LVwG Tirol LVwG-2020/14/2584-11

LVwG TirolLVwG-2020/14/2584-1122.6.2021

VerkehrsaufschließungsabgabenG Tir 1998 §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2020.14.2584.11

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Priv.-Doz. Dr. Heißl, E.MA, über die Beschwerden von AA, vertreten durch BB, Rechtsanwalt in **** Z, Adresse 1, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Y (belangte Behörde), vertreten durch Rechtsanwalt CC, Adresse 2, **** Z, vom 11.8.2020, *** (BVE 2.11.2020), betreffend die Vorschreibung eines Erschließungsbeitrages, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 19.5.2021 und 9.6.2021

 

 

zu Recht:

 

1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

 

2. Die ordentliche Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Verfahrensgang

 

Mit dem angefochtenen Bescheid setzte die belangte Behörde – zusammengefasst – aufgrund eines Wiederaufbaus einer Abstellhalle mit Sanitärzelle, integriertem Werkstattbereich und Lagerschuppen für nicht gewerbliche Nutzung den Erschließungskostenbeitrag mit € 17.533,93 fest.

 

In der dagegen erhobenen Beschwerde rügte der Beschwerdeführer – wiederum zusammengefasst – Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Das auf der gegenständlichen Liegenschaft befindliche Gebäude sei ursprünglich Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet worden und zu Beginn der 1920iger Jahre umgebaut worden. Es bestehe seitdem in unveränderter äußerer Gestalt fort. Auch die Verbindung von Holzelementen und Mauerwerk sei unverändert geblieben. Es seien lediglich die notwendigen Erhaltungsarbeiten durchgeführt worden. Durch einen Brand am 31.5.2019 seien die aus Holz bestehenden Elemente des Gebäudes, also der Dachstuhl und die zwischen den Mauerpfeilern eingesetzten Holzpaneele samt Dachhaut und Fenstern zerstört worden. Das gesamte Mauerwerk, also die raumbildenden gemauerten Teile des Gebäudes seien hingegen nicht beschädigt worden und bestehen geblieben. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 3.7.2020, ***, hätte die belangte Behörde den Wiederaufbau des Gebäudes unter Verwendung des unbeschädigt gebliebenen Mauerwerks im bisherigen Umfang erteilt. Die Situierung des Gebäudes, seine äußeren Abmessungen sowie der umbaute Raum seien nach dem Wiederaufbau absolut dieselben geblieben wie vorher. Es liege im Hinblick auf den Wiederaufbau der Abstellhalle kein Sachverhalt vor, der eine Abgabenpflicht nach dem TVAG erfüllen würde. Die Vorschreibung des Erschließungsbeitrags sei zu Unrecht erfolgt. Die rechtliche Qualifikation des „Wiederaufbaus“ als „Neubau“ im Sinne des § 7 Abs 1 TVAG sei unzutreffend und unzulässig. Gegenständlich liege kein Neubau im Sinne des § 2 Abs 7 TBO vor, sondern lediglich die Wiederherstellung des durch den Brand beschädigten, aber nach wie vor existenten Gebäudes. Sei der umbaute Raum nicht zur Gänze beseitigt worden und raumbildende Teile nicht für eine Wiederverwendung erhalten geblieben, dann sei der ursprüngliche Baukonsens nicht erloschen (VwGH 17.12.1979, 11.559/77). Die Wiederherstellung eines solchen Gebäudes stelle keinen Neubau da und löse auch keine Abgabenpflicht nach dem TVAG aus. Darüber hinaus stehe der historische Bestand des Gebäudes der Vorschreibung des Erschließungsbeitrags entgegen. Abschließend beantragte der Beschwerdeführer neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben in eventu die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen.

 

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 2.11.2020 wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Abermals zusammengefasst liege sehr wohl ein Neubau vor. Die Frage des Wiederaufbaus trete in zweite Linie zurück, da zu keinem Zeitpunkt eine den Erschließungskosten gleichstehende Abgabe eingehoben wurde, die seinerzeitige bauliche Anlage jedenfalls in rechtlicher Hinsicht untergegangen sei, eine Anlage bewilligt worden sei, die zwar dieselben Umrisse aber einen anderen rechtlich sichergestellten Verwendungszweck habe und damit auf einer neuen Widmung fuße. Deshalb gehe die Abgabenbehörde von einer objektiven Verpflichtung aus, die Erschließungskosten einzuheben. Es sei aufgrund früherer Rechtsvorschriften kein Erschließungsbeitrag geleistet worden.

 

Der Vorlageantrag vom 16.11.2020 enthält keine darüber hinausgehende Begründung.

 

Das Landesverwaltungsgericht Tirol führte am 19.5.2021 und am 9.6.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der jeweils der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Rechtsvertreter sowie der Vertreter der belangten Behörde erschienen. Am 19.5.2021 erschien darüber hinaus Bürgermeister DD für die belangte Behörde. Am 9.6.2021 wurde der hochbautechnische Sachverständige EE ebenso einvernommen wie der Zeuge FF.

 

Der Vertreter der belangten Behörde teilte dem Landesverwaltungsgericht Tirol mit Schreiben vom 18.1.2021 die Bevollmächtigung mit und erstattete mit Schreiben vom 5.6.2021 ein ergänzendes Vorbringen. Am 4.6.2021, eigenhändig überreicht am 7.6.2021, legte der Beschwerdeführer mehrere Lichtbilder des Gebäudes vor und nach dem Brand sowie eine Bauwerkskontrolle vom 24.2.2021 der Vermessung GG vor.

 

 

II. Sachverhalt

 

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstücks-Nummer **1, EZ ***, KG *** Y, mit der Adresse 3, **** Y. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auf dem Grundstück ein Gebäude errichtet und zu Beginn der 1920iger Jahre umgebaut. Bis zum Jahre 2019 bestand dieses in unveränderter Gestalt fort.

 

Ein Brand am 31.5.2019 zerstörte das Dach und die Dachkonstruktion aus Holz vollkommen. Diese brach weitgehend herunter. Das Mauerwerk selbst blieb erhalten und war für den Wiederaufbau geeignet. Dieses umschließt das Gebäude auf allen vier Seiten und besteht aus Steinmauerwerk, Backsteinmauerwerk und teilweise aus betonierten Bereichen.

 

In weiterer Folge widmete die belangte Behörde das Grundstück von Freiland (§ 41 TROG) in Sonderfläche „Abstellhalle mit Sanitärzelle und integrierten Werkstättenbereich (Nutzfläche Werkstätte maximal 35 m²) für nicht gewerbliche Nutzung“ (§ 43 Abs 1 lit a TROG) um.

 

Mit Bescheid vom 3.7.2020, ***, bewilligte die belangte Behörde den Wiederaufbau des Gebäudes. Darin ist als Baumasse 2.086 m³ angegeben. In weiterer Folge baute der Beschwerdeführer das Gebäude wieder auf. Das vom Brand erhalten gebliebene Mauerwerk blieb bestehen, wurde teilweise verstärkt und ausgebessert. Auf dieses Mauerwerk setzte sich die Dachkonstruktion aus Holz.

 

Augenscheinlich entspricht das wiederaufgebaute Gebäude dem abgebrannten Altbestand. So blieb die Anzahl, die Größe und die Anordnung der Fenster gleich. Augenscheinlich veränderte sich auch der Winkel der Dachschräge nicht. Als einziger augenscheinlicher Unterschied wurden die jeweils zwei rautenförmigen Fenster an der Nord- und Süd-Seite in der Holzkonstruktion nicht mehr übernommen.

 

Durch den Wiederaufbau dieses Objektes erfolgte keine Erweiterung der Baumasse.

 

 

III. Beweiswürdigung

 

Die Eigentumsverhältnisse lassen sich dem Grundbuch entnehmen. Die Historie des Gebäudes brachte der Beschwerdeführer nachvollziehbar vor. Die belangte Behörde bestätigte die dahingehenden Angaben.

 

Der Brand und die damit verbundene Beschädigung des Gebäudes geht aus den zahlreichen im Akt enthaltenen Lichtbildern sowie aus dem Gutachten von Baumeister JJ vom 7.6.2019 hervor, welches die belangte Behörde vorlegte.

 

Den Baubewilligungsbescheid legte die belangte Behörde ebenfalls vor. Darin sind auch umfassende Pläne enthalten, die den Wiederaufbau veranschaulichen.

 

Bei der zentralen Sachverhaltsfrage übersieht das Landesverwaltungsgericht Tirol nicht, die tatsächliche Kubatur des Altbestandes kann – aus Ermangelung von Plänen oder detaillierten Berechnungen vor dem Brand – nicht mehr detailgenau festgestellt werden. Aus diesem Grund muss auch ein detailgenauer Vergleich mit der Kubatur des wieder errichteten Gebäudes scheitern. Dahingehend führte der hochbautechnische Sachverständige KK in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol am 9.6.2021 unmissverständlich aus: „Aus sachverständiger Sicht ist es unmöglich zu eruieren, ob eine Baumassenvergrößerung stattgefunden hat. Dies gründet sich in erster Linie darauf, dass keine Pläne vom ursprünglichen Altbestand (somit vor dem Brand) vorliegen. Deshalb ist ein Vergleich nicht möglich. Es kann aus Sachverständigensicht keine Gegenüberstellung angefertigt werden. … Es ist somit aus sachverständigen Sicht unmöglich dahingehende Prozentsätze zu errechnen. Ausschließlich anhand der gegenständlichen im Akt aufliegenden Fotos, welche zwar optisch auf eine idente Bauweise wie für das vorher bestehende Gebäude hinweisen, ist eine gutachterliche Feststellung einer Baumassenvergrößerung nicht möglich.

 

Trotzdem kommt das Landesverwaltungsgericht Tirol aufgrund folgender Überlegungen zum Ergebnis, das gegenständliche Gebäude wurde ohne Baumassenvergrößerung ident wiederaufgebaut:

Erstens ist auf den zahlreichen vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen und Lichtbilder ersichtlich, das wiederaufgebaute Gebäude gleicht in Größe und Bauweise dem abgebrannten Gebäude.

Zweitens gab der Zeuge FF in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol am 9.6.2021 glaubwürdig und nachvollziehbar an, das neu errichtete Gebäude entspricht dem Altbestand („Die Vorgabe ist ganz klar gewesen, dass es wie der Altbestand wiederaufgebaut werden sollte. Das war die Hauptanforderung für uns als ausführende Firma. … Ich habe das Haus auch vorher gekannt, ich war ein paar Mal am Dach. Ich habe im Winter Schnee abgeschöpft. Über Befragen, ob das Haus nunmehr größer oder kleiner ist: Es ist genau gleich groß. Über Befragen, ob sich am Haus irgendetwas verändert hat: Nein, es sind die Mauern genau gleich dagestanden wie es vorher schon gewesen ist. Jede Fensteröffnung [,] alles ist gleichgeblieben. Über Befragung, ob sich aus meinem Ermessen hinsichtlich der Kubatur des Raumes etwas geändert hat: Nein, aus meinem Ermessen ist alles gleichgeblieben.“).

Dies bestätigt drittens auch der hochbautechnische Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol. Er gibt zwar – wie oben schon beschrieben, die Unmöglichkeit einer gutachterlichen Feststellung der konkreten Baumasse an, merkt jedoch die Fotos würden „optisch auf eine idente Bauweise wie für das vorher bestehende Gebäude hinweisen“.

Damit verbunden gab der Beschwerdeführer viertens seine Intention an, das Gebäude ident und keinesfalls größer wiederaufzubauen („Nach dem Brand habe ich beim Bauamt mit LL Rücksprache gehalten und ihm mitgeteilt, dass ich das Gebäude wieder errichten möchte. Ich habe in diesem Zusammenhang auch angesprochen möglicherweise eine andere Bauweise zu verwenden, zB eine Fertigteilhalle. Dies hätte die Hälfte von dem gekostet, was es mich schließlich jetzt gekostet hat. Mir wurde vom Bauamtsleiter mitgeteilt, sollte ich die Halle wiederaufbauen, so wie sie gewesen ist, würde ich seitens der Behörde keine Probleme bekommen. Es wurde eine aufwändige Fachwerkholzbauweise verwendet. Der Dachstuhl wurde somit genau gleich wiederaufgebaut, wie es vorher gewesen ist. Es ist somit ident. Das Mauerwerk ist erhalten geblieben. Die Holzbauteile insbesondere das Dach und die Dachkonstruktion sind abgebrannt und wurden erneuert. Das Eingangstor ist auch abgebrannt und wurde ebenfalls ident wieder erneuert. … Unmittelbar nach dem Brand habe ich im Auftrag des Bauamtsleiters LL das Gebäude vermessen lassen, um sicherzustellen, dass beim Wiederaufbau die gleichen Maße und die gleiche Kubatur wieder eingehalten wird. … Das gesamte Mauerwerk wurde lediglich saniert und neu verputzt. Ansonsten wurde es in seiner ursprünglichen[,] urtümlichen Funktion verwendet wie es eh und je gewesen ist. … Über Befragung, ob das Gebäude nun höher ist, als es früher gewesen ist, gibt der Beschwerdeführer an: Nein. Ansonsten hätte ich keine Baubewilligung bekommen. Auch die Winkel sind ident. Das ist die Auflage der Behörde gewesen, dass ich alles wieder ident aufbauen soll. Wie schon eingangs gesagt, hätte ich es viel lieber anders gebaut. Dabei hätte ich mir ungefähr € 180.000 erspart.“). Der Beschwerdeführer hat durch aktive Mitwirkung im gesamten Verfahren selbst und eigeninitiativ zahlreiche Lichtbilder und Sachverständigengutachten vorgelegt. Seine von ihm dargelegte Intention, das Gebäude ohne Vergrößerung der Kubatur ident wiederaufzubauen, ist somit glaubwürdig. Diese Glaubwürdigkeit wird dadurch unterstrichen, dass der Beschwerdeführer – wie dieser glaubwürdig und nachvollziehbar angibt – von einer Modernisierung des Gebäudes trotz finanzieller Ersparnis Abstand nahm, um dieses ident wiederaufzubauen.

Abschließend gibt es fünftens keinerlei Anhaltspunkte, dass im Zuge des Wiederaufbaus zu einer Erweiterung der Kubatur gekommen ist.

 

 

IV. Rechtslage

 

Bundesabgabenordnung (BAO, BGBl 1961/194 idF I 2019/103)

§ 4 Entstehung des Abgabenanspruches

(1) Der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. …

(3) In Abgabenvorschriften enthaltene Bestimmungen über den Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches (der Steuerschuld) bleiben unberührt.

(4) Der Zeitpunkt der Festsetzung und der Fälligkeit einer Abgabe ist ohne Einfluß auf die Entstehung des Abgabenanspruches.

 

Tiroler Verkehrsaufschließungsabgabengesetz (TVAG, LGBl 2011/58 idF 2019/138)

Erschließungsbeitrag

§ 7 Abgabengegenstand, Erschließungsbeitragssatz

(1) Die Gemeinden werden ermächtigt, im Fall des Neubaus eines Gebäudes oder der Änderung eines Gebäudes, durch die seine Baumasse vergrößert wird, einen Erschließungsbeitrag zu erheben. Verlieren Gebäude im Sinn des § 2 Abs. 4 oder Teile davon ihren Verwendungszweck durch bauliche Änderungen, so gilt dies als Neubau.

 

 

 

§ 8 Abgabenschuldner

(1) Abgabenschuldner ist der Eigentümer des Bauplatzes, auf dem der Neubau errichtet wird oder das Gebäude, dessen Baumasse vergrößert wird, besteht.

(2) Abweichend von Abs. 1 ist bei Neubauten oder Gebäuden auf fremdem Grund der Eigentümer des Neubaus bzw. des Gebäudes, im Fall eines Baurechtes der Bauberechtigte, Abgabenschuldner.

 

 

V. Erwägungen

 

A. Entstehen des Abgabenanspruchs

Gemäß § 4 Abs 1 BAO entsteht der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an dem das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. Gemäß dessen Abs 3 bleiben in Abgabenvorschriften enthaltene Bestimmungen über den Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches (der Steuerschuld) unberührt. Gemäß Abs 4 ist der Zeitpunkt der Festsetzung und der Fälligkeit einer Abgabe ohne Einfluss auf die Entstehung des Abgabenanspruches.

Entsprechend diesem Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabenvorschriften hat das LVwG Tirol die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Abgabentatbestandes seiner Entscheidung zu Grunde zu legen (VwGH 31.8.2016, Ro 2014/17/0103).

Der Abgabenanspruch entsteht grundsätzlich durch die Tatbestandsverwirklichung ohne weiteres Zutun der Behörde oder der Partei (§ 4 BAO). Dem Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches kommt in mehrfacher Hinsicht abgabenrechtlich Bedeutung zu, zB um den Beginn des Laufes der Bemessungs- oder Festsetzungsverjährung zu bestimmen (LVwG 16.9.2020, LVwG-2020/29/0286).

Der Abgabenanspruch entsteht bei bewilligungspflichtigen Bauvorhaben, was im gegenständlichen Fall vorliegt, für den Erschließungsbeitrag (§ 12 Abs 1 TVAG) mit dem Eintritt der Rechtskraft der Baubewilligung. Zudem sind bei bewilligungspflichtigen und anzeigepflichtigen Bauvorhaben diese Abgaben erst nach Baubeginn vorzuschreiben (§§ 12 Abs 3 TVAG).

 

Der Baubescheid wurde am 6.7.2020 zugestellt, Rechtskraft ist somit am 4.8.2020 eingetreten. Dieser Tag ist als Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruchs anzusehen.

 

B. Abgabenschuldner

Für den Erschließungsbeitrag (§ 8 TVAG) ist der Eigentümer des Bauplatzes Abgabenschuldner. Somit ist – zum Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruchs – der Beschwerdeführer als Eigentümer des Grundstücks Abgabenschuldner.

 

C. Erschließungsbeitrag

Gemäß § 7 Abs 1 TVAG werden Gemeinden ermächtigt, im Falle des Neubaus eines Gebäudes oder Änderung eines Gebäudes, durch die seine Baumasse vergrößert wird, einen Erschließungsbeitrag einzuheben. Beim gegenständlichen Fall ist als Kernfrage zu beurteilen, ob durch das Bauvorhaben ein Abgabentatbestand gemäß § 7 Abs 1 TVAG entstand.

 

Den zahlreich verwendeten Begriff „Neubau“ bestimmt das TVAG selbst nicht, sehr wohl aber die Tiroler Bauordnung. § 2 Abs 7 TBO definiert einen Neubau als die Errichtung eines neuen Gebäudes, auch wenn nach dem Abbruch oder der Zerstörung eines Gebäudes Teile davon, wie Fundamente oder Mauern weiterverwendet werden. Nach den Erläuterungen (1998) ist aus Sachlichkeitserwägungen geboten, den Begriff Neubau weit auszulegen und den Wiederaufbau von Gebäuden generell einzubeziehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt ein Neubau vor, wenn vom Altbestand nur mehr drei Mauerteile im Westteil des Erdgeschosses erhalten sind und das Gebäude wiedererrichtet wird (VwGH 25.4.1985, 83/06/0180). Ein Gebäude gilt als abgetragen bzw abgebrochen, wenn es keine überdeckte, allseits oder überwiegend umschlossene bauliche Anlage mehr darstellt (VwGH 14.10.1993, 91/17/0037).

 

Auch die Tiroler Bauordnung grenzt den Wiederaufbau von einem Neubau ab. So enthält § 6 Abs 11 TBO bei Abständen baulicher Anlagen eine Sonderbestimmung für den Wiederaufbau von Gebäuden im Fall ihres Abbruchs oder ihrer Zerstörung. Der Begriff „Wiederaufbau“ bedeutet – so VwGH 27.1.2011, 2010/06/0251, VwSlg 18.030 A – dem Wortsinn nach die Wiedererrichtung des bestandenen Gebäudes. Daraus ist zwar nicht abzuleiten, dass das an Stelle des alten Gebäudes wiederaufgebaute Gebäude eine ganz exakte Kopie des früheren zu sein hat, doch ist dem Begriff „Wiederaufbau“ immanent, dass es weitgehend ähnlich zu sein.

 

Im gegenständlichen Fall wurde kein „neues“ Gebäude im Sinne des § 2 Abs 7 TBO errichtet, sondern vielmehr ein bestehendes Gebäude augenscheinlich ident wiederaufgebaut. Dabei wurden nicht bloß „Teile davon, wie Fundamente oder Mauern“ weiterverwendet. Der Brand zerstörte das Dach und die Dachkonstruktion aus Holz vollkommen. Das – das Gebäude auf allen vier Seiten umschließende – Mauerwerk blieb hingegen erhalten. In weiterer Folge baute der Beschwerdeführer das Gebäude wieder auf. Dabei verstärkte und verbesserte er das erhalten gebliebene Mauerwerk und setzte darauf die Dachkonstruktion aus Holz. Augenscheinlich entspricht das wiederaufgebaute Behörde Gebäude dem abgebrannten Altbestand.

 

Da somit kein Neubau vorliegt, kommt der erste Abgabentatbestand des § 7 Abs 1 TVAG nicht in Betracht.

 

Zentrales Element des zweiten Tatbestands (Änderung eines Gebäudes, durch die seine Baumasse vergrößert wird) ist die Baumassenvergrößerung. Nach dem vom Landesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt kam es durch den Wiederaufbau des Gebäudes gerade nicht zu einer Baumassenvergrößerung. Somit liegt diese zentrale Voraussetzung des zweiten Tatbestands des § 7 Abs 1 TVAG nicht vor.

 

D. Fazit

Durch den identen Wiederaufbau des abgebrannten Gebäudes ohne Vergrößerung der Baumasse entstand kein Abgabentatbestand gemäß § 7 Abs 1 TVAG.

 

Der Beschwerde ist somit Folge zu geben und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

 

 

VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Es fehlen die Voraussetzungen für die Erhebung einer Revision – so VwGH 7.4.2021, Ra 2021/09/0051 – zum einen etwa, wenn sich das Verwaltungsgericht auf einen klaren Gesetzeswortlaut stützen kann. Ist somit die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig, dann liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art 133 Abs 4 B-VG vor, und zwar selbst dann, wenn zu einer der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen wäre (dazu VwGH 6.8.2020, Ra 2020/09/0040; 20.12.2017, Ra 2017/12/0124).

 

Fragen der Beweiswürdigung kommt regelmäßig als nicht über den Einzelfall hinausreichend keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu (VwGH 21.4.2017, Ro 2016/11/0004; 18.8.2017, Ra 2017/11/0218; 13.11.2017, Ra 2017/02/0217). Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz grundsätzlich nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung berufen. Diese ist nur dahingehend der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofs unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Die Richtigkeit der Beweiswürdigung ist vor dem Verwaltungsgerichtshof daher nicht zu überprüfen (VwGH 24.9.2014, Ra 2014/03/0012 mwN; 25.9.2017, Ra 2017/20/0282).

 

 

B e l e h r u n g u n d H i n w e i s e

 

Den Parteien des Beschwerdeverfahrens steht das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung, wenn das Landesverwaltungsgericht Tirol dies in seinem Spruch zugelassen hat, eine ordentliche, ansonsten eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Die Revision ist schriftlich innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung der Entscheidung beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen. Sie ist – abgesehen von den gesetzlichen Ausnahmen – durch eine bevollmächtigte Rechtsanwältin oder einen bevollmächtigten Rechtsanwalt, von einer Steuerberaterin bzw einem Steuerberater oder einer Wirtschaftsprüferin bzw einem Wirtschaftsprüfer abzufassen und einzubringen.

Beschwerdeführenden Parteien und den im Beschwerdeverfahren Beigetretenen steht weiters das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde ist direkt beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss – abgesehen von den gesetzlichen Ausnahmen – durch eine bevollmächtigte Rechtsanwältin oder einen bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Wird die Verfahrenshilfe bewilligt, entfällt die Eingabengebühr und es wird eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt bestellt, die oder der den Schriftsatz verfasst.

Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Zur Vorgangsweise für die elektronische Einbringung und zu weiteren Informationen wird auf die Website des Verfassungsgerichtshofes verwiesen.

Die für eine allfällige Beschwerde oder Revision zu entrichtenden Eingabengebühr beträgt € 240 (§ 17a VfGG, § 24a VwGG).

 

 

Landesverwaltungsgericht Tirol

Priv.-Doz. Dr. Heißl, E.MA

(Richter)

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