LVwG Niederösterreich LVwG-AV-126/001-2019

LVwG NiederösterreichLVwG-AV-126/001-201917.6.2021

VwGVG 2014 §12
VwGVG 2014 §15 Abs1
VwGVG 2014 §15 Abs3
VwGVG 2014 §33 Abs1
AVG 1991 §6

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.126.001.2019

 

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch Mag. Marzi als Einzelrichter über die Beschwerde der A, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, ***, gegen den Bescheid des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich vom 12. April 2018, Zl. ***, nach Beschwerdevorentscheidung vom 14. November 2018, Zl. ***, ***, und Vorlageantrag, betreffend Disziplinarstrafe der Geldstrafe nach dem Ärztegesetz 1998, den

 

BESCHLUSS

 

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 15. Juni 2021 betreffend die Frist zur Erhebung des Vorlageantrags wird nicht bewilligt.

 

2. Der Vorlageantrag wird als verspätet zurückgewiesen.

 

3. Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist zulässig.

 

 

 

Begründung:

 

1. Feststellungen:

1.1.  Mit dem angefochtenen Bescheid (Disziplinarerkenntnis) wurde die Beschwerdeführerin wegen Nichterfüllung der ärztlichen Fortbildungspflicht des Disziplinarvergehens gemäß § 136 Abs. 1 Z 2 Ärztegesetz 1998 für schuldig befunden und über sie gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 Ärztegesetz 1998 eine Geldstrafe in der Höhe von 10.000 Euro verhängt; überdies wurde sie gemäß § 163 Abs. 1 Ärztegesetz 1998 zum Ersatz der mit 1.000 Euro bestimmten Verfahrenskosten verpflichtet.

 

1.2.  Gegen dieses Disziplinarerkenntnis erhob die Beschwerdeführerin eine (explizit auf die Strafhöhe eingeschränkte) Beschwerde.

 

1.3.  Mit Beschwerdevorentscheidung vom 14. November 2018 wurde der Beschwerde dahingehend stattgegeben, dass die Geldstrafe auf den Betrag von 5.000 Euro herabgesetzt wurde. In der Beschwerdevorentscheidung wurde auf die Möglichkeit der Einbringung eines Vorlageantrags binnen 14 Tagen hingewiesen.

 

Die Beschwerdevorentscheidung wurde der Beschwerdeführerin am 07. Jänner 2019 eigenhändig zugestellt.

 

1.4.  Mit Schreiben vom 21. Jänner 2019 erhob die Beschwerdeführerin, nunmehr rechtsanwaltlich vertreten, einen – als „Beschwerde“ bezeichneten und näher begründeten – Vorlageantrag.

 

Dieser Vorlageantrag wurde mit E-Mail, Fax und postalisch am 21. Jänner 2019 direkt an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich übermittelt.

 

1.5.  Eine (laut Vorbringen der Beschwerdeführerin) am selben Tag ebenfalls erfolgte Übermittlung des Vorlageantrags per Telefax an die belangte Behörde (laut Vorbringen: „an die österreichische Ärztekammer“) langte niemals bei der belangten Behörde ein. Eine Kontrolle, ob das Telefax beim Adressaten angekommen ist, erfolgte beschwerdeführerseits nicht.

 

1.6.  Mit E-Mail vom 24. Jänner 2019 sowie postalisch (Postaufgabe ebenfalls 24. Jänner 2019) leitete das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den als Beschwerde bezeichneten Vorlageantrag samt Beilagen an die belangte Behörde weiter. Dort langte er am 25. Jänner 2019 ein.

 

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen gründen auf der mündlichen Verhandlung vom 01. Juni 2021, in welcher Beweis erhoben wurde durch (Verzicht auf) Verlesung der Akten und Einvernahme der Beschwerdeführerin.

 

Die Feststellungen sind im getroffenen Umfang unstrittig und ergeben sich aus der Aktenlage (vgl. hinsichtlich des Zustellungszeitpunkts der Beschwerdevorentscheidung den Rückschein, hinsichtlich des Einlangens sowie der Weiterleitung an die belangte Behörde durch das NÖ LVwG das am 24. Jänner 2019 abgefertigt Schreiben vom selben Tag sowie den Eingangsstempel der belangten Behörde vom 25. Jänner 2019) bzw. aus dem Vorbringen im Schriftsatz vom 15. Juni 2021 (hinsichtlich der Modalitäten der Übermittlung des Vorlageantrags durch den Beschwerdeführerinvertreter).

 

3. Rechtliche Erwägungen:

3.1.  Zum Wiedereinsetzungsantrag:

Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei, die glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

 

Nach der stRsp hat sich derjenige, der sich für fristgebundene Eingaben des Telefaxes bedient, zu vergewissern, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde. Wird eine solche Kontrolle nicht vorgenommen, kann im Rahmen eines Wiedereinsetzungsverfahrens nicht mehr von einem minderen Grad des Versehens die Rede sein (vgl. zB VwGH 21.02.2017, Ra 2016/12/0026, bzw. VwGH 08.10.2014, 2012/10/0100).

 

Laut Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag (vgl. zur Bindung ausschließlich an das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag zB VwGH 03.02.2021, Ra 2020/05/0056) erfolgte keine Kontrolle, ob der per Telefax an die belangte Behörde übermittelte Vorlageantrag auch tatsächlich eingelangt ist. Insofern liegt entgegen dem Antragsvorbringen kein „minderer Grad des Versehens“ vor, der eine Wiedereinsetzung rechtfertigen würde.

 

Auch das Vorbringen, der anwaltliche Vertreter sei der Ansicht gewesen, der Disziplinarrat stelle keine Behörde im Sinn des § 12 VwGVG dar, weshalb der Vorlageantrag direkt beim Verwaltungsgericht eingebracht worden sei, stellt keinen minderen Grad des Versehens dar, fällt doch die rechtliche Beurteilung der gesetzlich vorgesehenen Einbringungsstelle in den Aufgabenbereich eines anwaltlichen Vertreters (zB VwGH 09.07.2019, Ra 2019/01/0215).

 

Im Wiedereinsetzungsantrag wurde somit nicht dargetan, dass ein lediglich minderer Grad des Versehens vorliegt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher nicht zu bewilligen.

 

3.2.  Zur Zurückweisung des Vorlageantrags:

3.2.1.  Zur Verspätung des Vorlageantrags:

Gemäß § 15 Abs. 1 VwGVG kann jede Partei binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).

 

Die Zustellung der Beschwerdevorentscheidung erfolgte am 07. Jänner 2019.

 

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 15 Abs. 1 VwGVG sind Vorlageanträge „bei der Behörde“ einzubringen (vgl. auch die allgemeine Regel des § 12 VwGVG, wonach Schriftsätze bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht bei der belangten Behörde einzubringen sind; vgl. überdies Julcher in Köhler/Brandtner/Schmelz [Hrsg], VwGVG – Kommentar zum Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz [2021], § 15 VwGVG Rz 4, mwN).

 

Gemäß dem nach § 17 VwGVG 2014 auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten anwendbaren § 6 AVG hat eine Behörde Anbringen, die bei ihr einlangen und zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu verweisen. Diese Pflicht zur Weiterleitung besteht auch betreffend Vorlageanträge, die entgegen § 12 VwGVG nicht bei der belangten Verwaltungsbehörde, sondern direkt beim Verwaltungsgericht eingebracht werden (vgl. VwGH 27.05.2015, Ra 2015/19/0075, zur Säumnisbeschwerde).

 

Ein unmittelbar beim Verwaltungsgericht eingebrachter Vorlageantrag ist somit an die belangte Behörde weiterzuleiten, wobei die Frist (zur Erhebung des Vorlageantrags) in einem solchen Fall nur gewahrt ist, wenn das Schriftstück noch innerhalb dieser Frist einem Zustelldienst zur Beförderung an die zuständige Stelle übergeben wird (§ 33 Abs. 3 AVG) oder sonst bei dieser einlangt (vgl. VwGH 17.06.2020, Ra 2020/05/0029).

 

Eine Fristwahrung liegt nicht vor: Die zweiwöchige Frist endete ausgehend von der Zustellung der Beschwerdevorentscheidung am 07. Jänner 2019 schon am 22. Jänner 2019 (vgl. zur Fristberechnung den gemäß § 167d Abs. 1 Ärztegesetz sinngemäß anzuwendenden § 84 Abs. 1 StPO).

 

Der Vorlageantrag wurde (erst) am 24. Jänner 2019 vom Verwaltungsgericht per E‑Mail weitergeleitet bzw. zur Post gegeben und langte am folgenden Tag, dem 25. Jänner 2019 bei der belangten Behörde ein.

 

Der Vorlageantrag erweist sich somit als verspätet.

 

3.2.2.  Zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts über einen verspäteten Vorlageantrag zu entscheiden:

Gemäß § 15 Abs. 3 VwGVG sind verspätete Vorlageanträge von der Behörde mit Bescheid zurückzuweisen. Wird gegen einen solchen Bescheid Beschwerde erhoben, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht unverzüglich die Akten des Verfahrens vorzulegen.

 

Wenngleich der Wortlaut des § 15 Abs. 3 VwGVG dahingehend verstanden werden könnte, dass nur die Behörde eine Zurückweisung eines verspäteten Vorlageantrags auszusprechen hat, ist trotz Fehlens einer ausdrücklichen Entscheidungsermächtigung davon auszugehen, dass im Falle der Vorlage eines verspäteten Vorlageantrags samt Beschwerde die Zuständigkeit zur Entscheidung endgültig auf das Verwaltungsgericht übergeht. Die Zurückweisung wegen Verspätung des Vorlageantrags kann in diesem Fall nur noch vom Verwaltungsgericht wahrgenommen werden.

 

Bei der (gegenteiligen) Sichtweise, dass nur die belangte Behörde über die Verspätung des Vorlageantrags absprechen dürfe, müsste der Vorlageantrag an die belangte Behörde zurückgestellt werden. Nimmt die belangte Behörde die Zurückweisung aber nicht vor (wozu mangels Weisungsbefugnis bzw. bindendem Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht verpflichtet ist), könnte über die Zulässigkeit bzw. Verspätung des Vorlageantrags nur inzident entweder in einem Säumnisbeschwerdeverfahren gegen die Untätigkeit der belangten Behörde oder in einem gegen die Säumnis des Verwaltungsgerichts angestrengten Fristsetzungsverfahrens abgesprochen werden. Die Einrichtung eines derartigen „Umwegs“ kann dem Gesetzgeber aber nicht unterstellt werden (so zum Ganzen Julcher in Köhler/Brandtner/Schmelz [Hrsg], VwGVG – Kommentar zum Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz [2021], § 15 VwGVG Rz 14 und 15 [FN 12]; ebenso Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 [2017], § 15 VwGVG K 13; aA Leeb/Zeinhofer, Verwaltungsgerichtsbarkeit neu – Das Verfahren der [allgemeinen] Verwaltungsgerichte, in Baumgartner [Hrsg], Jahrbuch Öffentliches Recht 2014, 35; Gruber in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler [Hrsg], Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 [2017], § 15 VwGVG Rz 12, tritt für eine Einstellung des Verfahrens durch das VwG ein).

 

3.2.3. Der Vorlageantrag ist daher als verspätet zurückzuweisen.

 

3.3.  Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, da Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob die Zuständigkeit zur Zurückweisung eines Vorlageantrags (als verspätet) ausschließlich der belangten Behörde zukommt oder diese Zuständigkeit nach Vorlage auf das Verwaltungsgericht übergeht. Zwar ist eine Revision – trotz Fehlen von Rechtsprechung – auch dann unzulässig, wenn die Rechtslage „klar und eindeutig“ ist (vgl. zB VwGH 27.02.2018, Ra 2018/05/0011, bzw. VwGH 22.04.2021, Ra 2021/09/0005), schon angesichts der zitierten, differierenden Lehrmeinungen geht das Verwaltungsgericht aber nicht von einer klaren und eindeutigen Rechtslage aus.

 

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