VwGH Ra 2020/05/0056

VwGHRa 2020/05/00563.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones sowie den Hofrat Dr. Moritz und die Hofrätin Mag. Liebhart‑Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision 1. des H L und 2. Der A L, beide in T und beide vertreten durch Dr. Roland Mühlschuster, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Eisenhowerstraße 22, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 13. Februar 2020, LVwG‑152006/24/VG/EP ‑ 152007/3/VG, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Marktgemeinde T; weitere Partei: Oberösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1332
AVG §71 Abs1 Z1
VwGG §46
VwGG §46 Abs1
VwGVG 2014 §33

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020050056.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Dezember 2019 (zu Zl. Ra 2019/05/0306, 0307) wurde den Revisionswerbern die Verfahrenshilfe zur Erhebung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich (in der Folge: LVwG) vom 1. Oktober 2019, LVwG‑152006/13/VG/EP ‑ 152007/2, u.a. durch Beigebung eines Rechtsanwaltes bewilligt. Der Bescheid des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 16. Dezember 2019 über die Bestellung des rechtsfreundlichen Vertreters der Revisionswerber zum Verfahrenshelfer wurde diesem am 18. Dezember 2019 zugestellt.

2 Am 30. Jänner 2020 brachten die Revisionswerber beim LVwG eine außerordentliche Revision gegen das oben genannte Erkenntnis vom 1. Oktober 2019 sowie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist ein.

3 Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründeten die Revisionswerber zusammengefasst damit, dass eine Kanzleimitarbeiterin des Rechtsvertreters die außerordentliche Revision gemeinsam mit anderen Schriftstücken am 29. Jänner 2020 zur Post hätte geben sollen. Die Kanzleiangestellte habe die Post am Beifahrersitz ihres PKWs abgelegt; der in Rede stehende Briefumschlag sei daraufhin infolge erhöhten Verkehrsaufkommens und dadurch bedingter mehrerer ruckartiger Stopp- und Lenkbewegungen durch die Kanzleimitarbeiterin in den Spalt zwischen Beifahrersitz und Beifahrertür ihres Fahrzeugs gerutscht und daher versehentlich nicht an der Postdienststelle aufgegeben worden. Der Revisionswerbervertreter habe am nächsten Arbeitstag die Aufgabescheine überprüft und bemerkt, dass die Revision nicht an das LVwG versandt worden sei, obwohl er die außerordentlich zuverlässige Kanzleimitarbeiterin auf die Dringlichkeit der Sendung hingewiesen habe. Der Rechtsanwalt bespreche mit der Kanzleiangestellten täglich die abzusendenden Schriftstücke samt diesbezüglichen Fristen und erteile genaue Anweisungen, wann und in welcher Form die Schriftstücke einzubringen seien. Am Tag nach der Postaufgabe überprüfe er den Ausgang der Schriftstücke und es sei ihm daher kein Überwachungs- oder Organisationsverschulden anzulasten. Die Fristversäumung beruhe auf einem Versehen minderen Grades der ansonsten zuverlässigen Kanzleiangestellten.

4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das LVwG den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und sprach aus, dass eine Revision gegen diesen Beschluss gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das LVwG hierzu zusammengefasst aus, es bestehe im Falle der Beförderung lose aufeinandergestapelter Briefe das evidente Risiko des Abrutschens einzelner Briefe. Es sei in keiner Weise dargelegt worden, dass in der Kanzlei Maßnahmen gegen ein Verrutschen oder den Verlust einzelner Briefe ergriffen, also Sicherheitsmaßnahmen für den Transport von Dokumenten, etwa durch Zurverfügungstellung einer Posttasche oder Postmappe, getroffen worden wären. Der Revisionswerbervertreter habe die berufsgebotene Sorgfaltspflicht bei der Organisation seines Kanzleibetriebs nicht eingehalten, sodass ihm ein nicht bloß minderer Sorgfaltsverstoß anzulasten sei.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Frage, ob das LVwG fallbezogen zu Recht das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens verneint hat, ist grundsätzlich keine Rechtsfrage, der über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG zukommt. Eine solche Rechtsfrage läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa VwGH je 29.5.2020, Ra 2020/05/0052 bis 0055, und Ra 2020/05/0058).

10 Eine derartige Fehlbeurteilung ist im Revisionsfall nicht ersichtlich, vielmehr hat sich das LVwG an den vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätzen orientiert (vgl. zum Ergreifen organisatorischer Vorkehrungen gegen das Verrutschen eines Poststückes an eine nicht wahrnehmbare Stelle Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz. 63 und die dort zitierte hg. Judikatur).

11 Darüber hinaus ist zu bemerken, dass nach der ständigen Rechtsprechung ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann darstellt, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis in diesem Sinn dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach hintangehalten werden. Ein Vertreter verstößt somit auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die geeignet sind, im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen.

12 Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Solche Vorgänge sind etwa die Kuvertierung, die Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe, also manipulative Tätigkeiten (vgl. zu all dem VwGH 4.5.2020, Ra 2020/05/0035, mwN).

13 Wird allerdings in keiner Weise dargelegt, ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte bzw. wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor. Daher sind bereits mangels einer Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems die Voraussetzungen für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages nicht erfüllt (vgl. VwGH 19.9.2017, Ra 2017/20/0102; 27.2.2019, Ra 2019/05/0044; 12.11.2019, Ra 2019/16/0110, jeweils mwN).

14 Auch mit dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, der Rechtsanwalt habe am Tag nach der Postaufgabe, somit nach Ablauf der Revisionsfrist, überprüft, ob seiner Anweisung, den Schriftsatz bei der Post aufzugeben, Folge geleistet worden sei, wurde nicht dargelegt, dass er ein wirksames Kontrollsystem eingerichtet hätte. Die bloße Nachfrage nach Ablauf einer einzuhaltenden Frist ist nämlich von vornherein nicht - und daher schon gar nicht: mit größtmöglicher Zuverlässigkeit - geeignet, sicherzustellen, dass eine Frist trotz der notwendigen manipulativen Vorgänge gewahrt werden kann, weshalb nicht von einem bloß minderen Grad des Versehens auszugehen ist (vgl. in diesem Sinne nochmals VwGH 19.9.2017, Ra 2017/20/0102).

15 Soweit die Revision die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung rügt und ausführt, bei Durchführung einer solchen hätte sich ergeben, dass der Vertreter der Revisionswerber seiner Mitarbeiterin eine Postmappe zur Verfügung gestellt habe, ist dem entgegen zu halten, dass das LVwG an die vom Wiedereinsetzungswerber (rechtzeitig) vorgebrachten tatsächlichen Gründe gebunden ist. Es ist ihm verwehrt, von sich aus weitere Gesichtspunkte in die Prüfung miteinzubeziehen. Eine amtswegige Prüfung, ob sonstige vom Antragsteller nicht geltend gemachte Umstände die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten, hat nicht zu erfolgen (vgl. VwGH 17.3.2015, Ra 2014/01/0134). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stecken nämlich die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist den Rahmen für die Prüfung der Frage ab, ob ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist (vgl. VwGH 29.05.2013, 2013/16/0068, 0069, mwN). Insofern zog sich das LVwG zu Recht darauf zurück, dass der Revisionswerbervertreter nicht vorbrachte, seiner Mitarbeiterin eine Posttasche zur Verfügung gestellt zu haben.

16 Da das LVwG seiner Entscheidung den von den Revisionswerbern vorgebrachten Sachverhalt zu Grunde legte und es ihm verwehrt war, sonstige von ihnen nicht geltend gemachte Umstände amtswegig in seine Entscheidung miteinzubeziehen, ist auch nicht ersichtlich, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache erwarten hätte lassen und das LVwG daher zu Unrecht von der Durchführung einer ‑ von den Revisionswerbern in ihrem Wiedereinsetzungsantrag im Übrigen nicht beantragten ‑ mündlichen Verhandlung abgesehen hätte.

17 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

18 In der Revision werden damit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 3. Februar 2021

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