt und gleichteilig an der Organisation der Veranstaltung mit ….. Alle Manifestanten – und somit auch die Bf – wirkten gleichteilig an der Organisation der Veranstaltung mit. Die belangte Behörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass auch die Bf als Veranstalter gegenständlicher Versammlung anzusehen ist.“
Das Landesverwaltungsgericht kann der Rechtsansicht in der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtes Wien nicht folgen, weil nach Ansicht des erkennenden Gerichtes beide Erkenntnisse des VGW-Wien die Veranstaltereigenschaft im Kollektiv unzureichend begründen. Eine höchstgerichtliche Judikatur des VwGH gibt es diesbezüglich nicht und ist auch aus den gesetzlichen Bestimmungen, die hier zur Anwendung kommen, nichts zu entnehmen, was auf eine kollektive Veranstaltereigenschaft, gerade bei kleineren Protestaktionen, wie der hier vorliegenden schließen ließe.
Auch wenn es durchaus möglich ist, dass die Beschuldigte zumindest wesentlich an der Veranstaltung und Organisation derselben beteiligt gewesen ist, da die Aussagen der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nur zum Teil glaubhaft waren, liegen keine Beweise diesbezüglich vor, dass sie die Veranstalterin dieser Aktion gewesen ist. Die Beschuldigte war bei ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung sehr gut vorbereitet und hat selbst angegeben, dass sie von Rechtsanwälten und Anwältinnen beraten wird. Es ist auch durchaus möglich, dass die ominöse Person, welche die Protestaktion am xx.xx.xxxx veranstaltet haben soll, lediglich fingiert ist, jedoch gibt es auch dahingehend keine Hinweise oder Beweise. Somit lässt sich für das Landesverwaltungsgericht nicht mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren notwendigen Sicherheit feststellen, dass die Beschuldigte in ihrer Eigenschaft Veranstalterin der Versammlung gewesen ist. Daher war das Strafverfahren im Hinblick auf Spruchpunkt 1. im Zweifel einzustellen.
Abschließend soll noch erwähnt werden, dass die Aussage der Beschuldigten, dass der Polizist eine Falschaussage vor Gericht getätigt habe, hinsichtlich der Angabe, sie hätten die Protestaktion im Kollektiv organisiert, als Schutzbehauptung der Beschuldigten abgetan wird. Die Aussage des Polizeibeamten Insp. E war nachvollziehbar und glaubhaft und hat sich auch kein Grund ergeben, dass der Polizeibeamte willkürlich falsche Angaben als unter Wahrheitspflicht stehender Zeuge vor Gericht macht. Daher geht das Landesverwaltungsgericht auf diese Behauptung der Beschuldigten nicht weiter ein.
5.2.2. Versammlungen während Sitzungen von gesetzgebenden Organen:
Gemäß § 7 VersG darf während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt ist, im Umkreis von 300 m von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden.
Eine Bestrafung wegen der Veranstaltung einer Versammlung im Landtagssaal (Spruchpunkt 2.) scheidet allein schon aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 7 VersG („unter freiem Himmel“) aus. Versammlungen dieser Art sind nur unter freiem Himmel strafbar, nicht jedoch im Landtagsitzungssaal selbst. Dass der Gesetzgeber mit dem Regelungsinhalt des § 7 ausschließlich die äußere Umgebung des Sitzes von Vertretungskörpern umfassen wollte – und nicht entgegen der Ansicht der belangten Behörde, auch das Innere des Sitzes – ergibt sich neben dem klaren Wortlaut der Norm eindeutig aus der Regierungsvorlage vom 14.05.1968 (874 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XI. GP). In dieser wird Nachstehendes festgehalten:
„Der § 7 des Versammlungsgesetzes enthält in seiner derzeitigen, seinem Inhalt nach auf das Jahr 1867 zurückgehenden Fassung die Bestimmung, daß während der Nationalrat, der Bundesrat oder ein Landtag versammelt ist, an dem Ort ihres Sitzes und in einem Umkreis von 38 km (ursprünglich: fünf Meilen) keine Versammlung unter freiem Himmel gestattet werden darf.
[…]
Es besteht aber keinerlei praktisches Bedürfnis, Versammlungen unter freiem Himmel in einem so weiten Umkreis vom Sitz eines gesetzgebenden Organs zu verbieten. Der dem § 7 1. c. zugrunde liegenden ratio, daß die Sitzungen eines gesetzgebenden Organs durch eine Versammlung unter freiem Himmel nicht beeinträchtigt werden sollen , wird vollauf Genüge getan, wenn derartige Versammlungen in einem Umkreis von 500 m vom Sitz des jeweils in Betracht kommenden gesetzgebenden Organs verboten werden.
Um dieser Auffassung Rechnung zu tragen, müssen aber auch die Worte "an dem Ort ihres Sitzes" eliminiert werden, da unter den Begriff des Ortes im Hinblick auf § 16 1. c. das Gebiet der Ortsgemeinde, in dem das gesetzgebende Organ versammelt ist, zu verstehen ist oder doch verstanden werden kann.
[…]
Die Formulierung "darf ... keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden" beinhaltet ein gesetzliches Verbot derartiger Versammlungen und berechtigt und verpflichtet die Behörde, eine solche Versammlung zu untersagen und gegebenenfalls gemäß § 13 Abs. 2 1. c. aufzulösen. Eine völlige Auflassung der Verbotszone erscheint aus dem Grunde nicht tunlich, weil der ungestörte Verlauf der Sitzungen der gesetzgebenden Organe nur dann voll gewährleistet werden kann, wenn während der Dauer der Sitzung in der unmittelbaren Umgebung des Tagungsortes keine öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel stattfinden. Die durch § 6 des Versammlungsgesetzes gebotene Möglichkeit, eine Versammlung, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft, oder deren Abhaltung die öffent1ichen Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, zu untersagen, reicht schon aus dem Grunde nicht aus, weil erfahrungsgemäß Versammlungen, gegen deren Abhaltung nach dem Inhalt der Anzeige keine begründeten Bedenken bestehen, innerhalb kürzester Zeit einen unfriedlichen Charakter annehmen können.
Findet eine solche Versammlung in der unmittelbaren Nähe eines gesetzgebenden Organs statt, dann erscheint es zweifelhaft, ob im Ernstfall Sicherheitsorgane in entsprechender Anzahl so zeitgerecht herbeigeführt werden können, um ein Eindringen von Demonstranten in das Sitzungslokal des gesetzgebenden Organs zu verhindern . […]“
Die obigen Unterstreichungen in den Materialien wurden durch das Landesverwaltungsgericht hinzugefügt.
Hintergrund der „Bannmeile“ des § 7 VersG ist sohin die Befürchtung, dass, sollte eine in unmittelbarer Nähe eines gesetzgebenden Organs durchgeführte Versammlung außer Kontrolle geraten, nicht zeitgerecht ausreichend Sicherheitsorgane herbeigeführt werden können, um ein Eindringen von Demonstranten in das Sitzungslokal des gesetzgebenden Organs (hier: Vlbg Landtag) zu verhindern. Der Rechtsauffassung der belangten Behörde in Spruchpunkt 2. des behördlichen Straferkenntnisses kann somit nicht gefolgt werden. Zum selben Ergebnis führt auch die Berücksichtigung der 300-Meter-Zone (Bannmeile).
Im der Entscheidung des VfGH vom 30.11.1995, B1495/94, wurde zur Auslegung der Formulierung „Sitz“ im § 7 VersG und zur Berechnung der Bannmeile Folgendes ausgeführt:
„Die Meinung der Beschwerdeführerin, die 300-Meter-Zone sei vom Mittelpunkt des Sitzungssaales des Nationalrates zu messen, ist verfehlt. Vielmehr ist — dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend — unter dem "Sitz" der gesetzgebenden Körperschaft das Gebäude, in dem diese tagt, zu verstehen. Die 300-Meter-Zone ist von der Außengrenze des Gebäudes zu messen."
Da die 300-Meter-Zone erst ab der Außengrenze des gegenständlichen Gebäudes (Landhauses) beginnt, die Versammlung aber innerhalb des Gebäudes stattgefunden hat, ist § 7 VersG folglich auch aus diesem Grunde nicht anwendbar.
Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Nichtanführung eines Tatbestandselements des § 7 VersG, nämlich „unter freiem Himmel“, im Spruchpunkt 2. im Widerspruch zu den Erfordernissen des § 44a Z 1 VStG steht, somit die Beschuldigte ua in ihren Verteidigungsrechten beeinträchtigt. Der Spruch eines Straferkenntnisses muss so gefasst sein, dass die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die verletzte Verwaltungsvorschrift eindeutig und vollständig erfolgen kann, also aus der Tathandlung zugleich auf das Vorliegen der bestimmten Übertretung geschlossen werden könnte (dazu vgl VwGH 18.10.2007, 2005/09/0126).
Insgesamt ist daher festzustellen, dass eine Bestrafung der Beschuldigten auch gemäß Spruchpunkt 2. nicht erfolgen kann.
6. Zusammenfassend ist auszuführen, dass es sich bei der gegenständlichen Protestaktion um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes handelt, welche grundsätzlich gemäß § 2 Abs 1 VersG anzeigepflichtig wäre.
Allerdings konnte der Beschuldigten eine Veranstaltereigenschaft im Sinne des VersG nach den obigen Ausführungen nicht nachgewiesen werden, womit schon aus diesem Grunde wohl beide Spruchpunkte aufzuheben waren.
§ 7 VersG verbietet nur Versammlungen „unter freiem Himmel“ und nicht im Landtagssitzungssaal selbst. Auch fand die Versammlung nicht innerhalb der „Bannmeile“ statt. Somit war der Spruchpunkt 2. aufzuheben. Dazu soll auch auf die nicht gesetzeskonforme Tatumschreibung im Spruchpunkt 2. hingewiesen werden.
Schlussendlich ergibt sich zum Spruchpunkt 2., dass das Verhalten der Beschuldigten schon durch die Ausübung der Sitzungspolizei gemäß § 44 Abs 7 GO-LT beendet (geahndet) wurde. Für eine nachträgliche Bestrafung nach dem Versammlungsgesetz bleibt nach der Rechtsprechung des VfGH kein Raum.
Somit ist der Beschwerde Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.
Aufgrund des Ergebnisses ist auf das weitere Beschwerdevorbringen nicht mehr gesondert einzugehen. Insgesamt war spruchgemäß zu entscheiden.
7. Die Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im konkreten Fall zur Frage fehlt, ob eine Veranstaltereigenschaft insbesondere bei kleineren Veranstaltungen, wie der vorliegenden (6 bis 7 Personen) auch auf das Kollektiv, also auf alle Beteiligten ausgedehnt werden kann.
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