BVwG W242 2261508-1

BVwGW242 2261508-13.4.2024

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
Richtlinie 2011/95/EU Status-RL Art12 Abs1 lita

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:W242.2261508.1.00

 

Spruch:

 

W242 2261508-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HEUMAYR als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , gebXXXX , StA. staatenlose Palästinenserin alias Syrien, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2022, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX 2023 zu Recht:

A) Der Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX , geb. XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geb. XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin (in Folge BF), eine staatenlose Palästinenserin, stellte nach unrechtmäßiger Einreise am XXXX 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am XXXX 2021 wurde die BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich betreffend ihren Aufenthalt einvernommen. Während dieser Befragung stellte sie einen Asylantrag. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch eine niederschriftliche Erstbefragung statt. Dabei gab sie zu ihrem Fluchtgrund befragt an, dass sie ihre Heimat mit ihrer Familie wegen des Krieges verlassen habe. Da ihre Familie seit dem Jahr 2015 nicht mehr in Syrien lebe, habe sie Angst als Mädchen alleine in Syrien zu wohnen.

3. Am XXXX 2022 wurde die BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab sie im Wesentlichen an, in Syrien herrsche Krieg. Sie könne dort als alleinstehende Frau nicht leben. Ihre Familie habe das Land bereits im Familienverfahren verlassen. Als alleinstehende Frau sei es leicht, sie zu belästigen oder zu entführen. Sie sei bereits einmal an einem Checkpoint festgenommen worden. Das sei im Jahr 2013 beim Eingang zum Camp gewesen. Da sei sie im Beisein ihrer Familie aufgehalten worden. Ein Maskierter habe mit dem Zeigefinger auf sie gezeigt und sie sei auf die Seite genommen worden. Sie sei dann zur Al Basheer Moschee, welche sich unmittelbar in der Nähe des Checkpoints befinde, gebracht worden. Dort wären junge und alte Männer und Frauen geschlagen und gefoltert worden. Eine Person von höherem Rang sei dann gekommen, welche gefragt habe, warum sie da sei. Das sei kontrolliert worden und da nichts gefunden worden sei, hätte sie nach vier Stunden wieder gehen können. Weiters sei sie wegen der Kinder aus dem Libanon geflohen. Dort habe es eine Explosion im Hafen gegeben. Ihre Tochter sei deswegen psychisch sehr belastet, habe Schlafstörungen und schreie immer wieder. Nach der Explosion sei die wirtschaftliche Lage immer schlimmer geworden. Am Tag der Explosion sei sie bei ihrem Schwager in der Nähe des Hafens gewesen und sie hätten alles mitbekommen. Ihr Sohn sei zehn Tage alt gewesen und sie hätten zurück nach Sidon im Libanon gewollt. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte sie, dass sie vom Regime entführt oder verhaftet würde. In der Region habe das syrische Regime die militärische Gewalt.

Die BF legte eine Kopie ihres Maturazeugnises, ihren syrischen Reisepass für palästinensische Flüchtlinge im Original, Kopien der Reisepässe ihres Ehemannes und ihrer Tochter, eine libanesische Heiratsurkunde, die libanesischen Geburtsurkunden ihrer zwei Kinder, eine Kopie der UNRWA-Karte ihrer Familie, bestehend aus der BF, ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern, eine Kopie der Flüchtlingskarte ihres Sohnes sowie zwei Befunde betreffend den Gesundheitszustand ihres Ehegatten vor.

4. Mit Bescheid des BFA vom XXXX 2022 wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 2 [Abs. 1] Z 13 und § 6 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat staatenlos abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde der BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Libanon zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, die BF habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Hinsichtlich des Vorbringens, dass ihre Familie seit dem Jahr 2015 nicht mehr in Syrien lebe und sie als Mädchen Angst hätte, alleine in Syrien zu wohnen, müsse der Umstand berücksichtigt werden, dass sich die BF seit ihrer Ausreise im Jahr 2015 über einen längeren Zeitraum von zumindest fünf Jahren im Libanon aufgehalten habe. Dort würden ihre Kernfamilie und weitere Angehörige leben. Die BF habe sich anschließend zur Reise über Syrien in die Türkei entschlossen. Es sei ihr nicht gelungen, eine besondere Bedrohung oder Verfolgung ihrer Person darzulegen, welche über die allgemein vorherrschende Lage in Syrien oder dem Libanon hinausgehe und auch jene dort lebenden Personen allgemein treffe bzw. Angehörige der palästinensischen Volksgruppe. Es gebe keine Hinweise, dass sich die Explosion im Hafen von Beirut/Libanon gegen die BF oder ihre Familienangehörigen gerichtet hätte. Die Kernfamilie der BF lebe weiterhin unverändert im Libanon. Die BF hätte auch weiterhin den Schutz samt verschiedenartiger Hilfeleistungen der UNRWA in Anspruch nehmen können. Die BF habe bereits vor ihrer Ausreise ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können und es befänden sich weiterhin die Kernfamilie und weitere Angehörige im Libanon. Es seien keine Gründe hervorgekommen, wonach die BF nach ihrer Rückkehr von einer existenzbedrohenden Notlage betroffen wäre. Im Bundesgebiet verfüge sie über keine nennenswerten sozialen Kontakte, welche über ihre Mutter und einzelne Geschwister hinausgehen würden. Aufgrund des Umstandes, dass sich ihre Kernfamilie im Libanon aufhalte, erschienen die familiären Anknüpfungspunkte, insbesondere zu ihrer Mutter, als nicht maßgebend. Die öffentlichen Interessen an einer Effektuierung des Asyl- und Fremdenrechtes würden die privaten Interessen der BF an einer Aufrechterhaltung ihres Privat- und Familienlebens überwiegen.

5. Gegen diesen Bescheid erhob die BF im Wege ihrer Rechtsvertretung am XXXX 2022 fristgerecht Beschwerde wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, die BF sei staatenlose Palästinenserin und stamme aus Syrien. Die Fluchtgründe bestünden einerseits in der Verfolgung aus politischen Gründen, andererseits in der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe aufgrund ihrer Herkunft und der geschlechtsspezifischen Verfolgung als Frau. Weiters darin, dass sie Palästinenserin sei und beim UNRWA registriert gewesen sei, das jedoch keinen Schutz mehr gewähren hätte können. Der Spruch des Bescheides sei völlig widersprüchlich und unverständlich. Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz erfolge hinsichtlich der subsidiären Schutzberechtigung in Bezug auf den Herkunftsstaat staatenlos und hinsichtlich der Abschiebung nach Libanon. Die BF sei im palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk aufgewachsen und habe nur kurze Zeit auf ihrer Flucht im Libanon gelebt. Mit dem Libanon würde sie nichts verbinden, weshalb der Bescheid bereits deshalb in den zentralen Teilen willkürlich sei. In der gesamten Beweiswürdigung würden die Befürchtungen der BF in keiner Weise beurteilt. Eine korrekte Analyse der Länderberichte hätte zum Ergebnis führen müssen, dass die vorgebrachten Verfolgungsmomente mehr als ausreichend seien, um mit hoher Wahrscheinlichkeit befürchten zu müssen, dass sie inhaftiert, gefoltert und sonstiger menschenrechtswidriger Behandlung bis zum Tod ausgesetzt wäre. Es sei festzustellen, dass die BF als Palästinenserin insbesondere im Fadenkreuz des syrischen Regimes sei und aus diesem Grund wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit Verfolgung zu befürchten habe. Abgesehen davon, dass in Syrien aufhältige palästinensische Flüchtlinge schon vor Ausbruch des Bürgerkrieges in der syrischen Gesellschaft in vielfältiger Weise unterdrückt und diskriminiert worden wären, wären Palästinenser im Zuge des Aufstandes – aufgrund der Unterstützung der syrischen Opposition durch Gruppen wie die Hamas – gezielt verfolgt worden. Die BF sei als Palästinenserin und auch aufgrund der bereits bestehenden Vorwürfe gegen andere Mitglieder ihrer Familie persönlich in Gefahr, Opfer der syrischen Sicherheitskräfte zu werden. Dies insbesondere, da sie aus Yarmouk stamme, einer Ortschaft, die stark mit den Rebellen assoziiert sei. Als junge Frau wäre die BF im Fall einer Rückkehr nach Syrien aufgrund ihrer Vulnerabilität der Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung ausgesetzt. Das wäre vom Bundesamt jedenfalls zu untersuchen gewesen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative würde nicht bestehen. Die syrischen Behörden seien nicht schutzfähig. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr hätte aufgrund des Machtzuwachses der diversen radikal-islamistischen Rebellengruppierungen erkannt werden müssen, insbesondere da die BF schon alleine durch die Flucht ins Ausland von sämtlichen Konfliktparteien als Verräterin angesehen werden würde. Der VfGH habe bereits unmissverständlich klargestellt, dass einer betroffenen Person Asyl zu gewähren sei, wenn das UNRWA Schutz aus "irgendeinem Grund" nicht mehr gewährleiste. Die BF sei als palästinensischer Flüchtling in Syrien unter dem Schutz des UNRWA gestanden. Dieser Schutz hätte ihr jedoch nicht mehr gewährt werden können, da aufgrund des Bürgerkrieges in Syrien angemessene Unterstützung und Schutz nicht mehr für die gesamte Bevölkerung möglich sei und die Situation der BF besonders prekär sei. Es sei davon auszugehen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in eine existentielle Notlage geraten würde. Allenfalls wäre der BF aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage in ihrer Heimat, sowie der fehlenden innerstaatlichen Fluchtalternative, und der daraus entstehenden Gefahr einer existenzbedrohenden Lage im Falle einer Rückkehr subsidiärer Schutz zu gewähren. Eine Abschiebung würde jedenfalls eine Verletzung der durch Art. 2 bzw. 3 EMRK geschützten Rechte der BF bedeuten. Das gelte sowohl für eine Abschiebung nach Syrien als auch in den Libanon. Auch hinsichtlich des Privat- und Familienlebens der BF sei eine nur unzureichende Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen erfolgt. Eine Ausweisung stehe im Widerspruch zu Art. 8 sowie Art. 2 bzw. 3 EMRK.

6. Die Parteien wurden mit Schreiben vom 12.04.2023 über die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung informiert.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX 2023 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die BF und ihr Vertreter teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm entschuldigt nicht teil. Die BF brachte zu ihren Fluchtgründen befragt ergänzend vor, sie habe niemanden im Libanon. Sie habe zwar einen Onkel mütterlicherseits, aber dieser sei nicht anwesend. Weiters habe sie Probleme mit ihrem Ehemann. Dieser habe sie, wenn sie gestritten hätten, oft geschlagen und rausgeschmissen. Als sie hinausgeworfen worden sei, habe sie ihre Kinder zurücklassen müssen. Ihr Onkel wohne zwar in der Nähe, habe sie jedoch nicht aufnehmen können, weil dessen Ehefrau das nicht gewollt habe. Nach Syrien könne sie nicht zurückkehren, weil nach ihrem Vater gefahndet werde und ihr Heimatort zerstört worden sei.

8. Die BF erhob gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2023 eine Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof, welcher dieser stattgab und das angefochtene Erkenntnis mit seiner Entscheidung E 2282/2023-15, vom 26.02.2024, behob. Begründend wurde ausgeführt, dass gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 Personen, die unter dem Schutz von UNRWA stehen, zunächst von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen seien. Jedoch würden diese Personen aufgrund unmittelbarer Anwendbarkeit des zweiten Satzes des Art. 12 Abs. 1 lit a Status-RL den „ipso facto“ Schutz der Status-RL bzw GFK genießen, wenn der Schutz oder der Beistand von UNRWA aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt werden würde. Dieser „ipso Facto“ Schutz bewirke insofern eine Privilegierung, als für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A GFK genannten Gründe glaubhaft zu machen sei, sondern nur, dass sie unter dem Schutz des UNRWA gestanden hätten und dieser Beistand aus irgendeinem Grund weggefallen sei.

Der Verfassungsgerichtshof zitierte weiter aus den Länderberichten zum Libanon vom 01.03.2023 und wies auf erhebliche Rückkehrschwierikeiten für die BF in den Libanon hin, aufgrund derer die freiwillige Aufgabe des Schutzes durch UNRWA und die neuerliche Unterschutzstellung im Falle der Rückkehr ausgeschlossen werden könnten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF:

Die BF ist eine staatenlose Palästinenserin, gehört der Volksgruppe der Araber an, ist Muslimin und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung. Die Muttersprache der BF ist Arabisch. Ihre Identität steht fest.

Die BF wurde in Damaskus in Syrien geboren. Sie lebte im Flüchtlingslager Yarmuk und besuchte zwölf Jahre die Grundschule, welche sie mit Matura abschloss. Als sie im Libanon lebte, reinigte sie gelegentlich Häuser, ansonsten war sie bisher nicht erwerbstätig. Die BF ist seit dem Jahr 2016 verheiratet und hat zwei Kinder. Vor ihrer Flucht hielt sich die BF von Oktober 2015 bis Oktober 2020 im Libanon auf. Ihr letzter gewöhnlicher Aufenthalt war im Libanon, daher handelt es sich beim Libanon um den Herkunftsstaat der BF.

In Österreich leben ihre Eltern, ihre drei Schwestern und ihr Bruder sowie ein Onkel väterlicherseits und zwei Cousins. Die BF lebt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in einem gemeinsamen Haushalt.

In Syrien leben ein Onkel väterlicherseits und drei Cousins der BF. Im Libanon leben ihr Ehemann, ihre beiden Kinder und ein Onkel mütterlicherseits.

Die BF leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Sie ist gesund und arbeitsfähig.

Die BF spricht kaum Deutsch, sie besuchte bisher keine Deutschkurse. Die BF ist in Österreich nicht legal erwerbstätig und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung.

Sie ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat:

Der BF ist eine Rückkehr in den Libanon nicht möglich.

1.3. Zur relevanten Situation im Herkunftsland:

Länderinformationsblatt zum Libanon, Stand 01.03.2023:

„Palästinensische Flüchtlinge

Die palästinensischen Flüchtlinge sind meist Nachkommen jener Flüchtlinge, die in den 1940er und 1950er Jahren ins Land kamen. Die meisten sind sunnitische Muslime, aber einige sind auch Christen (USDOS 2.6.2022). Im Libanon leben rund 210.000 Palästinensische Flüchtlinge. Dazu zählen 180.000 Palästina-Flüchtlinge aus dem Libanon (PRL) und 30.000 Palästina-Flüchtlinge aus Syrien (PRS), die dort als Ausländer betrachtet werden (UNRWA 21.10.2022; vgl. UNICEF o.D.a, ECHO 11.11.2022). Laut Angaben der Volks- und Wohnungszählung in palästinensischen Lagern und Versammlungen im Libanon (PHHCCG), die vom libanesisch-palästinensischen Dialogkomitee (LPDC) in Zusammenarbeit mit der Zentralverwaltung für Statistik (CAS) und dem palästinensischen Zentralbüro für Statistik (PCBS) durchgeführt wurde, lebten im Jahr 2017 174.422 palästinensische Flüchtlinge im Libanon (Al-Shabaka 7.3.2022; vgl. PCBS 21.12.2017).

Es gibt vier Gruppen von palästinensischen Flüchtlingen im Libanon (UNRWA 6.12.2022; vgl. UNHCR 2.2016):

„Registrierte“ Flüchtlinge („Palestinensische Flüchtlinge“) (PRL), sind beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) und den libanesischen Behörden registriert (UNHCR 2.2016). Im Libanon sind mehr als 479.000 Flüchtlinge beim UNRWA registriert (UNRWA o.D.a; vgl. AA 5.12.2022). Es wird jedoch geschätzt, dass sich viele von ihnen nicht mehr im Land aufhalten (UNHCR 2.2016; vgl. AA 5.12.2022). UNRWA definiert Palästina-Flüchtlinge als Personen, die zwischen dem 1. Juni 1946 und dem 15. Mai 1948 ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Palästina hatten und die infolge des Konflikts von 1948 [Nakba] sowohl ihre Heimat als auch ihre Lebensgrundlage verloren haben (UNRWA o.D.b; vgl. UNRWA 6.12.2022).

„Nicht registrierte“ palästinensische Flüchtlinge, sind nicht beim UNRWA registriert sind, aber bei den libanesischen Behörden (UNHCR 2.2016). Dazu zählen vor allem Palästinenser, die infolge des Sechs-Tage-Kriegs von 1967 und danach vertrieben wurden (UNRWA 6.12.2022). Schätzungsweise 35.000 palästinensische Flüchtlinge sind beim Directorate General of Political and Refugees Affairs (DPRA), nicht aber beim UNRWA registriert. Nicht registrierte Palästinenser erhalten Berichten zufolge dieselben Aufenthaltsgenehmigungen wie die beim UNRWA registrierten; allerdings wird ihnen ein anderes Reisedokument (Laissez Passer) ausgestellt, das für ein Jahr gültig ist und dreimal verlängert werden kann (UNHCR 2.2016).

„Non-ID“ palästinensische Flüchtlinge, haben keine Ausweispapiere und sind weder beim UNRWA noch bei den libanesischen Behörden registriert (UNRWA 6.12.2022; vgl. UNHCR 2.2016). Die schätzungsweise 3.000 bis 5.000 „Non-ID“-Palästinenser werden oft als die am meisten gefährdeten Palästinenser im Libanon angesehen werden. Diese Palästinenser kamen in den 1960er Jahren in das Land und besitzen keine formal gültigen Ausweispapiere (USDOS 12.4.2022; vgl. UNRWA o.D.c). In den meisten Fällen bot das UNRWA den Palästinensern ohne Papiere dennoch medizinische Grundversorgung, Schul- und Berufsausbildung an. Bei den meisten dieser Personen handelte es sich um Männer, von denen viele mit vom UNRWA registrierten Flüchtlingen oder libanesischen Staatsbürgerinnen verheiratet waren, die den Flüchtlingsstatus oder die Staatsbürgerschaft nicht auf ihre Ehemänner oder Kinder übertragen konnten (USDOS 12.4.2022). „Non-ID“-Palästinenser laufen Gefahr, wegen illegalen Aufenthalts verhaftet zu werden, sobald sie die Lager verlassen. Auch wenn auf Drängen (nicht zuletzt der EU) bisher ca. 1.000 Identitätsnachweise ausgestellt wurden, bleibt die Rechtsstellung der betroffenen Personen unverändert prekär (AA 5.12.2022).

Palästinensische Flüchtlinge aus Syrien (PRS), sind ab 2011 in den Libanon gekommen (UNHCR 2.2016). Die Direktion für allgemeine Sicherheit (DGS) erleichterte die Einreise von PRS in den Libanon in der Anfangsphase (2011-2013) des Syrien-Konflikts. Seit 2013 wurden PRS, die in den Libanon einreisen wollten, Beschränkungen auferlegt. Seit 2014 werden Einreisevisa an der syrisch-libanesischen Grenze nur noch an PRS erteilt, die entweder einen verifizierten Botschaftstermin im Libanon, ein vorab genehmigtes Visum der DGS oder ein Flugticket und ein Visum für ein Drittland haben. Die meisten Visa wurden nur für einen 24-stündigen Transit erteilt. Es gibt keine offiziellen Bewegungsbeschränkungen für PRS im Land. PRS ohne legalen Status waren jedoch de facto mit Hindernissen konfrontiert, vor allem mit der Gefahr der Verhaftung an Kontrollpunkten (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge sind palästinensische Flüchtlinge aus Syrien aufgrund ihres fehlenden Rechtsstatus im Libanon von Inhaftierung und Geldstrafen und/oder der gewaltsamen Rückkehr nach Syrien bedroht (UNRWA 21.10.2022). PRS erhalten von UNRWA eine begrenzte Grundunterstützung, darunter Nahrungsmittelhilfe, Bargeld und Winterhilfe, z.B. in Form von Bargeld zum Kauf von Heizmaterial (USDOS 12.4.2022). Das UNRWA stellt PRS-Familien einen monatlichen Mehrzweck-Barzuschuss in Höhe von 100 USD pro Familie und zusätzlich 27 USD für jedes Familienmitglied pro Monat zur Deckung der Lebensmittelkosten zur Verfügung (UNRWA o.D.d). [Anm.: Durch die hohe Inflation nimmt die Kaufkraft des Geldes stark ab vgl. hierzu auch Kapitel 21 Grundversorgung und Wirtschaft].

Lebensbedingungen und rechtliche Lage

Nach der jüngsten UNRWA-Erhebung gelten 93 % aller Palästina-Flüchtlinge im Libanon als arm. Sehr viele palästinensische Flüchtlingsfamilien sind nicht mehr in der Lage, sich eine sekundäre Gesundheitsversorgung zu leisten. Einige lassen lebensrettende Behandlungen ausfallen, um keine Schulden anzuhäufen (UNRWA 21.10.2022).

Repressionen allein aufgrund der palästinensischen Volkszugehörigkeit sind nicht bekannt (AA 5.12.2022). Palästinensische Flüchtlinge, darunter auch Kinder, haben aber nur eingeschränkte soziale und bürgerliche Rechte und keinen Zugang zu staatlich bereitgestellten Gesundheits-, Bildungs- oder anderen sozialen Diensten (USDOS 12.4.2022). Sie dürfen, anders als andere Ausländer, im Libanon seit 2001 keinen Grund und Boden erwerben (AA 5.12.2022). Palästina-Flüchtlinge dürfen im Libanon 39 Berufe nicht ausüben, unter anderem in den Bereichen Allgemeinmedizin, Zahnmedizin, Pharmazie, Ergotherapie und Recht (UNRWA 21.10.2022). Für ihre Schulbildung und gesundheitliche Versorgung hängt die palästinensische Bevölkerung ausschließlich vom UNRWA-Hilfswerk bzw. Hilfsleistungen anderer NGOs (z.B. des Palästinensischen Roten Halbmondes) ab (AA 5.12.2022). Da sie formell nicht die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates besitzen, können die palästinensischen Flüchtlinge auch nicht die gleichen Rechte wie andere im Libanon lebende und arbeitende Ausländer beanspruchen (UNRWA o.D.a). Palästinenserinnen können per Gesetz durch Heirat die libanesische Staatsbürgerschaft erlangen, doch werden ihnen häufig gesetzlich nicht vorgesehene administrative Hürden in den Weg gestellt (z.B. Einbürgerung erst nach Geburt eines Sohnes). Libanesische Frauen, die mit einem Palästinenser (oder anderem Ausländer) verheiratet sind, können ihre Staatsangehörigkeit weder an ihren Ehemann noch an ihre Kinder weitergeben (AA 5.12.2022).

Am 3.6.2019 stellte der ehemalige libanesische Arbeitsminister Camille Abu Suleiman eine Kampagne mit dem Titel „Nur Ihre Landsleute können Ihnen helfen, Ihr Geschäft anzukurbeln“ vor. Im Rahmen dieser Kampagne, die angeblich Teil der Bemühungen zur Regulierung ausländischer Arbeitskräfte ist, wurde Unternehmen und anderen Einrichtungen eine einmonatige Frist eingeräumt, um Mitarbeiterlisten zu „korrigieren“ und undokumentierte nicht-libanesische Arbeitnehmer zu registrieren. Am 10.7.2019 begann eine landesweite Razzia, bei der viele Unternehmen in ausländischem Besitz, insbesondere syrische und palästinensische, gewaltsam geschlossen wurden. Daraufhin kam es unter anderem in den großen Lagern von Rashidieh und Ein el-Hilweh im Südlibanon sowie in Nahr el-Bared im Norden zu Massendemonstrationen. Am 8.12.2021 kündigte der aktuelle geschäftsführende libanesische Arbeitsminister Mustafa Bayram einen Ministerbeschluss an, der es Palästinensern, die im Libanon geboren und beim Innenministerium registriert sind, ermöglichen würde, in Berufen zu arbeiten, die bisher nur libanesischen Staatsangehörigen offenstanden. Im Februar 2022 focht die Maroniten-Liga Bayrams die Entscheidung an und legte beim Schura-Rat Einspruch ein, um die Entscheidung rückgängig zu machen. Der Schura-Rat gab dem Einspruch statt und setzte die Umsetzung des Beschlusses aus (Al-Shabaka 7.3.2022).

Palästinensische Flüchtlingslager

45 % der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon leben in den zwölf Flüchtlingslagern des Landes: in der Nähe von Beirut (Mar Elias Camp, Burj Barajneh Camp, Dbayeh Camp, Shatila Camp), von Tripoli (Nahr el-Bared Camp, Beddawi Camp), von Sidon (Ein El Hilweh Camp, Mieh Mieh Camp), von Tyros (El-Buss Camp, Rashidieh Camp, Burj Shemali Camp) und von Baalbek (Wavel Camp). Die Bedingungen in den Lagern sind katastrophal und gekennzeichnet durch Überbelegung, schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Armut und fehlenden Zugang zur Justiz. Das UNRWA verwaltet und kontrolliert die Lager nicht, da dies in die Zuständigkeit der Behörden des Gastlandes fällt (UNRWA o.D.a). Die Sicherheitsbedingungen in einigen Lagern haben sich im Laufe der Jahre verschlechtert. Die Gewalt und der Gebrauch von Waffen haben zugenommen. Viele Flüchtlinge haben auf negative Bewältigungsmechanismen zurückgegriffen, unter anderem auf den Konsum von Drogen (UNRWA 21.10.2022). Die zwölf über das ganze Land verteilten palästinensischen Flüchtlingslager sind der Kontrolle durch staatliche Gewalt weitgehend entzogen. Die Sicherheit innerhalb der Lager wird teilweise durch palästinensische bewaffnete Ordnungskräfte und Volkskomitees gewährleistet, die von der jeweils politisch bestimmenden Fraktion gestellt werden. Ausnahme stellt das Lager Nahr El Bared dar, das unter libanesischer Kontrolle steht. Die libanesische Armee beschränkt sich auf Zugangskontrollen und die Sicherung der Umgebung (AA 5.12.2022). Die den zwölf offiziellen palästinensischen Flüchtlingslagern im Land zugewiesene Fläche hat sich seit 1948 nur geringfügig verändert, obwohl sich die Bevölkerungszahl vervierfacht hat. Folglich leben die meisten palästinensischen Flüchtlinge in überbevölkerten Lagern, von denen einige in den vergangenen Konflikten schwer beschädigt wurden (USDOS 12.4.2022). Immer wieder kommt es speziell in den Lagern Mieh-Mieh und Ein El Hilweh zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen extremistischen Gruppierungen (Jund al-Scham, Abdullah-Azzam-Brigaden, Ansar Allah etc.). Die libanesischen Sicherheitskräfte greifen in diese Auseinandersetzungen entgegen der bisherigen per Abkommen geregelten Praxis, immer häufiger ein, weil die eigentlich zuständigen palästinensischen Sicherheitsbehörden zunehmend überfordert scheinen (AA 5.12.2022). Die Gebäude in den Lagern sind alt und jederzeit einsturzgefährdet, die Infrastruktur ist unzureichend, die Wasserqualität schlecht und die ABFallentsorgung nicht vorhanden. Aufgrund der schlechten Wohnverhältnisse und der fehlenden sanitären Einrichtungen in den Lagern sind übertragbare Krankheiten unter den Flüchtlingen ebenfalls weit verbreitet (WRMEA 28.1.2022). Einzelne Hinweise deuten auch darauf hin, dass Kinderarbeit in den palästinensischen Flüchtlingslagern weit verbreitet ist (USDOS 12.4.2022).

Rückkehr

Die Einreisekontrollen an den Grenzübergängen und am internationalen Flughafen Beirut sind strikt. Reise- und Dokumentendaten werden seit 1995 an allen Einreisestellen erfasst und sind durch die General Security zentral abrufbar. Es ist möglich, sich gegen eine geringe Gebühr die Ein- und Ausreisebewegungen aus dem Libanon bescheinigen zu lassen. Personen ohne gültige Dokumente werden erfasst und an der Einreise gehindert. Der Libanon erkennt keine von EU-Staaten für libanesische Staatsangehörige oder Staatenlose ausgestellten Heimreisepapiere an (AA 5.12.2022; vgl. DIS 9.2022). Libanesische Staatsbürger können nicht ohne Vorlage eines Reisepasses bzw. eines von der zuständigen libanesischen Auslandsvertretung ausgestellten Heimreisedokuments (z. B. Laissez-Passer) einreisen (AA 5.12.2022).

Es sind keine Fälle bekannt, in denen libanesische Staatsbürger, die, beispielsweise aus Deutschland, abgeschoben wurden, aus diesem Grund eine diskriminierende Behandlung im Libanon erfahren haben. Sie werden wie alle Einreisenden von den Sicherheitsbehörden überprüft. Ein besonderes staatliches Interesse an dieser Personengruppe ist nicht erkennbar. In Abwesenheit verurteilte Personen werden bei der Einreise in Strafhaft genommen und verbüßen die verhängte Haftstrafe. Sie haben unmittelbar nach Haftantritt die Möglichkeit, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Das Verfahren wird vollständig neu durchgeführt, und es gilt das Verbot der „reformatio in peius“ [Verschlechterungsverbot]. In solchen Fällen sind keine Vorwürfe von Folter oder Misshandlung bekannt (AA 5.12.2022).

Laut Bericht des Danish Immigration Service (DIS) sträuben sich die libanesischen Behörden seit Mai 2018 den staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus dem Libanon (PRLs), die sich im Ausland aufhalten, die Rückkehr in den Libanon zu gestatten, wenn sie keine Aufenthaltsgenehmigung in dem Land haben, in dem sie sich derzeit aufhalten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückkehr freiwillig oder zwangsweise erfolgen soll. Die Zahl der erfolgreichen Rückführungen innerhalb dieses Zeitraums ist sehr begrenzt. Anträge für neue oder zu verlängernde palästinensische Reisedokumente sowie die Ausstellung von Laissez-passer für PRLs werden vom libanesischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Emigranten auf Eis gelegt. Es begründet dies damit, dass der Libanon bereits genug Flüchtlinge beherbergt und von der internationalen Gemeinschaft angesichts der großen Anzahl von Flüchtlingen im Libanon keine ausreichende Unterstützung erhält (DIS 9.3.2020). Laut offiziellen Angaben der libanesischer Botschaft Berlin ist für die Ausstellung eines Reisedokuments [DDV – Document de Voyage] für Palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon ein Aufenthaltstitel für Deutschland bzw. eine Bescheinigung der zuständigen Ausländerbehörde, dass ein Aufenthaltstitel vorliegt bzw. erteilt werden kann, notwendig (BL 11.2021). Ausländische Staatsangehörige, vor allem Syrer und Palästinenser, bei denen der Verdacht einer irregulären Einreise nach Deutschland besteht, müssen damit rechnen, dass ihnen die Einreise in den Libanon verweigert wird. Dies kann auch trotz einer aktuell gültigen Aufenthaltserlaubnis für Deutschland der Fall sein (AA 19.1.2023). Besteht bei der Einreise in den Libanon der Verdacht, dass ein Drittausländer vormals illegal nach Europa gelangt ist, verweigern libanesische Grenzbehörden die Einreise. Luftfahrtunternehmen sind dann in der Pflicht, den Passagier zurück zu befördern und pro Passagier wird ein Bußgeld in Höhe von derzeit 2.000 USD erhoben (AA 5.12.2022).“

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Erstbefragung und der Einvernahme durch das BFA, der Beschwerdeschriftsatz, die Länderinformationen der Staatendokumentation zum Libanon vom 01.03.2023, mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, die von der BF vorgelegten Unterlagen und Dokumente sowie die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2023.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der BF:

Die Feststellungen zur Staatenlosigkeit und Herkunft, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie ihrer familiären und beruflichen Situation beruhen auf den diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Angaben der BF im Verfahren sowie den vorgelegten Dokumenten.

Die Feststellungen zur Muttersprache stützen sich auf die Tatsache, dass sowohl die Erstbefragung wie auch die Einvernahme des BF vor dem BFA und die Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt wurden und die BF angab, dass ihre Muttersprache Arabisch sei.

Zum letzten gewöhnlichen Aufenthalt der BF ist Folgendes anzuführen:

Gemäß der Entscheidung des VwGH vom 26.05.2011, Zl. 2011/23/0093, gilt als Herkunftsstaat nach § 1 Z 4 AsylG (bzw. nunmehr nach § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG) der Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder – im Falle der Staatenlosigkeit – der Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Herkunftsstaat im Sinne dieser Bestimmung ist somit primär jener Staat, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht. Nur wenn ein solcher Staat nicht existiert, wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthaltes zurückgegriffen (VwGH vom 19. November 2010, Zl. 2006/19/0502, und vom 20. Februar 2009, Zl. 2007/19/0535, mwN). Auf welchen Staat diese Voraussetzungen im Einzelfall zutreffen, ist von den Asylbehörden zu ermitteln und festzustellen.

Der zeitliche Bezug des Wortes „frühere“ bezieht sich auf den Vorgängeraufenthaltsstaat, also auf jenen Staat, in dem sich der Fremde dauernd aufgehalten hat, bevor er in den Asylantragstaat eingereist ist (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, Kommentar, K36 zu §2 AsylG).

UNHCR erläutert in seinem Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (1993), es müsse zur Festlegung des maßgeblichen Herkunftsstaates geprüft werden, ob eine Wechselbeziehung zwischen den angegebenen Fluchtgründen und dem Land, in dem der bisherige Wohnsitz lag, und im Verhältnis zu dem Furcht vor Verfolgung geltend gemacht wird, bestehe. Er bezieht sich dabei (wie auch Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law I (1966), 160 f) auf die Materialien zur Genfer Flüchtlingskonvention, wonach es sich um das Land handle, "in dem er (der Asylwerber) seinen Wohnsitz hatte und wo er Verfolgung erlitten hatte bzw. fürchtete, verfolgt zu werden, wenn er dahin zurückkehrte" (UNHCR-Handbuch, Rz 103). Gefordert wird eine 'feste Bindung' zu diesem Staat im Sinne einer zumindest für eine gewisse Dauer erfolgten Verlagerung der Interessen dorthin (vgl. Grahl-Madsen, a.a.O., 160; Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999(, Rz 158, und ihm folgend das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0089, sowie Schmidt/Frank, AsylG 1997, K 22 zu § 1). Unter dem „Land seines (das heißt des Asylwerbers) gewöhnlichen Aufenthaltes“ („country of his former habitual residence“ bzw „pays dans laquelle elle avait sa résidence habituelle“) iSd Art 1 lit A Z 2 GFK ist nur ein solcher Aufenthalt zu verstehen, der sich auf eine gewollte Rechtsbeziehung zwischen Flüchtling und Aufenthaltsstaat gründet.

Solch eine Beziehung würde jedenfalls bei sich unrechtmäßig im betreffenden Staatsgebiet aufhaltenden Personen nicht vorliegen (vgl Amann, Die Rechte des Flüchtlings, 129, zum gleichlautenden Begriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ in Art 14 GFK; Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, 3. Auflage, E7 zu §2).

Ein gewöhnlicher Aufenthalt setzt dauerhafte, nicht nur vorübergehende Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt voraus, die sich in einer bestimmten längeren Dauer und Beständigkeit des Aufenthalts äußert und sich auf objektiv überprüfbare Umstände persönlicher oder beruflicher Art gründet (OGH, 29.08.1996, RS0102776, 15.11.1988, RS0046583).

Die BF hielt sich von Oktober 2015 bis Oktober 2020 im Libanon auf. Hinweise auf einen illegalen Aufenthalt haben sich nicht ergeben. Die BF hat im Jahr 2016 im Libanon einen Palästinenser, der in diesem Land geboren wurde, geheiratet. Ihre beiden Kinder wurden ebenfalls im Libanon geboren. Im Oktober 2020 reiste sie im Rahmen ihrer Flucht aus dem Libanon aus und hielt sich nur kurzzeitig zur Durchreise in Syrien auf. Somit war der Libanon ihr letzter gewöhnlicher Aufenthalt und konnte der Libanon als Herkunftsstaat der BF festgestellt werden.

In der Beschwerdeverhandlung gab die BF an, dass sie Probleme mit dem Hals und mit der Niere habe und sie diesbezüglich im Libanon behandelt worden sei. In Österreich sei sie nicht behandelt worden. Sie gab weiters an, dass sie sich selbst als gesund bezeichnen würde. Sie legte im gesamten Verfahren keine sie selbst betreffenden ärztlichen Unterlagen vor. Daher konnte festgestellt werden, dass die BF gesund ist.

Dass die BF kaum Deutsch spricht, ergibt sich daraus, dass in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein Dolmetscher erforderlich war und sie der Aufforderung, etwas auf Deutsch zu erzählen, kaum nachkommen konnte. Sie gab weiters an, dass sie keine Deutschkurse besucht habe (Verhandlungsprotokoll S. 18, 19). Dass sie bisher in Österreich nicht legal erwerbstätig war, gab sie in der Beschwerdeverhandlung selbst an (Verhandlungsprotokoll S. 18). Aus einem aktuellen Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem ergibt sich, dass die BF Leistungen aus der Grundversorgung erhält.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in einen aktuellen Strafregisterauszug der BF.

 

2.2. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der BF in den Libanon ergeben sich aus den Länderberichten zum Libanon.

Dass die BF bei der UNRWA im Libanon registriert ist und sie die Unterstützung der UNRWA, in Anspruch genommen hat, ergibt sich aus der vorgelegten UNRWA-Registrierungsbestätigung betreffend ihre Familie (AS 79).

2.4. Zu den Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 87 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 hat das Erkenntnis auszusprechen, ob der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt worden ist, und bejahendenfalls das angefochtene Erkenntnis aufzuheben. Wenn der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde stattgegeben hat, sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen, Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

 

 

Zu A)

3.2. Zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

Gemäß § 6 Abs. 1 Z.1 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, solange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der GFK genießt. Gemäß Abs. 2 kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden, wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt. § 8 gilt.

Nach Art. 1 Abschnitt D GFK findet die GFK keine Anwendung auf Personen, die zurzeit den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge genießen. Ist dieser Schutz oder diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde weggefallen, ohne dass das Schicksal dieser Person endgültig gemäß den hierauf bezüglichen Entschließungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen geregelt worden ist, so fallen diese Personen ipso facto unter die Bestimmungen dieses Abkommens.

Nach Art. 12 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status-RL) ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie.

Zu § 6 Abs. 1 Z. 1 AsylG hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 01.03.2018, Ra 2017/19/0273, unter Hinweis auf die Rsp des EuGH (vgl. die E des EuGH vom 19.12.2012, El Kott, C-364/11) zu Art 12 Abs. 1 lit. a der Statusrichtlinie, festgehalten, dass mit Art. 1 Abschnitt D GFK, auf den Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL verweist, in Anbetracht der besonderen Situation der palästinensischen Flüchtlinge, für diese gezielt eine privilegierte Rechtsstellung geschaffen wurde. Asylwerber, welche unter dem Schutz einer von Art. 1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation oder Institution stehen, sind im Gegensatz zu anderen Asylwerbern gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, genießen jedoch bei Wegfall ebendieses Schutzes oder Beistands "aus irgendeinem Grund" "ipso facto" den Schutz der Status-RL (EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 80). Dabei bezieht sich die Wendung "genießt (...) den Schutz dieser Richtlinie" in Art. 12 Abs. 1 lit. a zweiter Satz der Status-RL als Verweis allein auf die Flüchtlingseigenschaft und nicht auf die Eigenschaft eines subsidiär Schutzberechtigten (EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 66 ff); eine Verfolgung im Sinne des Art. 2 lit. c Status-RL muss in diesem Fall gerade nicht dargetan werden. Voraussetzungen für den ipso-facto Schutz sind lediglich die Stellung eines Asylantrags sowie die Prüfung durch die Asylbehörden, ob der Beistand von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen wurde, dieser nicht länger gewährt wird und keiner der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 und 3 Status-RL vorliegt.

Für die erforderliche Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz von UNRWA im Sinne der Status-RL bzw. des Art. 1 Abschnitt D GFK tatsächlich nicht länger gewährt wird, haben die nationalen Behörden und Gerichte zu prüfen, ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebietes zwingen und somit daran hindern den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen (vgl. VwGH, 01.03.2018, Ra 2017/19/0273 mit Hinweis auf EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 61; siehe auch VfGH 29.06.2013, U 706/2012).

Ein Zwang, das Einsatzgebiet von UNRWA zu verlassen, und somit ein Wegfall des Schutzes von UNRWA, hängt nicht vom Vorliegen individueller Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A GFK ab, sondern ist vielmehr auch gegeben, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es von UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe im Einklang stehen (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0274 mit Hinweis auf EuGH 19.12.2012, El Kott, C 364/11, Rn. 63, 65).

Beispielsweise steht die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz an den Fremden und damit die Bejahung der Voraussetzungen zur Zuerkennung dieses Schutzstatus durch das BFA der Annahme, der Fremde könne weiterhin den Schutz durch UNRWA genießen, entgegen (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0274 mit Hinweis auf VfGH 22.9.2017, E 1965/2017).

3.2.2. Die BF ist gemeinsam mit ihrem Ehegatten und den beiden gemeinsamen Kindern als Familie bei UNRWA registriert und die Organisation ist weiterhin im Libanon tätig.

Bei der UNRWA handelt es sich um eine Organisation iSd Art. 1 Abschnitt D GFK und § 12 Abs. 1 lit. a der Status-RL. Eine Registrierung bei dieser ist ein ausreichender Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme der Hilfe der UNRWA (vgl. VfGH 14.06.2022, E 761/2022, Rz 3.1.; VfGH 29.06.2013, U 706/2012 mit Hinweis aus EuGH 17.06.2010, Nawras Bolbol, C-31/09, Rz. 52). Die BF legte im Verfahren eine entsprechende Familien-Registrierungsbestätigung vor und gab zusätzlich an, dass sie in der Vergangenheit und nach der Heirat ihr Ehemann als Familienoberhaupt zuletzt ein bis zwei Mal jährlich Leistungen der UNRWA erhalten haben.

Die BF fällt daher in den Anwendungsbereich des Art. 1 Abschnitt D. der GFK bzw. Art. 12 Abs. 1 lit. a der Status-RL. Vor dem Hintergrund der og. hg. Judikatur war daher noch zu prüfen, ob der Beistand der UNRWA nicht länger gewährt wird, was u.a. voraussetzt, dass ihr Wegzug durch nicht von ihr zu kontrollierende und von ihrem Willen unabhängige Gründe begründet war, die sie zum Verlassen des Gebiets zwangen und auch pro futuro daran hindern den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen.

Wie sich aus den Länderberichten zum Libanon vom 01.03.2023 und der Entscheidung des VfGH, E 2282/2023-15, vom 26.02.2024 ergibt, fehlt es der BF an einer Einreisemöglichkeit in den Libanon und ergibt sich daraus das Fehlen der Möglichkeit den Schutz von UNRWA nach einer Rückkehr wieder in Anspruch zu nehmen.

Da die BF somit den Schutz und Beistand der UNRWA genoss und diesen Schutz weiterhin nicht mehr in Anspruch nehemen kann, ist spruchgemäß zu entscheiden.

Stattgabe der Beschwerde in Bezug auf die Spruchpunkte II. bis VI.:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass es sich bei den Aussprüchen, mit denen etwa weder der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG noch der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt wird, sowie eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, um voneinander rechtlich trennbare Aussprüche handelt. Demgemäß sind diese Aussprüche separat anfechtbar; sie können auch unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen. Es besteht zwischen diesen gemäß den maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 und des Fremdenpolizeigesetzes lediglich insofern ein rechtlicher Zusammenhang, als es für manche Aussprüche Tatbestandsvoraussetzung ist, dass bereits andere Aussprüche getätigt wurden und zudem manche Aussprüche miteinander zu verbinden sind, sodass im Fall der Aufhebung eines Spruches ein darauf rechtlich aufbauender Ausspruch seine Grundlage verlieren kann (vgl. VwGH vom 29.04.2015, Fr 2014/20/0047; vom 28.01.2015, Ra 2014/20/0121 und vom 08.09.2015, Ra 2015/18/0134, je mwN).

Da der BF mit diesem Erkenntnis nunmehr der Status der Asylberechtigten zuerkannt wird, verlieren die übrigen von der belangten Behörde getroffenen Aussprüche II. bis VI. ihre rechtliche Grundlage, weshalb diese ersatzlos zu beheben sind.

Der Beschwerde ist daher in Hinblick auf die Spruchpunkte II. bis VI. stattzugeben und sind diese ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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