AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W184.2245189.1.01
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2021, Zl. 1276808400/210481181, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Syriens, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 11.04.2021 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.
Bei der Erstbefragung gab die beschwerdeführende Partei an, er stamme aus Deir ez-Zor und gehöre der arabischen Volksgruppe und der Religion der Sunniten an. Er habe in Syrien 16 Jahre die Grundschule und vier Jahre die Universität besucht und sei vor seiner Ausreise als Lehrer tätig gewesen. Zum Fluchtgrund befragt, führte die beschwerdeführende Partei an, dass er Syrien wegen des Krieges und der instabilen Lage verlassen habe müssen. Es gebe dort keine Sicherheit, keine Zukunft sowie kein normales Leben. Obwohl er den Militärdienst bereits abgeleistet habe, fürchte er sich vor einer weiteren Verpflichtung zum Armeedienst. Er wolle keine Waffen tragen und niemanden töten. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst vor den Kriegsgeschehnissen und Angst um sein Leben.
Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.06.2021 führte die beschwerdeführende Partei an, dass er keinen Reisepass besitze. Seine Ehefrau und seine minderjährigen Kinder hätten nach der Ausreise Reisepässe beantragt. Er sei in Deir ez-Zor geboren und gehöre der Volksgruppe der Araber und der Religion der Sunniten an. Im Herkunftsstaat würden nach wie vor seine Ehefrau, sein Sohn und seine vier Töchter wohnhaft sein. Seine drei Brüder sowie seine fünf Schwestern seien ebenfalls noch in Syrien aufhältig. Den Militärdienst habe er von 1996 bis 1999 als einfacher Soldat in Damaskus abgeleistet. Sein Wehrdienstbuch könne er in Vorlage bringen. Er habe in der Provinz Al Hasaka von 2011 bis 2016 Lehramt studiert und sei anschließend von 2018 bis 2019 als Volksschullehrer tätig gewesen. Zu seinen Lebensumständen in Syrien befragt, führte die beschwerdeführende Partei an, dass er in XXXX geboren sei und dort die Schule besucht habe. In weiterer Folge habe er im Jahr 2012 seine Ehefrau geheiratet und mit dieser fünf Kinder bekommen. Seine Ehefrau und seine fünf Kinder würden sich derzeit in XXXX aufhalten und er selbst habe sich vor seiner Ausreise ebenfalls dort aufgehalten. Die beschwerdeführende Partei stehe in regelmäßigem Kontakt zu seiner Familie. Zum Fluchtgrund befragt, gab die beschwerdeführende Partei zu Protokoll, dass er weder in seiner Heimat noch in einem anderen Land vorbestraft sei und dass er keine Strafrechtsdelikte begangen habe. Auf die Frage, ob er in der Heimat von der Polizei, der Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht werde, replizierte die beschwerdeführende Partei, dass er nicht genau wisse, von welcher Behörde er gesucht werde. Er habe seine Arbeit gekündigt und das Land verlassen, weshalb er nun davon ausgehe, dass er von irgendeiner syrischen Behörde gesucht werden könnte. Die Fragen, ob er in seiner Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet worden sei oder in seiner Heimat Probleme mit den Behörden gehabt habe, wurden von der beschwerdeführenden Partei verneint. Er sei auch nicht Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen und sei in Syrien nicht wegen seiner politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden. Die weiteren Fragen, ob er jemals selbst gekämpft oder an Kampfhandlungen teilgenommen habe bzw. ob er Mitglied einer bewaffneten Gruppierung gewesen sei, wurden von der beschwerdeführenden Partei verneint. Befragt, was der konkrete Grund gewesen sei, warum er die Heimat verlassen habe, erklärte die beschwerdeführende Partei, dass er ursprünglich nur ein sicheres Land bevorzugt habe und in weiterer Folge Österreich aufgrund der geltenden Menschenrechte ausgewählt habe. Überdies habe er Syrien verlassen und sei nach Österreich gekommen, weil er in Syrien als Reservist gesucht werde. Er habe nicht in den Krieg ziehen und kämpfen wollen, unabhängig davon gebe es in Syrien auch keine Sicherheit, da sich die Lebensverhältnisse aufgrund der Kriegszustände verschlechtert hätten. Die Frage, ob er sein Vorbringen mit Beweismitteln untermauern könne, wurde von der beschwerdeführenden Partei verneint. Auf Aufforderung, zu schildern, wann und wie er von der Militärbehörde als Reservist einberufen worden sei, führte die beschwerdeführende Partei an, dass er am 15.01.2019 als Reservist einberufen worden sei. Er sei an diesem Tag seiner Arbeitstätigkeit nachgegangen, weshalb der Direktor an ihn herangetreten sei und ihm erklärt habe, dass er nunmehr als Reservist einberufen werde und deshalb die Rekrutierungsabteilung aufsuchen müsse. Diesen Auftrag habe die beschwerdeführende Partei jedoch verweigert und sei in weiterer Folge auch nicht mehr zur Arbeit gegangen. Bis zu seiner Ausreise habe er ein Restaurant betrieben, das ursprünglich seinem Onkel gehört habe. Auf Nachfrage, wieso er den Einberufungsbefehl nicht selbst, sondern nur über den Direktor erhalten habe, replizierte die beschwerdeführende Partei, dass solche Listen der Reservisten üblicherweise immer an den Direktor geschickt werden würden. Zur Frage, wann er an der Schule gearbeitet habe, erwiderte die beschwerdeführende Partei, dass er bis zum 15.01.2019 an der Schule gearbeitet habe. Befragt, ob er seit 15. bzw. 16.01.2019 bis zu seiner Ausreise im Jahr 2020 irgendwelche Probleme mit der Militärbehörde gehabt habe, entgegnete die beschwerdeführende Partei, dass er bis 2020 keine Probleme mit der Militärbehörde gehabt habe. Die Frage, ob er selbst die Einberufung nach Hause bekommen habe, wurde von der beschwerdeführenden Partei verneint. Personen, die als Reservist einberufen worden seien, würden auf der Straße kontrolliert und mitgenommen werden. Die Frage, ob er seitens der Militärbehörde zwischen 15. bzw. 16.01.2019 bis zu seiner Ausreise im Jahr 2020 aufgesucht worden sei, wurde von der beschwerdeführenden Partei verneint. Er sei in diesem Zeitraum auch nicht vom Schuldirektor oder einer sonstigen Behörde kontaktiert oder aufgesucht worden und habe seine Heimat im Jahr 2020 verlassen. Nachgefragt, wieso er seine Heimat ausgerechnet im Juli 2020 verlassen habe, brachte die beschwerdeführende Partei vor, dass er vernommen habe, dass sich in den Nachbardörfern Soldaten aufhalten würden. Er habe Angst bekommen und sei aus diesem Grund ausgereist. Auf Vorhalt, wieso ausgerechnet er als Reservist einberufen werden sollte und nicht seine drei jüngeren Brüder, entgegnete die beschwerdeführende Partei, dass er das nicht wisse. In Syrien könne jeder eine Einberufung erhalten. Es sei niemals zu Übergriffen gegen seine Person gekommen und es sei nie jemand an ihn herangetreten. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, dass er als Reservist eingezogen werden könnte. Es könne sein, dass er mit der Polizei Probleme bekomme, es handle sich dabei aber um eine reine Vermutung.
Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme wurden von der beschwerdeführenden Partei Kopien einer ID-Karte, eines Abschlusszeugnisses einer Universität, einer Heiratsurkunde, von Reisepässen seiner Kernfamilie und ein Familienbuch sowie ein Wehrdienstbuch im Original in Vorlage gebracht.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung über diesen Antrag getroffen:
„I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
III. Die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte wird gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für 1 Jahr erteilt.“
In der Begründung wurde näher ausgeführt, dass die von der beschwerdeführenden Partei geschilderte Fluchtgeschichte wenig detailreich bzw. oberflächlich gewesen sei und daher in weiterer Folge als nicht glaubhaft zu qualifizieren sei. Gegen die beschwerdeführende Partei seien seinen eigenen Angaben zufolge niemals Verfolgungshandlungen gesetzt worden. Weiters habe die beschwerdeführende Partei die konkrete Frage vor der Polizei, ob es konkrete Hinweise geben würde, dass ihm bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe oder ob er im Falle der Rückkehr in seinen Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, dezidiert verneint. Das Bundesamt halte es zwar durchaus für möglich und plausibel, dass er aufgrund einer allfälligen Erzählung durch den Schuldirektor der Meinung sei, dass die behauptete Bedrohung tatsächlich so geschehen sei, allerdings müssten solche Erzählungen Dritter in ihrer Beweiskraft massiv hinter persönlich Erlebtem zurücktreten, insbesondere da die angeblichen Erzählungen des Schuldirektors einer Wahrheits- bzw. Glaubhaftigkeitsprüfung durch das Bundesamt nicht zugänglich seien. Weiters habe die beschwerdeführende Partei die konkreten Fragen, ob er selbst die Einberufung nach Hause bekommen habe und ob er persönlich seitens der Militärbehörde zwischen 15.01.2019 bis zu seiner Ausreise im Juli 2020 aufgesucht worden sei, ausdrücklich verneint. Die Provinz Deir-ez Zor stehe unter der Kontrolle des syrischen Regimes. Dennoch habe nicht festgestellt werden können, dass gegen die beschwerdeführende Partei als Reservist von der syrischen Regierung Verfolgungshandlungen gesetzt worden seien.
Gegen den Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher insbesondere dargelegt wurde, dass die Behörde der Pflicht zur amtswegigen Ermittlung und materiellen Wahrheitsforschung nicht im gesetzlichen Ausmaß nachgekommen sei. Bezüglich der Risikoprofile wurde auf UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen würden, verwiesen. Die Beweiswürdigung sei willkürlich und widerspreche den von der belangten Behörde selbst herangezogenen Länderfeststellungen. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person und den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei wird festgestellt:
Die beschwerdeführende Partei ist Staatsbürger Syriens und gehört der Volksgruppe der Araber sowie der sunnitischen Religion an. Er ist in der Provinz Deir ez-Zor geboren und wohnte bis zur Ausreise mit seiner Familie in XXXX in der Provinz Al-Hasaka. Die Provinz steht unter kurdischer Kontrolle. Die syrische Regierung übt in der unter kurdischer Selbstverwaltung stehenden Region die Kontrolle über zwei kleine Gebiete, sogenannte „Sicherheitsviertel“, in den Städten Qamishli und Al-Hasaka in der Provinz Al-Hasaka aus.
Die beschwerdeführende Partei studierte von 2011 bis 2016 Lehramt in Al Hasaka. Vor seiner Ausreise aus Syrien war die beschwerdeführende Partei von 2018 bis 2019 als Volksschullehrer in XXXX tätig. Seine Ehefrau und seine fünf Kinder wohnen nach wie vor in XXXX in der Provinz Al-Hasaka. Überdies sind in der Provinz Al-Hasaka seine drei Brüder und seine fünf Schwestern aufhältig. Die beschwerdeführende Partei ist gesund und strafrechtlich unbescholten.
Die beschwerdeführende Partei war in Syrien keiner individuell-konkreten, asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt.
Der beschwerdeführenden Partei droht im Herkunftsstaat keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.
Die beschwerdeführende Partei hat auch durch die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in Österreich nicht dargelegt, dass er im Falle einer Rückkehr nach Syrien einer konkreten, asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein könnte.
Die beschwerdeführende Partei ist derzeit 45 Jahre alt und befindet sich nicht mehr im wehrdienstfähigen Alter für syrische Streitkräfte oder kurdische Milizen. Er ist zudem auch kein Reservist für das syrische Militär.
Er leistete den Militärdienst von 1996 bis 1999 als einfacher Soldat in Damaskus ab.
Zur Lage im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:
Die aktuelle Lage ergibt sich aus der Länderinformation der Staatendokumentation - Syrien (Gesamtaktualisierung am 10.08.2022).
Politische Lage
COVID-19
Letzte Änderung: 25.06.2021
Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern
empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO:
https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns Hopkins-Universität:
https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd4029
9423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Am 22.3.2020 wurde der erste Fall einer COVID-19 infizierten Person in Syrien bestätigt
(ÖB 29.9.2020). Unbestätigte Berichte deuteten damals darauf hin, dass das Virus schon
früher entdeckt worden war, dies aber vertuscht wurde (Reuters 23.3.2020). Dem ersten
bestätigten Fall folgten weitreichende Maßnahmen (u.a. Ausgangssperren,
Verkehrsbeschränkungen, Schließungen von Bildungseinrichtungen und Geschäften), die
zwischenzeitig weitgehend aufgehoben wurden. Die Pandemie traf ein Land mit einem
Gesundheitssystem, das durch den Konflikt schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Dies trifft gerade auch für die humanitären Brennpunkte mit hunderttausenden
Binnenvertriebenen (IDPs) vor allem im Nordwesten zu (ÖB 29.9.2020).
Trotz der katastrophalen humanitären Lage in Syrien sind dort weit weniger Fälle und
Todesfälle gemeldet worden als in den Nachbarländern (BBC 13.10.2020). Die offiziell
bekannt gegebenen Zahlen für die von der Regierung kontrollierten Gebiete in Syrien sind
sehr niedrig, ebenso die Zahl der Tests (ÖB 29.9.2020). Angesichts der begrenzten Anzahl
von Tests in ganz Syrien ist es wahrscheinlich, dass die tatsächliche Zahl der Fälle die
offiziellen Zahlen bei weitem übersteigen könnte (UNOCHA/WHO 10.6.2021: vgl. TG
29.4.2021). Eine britische Studie schätzt, dass nur 1,25% der Infektionen gemeldet
werden. Mitte August 2020 wurde allein in der Hauptstadt Damaskus die Zahl der
Infizierten auf 112.500 geschätzt (AA 4.12.2020). Die Regierung erhielt mit Stand März
2021 geschätzte 120.000 Testsets und andere Ausrüstung von unterschiedlichen Ländern
und soll diese an private Labore verkauft haben, statt sie im öffentlichen
Gesundheitssystem zu verteilen. Es gibt auch Anschuldigungen, dass die Regierung
Lieferungen, die für oppositionelle Gebiete bestimmt waren, für ähnliche Zwecke
beschlagnahmt hat bzw. sich bemüht Hilfsgüter in die eigenen Gebiete zu lenken (COAR
10.3.2021).
Epidemiologische Analysen deuten auf eine zweite Welle Mitte Dezember 2020 hin, als die
Zahl der Fälle (3.547) die höchste war, die bisher in einem einzigen Monat gemeldet
wurde. Nach einem relativen Abflauen der gemeldeten Fälle im Februar 2021 stiegen die
Zahlen im Berichtszeitraum Ende März bis Anfang April 2021 wieder an, was möglicherweise auf eine dritte Welle hindeutet. Von Mai bis Mitte Juni 2021 hat die Zahl
der gemeldeten Fälle wieder abgenommen, bleibt aber immer noch relativ hoch mit
signifikanten Positivitätsraten bei begrenzten Tests (UNOCHA/WHO 10.6.2021).
Die seit Juli 2020 gemeldete stetige Zunahme des betroffenen Gesundheitspersonals
unterstreicht - angesichts des fragilen Gesundheitssystems Syriens mit einer ohnehin
schon unzureichenden Zahl an qualifiziertem Gesundheitspersonal - das Potenzial einer
weiteren Beeinträchtigung der überforderten Gesundheitskapazitäten. Humanitäre
Akteure erhalten weiterhin Berichte, dass das Gesundheitspersonal in einigen Gebieten
nicht über ausreichende persönliche Schutzausrüstung verfügt (UNOCHA/WHO
10.6.2021). Staatliche Spitäler, besonders in der Gegend von Damaskus, sind mit Patienten
überfüllt und haben keine Beatmungsgeräte mehr (CGP 13.10.2020). Im April
2020 wurden die Kapazitäten der Intensivstationen in Damaskus als ausgeschöpft
gemeldet (TG 29.4.2021).
Unterdessen sagen die unterbesetzten medizinischen Fachkräfte, dass sie ihre Aufgaben
unter der Aufsicht der mächtigen Sicherheitsdienste erfüllen müssen, welche die
staatlichen Gesundheitseinrichtungen überwachen. Dies soll abschreckend auf Patienten
wirken, die bereits zögern, sich in einem Land behandeln zu lassen, in dem die Angst vor
dem Staatsapparat groß ist und jede kritische Diskussion über den Umgang mit der
Pandemie als Bedrohung für eine Regierung angesehen werden könnte, die entschlossen
ist, eine Botschaft der Kontrolle zu vermitteln (AJ 5.10.2020). Menschenrechtsaktivisten
zufolge verhaftete das Regime Gesundheitsdienstleister, die mit internationalen Medien
über die COVID-19-Krise sprachen oder dem streng kontrollierten Narrativ über die
Auswirkungen der Pandemie auf das Land widersprachen (USDOS 30.3.2021).
Unterdessen verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage Syriens weiter. In Verbindung mit
dem plötzlichen Zusammenbruch des syrischen Pfunds hat COVID-19 die rapide
Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage Syriens im Sommer 2020 noch verschärft. Die
aktuelle Wirtschaftslage, zusammen mit den beschädigten Lieferketten durch die
Explosion in Beirut am 4.8.2020 (UNSC 30.9.2020) und dem Verlust von Arbeitsplätzen
aufgrund der Auswirkungen von COVID-19, insbesondere bei Tagelöhnern oder der
Saisonarbeit, in Verbindung mit dem Anstieg der Nahrungsmittelpreise (UNOCHA/WHO
29.9.2020) haben dazu geführt, dass jetzt geschätzte 12,4 Millionen Menschen in Syrien
von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, ein Anstieg um 4,5 Millionen innerhalb eines
Jahres (UNOCHA/WHO 10.6.2021).
Politische Lage
Letzte Änderung: 25.06.2021
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen
Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr
2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC
25.2.2019). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein kompliziertes Gefüge
aus ba'athistischer Ideologie, repressivem Zwang, Anreize für wirtschaftliche Eliten und
der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021).
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die
zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes
verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem
durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich
organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend
komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden
Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen
Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen
Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle
Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die syrische Verfassung sieht die Ba'ath-Partei als die regierende Partei vor und stellt
sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS
30.3.2021). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der
politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch
noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung
von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten der Regierung
Assads entwickeln könnten (FH 1.2018).
Wahlen in Syrien dienen nicht dazu, Entscheidungsträger zu finden, sondern dem Staat
den Anschein eines demokratischen Verfahrens zu geben, Normalität zu demonstrieren
und die Fassade von demokratischen Prozessen aufrechtzuerhalten (BS 29.4.2020).
Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten
zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten (IFK 10.2018; vgl. WKO
11.2018). Der Sieg von Assads Ba'ath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und
Binnenvertriebene waren von der Wahl ausgeschlossen (WKO 11.2018).
Im Juli 2020 fanden nach zweimaligem Verschieben des Wahltermins aufgrund der COVID-
19-Pandemie die dritten Parlamentswahlen seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs statt.
Die herrschende Ba'ath-Partei von Präsident Bashar al-Assad gewann wie erwartet die
Mehrheit. Die Ba'ath-Partei und deren Verbündete schlossen sich zum Bündnis der
"Nationalen Einheit" zusammen (DS 21.7.2020) und gewannen zumindest 177 der 250
Sitze (TWP 22.7.2020; vgl. AJ 22.7.2020), laut einer anderen Quelle 183 von 250 Sitzen (DS
21.7.2020). Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen
Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und
durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords
und Schmuggler, die das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (TWP 22.7.2020). Der
Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist.
Syrische Bürger können überall wählen, und es gibt keine Liste der registrierten Wähler in
Wahllokalen, somit gibt es keinen Mechanismus, um zu überprüfen, ob Personen an
verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Jede Partei oder jeder Kandidat, der
kandidieren möchte, muss die Namen seiner Mitglieder nach denen der Ba'ath-Partei
auflisten, so dass jeder, der kandidiert, automatisch die Namen der Ba'ath-Mitglieder in
den Vordergrund rückt. Druckereien dürfen auf Anordnung des Geheimdienstes keine
Listen ohne die Namen der Ba'ath-Kandidaten drucken. Daher ist jeder, der kandidiert,
standardmäßig nur ein Zusatz zu den Ba'ath-Kandidaten (AAN/MEI 24.7.2020).
Im Mai 2021 wurden in den von der Regierung kontrollierten Gebieten und einigen
syrischen Botschaften im Ausland Präsidentschaftswahlen abgehalten, bei denen Bashar
al-Assad mit 95,1% gewann und damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren
wiedergewählt wurde. Zwei kaum bekannte Personen sind als Gegenkandidaten
angetreten und erhielten 1,5% und 3,3% der Stimmen (DS 28.5.2021; vgl. Reuters
28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die
Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als
"weder frei noch fair" und "betrügerisch" und die Opposition nannte sie eine "Farce" (DS
28.5.2021).
Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran
unterstützter Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des
Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert
(AA 4.12.2020).
Die Anzahl der Kampfhandlungen ist nach Rückeroberung weiter Landesteile
zurückgegangen, jedoch besteht die Absicht des syrischen Regimes, das gesamte
Staatsgebiet zurückerobern und "terroristische" Kräfte vernichten zu wollen, unverändert
fort. Zuletzt erklärte Assad im August 2020 bei einer Rede vor dem syrischen Parlament
die "Befreiung" aller syrischen Gebiete zum prioritären Ziel. Trotz der großen
Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in
denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, fort.
Dies gilt insbesondere für den Nordwesten und Nordosten des Landes (AA 4.12.2020).
[Anm.: Nähere Informationen finden sich im Kapitel "Sicherheitslage".] Die Präsenz
ausländischer Streitkräfte, die ihren politischen Willen geltend machen, untergräbt
weiterhin die staatliche Souveränität, und Zusammenstöße zwischen bewaffneten
regimefreundlichen Gruppen deuten darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage ist,
die Akteure vor Ort zu kontrollieren. Darüber hinaus hat eine aufstrebende Klasse
wohlhabender Kriegsprofiteure begonnen, ihren wirtschaftlichen Einfluss und den Einfluss
von ihnen finanzierter Milizen zu nutzen, und innerhalb der staatlichen Strukturen nach
legitimen Positionen zu streben (BS 29.4.2020).
Durch die Eskalation des Syrien-Konfliktes verlagerte sich die Macht zu regieren in den von
der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zunehmend auf die Sicherheitskräfte. In
Gebieten außerhalb der Kontrolle der Regierung ist dies nicht anders. Extremistische
Rebellengruppierungen, darunter vor allem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), haben die
Vorherrschaft in Idlib. Lokalräte werden von militärischen Einheiten beherrscht, die
momentan unter der Kontrolle von HTS stehen. In den kurdischen Gebieten in Nordsyrien
dominiert die Partei der Demokratischen Union (PYD). Obwohl es Lippenbekenntnisse zur
Integration arabischer Vertreter in Raqqa und Deir ez-Zour gibt, ist die Dominanz der PYD
bei der Entscheidungsfindung offensichtlich. Die PYD hat zwar eine Reihe von
Verwaltungsorganen auf verschiedenen Ebenen eingerichtet, es ist jedoch ein
kompliziertes System mit sich überschneidenden Zuständigkeiten, das es für die Bürger
schwierig macht, sich an der Politik zu beteiligen, wenn sie nicht bereits in die Parteikader
integriert sind (BS 29.4.2020). Die PYD [ihrerseits nicht von EU oder USA verboten, Anm.]
gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans
(PKK) (KAS 4.12.2018a).
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen
Regierung und der PKK, deren Mitglieder die PYD gründeten, gekommen sein. Die PYD,
ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt
die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der
Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen,
Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrischkurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime
Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen
Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und
die Jazira von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten
militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg
8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava"
bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile
der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018;
vgl. KAS 4.12.2018a). Afrin im Nordwesten Syriens wird von der Türkei und alliierten
syrischen oppositionellen Milizen kontrolliert (BBC 28.4.2020).
Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den
Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das nicht von
islamistischen, sondern von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit,
Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrischkurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär (KAS 4.12.2018a). Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie
der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen
Syriens (KAS 4.12.2018a; vgl. BS 29.4.2020). Die PYD hat sich in den kurdisch kontrollierten
Gebieten als die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat
etabliert, ähnlich der hegemonialen Rolle der Ba'ath-Partei in der Nationalen Front (BS
2018). Die PYD kontrollierte im Allgemeinen die politische und staatliche Landschaft in
Nordostsyrien, während sie eine arabische Vertretung in den lokalen Regierungsräten
zuließ. Die Partei behielt jedoch die Gesamtkontrolle über kritische Entscheidungen der
lokalen Räte. Der PYD nahestehende interne Sicherheitskräfte haben Berichten zufolge
zeitweise vermeintliche Gegner festgenommen und verschwinden lassen (USDOS
30.3.2021). Ihr militärischer Arm, die YPG sind zudem die dominierende Kraft innerhalb
des Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte
zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen (KAS 4.12.2018a).
Die syrische Regierung erkennt die kurdische Enklave oder Wahlen, die in diesem Gebiet
durchgeführt werden, nicht an (USDOS 30.3.2021). Im Zuge einer türkischen
Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung
zwischen beiden Seiten, da die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung
um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die
syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 25.06.2021
Die folgende Karte zeigt Kontrollgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien mit Stand Juni
2021:
Liveuamap 21.6.2021
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung
für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans
in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des
syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die
syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten"
Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Durch massive
syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran unterstützter
Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des
Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert.
Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer
sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen. Seit März 2020 sind
Kampfhandlungen reduziert, dauern jedoch in mehreren Frontgebieten nach wie vor an
(AA 4.12.2020). Der Menschrenrechtsmonitor Syrian Network for Human Rights spricht
sogar von einem Rückgang an Militäroperationen von 85%, wobei die verbleibenden
Militäroperationen sich hauptsächlich auf Bodenoffensiven konzentrieren, bei denen es
jedoch nicht mehr zu maßgeblichem Vorrücken kommt (SHNR 26.1.2021).
Die faktische Ausübung der Kontrolle durch das syrische Regime unterscheidet sich stark
von Gebiet zu Gebiet. Die verbleibenden Gebiete unterliegen keiner oder nur teilweiser
Kontrolle des syrischen Regimes: Im Nordwesten werden Teile der Gouvernements
Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation
eingestufte bewaffnete Oppositionsgruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkeinahe
bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Gebiete im Norden und Nordosten entlang
der Grenze zur Türkei werden durch die Türkei und ihr nahestehende bewaffnete
Gruppierungen kontrolliert. Weitere Gebiete in Nord- und Nordost-Syrien werden durch
die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) sowie punktuell durch das
syrische Regime kontrolliert. Das Assad-Regime hat wiederholt öffentlich erklärt, dass die
militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes weiterhin sein erklärtes Ziel sei
(AA 4.12.2020).
Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben,
besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA
4.12.2020). Dies gilt auch für vermeintlich friedlichere Landesteile im äußersten Westen
Syriens sowie die Hauptstadt Damaskus (AA 19.5.2020).
43% der besiedelten Gebiete Syriens gelten als mit Minen und Fundmunition
kontaminiert. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zour sowie
zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen (AA
4.12.2020). Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen
Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes (DIS/DRC 2.2019). An Orten wie den
Provinzen Aleppo, Dara'a, dem Umland von Damaskus, Idlib, Raqqa und Deir ez-Zour führt
die Explosionsgefahr zu Verletzungen und Todesfällen, sie schränkt den sicheren Zugang
zu Dienstleistungen ein und behindert die Bereitstellung humanitärer Hilfe. Mit Stand Juni
2020 leben 11,5 Millionen Menschen in den 2.562 Gemeinden, die in den letzten zwei
Jahren von einer Kontamination durch Minen und explosive Hinterlassenschaften des
Konflikts berichtet haben (UNMAS 6.2020).
Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens
und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS
von den oppositionellen Syrian Democratic Forces (SDF) erobert (DZ 24.3.2019). Im
Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem
U.S.-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Der IS ist zwar
zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den
Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019), und ist im
Untergrund aktiv (AA 4.12.2020). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte
der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a.
Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Schläferzellen des IS sind sowohl
im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv (FAZ 10.3.2019), sowohl in syrischen Städten als
auch in ländlichen Gebieten, besonders in den von der Regierung kontrollierten Gebieten
(DIS 29.6.2020). Im Untergrund sollen mehr als 20.000 IS-Kämpfer auf eine Gelegenheit
zur Rückkehr warten (FAZ 22.3.2019). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder
zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. Es sind zuletzt Berichte über Anschläge in
Damaskus, Idlib, Homs sowie dem Süden und Südwesten des Landes und der
zentralsyrischen Wüste bekannt geworden. Der Schwerpunkt der Anschläge liegt im
Nordosten des Landes (AA 4.12.2020). Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor
allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die
gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend
wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte von einem Sicherheitsvakuum,
das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten
aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).
Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 erneut
ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion
abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober 2019 eine Luft- und Bodenoffensive im
Nordosten Syriens ("Operation Friedensquelle") (CNN 11.10.2019; vgl. AA 19.5.2020).
Durch den Abzug der US-Streitkräfte aus Nordsyrien und die türkische Offensive und die
damit einhergehende Schwächung der kurdischen Sicherheitskräfte wurde ein
Wiedererstarken des IS befürchtet (DS 13.10.2019; vgl. DS 17.10.2019). Die USA
patrouillieren seit dem 31.10.2019 weiterhin in weiten Teilen des Nordostens (AA
4.12.2020).
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer
zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der
Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche Zivilisten und Kämpfer
berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen
Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei
denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte
lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten
angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern
auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR
1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).
Die folgende Grafik zeigt die von SNRH dokumentierte Zahl der zivilen Opfer, die von den
Konfliktparteien in Syrien im Jahr 2020 getötet wurden:
Die folgende Grafik zeigt die von SNRH dokumentierte Zahl der zivilen Opfer, die von den
Konfliktparteien in Syrien zwischen Jänner und Mai 2021 getötet wurden:
SNHR 1.6.2021
Laut Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) gab es im Jahr 2020
für die syrischen Provinzen folgende Zahlen an Vorfällen und Todesopfern:
Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen
Sekundärquellen. Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen.
Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der
ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu
verwenden (ACLED/ACCORD 25.3.2021).
Versöhnungsabkommen
Letzte Änderung: 25.06.2021
Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor
unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die
Kontrolle des Regimes bringen (STDOK 8.2017). Der Abschluss der sogenannten
"Reconciliation Agreements" folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung
wenig gemeinsam hat (ÖB 29.9.2020). Die Regierung bietet, meist nach schwerem
Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene
Bedingungen geknüpft ist (STDOK 8.2017; vgl. ÖB 29.9.2020). Diese Bedingungen
unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen (STDOK 8.2017). Sie beinhalteten oft
die Evakuierung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen
des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt,
Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB 29.9.2020). Die Wehrpflicht war bisher meist ein
zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche
Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern
stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden, oder dass sich Personen
verpflichten müssen, der Regierung z.B. für Spionage zur Verfügung zu stehen (STDOK
8.2017).
Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung
gegenüber Individuen oder Gemeinschaften werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019;
vgl. AA 4.12.2020, FIS 14.12.2018). In zuvor jahrelang von der bewaffneten Opposition
kontrollierten Gebieten berichten syrische Menschenrechtsorganisationen weiterhin von
einer Zunahme willkürlicher Befragungen und Verhaftungen durch das syrische Regime.
Zuletzt wurde nach Ablauf einer in den sog. Versöhnungsabkommen ausgehandelten
einjährigen Frist auch aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie
Dara‘a und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als
oppositionell geltender Personen oder humanitärer Helfer sowie Zwangsrekrutierungen
berichtet. Während ein Versöhnungsabkommen in einer Region geachtet wird, kann dies
bei Überquerung eines Checkpoints bereits missachtet werden, und es kann zu
willkürlichen Verhaftungen kommen (AA 4.12.2020). Berichten zufolge sind Personen in
Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst
vor Repressalien zurückhaltend, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten
(USDOS 30.3.2021).
Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien
etzte Änderung: 11.02.2021
Mit großer militärischer Unterstützung der russischen Luftwaffe und iranischer
Bodentruppen hat das Assad-Regime mittlerweile etwa zwei Drittel des Landes wieder
unter seine Kontrolle gebracht (KAS 8.2020).
Der Westen des Landes, insbesondere Tartous und Lattakia, war im Verlauf des Konflikts
vergleichsweise weniger von aktiven Kampfhandlungen betroffen (AA 19.5.2020; vgl. ÖB
29.9.2020). In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Homs und
Hama stellt sich die Sicherheitslage im September 2020 als relativ stabil dar. Im Osten der
Provinz Homs ist der sogenannte Islamische Staat (IS) aktiv. Es kommt immer wieder zu
Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee (ÖB 29.9.2020).
Aktuell kommt es in westlichen Landesteilen nur sehr vereinzelt zu militärischen
Auseinandersetzungen, vorwiegend im Grenzgebiet zwischen Lattakia und Idlib (AA
4.12.2020).
Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete
auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen
zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs
und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu
Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch
zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist (DIS/DRC 2.2019). Auch in
Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, wie im
Westen Syriens und in Damaskus, besteht laut deutschem Auswärtigen Amt weiterhin ein
hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 4.12.2020). Dies betrifft
u.a. Verschwindenlassen, Entführungen und willkürliche Verhaftungen durch
Sicherheitsdienste oder Milizen (AA 19.5.2020; vgl. UNHRC 14.8.2020).
In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt
Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges (DP
1.4.2018). Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die
Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für
beendet erklärt (DS 15.4.2018; vgl. SD 12.4.2018). Ende Mai 2018 zogen sich die letzten
Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre
Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen
(Spiegel 21.5.2018; vgl. ISW 1.6.2018). Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus
und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert (DIS/DRC 2.2019). Anfang des
Jahres 2020 kam es in Damaskus und Damaskus-Umland zu wiederholten Anschlägen, bei
denen bestimmte Personen (Zivilisten oder Militärpersonal) mittels Autobomben ins Visier
genommen wurden (TSO 10.3.2020).
Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den
iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch. Diese
wurden 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet (ÖB 29.9.2020). Im August
2020 griffen israelische Flugzeuge wieder militärische Ziele im Süden Syriens an, als
Vergeltung für einen Angriff auf die israelisch besetzten syrischen Golanhöhen (BBC
4.8.2020; vgl. FAZ 4.8.2020). Auch Anfang September wurde über Angriffe der israelischen
Luftwaffe auf Posten der Armee sowie pro-iranischer Milizen in Damaskus und im Süden
des Landes berichtet (DS 1.9.2020). Das israelische Militär führt weiterhin Luftschläge auf
iranische Stellungen und Stellungen iranischer Milizen in Syrien durch (AA 4.12.2020; vgl.
UNHCR 14.8.2020).
Provinz Deir ez-Zour / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet
Letzte Änderung: 11.02.2021
Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) war es nach Kämpfen mit der Nusra-Front und
gegnerischen arabischen Stämmen im Juli 2014 gelungen, die Provinz Deir ez-Zour fast
vollständig einzunehmen. 2017 führte die syrische Armee mit Unterstützung Russlands
und des Iran größere Militäroperationen durch, die zur Rückeroberung der Stadt Deir ez-
Zour führten. Bis Ende 2017 verlor der IS den größten Teil seines Territoriums auf der
Westseite des Euphrat. Auf der östlichen Seite des Flusses waren die Syrian Democratic
Forces (SDF) bis Anfang 2019 in heftige Kämpfe mit dem IS verwickelt. Der IS kontrollierte
damals noch ein kleines Stück Land nahe der syrisch-irakischen Grenze (EASO 5.2020). Im
März 2019 wurde das letzte vom IS gehaltene Gebiet, das Dorf Baghouz, von den SDF
eingenommen (EASO 5.2020; vgl. DZ 24.3.2019). In den Wochen davor hatten bereits
Tausende IS-Kämpfer aufgegeben und sich den SDF-Truppen gestellt. Gleichzeitig sind
mehr als 70.000 Flüchtlinge aus dem IS-Gebiet in dem von Kurden kontrollierten Lager Al-
Hol untergekommen, wo Hilfsorganisationen von einer dramatischen humanitären Lage
berichten (DZ 24.3.2019).
Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich
in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019; vgl. DIS
29.6.2020) und von denen nach wie vor eine Gefahr ausgeht (FAZ 22.3.2019; vgl. AA
4.12.2020). Schläferzellen des IS sind in Syrien weiterhin aktiv, sowohl in syrischen Städten
als auch in ländlichen Gebieten, und besonders in den von der Regierung kontrollierten
Gebieten (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu (AA
4.12.2020)
Das Gebiet von Deir ez-Zour gilt als Kerngebiet der IS-Aktivität in Syrien, vor allem die
Gebiete im Süden von Bosaira in Richtung Diban (BBC 27.10.2019). Im ersten Quartal 2020
fanden die meisten Anschläge des IS in der Region Deir ez-Zour statt, vor allem in Deir ez-
Zour-Stadt und den umliegenden Gebieten (DIS 29.6.2020).
Mit Stand März 2020 steht der östlich des Euphrats gelegene Teil der Provinz Deir ez-Zour
unter der Kontrolle der SDF. Ein anderer Teil der Provinz steht unter Kontrolle der
syrischen Armee. Die USA haben, trotz ihrer ursprünglichen Pläne, sich aus dem
Nordosten Syriens zurückzuziehen, beschlossen, rund 500 Soldaten in Deir ez-Zour
stationiert zu lassen. Vor dem Hintergrund der Eroberung des ehemals vom IS
kontrollierten Gebiet sowohl durch die syrischen Regierungstruppen als auch durch die
SDF gibt es Berichte über zunehmende Spannungen zwischen den Bewohnern dieser
Gebiete und den sie kontrollierenden Kräften (EASO 5.2020).
Rechtsschutz / Justizwesen
Gebiete unter der Kontrolle des syrischen RegimesLetzte Änderung: 25.06.2021
Das Justizsystem Syriens besteht aus Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiösen
Gerichten sowie einem Kassationsgericht. Gerichte für Personenstandsangelegenheiten
regeln das Familienrecht (SLJ 5.9.2016). 2012 wurde in Syrien ein Anti-Terror-Gericht
(Counter Terrorism Court – CTC) eingerichtet. Dieses soll Verhandlungen aufgrund
"terroristischer Taten" gegen Zivilisten und Militärpersonal führen, wobei die Definition
von Terrorismus im entsprechenden Gesetz sehr weit gefasst ist (SJAC 9.2018). Zahlreiche
Berichte kritisieren das CTC und die Militärgerichte wegen Mängeln bezüglich eines fairen
Verfahrens (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 4.3.2020). Die Verhandlungen sollen als Beweise oft
nur unter Folter erzwungene Geständnisse enthalten (USDOS 11.3.2020) und
Militärgerichte können beispielsweise die Bestellung eines Rechtsanwaltes verweigern
(EIP 6.2019). Die Richter der Militärgerichte sind zudem weder unparteiisch noch
unabhängig, da sie der militärischen Befehlskette unterstehen (FH 4.3.2020). Formal
existieren Einspruchsmöglichkeiten bei Entscheidungen von Zivilgerichten. De facto ist
dies jedoch schwierig, bei sicherheitsrelevanten Anklagen – insbesondere Terrorismus oder
Spionagevorwürfen – sogar unmöglich (BS 29.4.2020).
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden üben auf die Gerichte
jedoch oft politischen Einfluss aus. Staatsanwälte und Strafverteidiger sind oft Gegenstand
von Einschüchterung und Misshandlung. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem
Kontext scheinen schon vorbestimmt zu sein (USDOS 30.3.2021). Das Justizsystem in
Syrien kann nicht als unabhängig und transparent angesehen werden. Es steht unter der
Kontrolle der Exekutivgewalt und ihrer Zweige (ÖB 29.9.2020; vgl. AA 4.12.2020), und
Richter und Staatsanwälte müssen im Grunde genommen der Ba'ath-Partei angehören
und sind in der Praxis der politischen Führung verpflichtet (FH 4.3.2020).
In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist eine Diskrepanz zwischen dem
geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze in der Praxis. Die in den
letzten Jahren noch angewachsene und weit verbreitete Korruption hat diese Diskrepanz
noch zusätzlich verstärkt (ÖB 29.9.2020). Die Unabhängigkeit der syrischen Justiz war
bereits vor dem Aufstand mangelhaft. Der Aufstand und der bewaffnete Konflikt in Syrien
gehen mit massiver Repression, grassierender Korruption und einer Politisierung des
Gerichtswesens und der Justiz durch die Regierung einher. Mittlerweile sind syrische
Gerichte, ganz gleich ob Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit, korrupt, nicht
unabhängig, und werden für politische Zwecke missbraucht. In keinem Teil Syriens gibt es
Rechtssicherheit oder verlässlichen Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher
Verhaftung und Folter (AA 4.12.2020). Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt,
wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der
Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche
zivile Kontrolle operieren können (ÖB 29.9.2020; vgl. BS 29.4.2020). Innerhalb der
Sicherheitsdienste ist der Luftwaffennachrichtendienst dafür bekannt, der geringsten
Kontrolle zu unterliegen (BS 29.4.2020).
Die Verfassung sieht das Recht auf ein unabhängiges Gerichtsverfahren vor. Die Justiz
setzt dieses Recht im Allgemeinen nicht durch. Regierungsbehörden verhafteten
Zehntausende Menschen, u.a. Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, religiöse Führer
sowie Mitarbeiter von NGOs, Hilfsorganisationen und medizinischen Einrichtungen ohne
diesen Zugang zu einem fairen öffentlichen Verfahren zu garantieren. Berichten zufolge
werden Verdächtige auch ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) und für
überlange Zeit festgehalten. Bei Vorwürfen, welche die nationale Sicherheit betreffen,
wird häufig von geheimen Verhaftungen berichtet (USDOS 30.3.2021).
Die Verwaltung in den von der Regierung kontrollierten Gebieten arbeitet in
Routineangelegenheiten mit einer gewissen Zuverlässigkeit, vor allem in
Personenstandsangelegenheiten (AA 4.12.2020). Die religiösen Gerichte behandeln das
Familien- und Personenstandsrecht und regeln Angelegenheiten wie Eheschließungen,
Scheidungen, Erb- und Sorgerecht (IA 7.2017). Hierbei sind Scharia-Gerichte für
sunnitische und schiitische Muslime zuständig. Drusen, Christen und Juden haben ihre
eigenen gerichtlichen Strukturen. Für diese Gerichte gibt es auch eigene
Berufungsgerichte (SLJ 5.9.2016). Manche Personenstandsgesetze wenden die Scharia
unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten an (USDOS 30.3.2021).
Es gibt Möglichkeiten zur Rückforderung von Wohnungs-, Land- und Eigentumsrechten.
Das syrische Regime erschwert die Inanspruchnahme von Rechtsbeistand und Beratung in
diesem Bereich jedoch, indem es die hierfür zugelassenen Rechtsanwälte einer
Sicherheitsüberprüfung unterzieht (BS 29.4.2020).
Siehe hierzu auch Kapitel "Korruption".
Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes
Letzte Änderung: 25.06.2021
In Gebieten außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes ist die Lage von Justiz und
Verwaltung von Region zu Region und je nach den örtlichen Herrschaftsverhältnissen
verschieden (AA 4.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). In von oppositionellen Gruppen
kontrollierten Gebieten wurden unterschiedlich konstituierte Gerichte und Haftanstalten
aufgebaut, mit starken Unterschieden bei der Organisationsstruktur und beider Beachtung
juristischer Normen (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 4.12.2020, USDOS 12.5.2021). Manche
Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere folgen einem Entwurf eines
Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, das von der Arabischen Liga aus dem Jahr
1996 stammt, während wiederum andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und
Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten
sind oft sehr unterschiedlich und häufig sind diese dem Einfluss der dominanten
bewaffneten Gruppierungen unterworfen. Urteile von Scharia-Räten der Opposition
resultieren manchmal in öffentlichen Hinrichtungen, ohne dass Angeklagte Berufung
einlegen oder Besuch von ihren Familien erhalten könnten (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der
Arabischen Republik Syrien,
https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/6
84542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C
3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020)
,_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
USDOS – United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on
International Religious Freedom – Syria,
https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html , Zugriff 10.6.2021
USDOS – United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on
Human Rights Practices 2020 – Syria,
https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021
USDOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on
Human Rights Practices 2019 – Syria,
https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html , Zugriff 22.7.2020
Gebiete unter kurdischer KontrolleLetzte Änderung: 25.06.2021
Die kurdischen Behörden setzen in den von ihnen kontrollierten Gebieten einen
Rechtskodex, basierend auf einer "Sozialcharta", durch. In Berichten wird diese
"Sozialcharta" beschrieben als eine Mischung aus syrischem Straf- und Zivilrecht mit
Gesetzen, die sich in Bezug auf Scheidung, Eheschließung, Waffenbesitz und
Steuerhinterziehung an europäischem Recht orientieren. Allerdings fehlen gewisse
europäische Standards für faire Verfahren, wie das Verbot willkürlicher Festnahmen, das
Recht auf gerichtliche Überprüfung und das Recht auf einen Anwalt. Das Justizsystem in
den kurdisch kontrollierten Gebieten besteht aus Gerichten, Rechtskomitees und
Ermittlungsbehörden (USDOS 30.3.2021). Es wurde eine von der kurdischen Partei der
Demokratischen Union (PYD) geführte Verwaltung geschaffen, die neben diesen
Rechtsinstitutionen auch eine eigene Polizei, Gefängnisse und Ministerien umfasst (AI
12.7.2017). Die in den Gebieten unter kurdischer Kontrolle geschaffenen Institutionen
erscheinen zwar fortschrittlicher als jene des syrischen Regimes, sind in der Realität
allerdings nicht demokratisch und stehen unter der strikten Kontrolle der PYD (BS
29.4.2020; vgl. FH 4.3.2020).
Die kurdischen Behörden haben den sogenannten "Defense of the People Court"
eingerichtet, der über ehemalige Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates in
kurdischer Gefangenschaft urteilen soll. Das Gericht wird jedoch weder von den syrischen
Behörden noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt. Die Höchststrafe, die
dieses Gericht verhängt, ist eine lebenslange Freiheitsstrafe, wobei es sich de facto um
eine zwanzigjährige Haftstrafe handelt. Gerichtsurteile werden bei guter Führung, oder
wenn sich der Angeklagte selbst den kurdischen Behörden gestellt hat, gemildert. Diese
"mildere Vorgehensweise" hat zum einen den Zweck, der arabischen
Mehrheitsbevölkerung Ost-Syriens, die den kurdischen Machthabern misstraut, guten
Willen zu zeigen, zum anderen soll dadurch die Regierungskompetenz hervorgehoben und
internationale Legitimität gewonnen werden. Das System weist jedoch auch gravierende
Mängel auf, so haben die Angeklagten keinen Zugang zu einem Verteidiger und es gibt
keine Möglichkeit, Berufung einzulegen (Ha'aretz 8.5.2018).
Juristen, welche unter dem Justizsystem von Rojava agieren, werden von der syrischen
Regierung beschuldigt, eine illegale Justiz geschaffen zu haben. Richter und
Justizmitarbeiter sehen sich mit Haftbefehlen der syrischen Regierung konfrontiert,
verfügen über keine Pässe und sind häufig Morddrohungen ausgesetzt (JS 28.10.2019).
Im März 2021 einigten sich Repräsentanten von kurdischen, jezidischen, arabischen und
assyrischen Stämmen im Nordosten Syriens auf die Einrichtung eines
Stammesgerichtssystems, bekannt als Madbata, für die Klärung von intertribalen
Streitigkeiten, Raubüberfällen, Rache und Plünderungen in der Jazira Region in der Provinz
Hassakah. Es besteht aus einer Reihe von Gesetzen und Bräuchen, die als Verfassung
dienen, die die Stammesbeziehungen regeln und die Anwendung dieser Gesetze
überwachen, auf die sich eine Gruppe von Stammesältesten geeinigt hat. In der Jazira
wurde wieder auf dieses traditionelle Rechtssystem zurückgegriffen, aufgrund von
schlechten Sicherheitsbedingungen und dem Fehlen einer effektiven und unparteiischen
Justiz (Al-Monitor 4.4.2021).
Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen
Letzte Änderung: 25.06.2021
Die Regierung hat zwar die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und
Staatssicherheitskräfte, jedoch nur beschränkten Einfluss auf ausländische militärische
oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, die mit dem Iran verbündete
Hizbollah und die iranischen Islamischen Revolutionsgarden (USDOS 30.3.2021). Der
Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen
und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des
Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen
definierten Beschränkungen (AA 4.12.2020).
Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weit verbreitetes Problem (USDOS
30.3.2021; vgl. BS 29.4.2020). Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann
im Fall von Verbrechen von Militäroffizieren, Mitgliedern der internen Sicherheitskräfte
oder Zollpolizeioffizieren im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten einen Haftbefehl
ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden (USDOS
11.3.2020). In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von
Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlung bekannt. Es gibt auch keine
Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch
die Sicherheitskräfte zu verbessern (USDOS 30.3.2021). Die Sicherheitskräfte operieren
unabhängig und im Allgemeinen außerhalb der Kontrolle des Justizwesens (USDOS
11.3.2020). In keinem Teil des Landes besteht ein umfassender und langfristiger Schutz
vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste,
Milizen und sonstige regimenahe Institutionen (AA 19.5.2020).
Russland, Iran, die libanesische Hizbollah (KAS 4.12.2018a; vgl. DW 20.5.2020) und
Einheiten mit irakischen Kämpfern unterstützen die syrische Regierung, unter anderem
mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte (KAS 4.12.2018a).
Es ist schwierig Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder
regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden,
weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft nach Einsätzen organisiert („taskorganized“) sind oder aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten
zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an
einem bestimmten Einsatzort (z.B. einer Brigade), wobei die genannte Einheit aus Teilen
mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit
Kämpfe um die lokale Vorherrschaft unter den verschiedenen Sicherheitsakteuren
(Offiziere, Soldaten, Miliz-Kämpfer und lokale Polizei) des Regimes sind eskaliert und
haben zu gegenseitigen Verhaftungen von Personal, offenen Zusammenstößen und
Gewalt geführt (TWP 30.7.2019).
Anm.: In den folgenden Unterkapiteln werden einige wichtige Gruppen, Einheiten, Milizen
und Sicherheitsbehörden, die auf der Seite der Regierung zum Einsatz kommen,
beschrieben. Dies stellt jedoch keine abschließende Aufstellung dar.
Streitkräfte
Letzte Änderung: 16.12.2020
Die syrischen Streitkräfte (Syrian armed forces - SAF) bestehen aus dem Heer, der Marine,
der Luftwaffe, den Luftabwehrkräften und den National Defense Forces (NDF) . Vor dem
Konflikt sollen die SAF eine Mannstärke von geschätzt 300.000 Personen gehabt haben
(CIA 12.8.2020). Der Aufbau der SAF basiert auf dem sogenannten Quta‘a-System [arab.
Sektor, Landstück]. Hierbei wird jeder Division (firqa) ein bestimmtes Gebiet (quta‘a)
zugeteilt. Mit diesem System wurde in der Vergangenheit verhindert, dass Offiziere
überlaufen. Gleichzeitig gaben die SAF dem Divisionskommandeur für den Fall eines
Zusammenbruchs der Kommunikation oder für Notfälle freie Hand über dieses Gebiet.
Dadurch kann der Präsident den Einfluss einzelner Divisionskommandeure einschränken,
indem er sie gegeneinander ausspielt (CMEC 14.3.2016).
Die syrische Armee war der zentrale Faktor für das Überleben des Regimes während des
Bürgerkriegs. Im Laufe des Krieges hat ihre Kampffähigkeit jedoch deutlich abgenommen
(CMEC 26.3.2020a). Im Zuge des Konfliktes hat das Regime loyale Einheiten in größere
Einheiten eingegliedert, um eine bessere Kontrolle ausüben und ihre Effektivität im Kampf
verbessern zu können (ISW 8.3.2017). Die syrische Regierung arbeitet daran, Milizen zu
demobilisieren oder sie in ihre regulären Streitkräfte zu integrieren (CIA 12.8.2020).
Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste, PolizeiLetzte Änderung: 25.06.2021
Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte
Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen (USDOS 30.3.2021). Das Innenministerium
kontrolliert vier verschiedene Abteilungen der Polizei: Notrufpolizei, Verkehrspolizei,
Nachbarschaftspolizei und Bereitschaftspolizei ("riot police") (USDOS 13.3.2019).
Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste: den Militärischen
Nachrichtendienst, den Luftwaffennachrichtendienst, das Direktorat für Politische
Sicherheit und das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat (USDOS 30.3.2021; vgl. EIP
6.2019). Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb
des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken oppositionelle
Stimmen innerhalb Syriens (GS 11.2.2017). Jeder Geheimdienst unterhält eigene
Gefängnisse und Verhöreinrichtungen, bei denen es sich de facto um weitgehend
rechtsfreie Räume handelt. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle im Zuge
des Konfliktes verteidigt oder sogar weiter ausgebaut (AA 4.12.2020). Innerhalb der
Sicherheitsdienste ist bekannt, dass die Nachrichtendienste der Luftwaffe am wenigsten
einer Kontrolle unterliegen und mit der geringsten Zurückhaltung agieren (BS 29.4.2020).
Vor 2011 war die vorrangige Aufgabe der Nachrichtendienste die syrische Bevölkerung zu
überwachen. Seit dem Beginn des Konfliktes nutzt Assad den Sicherheitssektor, um die
Kontrolle zu behalten. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und
exekutierten politische Gegner sowie friedliche Demonstranten. Um seine Kontrolle über
die Sicherheitsdienste zu stärken, sorgte Assad künstlich für Feindschaft und Konkurrenz
zwischen ihnen. Um die Loyalität zu sichern, wurde einzelnen Behörden bzw. Beamten die
Kontrolle über alle Bereiche des Staatswesens in einem bestimmten Gebiet überlassen,
was für diese eine enorme Geldquelle darstellt (EIP 6.2019).
Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe an Techniken, um Bürger einzuschüchtern oder
zur Kooperation zu bringen. Diese Techniken beinhalten im besten Fall Belohnungen,
andererseits jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikanen
von Individuen und/oder deren Familienmitgliedern, Verhaftungen, Verhöre oder die
Androhung von Inhaftierung. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten
spezielle Aufmerksamkeit von den Sicherheitskräften, aber auch ganz im Allgemeinen
müssen Gruppen und Individuen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen (GS
11.2.2017; vgl. USDOS 30.3.2021).
Der Sicherheitssektor übt eine allgegenwärtige Kontrolle über die Gesellschaft (sowohl
informell als auch formell) aus. Festnahmen und Inhaftierungen werden genutzt, um
Informationen zu erhalten, jene, die als illoyal gesehen werden, zu bestrafen, und um Geld
für die Freilassung der Inhaftierten zu erpressen (EIP 6.2019).
In jüngster Zeit hat das syrische Regime seine Sicherheitsdienste umgebaut, indem es
neue "Loyalisten" in leitende Sicherheitspositionen berufen hat. Es handelt sich um bisher
unbekannte Personen, die sich durch ihre Rolle bei der Eskalation der Gewalt nach 2011
einen Namen machten, und gegen die das Regime in Form von Korruptionsakten
erhebliche Druckmittel besitzt. Es zeigt sich außerdem grundsätzlich eine breitere
Dynamik der russisch-iranischen Konkurrenz um die Gestaltung der syrischen
Sicherheitslandschaft (Clingendael 5.2020).
Regierungstreue Einheiten, ausländische Kämpfer, russischer und iranischer Einfluss
Letzte Änderung: 25.06.2021
Die National Defence Forces (NDF) sind eine Dachorganisation für verschiedene Pro-
Regime-Milizen und wurden aus sogenannten Volkskomitees gegründet (FIS 14.12.2018).
Der Iran und die libanesische Hizbollah spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der
NDF nach dem Vorbild der iranischen paramilitärischen Basij-Einheiten (ISW 8.3.2017; vgl.
JTF 24.3.2017, CMEC 26.3.2020a). Die NDF sind nicht Teil der syrischen Armee, aber
offiziell als "Verbündete", als legitime Institutionen anerkannt, die Waffen tragen dürfen
und zudem operative und logistische Unterstützung durch die syrische Armee erhalten.
Die regierungstreuen Milizen stellen für die Regierung jedoch auch eine Konkurrenz dar,
z.B. im Zusammenhang mit der Rekrutierung, da die Milizen teilweise über bessere
Finanzierung verfügen und somit höheren Sold bezahlen können. Manche der
bewaffneten Gruppen kritisieren die syrische Regierung und ihre Geheimdienste auch
vergleichsweise offen (FIS 14.12.2018). Die regierungsnahen Milizen stellen mittlerweile
selbst eine Bedrohung der staatlichen Souveränität dar, da sie an Größe, Anzahl und
Einfluss gewonnen haben (CMEC 26.3.2020a).
Pro-Regime Milizen wie die NDF üben ähnliche Aufgaben wie andere regimenahe Kräfte
aus, wobei ihre Kompetenzen nicht klar definiert sind (USDOS 30.3.2021). Milizen, die von
der libanesischen Hizbollah und den iranischen Quds-Brigaden eingerichtet wurden, treten
als nahezu unabhängige Organe auf (JTF 26.6.2020; vgl. CMEC 26.3.2020a).
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Unterstützung mit
fortschrittlichen Waffentechnologien, Spezial- und Lufteinheiten, sowie die ausgeweitete
Bodenintervention Irans konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes
abwenden (KAS 4.12.2018b). Das Eingreifen Russlands, Irans und der Hizbollah sind seit
2011 jedoch auch die wichtigste Quelle für die Erosion von Autonomie und Souveränität
des syrischen Regimes, und dieses ist weiterhin abhängig von der politischen und
militärischen Unterstützung Russlands und Irans (Clingendael 5.2020).
Iran und Russland unterstützen jeweils unterschiedliche Einheiten bzw. Akteure des
syrischen Sicherheitssektors (TWP 30.7.2019). Russland fokussiert vor allem auf den
Aufbau von staatlichen Institutionen, während der Iran auch Einfluss außerhalb syrischer
staatlicher Institutionen ausübt (Clingendael 5.2020; vgl. CMEC 26.3.2020a).
Russland ist besonders in die Reform der syrischen Streitkräfte involviert (CMEC
26.3.2020c). Im Oktober 2015 wurde das sogenannte Vierte Korps (Fourth Storming
Corps/Fourth Assault Corps) und im November 2016 das Fünfte Korps (Fifth Storming
Corps/Fifth Assault Corps) gegründet (Kozak 3.2018). Ähnlich wie die NDF sollten auch
diese beiden Einheiten Strukturen bieten, in denen regierungstreue Milizen integriert und
so unter die Kontrolle der Regierung gebracht werden können (CEIP 12.12.2018; vgl. TWP
30.7.2019). Das Vierte und das Fünfte Korps wurden jeweils mit russischer Unterstützung
gegründet (CMEC 26.3.2020a). In das Vierte Korps wurden neben Einheiten aus den
syrischen Streitkräften auch irreguläre Einheiten aus NDF-Mitgliedern und Wehrpflichtigen
aus Lattakia aufgenommen (CMEC 26.3.2020b). Das Fünfte Korps besteht ausschließlich
aus Freiwilligen, einerseits aus verschiedenen Einheiten der syrischen Armee, andererseits
vor allem aber aus irregulären Einheiten wie den NDF oder loyalen Ba'ath-Bataillonen.
Rekrutiert wurde in ganz Syrien. 2018 wurden auch ehemalige Rebellen aus der Provinz
Dara’a in das Fünfte Korps integriert. Zu Beginn oblag das Kommando vollständig dem
russischen Militär, mittlerweile haben russische Berater weniger Einfluss (CMEC
26.3.2020b).
Die traditionelle Strategie Teherans besteht darin, parallele nichtstaatliche
Militärstrukturen zu schaffen und zu entwickeln, die dem syrischen Staat nicht direkt
unterstellt und dem Iran gegenüber loyaler sind als dem syrischen Zentralkommando
(CMEC 26.3.2020a). Das syrische Regime hat während des Konflikts ausländische
schiitische Milizen eingesetzt, die vor allem vom Iran getragen werden (CMEC 26.3.2020a).
Die iranische Koalition besteht aus iranischen Kämpfern (Teileinheiten aus dem Islamic
Revolutionary Guard Corps und Mitgliedern der regulären iranischen Streitkräfte –
sogenannte "Artesh"-Kämpfer) und ausländischen Kämpfern (ISW 8.3.2017), darunter
Pakistanis und Afghanen (KAS 4.12.2018b; vgl. CMEC 26.3.2020a). Iranische Offiziere
unterstützen Einheiten der syrischen Armee, regierungstreue Milizen, die Hizbollah und
irakische schiitische Milizen bei der Planung und Koordination von Einsätzen. Die
afghanischen und pakistanischen Kämpfer werden von den iranischen Einheiten rekrutiert,
ausgebildet, versorgt und ihre Führung im Kampf wird von iranischer Seite organisiert (KAS
4.12.2018b; vgl. CMEC 26.3.2020a).
Hochrangige syrische Funktionäre erlebten durch die iranische und russische Dominanz
einen Machtverlust, der wiederholt zu Spannungen in der iranisch-russisch-syrischen
Militärkooperation führte (KAS 4.12.2018b). Im Zuge dessen kam es auch zu Säuberungen,
Exekutionen und Versetzungen von niederrangigen oder auch höherrangigen syrischen
Offizieren, die sich gegen die Ausweitung des iranischen Einflusses wehrten (ISW
8.3.2017). 2017 und vor allem 2018 standen sich die verschiedenen Unterstützer des
syrischen Regimes immer stärker konfrontativ gegenüber. Im Juni 2018 kam es
beispielsweise zu einer offenen Konfrontation zwischen Hizbollah und syrischen Truppen
unter russischer Führung, im Januar 2019 zu Kämpfen zwischen dem Vierten und dem
Fünften Korps der syrischen Armee in der Provinz Hama (BS 29.4.2020; vgl. TWP
30.7.2019).
Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 28.06.2021
Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame oder erniedrigende Behandlungen oder
Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für
Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Regimebehörden in Tausenden Fällen solche
Praktiken an (USDOS 30.3.2021). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und
Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021,
USDOS 30.3.2021, AA 4.12.2020). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere
gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen
werden (AA 4.12.2020).
NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen
physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten
begehen (USDOS 30.3.2021; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller
Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung
nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen
werden (USDOS 30.3.2021). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen
Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von
Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich
wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 4.12.2020).
Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod
von Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser,
Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese
Bedingungen waren so durchgängig, dass die Untersuchungskommission der Vereinten
Nationen zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik (USDOS 30.3.2021). Laut
Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten
Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte
Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre
Einrichtungen festhalten werden (USDOS 30.3.2021; vgl. SHRC 24.1.2019). Die Regierung
hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt
(„incommunicado“) fest (USDOS 30.3.2021). Von Familien von Häftlingen wird Geld
verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden,
was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die
Freilassung von Gefangenen zu erwirken (MOFANL 7.2019).
In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen
und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und
Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden
Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach
Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses
Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen.
Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder
um sie im Zuge eines "Freilassungsabkommens" auszutauschen (SHRC 24.1.2019).
Seit 2018 wurden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch
erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde,
wenn auch unter Angabe unspezifischer Todesursachen (Herzversagen, Schlaganfall etc.).
Berichten zufolge sind die Todesfälle auf Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung
und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötungen zurückzuführen (AA
20.11.2019; vgl. SHRC 24.1.2019). Die meisten der auch im Jahr 2020 bekannt gegebenen
Todesfälle betreffen Inhaftierte aus den vergangenen neun Jahren, wobei das Regime ihre
Familien erst in den Folgejahren über ihren Tod informiert. Obwohl die Todesfälle in der
Vergangenheit eingetreten sind, gibt das Regime diese nur nach und nach bekannt. 2020
lag die Rate bei etwa 17 Personen pro Monat. In den meisten Fällen werden die Familien
der Opfer nicht direkt über ihren Tod informiert, da der Sicherheitsapparat nur den Status
der Inhaftierten im Zivilregister ändert und die Familien aktiv im Melderegister suchen
müssen, um den Verbleib ihrer Verwandten zu erfahren (SHRC 1.2021). Die syrische
Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien (HRW
14.1.2020).
Zehntausende Menschen sind weiterhin in willkürlicher Haft, darunter humanitäre Helfer,
Anwälte, Journalisten und friedliche Aktivisten (AI 7.4.2021). In Gebieten, die unter der
Kontrolle der Opposition standen und von der Regierung zurückerobert wurden, darunter
Ost-Ghouta, Dara'a und das südliche Damaskus, verhafteten die syrischen
Sicherheitskräfte Hunderte von Aktivisten, ehemalige Oppositionsführer und ihre
Familienangehörigen, obwohl sie alle Versöhnungsabkommen mit den Behörden
unterzeichnet hatten, in denen garantiert wurde, dass sie nicht verhaftet würden (HRW
14.1.2020).
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in
den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes,
sondern waren bereits seit der Ära von Hafez al-Assad gängige Praxis der
unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC
24.1.2019).
Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von
Inhaftierten beschuldigt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Opfer sind vor allem
(vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden
bewaffneten Gruppen (USDOS 30.3.2021). Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen
der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von
willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung (USDOS 11.3.2020).
Auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) nutzten in ihren Haftanstalten Folter, um
Geständnisse zu erhalten, wobei die Folter oft aus Rache und basierend auf ethnischen
Vorurteilen durchgeführt wurde. Der Menschenrechtsmonitor, Syrian Network for Human
Rights, konnte im Jahr 2020 zumindest 14 Todesfälle aufgrund von Folter und fehlendem
Zugang zu medizinischer Versorgung in den Haftanstalten der SDF dokumentieren (SNHR
26.1.2021).
Korruption
Letzte Änderung: 28.06.2021
Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International für das Jahr 2020 liegt
Syrien mit einer Bewertung von 14 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean)
auf Platz 178 von 180 untersuchten Ländern (je höher der Rang desto schlechter) (TI
28.1.2021).
Korruption war bereits vor dem Bürgerkrieg weit verbreitet, beeinflusste das tägliche
Leben der Syrer (FH 1.2017) und wurde im Laufe des Konfliktes noch viel schlimmer (BS
29.4.2020). Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für amtliche Korruption vor,
die Regierung setzt diese jedoch nicht effektiv durch. Beamte üben häufig korrupte
Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist weiterhin ein
allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Migrationsbehörden und in der
Regierung (USDOS 30.3.2021).
Mitglieder und Verbündete des Regimes sollen einen Großteil der syrischen Wirtschaft
besitzen oder kontrollieren. Der Bürgerkrieg hat neue Möglichkeiten für Korruption in der
Regierung, den regierungstreuen Streitkräften und im Privatsektor geschaffen. Auch
sicherte sich die Regierung durch die Bevorzugung bestimmter Firmen und Vergabe von
vorteilhaften Verträgen etc. Loyalität, auch von ausländischen Verbündeten wie Russland
oder Iran. Sogar grundlegende staatliche Dienstleistungen und humanitäre Hilfe sind von
der demonstrierten Loyalität der Gemeinde zum Assad-Regime abhängig (FH 2021).
Die Mitgliedschaft in der Ba'ath-Partei oder enge familiäre Beziehungen zu einem
prominenten Parteimitglied oder einem mächtigen Regimebeamten helfen beim
wirtschaftlichen, sozialen und bildungsmäßigen Aufstieg. Partei- oder
Regimeverbindungen erleichterten die Zulassung zu besseren Schulen, den Zugang zu
lukrativen Arbeitsplätzen und den Aufstieg und die Macht innerhalb der Regierung, des
Militärs und der Sicherheitsdienste. Das Regime reservierte bestimmte prominente
Positionen, wie z. B. Gouverneursposten in den Provinzen, ausschließlich für Mitglieder
der Ba'ath-Partei (USDOS 30.3.2021). Korruption hat als Instrument der
Regierungsführung an Bedeutung gewonnen, um Unterstützung zu gewinnen (BS
29.4.2020).
Bewegungseinschränkungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie schufen
2020 noch mehr Möglichkeiten für Korruption, da diejenigen, die es sich leisten konnten,
Bestechungsgelder an Beamte und Sicherheitskräfte zahlten, um die Regeln zu umgehen
(FH 2021).
Personen in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, die versuchen, offizielle
Korruption aufzudecken oder zu kritisieren, zum Beispiel in den sozialen Medien, sehen
sich Repressalien ausgesetzt, einschließlich Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis und
Inhaftierung (FH 2021).
In der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung Ranghöherer (FIS
14.12.2018), etwa um eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten, einen
Einsatz an der Frontlinie zu vermeiden oder überha
Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 16.12.2020
Anm.: In den folgenden Kapiteln kann aufgrund der Vielzahl an bewaffneten Gruppen nur
auf die Rekrutierungspraxis eines Teils der Organisationen eingegangen werden.
Darin wird der Begriff „Militärdienst“ als Überbegriff für Wehr- und Reservedienst
verwendet. Wo es die Quellen zulassen, wird versucht klar zwischen Wehr- und
Reservedienst bzw. zwischen Desertion und Wehrdienstverweigerung zu unterscheiden.
Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedenste Organisationen
Letzte Änderung: 28.06.2021
Einige Quellen berichten, dass Regierungseinheiten, Pro-Regime-Milizen, bewaffnete
nichtstaatliche Gruppen, inklusive der Freien Syrischen Armee (FSA) und mit dieser
verbündete Gruppen, kurdische Einheiten und islamistische Gruppen Minderjährige als
Kindersoldaten rekrutieren (USDOS 25.6.2020; vgl. UNGASC 9.6.2020; AA 4.12.2020).
Andere Quellen berichten jedoch davon abweichend, dass es zwar Minderjährige gibt, die
in den Rängen von regierungstreuen Milizen, der FSA und des bewaffneten Arms der
kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) kämpfen, jedoch die syrische Armee
keine Minderjährigen rekrutiert oder einsetzt (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018, ÖB
29.9.2020). Gemäß einer Quelle wurden manche regierungstreue Milizen, welche
Minderjährige rekrutierten, zwischen 2015 und 2019 Teil der syrischen Armee. Die PYD
soll Zwangsrekrutierungen von Männern unter 18 Jahren durchgeführt haben, allerdings
nicht systematisch (DIS 5.2020).
Der Sicherheitsrats der Vereinten Nationen konnte für den Berichtszeitraum 1.7.2018 -
30.6.2020 die Rekrutierung von insgesamt 1.423 Kindern verifizieren. Demnach wurden in
der zweiten Hälfte des Jahres 2018 274, im Jahr 2019 837 und in der ersten Hälfte von
2020 312 Kinder rekrutiert. Etwa 1.388 der Kinder (98%) dienten in einer Kampfrolle.
Rekrutierungen durch zumindest 25 Konfliktparteien konnten verifiziert werden, darunter
Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS, 507), die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG, 318)
und kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ, 99) unter dem Schirm der Syrian
Democratic Forces (SDF), die syrischen bewaffneten Oppositionsgruppen vormals bekannt
als Freie Syrische Armee (FSA, 328) Ahrar ash-Sham (55) und Nur al-Din al-Zanki (11), die
jetzt nominell unter dem Schirm der oppositionellen Syrian National Army (SNA)
operieren, andere SDF-Einheiten (37), die internen Sicherheitskräfte (34),
Regierungseinheiten (13), regierungstreue Milizen (10), der sogenannte Islamische Staat
(IS, 6), die Afrin Liberation Forces (3) und unidentifizierte bewaffnete Gruppen (2). Die
Rekrutierung und der Einsatz von Kindern wurde in 11 von 14 Provinzen verifiziert, wobei
73% der Fälle im Nordwesten (Idlib, Aleppo und Hama) und 26% im Nordosten Syriens
(Raqqa, Hassakah und Deir ez-Zour) passierten (UNSC 23.4.2021).
Jabhat an-Nusra und der sogenannte Islamische Staat (IS) haben Kinder als menschliche
Schutzschilde, Selbstmordattentäter, Scharfschützen und Henker eingesetzt. Bewaffnete
Gruppen setzen Minderjährige auch als Zwangsarbeiter oder Informanten ein, was diese
dem Risiko von Vergeltungsakten oder extremen Bestrafungen aussetzt. Manche
bewaffnete Gruppen, die auf Seiten der syrischen Regierung kämpfen, rekrutieren Kinder,
nicht älter als sechs Jahre alt (USDOS 25.6.2020).
Im September 2018 erließen die großteils kurdischen SDF einen Befehl, der die
Rekrutierung von Minderjährigen verbietet und vorsieht, das Alter der aktuellen
Mitglieder der SDF zu überprüfen (HRW 11.9.2018; vgl. EB 7.12.2019). Im Jahr 2019
wurden 30 rekrutierte Kinder, im Jahr 2020 (Stand Juni) bislang 51 Mädchen aus dem
Dienst der SDF entlassen (UNGASC 9.6.2020). Trotz dieser Maßnahmen gab es weiterhin
Vorfälle von Rekrutierungen Minderjähriger durch die SDF (AA 4.12.2020; vgl. EMHRM
18.9.2019).
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21.8.2020
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Letzte Änderung: 11.02.2021
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung
eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut
Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das
Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR
12.5.2007). Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen
können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 12.8.2020; vgl. FIS 14.12.2018).
Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls
der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter
palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA
13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur
Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Nach dem Ausbruch des Konfliktes stellte die syrische Regierung die Abrüstung von
Rekruten, welche den verpflichtenden Wehrdienst geleistet hatten, ein (DIS 5.2020; vgl.
ÖB 7.2019). 2018 wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen,
welche seit 2011 im Dienst waren. Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch
auch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020).
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach
Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst
als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den
aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen
einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird,
wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte,
Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für
Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen,
andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr
schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (STDOK
8.2017).
Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen
schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018). Die syrische Regierung
hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die
Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Der Personalbedarf des syrischen Militärs
bleibt unverändert hoch, und seit Dezember 2018 haben sich die Rekrutierungsbemühungen aufgrund dessen sogar noch verstärkt (AA 4.12.2020).
Während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces
(SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der
syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsieht, hat die syrische
Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen
verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt (DIS 5.2020) [Anm.: zum
Wehrdienst bei Einheiten der SDF siehe Kapitel „Die kurdischen Volksverteidigungskräfte
(YPG/YPJ)“.]
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der
Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter
erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen
Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels
Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr
Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020).
Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden
Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen.
Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren
melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen
Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung
gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS
5.2020). Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). So errichtet die Militärpolizei beispielsweise in Homs stichprobenartig und nicht vorhersehbar Straßenkontrollen. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020).
Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen
Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer
noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB
3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht,
um erneute Aufstände zu vermeiden. Weiters rekrutieren die syrischen Streitkräfte in
Lagern für Binnenvertriebene (DIS 5.2020).
Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während
Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen
fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen, bzw.
konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB
29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen
Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als von allgemeinen
Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des
Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von
Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen
Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem
Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um
Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).
Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht
mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach
Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus
überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden.
Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem
das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den
Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für
diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu
ermitteln (ICG 13.2.2020).
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74
und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die
Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet
haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst
befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP
leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des
Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine
einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die
Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht
übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet.
Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und
unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert
werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).
Befreiung und Aufschub
Letzte Änderung: 28.06.2021
Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum
Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS
5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und
Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind.
Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit
vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die
Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind
theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr
Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt
werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen,
je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür
ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).
Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die
Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich,
zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB
29.9.2020).
Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den
Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden.
Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden,
mittlerweile wird der Status der Studenten jedoch aktiv überprüft. Generell werden
Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das
Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren (STDOK
8.2017). Einem Bericht zufolge wurden gelegentlich Studenten trotz einer Befreiung bei
Checkpoints rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern im Militärdienstalter (18-42
Jahre), einschließlich registrierter Palästinenser aus Syrien, eine Gebühr zu entrichten, um
von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Diese Option gilt
jedoch nur für Personen mit Wohnsitz im Ausland. Männer, die sich mindestens vier
aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, können einen Betrag
von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (DIS 5.2020; vgl. EB
9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Für außerhalb
Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im
Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD (DIS
5.2020; vgl. AA 13.11.2018). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht
als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes
Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den
Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine
Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung
der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020). Diese
müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung
bereinigen (DIS 10.2019). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht
bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des
Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).
Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom
Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet
werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst
freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach –
trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass
Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder
verlangen könnten (DIS 5.2020).
Es gibt kein Gesetz, welches eine Befreiungsgebühr für Reservisten vorsieht. Einer Quelle
zufolge kann ein Reservist den Militärdienst umgehen, indem er den verantwortlichen
Offizier besticht, der dann registriert, dass der Reservist bereits dient (DIS 5.2020).
Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin aus Gewissensgründen
vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen
müssen (USDOS 12.5.2021). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten
Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen
regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den
Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von
Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst
eingezogen (FIS 14.12.2018).
Wehrdienstverweigerung / Desertion
Letzte Änderung: 12.02.2021
Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme Truppen
bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der
Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große
Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der
bewaffneten Opposition an oder tauchte unter (DIS 5.2020).
Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten
Haft bestraft [Anm.: die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort]. In Kriegszeiten wird
Wehrdienstverweigerung laut Gesetz mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft
(AA 4.12.2020). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die
Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines
Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo
3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl.
Landinfo 3.1.2018), was von einer Quelle mit dem Bedarf der syrischen Regierung nach
Verstärkung in Verbindung gebracht wird. Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste
Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung
inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab
(Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020).
Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche
den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine
Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres
Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020).
Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine
strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem
Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen
zu schützen (STDOK 8.2017). Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch
Deserteure (DIS 5.2020) and Wehrdienstverweigerer Ziel der umfassenden Anti-Terror-
Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS
5.2020).
Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten
zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten
aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur
wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).
Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf
Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich
ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe
Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf
bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt.
Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In
schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (STDOK 8.2017).
Unterschiedliche Quellen berichten von unterschiedlichen Konsequenzen für Deserteure
und Überläufer. Während eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen
des Krieges exekutiert wurden, habe die syrische Regierung jedoch ihre Vorgehensweise in
den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an Kräften
an der Front festgenommene Deserteure unter Umständen vor dem Militärgericht zu
kurzen Haftstrafen verurteilt. Eine andere Quelle berichtet jedoch, dass Deserteure
üblicherweise von Einheiten des syrischen Geheimdienstes inhaftiert würden, womit sie
dem Risiko von Folter und Verschwindenlassen ausgesetzt sein können. Auch berichtet
eine weitere Quelle, dass Tötungen und Exekutionen von Deserteuren weiterhin
stattfinden, zum Beispiel während der Offensive in Idlib im Jahr 2020 (DIS 5.2020).
Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high
profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere
getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018;
vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der
Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die
Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020).
In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle
der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des
Wehrdienstes getroffen (STDOK 8.2017; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge wurden solche
Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 4.12.2020; vgl. FIS
14.12.2018, DIS 5.2020). Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im
entsprechenden Alter mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue
bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch,
dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den
Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018). In ehemals von der Opposition
kontrollierten Gebieten landeten zudem einer Quelle zufolge viele Deserteure und
Überläufer, denen durch die Versöhnungsabkommen Amnestie gewährt werden sollte, in
Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).
Amnestien
Letzte Änderung: 28.06.2021
Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen,
Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die
Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst
melden (STDOK 8.2017; vgl. TIMEP 6.12.2018, SHRC 24.1.2019, AA 4.12.2020, DIS 5.2020).
Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und
Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020). Menschenrechtsorganisationen und
Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert
(STDOK 8.2017; vgl. EB 3.4.2020), sowie als bisher wirkungslos (AA 4.12.2020; vgl. DIS
5.2020) und als ein Propagandainstrument der Regierung (DIS 5.2020; vgl. EB 3.4.2020).
Im Laufe des Jahres 2019 häuften sich Berichte über Regimekräfte, die gegen frühere
Amnestievereinbarungen verstießen, indem sie Razzien und Verhaftungskampagnen
durchführten, die sich auf Zivilisten und ehemalige Angehörige bewaffneter
Oppositionsfraktionen in Gebieten konzentrierten, die zuvor Versöhnungsvereinbarungen
mit dem Regime unterzeichnet hatten (USDOS 11.3.2020; vgl. DIS 5.2020). Andererseits
berichteten Quellen auch, dass es Männer gäbe, die von den Amnestien Gebrauch
machten und nicht bestraft, sondern nur zum Wehrdienst eingezogen wurden. Einer
Quelle zufolge respektiere die syrische Regierung Amnestien nun eher als früher (DIS
5.2020).
Am 2.5.2021 erließ Präsident Assad mit Gesetzesdekret Nr. 13/2021 erneut eine
Generalamnestie, die für Verbrechen, die vor diesem Datum begangen wurden, gilt (SANA
2.5.2021a). Dabei handelt es sich bereits um die 18. Amnestie seit Ausbruch des syrischen
Bürgerkriegs im Frühjahr 2011 (SD 10.5.2021). Sie wurde kurz vor den syrischen
Präsidentschaftswahlen Ende Mai 2021 erlassen (SD 10.5.2021; vgl. Reuters 11.5.2021).
Das Dekret betrifft unterschiedliche Straftaten, darunter Straftaten in Zusammenhang mit
der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung von 2012, aber nicht jene "terroristische" Straftaten,
die Tote zur Folge hatten (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). "Terrorismus" ist ein
Begriff, mit dem die Regierung die Akticvitäten von Rebellen und oppositionellen
Aktivisten beschreibt (MEE 2.5.2021). Straftäter im Bereich Drogenhandel und Schmuggel
sowie Steuerhinterziehung können ebenfalls von der Amnestie profitieren. Auch
Deserteure können die Amnestie nutzen, wenn sie sich innerhalb von drei Monaten bei
Aufenthalt in Syrien und innerhalb von sechs Monaten bei Aufenthalt im Ausland stellen
(MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). Durch das Dekret werden Strafen gänzlich oder
teilweise erlassen, oder auch Haftstrafen durch eine Strafzahlung ersetzt (SD 10.5.2021).
[Anm: Wehrdienstverweigerung und Überlaufen zum Feind werden von dem Dekret nicht
erfasst. Die Verpflichtung zum Wehrdienst wird durch das Dekret nicht aufgehoben.]
Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und
regierungsfeindlich)
Letzte Änderung: 16.12.2020
Die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen geschieht im Allgemeinen auf
freiwilliger Basis. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den
National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS
14.12.2018; vgl. DRC/DIS 8.2017). Der soziale Druck sich diesen Gruppierungen
anzuschließen, ist jedoch stark. In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen
lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der
Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Ein weiterer Hauptgrund für
das Eintreten in diese Gruppierungen ist, dass damit der Wehrdienst in der Armee
umgangen werden kann. Die Mitglieder können so in ihren oder in der Nähe ihrer lokalen
Gemeinden ihren Einsatz verrichten und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen.
Die syrische Armee hat jedoch begonnen, diese Milizen in die Strukturen der syrischen
Armee zu integrieren (FIS 14.12.2018), indem sie Mitglieder der Milizen, welche im
wehrfähigen Alter sind, zum Beitritt in die syrische Armee zwingt (MEI 18.7.2019).
Dadurch ist es unter Umständen nicht mehr möglich, durch den Dienst in einer lokalen
Miliz die Rekrutierung durch die Armee oder den Einsatz an einer weit entfernten Front zu
vermeiden (FIS 14.12.2018). Auch aufgrund der deutlich höheren Bezahlung der
Milizmitglieder stießen die laufenden Bemühungen, Milizen in die syrische Armee zu
integrieren, auf erheblichen Widerstand (MEI 18.7.2019). Regierungstreue Milizen haben
sich außerdem an Zwangsrekrutierungen von gesuchten Wehrdienstverweigerern beteiligt
(FIS 14.12.2018).
Was die oppositionellen Milizen in Syrien betrifft, so ist die Grenze zur
Zwangsrekrutierung ebenfalls nicht klar. Die Frage ist, ob man sich dem Druck seitens der
Milizen und der Gesellschaft entziehen kann. Zwangsrekrutierung per se durch Milizen ist
nicht dokumentiert, aber Nötigung und sozialer Druck, sich den Milizen anzuschließen,
sind in von oppositionellen Gruppen gehaltenen Gebieten ein Problem. So herrscht z.B. in
Idlib, wo es zahlreiche Gruppierungen gibt, großer Druck sich einer bewaffneten
Gruppierung anzuschließen, wobei auch die Bezahlung eine Motivation darstellen kann
(STDOK 8.2017).
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)
Letzte Änderung: 28.06.2021
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind die bewaffneten Einheiten der
kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) (TNA 17.6.2020; vgl. DZO 13.1.2019).
Seit 2014 gibt es in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung
zum verpflichtenden Wehrdienst für Männer von 18 bis 30 Jahren (MOFANL 7.2019; vgl.
EB 7.12.2019). Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der
Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des
Wehrdienstes. Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an
Kontrollposten und auch zu Ausforschungen. Die Autonomiebehörden dürften laut der
Österreichischen Botschaft Damaskus eine Verweigerung aber nicht als Ausdruck einer
bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB 29.9.2020). Laut UNHCR kann die
Weigerung, den YPG beizutreten, Berichten zufolge schwerwiegende Konsequenzen
haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten
Personen sowie Zwangsrekrutierung, da die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der
Unterstützung des sogenannten Islamischen Staates oder als Opposition zu PYD/YPG
interpretiert werden kann (UNHCR 3.11.2017).
Mehrfach ist es zu Fällen gekommen, in denen Männer von der YPG rekrutiert werden, die
älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch
aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft
werden sollten (Savelsberg 3.11.2017).
Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten [YPJ -
Frauenverteidigungseinheiten] leisten (AA 4.12.2020), wobei es gleichzeitig Berichte von
Zwangsrekrutierungen von Frauen (AA 4.12.2020; vgl. SNHR 26.1.2021) und
minderjährigen Mädchen gibt (Savelsberg 3.11.2017; vgl. HRW 11.10.2019, UNGASC
20.6.2019). Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG
zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, diese wieder zu verlassen (IWPR
29.3.2018; vgl. Savelsberg 3.11.2017).
Die Wehrpflicht hat seit Anfang des Jahres 2021 in verschiedenen Teilen Nordostsyriens,
insbesondere in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa,
Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der
Syrian Democratic Forces (SDF) gewehrt, was zur Verhaftung und Entlassung einer großen
Anzahl von Pädagogen durch die Sicherheitskräfte der SDF geführt hat. Der Militärdienst
ist jedoch nur einer von vielen Missständen. Die unzureichende Bereitstellung von
Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen
Verwaltungseinheiten haben ebenfalls zu lokaler Unzufriedenheit geführt (COAR
7.6.2021).
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 30.06.2021
In dem seit mehr als neun Jahren andauernden Bürgerkrieg gab es nach Schätzungen
bereits rund eine halbe Million Tote (Welt 30.6.2020; vgl. BBC 12.7.2020). Das Regime
wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so
gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische
Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich in der Abwesenheit freier und fairer Wahlen sowie in
den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit.
Bewaffnete Akteure aller Fraktionen, darunter auch die Regierung, versuchen ihre
Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen und zu legitimieren (BS 29.4.2020).
Es gibt krasse Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, eine schwache Unterscheidung
zwischen Staat und Wirtschaftseliten und einen geschlossenen Kreis wirtschaftlicher
Möglichkeiten. Die Bürger werden ungleich behandelt. Ihnen werden aufgrund
konfessioneller Zugehörigkeit, des Herkunftsortes, ethnischer Zugehörigkeit und des
familiären Hintergrundes grundlegende staatsbürgerliche Rechte vorenthalten bzw.
Privilegien gewährt oder verweigert. Grundlegende Aspekte der Staatsbürgerschaft
werden großen Teilen der Bevölkerung verwehrt. Diese ungerechte Behandlung hat sich
im Laufe der Konfliktjahre vertieft (BS 29.4.2020).
Das Regime bezeichnete Meinungsäußerungen routinemäßig als illegal, und
Einzelpersonen konnten das Regime weder öffentlich noch privat kritisieren, ohne
Repressalien befürchten zu müssen. Das Regime übt strikte Kontrolle über die Verbreitung
von Informationen, auch über die Entwicklung der Kämpfe zwischen dem Regime und der
bewaffneten Opposition und die Verbreitung des COVID-19-Virus, aus und verbietet die
meiste Kritik am Regime und die Diskussion über konfessionelle Probleme, einschließlich
der Rechte von und Spannungen zwischen religiösen und ethnischen Minderheiten
(USDOS 30.3.2021).
Die Verfassung bestimmt die Ba'ath-Partei als die herrschende Partei und stellt sicher,
dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Das Gesetz erlaubt die
Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion,
Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur
regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz
gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit der Ba'ath-Partei in der
National Progressive Front verbündet sind. Parteien wie die Communist Union Movement,
die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze,
welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet,
um Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften (USDOS
30.3.2021).
Weiterhin besteht in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor
willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen
und sonstige regimenahe Institutionen. Dies gilt auch für Landesteile, insbesondere im
äußersten Westen des Landes sowie der Hauptstadt Damaskus, in denen traditionell
Bevölkerungsteile leben, die dem Regime näher stehen. Selbst bis dahin als regimenah
geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich
Opfer von Repressionen werden (AA 19.5.2020).
In Gebieten, die von der Regierung zurückerobert werden, kommt es zu
Beschlagnahmungen von Eigentum, großflächigen Zerstörungen von Häusern und
willkürlichen Verhaftungen (SNHR 26.1.2021; vgl. SHRC 24.1.2019, HRW 13.1.2021).
Diejenigen, die sich mit der Regierung "versöhnt" haben, werden weiterhin durch die
Regierungstruppen misshandelt (HRW 14.1.2020; vgl. AA 4.12.2020, SNHR 26.1.2021).
Auch nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen begehen schwere Übergriffe. Das
Schicksal von Tausenden, die vom sogenannten Islamischen Staat (IS) entführt wurden,
bleibt unbekannt. Auch die kurdischen Behörden, die von den USA geführte Koalition oder
die syrische Regierung unternehmen keine Schritte, deren Verbleib zu ermitteln (HRW
13.1.2021).
Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene
Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle
sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 4.12.2020). Frauen
mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern oder Abtrünnigen werden z.B. als
Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen (UNHRC 31.1.2019).
Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden
unterhalten, die in von der Opposition kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019;
vgl. UNHCR 7.5.2020, SNHR 26.1.2021).
Tausende Menschen starben seit 2011 im Gewahrsam der syrischen Regierung an Folter
und entsetzlichen Haftbedingungen (HRW 14.1.2020). Die Methoden der Folter, des
Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine
Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor
gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in
Syrien (SHRC 24.1.2019). Die syrischen Regimekräfte und ihre Sicherheitsapparate setzen
ihre systematische Politik der Inhaftierung und des Verschwindenlassens von
Zehntausenden von Syrern fort. Trotz der Verringerung des Tempos der Inhaftierungen
und des gewaltsamen Verschwindenlassens im Jahr 2020 konnte keine wirkliche
Veränderung im Verhalten des Regimes beobachtet werden, sei es in Bezug auf die
Freilassung der Inhaftierten oder die Aufdeckung des Schicksals der Verschwundenen
(SHRC 1.2021).
Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten
beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter
auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als
Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der
Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die
Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internetund
Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien
und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 30.3.2021).
Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung
wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zögerlich dabei, über die Situation
in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 11.3.2020). Zwangsdeportationen von
Hunderttausenden Bürgern haben ganze Städte und Dörfer entvölkert (BS 29.4.2020).
Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende
Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), sind für weitverbreitete
Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen und Entführungen,
rechtswidrige Inhaftierungen, extreme körperliche Misshandlungen, Tötungen von
Zivilisten bei Angriffen, die als wahllos beschrieben wurden, und Zwangsräumungen von
Häusern auf der Grundlage der konfessionellen Identität, verantwortlich (USDOS
30.3.2021).
Elemente der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Koalition aus syrischen
Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der
Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen für
Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter willkürliche Inhaftierungen,
Folter, Korruption und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Es
gibt vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von
Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich
weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW
10.9.2018, SNHR 26.1.2021).
Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich
insgesamt erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle
des syrischen Regimes oder islamistischer und jihadistischer Gruppen befinden (AA
4.12.2020).
Ein besonderes Merkmal des Konflikts in Syrien ist, dass verschiedene Konfliktparteien
häufig größeren Gruppen von Menschen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen
oder ethnischen Gruppen oder ganzen Städten, Dörfern oder Nachbarschaften, durch
Assoziation eine politische Meinung zuschreiben. Als solche können Mitglieder einer
größeren Einheit, ohne individuell herausgegriffen zu werden, zum Ziel von Repressalien
durch verschiedene Akteure aufgrund von tatsächlicher oder vermeintlicher
Unterstützung einer anderen Konfliktpartei werden. Die Wahrnehmung einer politischen
Meinung oder Zugehörigkeit zu einer Konfliktpartei basiert oft auf wenig mehr als der
physischen Präsenz einer Person in einem bestimmten Gebiet (oder der Tatsache, dass sie
aus einem bestimmten Gebiet stammt) oder ihrem ethnischen oder religiösen
Hintergrund (UNHCR 3.2021).
Todesstrafe
Letzte Änderung: 30.06.2021
Die syrische Strafgesetzgebung sieht für Mord, schwere Drogendelikte, Terrorismus,
Hochverrat und weitere Delikte die Todesstrafe vor. Vor allem die durch das Regime
betriebene unterschiedslose Diffamierung von politischen Gegnern, bewaffneten Rebellen
und selbst den syrischen "Weißhelmen" als Terroristen, oder die sehr weite Fassung des
Begriffs Hochverrat, ermöglicht den Missbrauch der Todesstrafe zu politischen Zwecken.
Verurteilungen wegen Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft, worauf ebenfalls die
Todesstrafe steht, werden seit einigen Jahren in der Regel in zwölfjährige Freiheitsstrafen
umgewandelt. Im Jahr 2010 wurden 17 Hinrichtungen bekannt. Seit Beginn des
bewaffneten Konflikts liegen jedoch keine offiziellen Zahlen mehr vor. Im Rahmen der
Kampfhandlungen seit 2011 kam es zu einer Vielzahl von außergerichtlichen Tötungen und
Hinrichtungen, über die keine belastbaren Zahlen vorliegen. Nach Aussagen von
freigelassenen Häftlingen gegenüber Amnesty International (AI) finden regelmäßig
Exekutionen in Gefängnissen statt (AA 4.12.2020).
AI konnte für das Jahr 2020 erneut bestätigen, dass Todesurteile verhängt wurden,
verfügte aber nicht über ausreichende Informationen, um eine glaubwürdige Mindestzahl
zu nennen (AI 4.2021). Zwischen 2011 und 2015 wurden etwa 13.000 Gefangene,
überwiegend Zivilpersonen, die als Regierungskritiker angesehen wurden, Opfer
massenhafter außergerichtlicher Hinrichtungen. Die Gerichtsverfahren vor einem
militärischen Feldgericht erfüllten die internationalen Mindeststandards für faire
Gerichtsverfahren bei weitem nicht (AI 22.2.2018). Im Verlauf des Jahres 2018 wurde eine
steigende Zahl von Todesurteilen, unter anderem vor Feldgerichten in Damaskus
ausgesprochen, um die Zahl der politischen Gegner zu verringern (TWP 23.12.2018).
Häftlinge haben 2019 Warnungen aus dem Gefängnis geschmuggelt, dass Hunderte zu
einer Hinrichtungsstätte, das Saydnaya-Gefängnis, gebracht werden, und frisch entlassene
Häftlinge berichteten, dass sich die Hinrichtungen dort beschleunigen (TNYT 11.5.2019).
Die Unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (VN) für Syrien
berichtete ebenfalls von außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter
Regierungskontrolle. Die "Generalamnestie" vom 22.3.2020 verringert die Todesstrafe bei
einer Vielzahl von Vergehen auf lebenslange harte Strafarbeit, bei anderen Vergehen, z.B.
im Rahmen des Anti-Terror-Gesetzes von 2012, besteht die Todesstrafe fort (AA
4.12.2020).
Im Laufe des bewaffneten Konflikts kam es ebenfalls zu Hinrichtungen von
gefangengenommenen Angehörigen der syrischen Sicherheitskräfte durch zumeist
radikalislamische bewaffnete Oppositionsgruppen (AA 4.12.2020). Bis zu seiner
territorialen Niederlage im April 2019 tötete der sogenannte Islamische Staat (IS)
Hunderte von Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, durch öffentliche Hinrichtungen, wie
Kreuzigungen und Enthauptungen unter dem Vorwurf des Glaubensabfalls, der
Blasphemie und der Homosexualität (USDOS 11.6.2020).
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 30.06.2021
In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass
der syrische Präsident Muslim sein muss, und dass die islamische Rechtsprechung eine
Hauptquelle der Gesetzgebung darstellt. In Angelegenheiten des Personenstandsrechtes
fallen alle Bürger unter die Gesetzgebung ihrer jeweiligen religiösen Gruppe (Christentum,
Islam oder Judentum). Zur Klärung von Fragen des Familienstandes verlangt die Regierung
daher von ihren Bürgern, ihre Glaubenszugehörigkeit zu einer dieser drei Religionen
registrieren zu lassen. Die Religionszugehörigkeit, abgesehen von der jüdischen
Religionszugehörigkeit, wird nicht im Pass und auf der Identitätskarte vermerkt (USDOS
12.5.2021). Es ist nicht möglich, "keine Religion" zu registrieren (Eijk 2013). Das Gesetz
schränkt Missionierung und Konversionen ein. Es verbietet die Konversion vom Islam zu
anderen Religionen, erkennt die Konversion zum Islam jedoch an. Das Strafgesetz
verbietet "das Verursachen von Spannungen zwischen religiösen Gemeinschaften"
(USDOS 12.5.2021).
Bereits vor dem Konflikt wuchs die Bedeutung von religiösen Stiftungen, um fehlende
staatliche soziale und wirtschaftliche Leistungen auszugleichen. Im Zuge des Konfliktes
verstärkte sich diese Rolle abermals. Religiöse Netzwerke in oppositionellen Gebieten, die
in Verbindung mit bewaffneten Fraktionen stehen, wurden zu Pseudo-Organen der
Lokalverwaltung und übernahmen Aufgaben wie z.B. die Verteilung von Hilfsgütern,
Sozialleistungen, Bildung, Verwaltung von Bäckereien und die Verwaltung von
Flüchtlingslagern. Begleitend zu diesen sozialen Diensten gab es klare Bemühungen um
religiöse Indoktrination, z.B. die Vereinheitlichung der Verschleierung, die Verbreitung des
Korans und den Betrieb von Waisenhäusern (in denen sich das Leben um religiöse Lehren
und das Auswendiglernen des Korans dreht). Auch in den von der Regierung kontrollierten
Gebieten wurden religiösen Akteuren, die vom Staat als vertrauenswürdig erachtet
wurden, beispiellose Vorrechte innerhalb ihrer Gemeinschaften eingeräumt. Sie
übernahmen kommunale Aufgaben, um den Zerfall staatlicher Strukturen und Leistungen
auszugleichen, wie beispielsweise die Stromversorgung durch privat betriebene und in
Privatbesitz befindliche Stromgeneratoren (CMEC 19.3.2019).
Gesetz Nr. 31 vom Oktober 2018 verleiht dem syrischen Ministerium für Religiöse
Stiftungen („Ministry of Awqaf“) zusätzliche Befugnisse (CEIP 14.11.2018; vgl. CMEC
19.3.2019). So beinhaltet das Gesetz die Einrichtung eines "Rechtswissenschaftlichen und
Gelehrten Rates" mit der Entscheidungshoheit über die Definition, welche Inhalte im
religiösen Diskurs angemessen sind. Der Minister wird mit der Kompetenz ausgestattet
religiöse Persönlichkeiten zu bestrafen, wenn diese "extremistische" oder
auch "abweichende" religiöse Lehren verbreiten, indem ihnen die Lizenz entzogen oder
gegen sie ein Gerichtsverfahren eingeleitet wird. Der Rat soll außerdem jede Fatwa, die in
Syrien veröffentlicht wird, überwachen, um die Verbreitung wahhabitischen oder mit der
Muslimbruderschaft in Verbindung stehenden Gedankenguts zu verhindern (CEIP
14.11.2018). Einem syrischen Anwalt zufolge kann der Minister durch diese
Gesetzesänderung auch in Bereichen, die nicht direkt mit der Verwaltung dieses
Ministeriums in Zusammenhang stehen, Einfluss ausüben, so z.B. auf religiöse Literatur
(France24 14.10.2018).
Das syrische Eherecht kennt das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit. So ist die Ehe
einer muslimischen Frau mit einem nichtmuslimischen Mann nichtig (MPG o.D.a). Sie wäre
laut Gesetz nicht-existent, selbst wenn sie bereits vollzogen wurde (Eijk 2013). Nach dem
Konsens der islamischen Juristen ist eine Ehe zwischen einem Muslim und einer
nichtmuslimischen Frau wirksam, sofern diese einer der zwei anderen Buchreligionen -
also Christentum und Judentum - angehört (MPG o.D.a). Eine christliche Ehefrau eines
muslimischen Mannes kann jedoch nichts von ihrem Mann erben, selbst wenn sie zum
Islam konvertiert, und sie kann nur auf einem islamischen Friedhof begraben werden,
wenn sie konvertiert (USDOS 12.5.2021). Ihre Kinder werden automatisch Muslime (Eijk
2013).
Anm.: Siehe auch Kapitel „Ethnische und religiöse Minderheiten“.
Bewegungsfreiheit
Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens
Letzte Änderung: 30.06.2021
Die Regierung, Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und andere bewaffnete Gruppen
beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung
der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 30.3.2021).
Die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung wird auch durch aktive
Kampfhandlungen eingeschränkt (UNSC 23.10.2018), etwa durch Belagerungen, die auch
zur Einschränkung der Versorgung der betroffenen Gebiete und damit zu
Mangelernährung, Hunger und Todesfällen führen (USDOS 30.3.2021). Seit der zweiten
Hälfte des Jahres 2018 befinden sich jedoch weit weniger Gebiete unter Belagerung,
nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten
Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben
(SHRC 24.1.2019).
Durch die Wiedereroberung vormals von Rebellen gehaltener Gebiete durch die Regierung
konnten manche wichtige Verkehrswege wieder eröffnet werden. Dies verbessert den
Personen- und Warenverkehr in von der Regierung gehaltenen Gebieten. Die Bedingungen
sind immer noch schwierig (Reuters 27.9.2018). Die Infrastruktur im Land hat unter den
Kriegswirren erheblich gelitten. In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen
Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen
Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig willkürliche
Kontrollen durchführen, teils verbunden mit Forderungen nach Geldzahlungen.
Überlandstraßen und Autobahnen sind zeitweise gesperrt (AA 19.8.2020).
Die Fortbewegung in der Stadt Damaskus hat sich Berichten zufolge seit Mai 2018 und der
damaligen Wiedereroberung von oppositionellen Gebieten durch die Regierung
verbessert, da z.B. seither weniger Checkpoints in der Stadt betrieben werden. Die
Checkpoints werden von den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden bemannt. Personen
können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus
oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie
Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter
werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine
Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen
(DIS/DRC 2.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr
unterschiedlich (DIS 9.2019) bzw. recht willkürlich sein. Die fehlende Rechtssicherheit und
die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch
Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018).
Laut Human Rights Watch wird Personen, die aus vom IS gehaltenen Gebieten flüchten,
der Zutritt in kurdisch kontrollierte Gebiete verweigert, wenn diese keinen kurdischen
Fürsprecher (Sponsor) vorweisen können (HRW 1.8.2018).
Teilen der syrischen Bevölkerung, speziell Rückkehrern und Menschen in Gebieten, die
vom Regime zurückerobert wurden, fehlt weiterhin der Zugang zu für den persönlichen
Alltag, Dienstleistungen und ihre Bewegungsfreiheit notwendigen Personal-und
Personenstandsdokumenten (AA 19.5.2020).
Die vorherrschende Gewalt und starke kulturelle Zwänge schränken die Bewegungsfreiheit
von Frauen in vielen Gebieten stark ein. In Gebieten, die von bewaffneten
Oppositionsgruppen und terroristischen Gruppen wie der islamistischen Miliz Hay'at
Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert werden, schränken diese ebenfalls die
Bewegungsfreiheit ein. HTS griff systematisch in die Bewegungsfreiheit von Frauen ein,
belästigte unbegleitete Frauen und verwehrte ihnen unter Androhung von Haft den
Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen (USDOS 30.3.2021).
Anm.: Informationen zu Zugangsbeschränkungen zu Herkunftsgebieten siehe Kapitel
„Rückkehr“.
Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen
Letzte Änderung: 30.06.2021
Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen
Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu
oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten
geographischen Gebiet, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein
Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge,
angeblich aus Sicherheitsgründen (USDOS 30.3.2021). Grenzen sind zum Teil für den
Personenverkehr geschlossen bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen
werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 19.8.2020). Die Regierung
verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen
erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird.
Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite
Nennung der Dauer (USDOS 30.3.2021).
Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins
Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017).
Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen das Reisen zu
verbieten (USDOS 30.3.2021).
Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine
Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen,
dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017).
Infolge der COVID-19-Pandemie wurden sowohl der Flughafen Damaskus als auch die
Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen. Innerhalb des Landes wurden mehrere
Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbreitung umgesetzt, darunter Ausgangssperren.
Reisen zwischen den Provinzen wurde weitestgehend untersagt (AA 19.5.2020). Es gab
jedoch bereits wieder Lockerungen, sowohl für Reisen in das Ausland, als auch bei der
Einreise nach Syrien. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde
wieder aufgenommen (BMEIA 19.8.2020). Es kommt jedoch zu verstärkten
Einreisekontrollen, Gesundheitsprüfungen und Einreisesperren (AA 19.8.2020). Die
Reisebeschränkungen zwischen Städten und Umland wurden wieder aufgehoben (FES
7.2020).
IDPs und Flüchtlinge
Letzte Änderung: 30.06.2021
Im Jahr 2020 registrierte UNOCHA in Syrien rund 1,8 Millionen Binnenvertriebene. Ca.
450.000 Binnenvertriebene kehrten in diesem Jahr dagegen zurück (UNOCHA 8.2.2021).
Insgesamt beläuft sich die Zahl der Binnenvertriebenen mit Stand 2020 auf 6,7 Millionen
(CIA 16.2.2021). Die meisten Binnenflüchtlinge suchen in Gastgemeinden, Sammelzentren,
verlassenen Gebäuden oder informellen Lagern Schutz (USDOS 30.3.2021).
Die Verschiebung der Frontlinien und die daraus folgenden Veränderungen der
Sicherheitslage führten zu mehrmaliger Vertreibung von Personen. IDPs verließen bei
einem Rückgang der Gewalt [in einem Gebiet] ihre Unterkünfte und kehrten in ihre
Heimat zurück, nur um dann erneut zu fliehen, nachdem die Kämpfe wieder eskalierten
(IDMC o.D.).
Die Regierung verwendete weiterhin Gesetz Nr. 10, um regierungstreue Personen zu
belohnen und Flüchtlinge und IDPs daran zu hindern, ihr Eigentum einzufordern oder in
ihre Heimat zurückzukehren (USDOS 12.5.2021).
Das syrische Gesetz bietet die Möglichkeit den Flüchtlingsstatus zu gewähren. Das Gesetz
garantiert Flüchtlingen nicht explizit das Recht auf Arbeit, außer Palästinensern mit einem
bestimmten rechtlichen Status. Die Regierung gewährt Nicht-Palästinensern selten
Arbeitsgenehmigungen, und viele Geflüchtete finden im informellen Sektor Arbeit, z.B. als
Wachpersonal, Bauarbeiter, Straßenhändler oder in anderen manuellen Berufen (USDOS
30.3.2021).
Die Regierung gewährt irakischen Flüchtlingen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen,
wie Gesundheitsversorgung und Bildung, doch Aufenthaltsgenehmigungen sind nur für
jene erhältlich, die legal einreisen und einen gültigen Pass haben. Diese Kriterien erfüllten
nicht alle Flüchtlinge. Es wird geschätzt, dass sich 23.600 nicht-palästinensische Flüchtlinge
in Syrien aufhalten. Diese sind mit wachsenden Risiken und verstärkten
Sicherheitsmaßnahmen bei Checkpoints konfrontiert (USDOS 30.3.2021).
Anm.: Weitere Informationen zur Rückkehr von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen siehe
Kapitel „Rückkehr“. Für weitere Informationen zu palästinensischen Flüchtlingen in Syrien
siehe Kapitel „Palästinensische Flüchtlinge“
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 30.06.2021
Der seit 2011 andauernde Krieg in Syrien hat massive Auswirkungen auf die
Wirtschaftsleistung, die Sicherheitslage und die humanitäre Lage im Land. Die Regierung
Syriens sieht sich mit internationalen Sanktionen, einer breiten Zerstörung der
Infrastruktur, geringen Devisenreserven, der weiterhin nicht vollständigen territorialen
Kontrolle aller Landesteile, einer hohen Anzahl an Binnenflüchtlingen sowie der Präsenz
kleinerer terroristischer Gruppen konfrontiert. Die im November 2018 und März 2019
erfolgte Verschärfung der US-Sanktionen und das Auslaufen der iranischen Kredite für
Ölimporte 2018 führten zu einem massiven Versorgungsengpass an Öl (WKO 17.10.2019).
Das Jahr 2020 erlebte einen wirtschaftlichen Niedergang, vor allem in den vom Regime
kontrollierten Gebieten, während der Wert der syrischen Lira [synonym verwendbar für
Pfund, Anm.] auf ein während des gesamten Krieges noch nie dagewesenes Niveau sank.
Auf den Märkten kam es zu Einschränkungen bei lebenswichtigen Produkten und einer
enormen Preisinflation, die dazu führen könnte, dass die Zahl der Menschen unter der
Kontrolle des Regimes, die unter der Armutsgrenze leben, steigt (SHRC 1.2021).
Im Verlauf der bewaffneten Auseinandersetzungen ist Syriens Infrastruktur weitgehend
zerstört worden. Dies betrifft vor allem den Energiesektor inklusive Öl- und Gasförderung
sowie Elektrizitätswerke, Straßen und Transportwege sowie Wasser- und
Abwasserversorgung. Zu massiven Schäden kam es ebenso beim Wohnungsbestand, bei
Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie in der Landwirtschaft. Dabei sind die
Kriegsschäden sehr ungleich verteilt. Schwere Zerstörungen gibt es vor allem in jenen
Gebieten, die teils jahrelang umkämpft waren und die durch das Regime und seine
Verbündeten von den Rebellen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS)
zurückerobert wurden. Insbesondere gilt das für die östlichen Vororte von Damaskus, für
Yarmouk, ein Flüchtlingscamp am Südrand der Hauptstadt, ebenso für Ost-Aleppo, Raqqa,
Homs und Hama. Vor allem in den (vormals) umkämpften Orten ist die Versorgung mit
Gesundheitsdienstleistungen, Schulbildung, Trinkwasser und Elektrizität erheblich
eingeschränkt (SWP 7.4.2020).
Vor dem Krieg betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Syriens 60 Milliarden US-Dollar (TE
28.6.2018). In Relation zum Vorkriegsniveau ist das BIP um etwa 65% zurückgegangen
(CHH 26.9.2019). Unterschiedlichen Schätzungen zufolge könnten die Kosten des
Wiederaufbaus bei 250 bis 400 Milliarden oder sogar einer Billion US-Dollar liegen (SWP
7.4.2020). Internationale Sanktionen, große strukturelle Schäden, der verringerte Konsum
und die geminderte Produktion, reduzierte Subventionen und die hohe Inflation senken
unter anderem den Wert des syrischen Pfunds und die Kaufkraft privater Haushalte (CIA
16.2.2021; vgl. TS 22.1.2020). Im Jänner 2020 erließ Assad ein Dekret, wonach das syrische
Pfund bei geschäftlichen Transaktionen als Währung zwingend vorgeschrieben ist.
Geschäfte mit ausländischen Währungen werden mit bis zu sieben Jahren Zwangsarbeit
bestraft (TS 22.1.2020).
Landesweite Wirtschaftsindikatoren zeigen die Lage in Syrien jedoch nur unvollständig, da
die Situation unterschiedlich ist, je nachdem, wer welches Gebiet kontrolliert (BS
29.4.2020), oder weil das Zahlenmaterial teils auf Schätzungen oder Statistiken basiert, die
regionale Unterschiede missachten, nicht flächendeckend sind oder zu
Propagandazwecken veröffentlicht werden (WKO 10.2019).
Mit dem Abflauen des Konflikts dominiert die katastrophale wirtschaftliche Lage und die
Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die öffentliche Wahrnehmung und Kritik, auch
seitens bisher regierungsloyaler Bevölkerungsgruppen (ÖB 29.9.2020). Wirtschaftliche
Verluste führten zum Verlust von Arbeitsplätzen. Inzwischen gehen laut GIZ drei von vier
Erwachsenen keiner beruflichen Tätigkeit mehr nach (GIZ 9.2020). Das deutsche
Auswärtige Amt berichtet hingegen, dass 50% der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos
sind (AA 4.12.2020). Der Think Tank Middle East Institute berichtete schon 2018, dass es in
Damaskus immer schwieriger wird ohne Beziehungen (wasta) eine Arbeitsmöglichkeit zu
finden (MEI 6.11.2018). Aufgrund von Treibstoffknappheit verteuern sich auch viele
Grundprodukte, und die Preise öffentlicher Verkehrsmittel erhöhten sich teilweise um bis
zu 200%, sodass für viele Menschen der Weg zur Arbeit inzwischen teurer ist als ihr Gehalt
(AA 4.12.2020).
Die Covid-19 Krise verschärft die Wirtschaftslage weiter. Der anhaltende Währungsverfall
des syrischen Pfunds – allein um zwei Drittel innerhalb eines Jahres und um 97% seit
Konfliktbeginn – erodiert Haushaltseinkommen, während Lebensmittelpreise stark
steigen: Selbst Preise von Grundnahrungsmitteln sind innerhalb der zweiten Hälfte des
Jahres 2020 um ca. 200% gestiegen. Versorgungsengpässe halten an oder verschlimmern
sich. Mittlerweile sind subventionierte Basisgüter nur in begrenztem Umfang über eine
elektronische Karte zu beziehen, zuerst Benzin und Heizöl, dann Reis, Zucker, Tee und
Speiseöl, zuletzt sogar Brot. Rücküberweisungen der syrischen Diaspora, die bisher eine
wichtige Einnahmequelle darstellen, sinken. Die andauernde politische und wirtschaftliche
Krise im benachbarten Libanon hemmt die Aussichten auf wirtschaftliche Erholung in
Syrien zusätzlich, da auf umfangreiche syrische Vermögenswerte in libanesischen Banken
nicht mehr zugegriffen werden kann und die Abwicklung von Importen nach Syrien über
den Hafen und Finanzplatz Beirut auch weiterhin nur in begrenztem Maße möglich ist.
Mitte 2020 führten die türkisch-kontrollierten Gebiete in Nordsyrien die türkische Lira als
Währung ein, um das volatile syrische Pfund zu umgehen (AA 4.12.2020).
Durch den Bürgerkrieg haben sich bestehende Einkommens- und
Vermögensungleichheiten verschärft, indem gleichzeitig große Teile der Bevölkerung in
die Armut getrieben und die Konsolidierung einer wohlhabenden Wirtschaftselite in den
von der Regierung kontrollierten Gebieten ermöglicht wurde. Die Mittelschicht ist
landesweit verschwunden. Es zeichnet sich ein Muster der Ungleichheit innerhalb der von
der Regierung kontrollierten Gebiete ab: Ehemals von der Opposition kontrollierte
Gebiete sind anfälliger für die Verletzung ihrer wirtschaftlichen Freiheiten (durch
Plünderungen und Einschüchterungen) und haben weniger Chancen, von
Wiederaufbaugeldern zu profitieren. Die Entwicklungsungleichheit folgt zunehmend der
historischen Loyalität einer Region gegenüber dem Regime Assads und nicht mehr dem
ethnischen oder religiösen Status (BS 29.4.2020).
Die syrische Regierung kontrolliert den Zugang zu humanitärer Hilfe und die Sammlung
von Daten. Die Organisationen können folglich weder ein eigenes Monitoring und
Evaluierungen noch unabhängige Studien über die Bevölkerung oder deren Bedürfnisse
durchführen. Davon ist auch UNHCR nicht ausgenommen. Dies führt dazu, dass in
manchen Gebieten die Bedarfserhebungen unvollständig sind. In manchen Fällen ist
UNHCR auch gezwungen die Untersuchungen durch andere NGOs durchführen zu lassen
(EIP 6.2019). Im Juli 2020 setzte die Russische Föderation für ihren Verbündeten Syrien
durch, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen humanitäre Hilfslieferungen in den
hauptsächlich von Rebellen kontrollierten Nordwesten des Landes nur mehr über einen
Grenzübergang von der Türkei aus zu liefern. Russland argumentiert, dass die
Hilfslieferungen von innerhalb des Landes über die Konfliktlinien hinweg erfolgen sollten.
So wird die humanitäre Hilfe für 1,3 Millionen Menschen in der Region Aleppo, darunter
800.000 IDPs und 500.000 Kinder, gefährdet (EN 12.7.2020).
Der Zugang zu Sozialleistungen wird häufig durch die geografische Lage und die politische
Kontrolle bestimmt. In den von der Regierung kontrollierten Gebieten waren bestimmte
Sozialleistungen eine wichtige Stütze für die "Leistungsfähigkeit des Staates", vor allem
der fortgesetzte Zugang zu subventioniertem Brot. Das Regime versucht jedoch auch, den
Zugang zu Sozialleistungen in Rebellengebieten zu verhindern. Dies geschieht häufig durch
die Ausbeutung von Hilfslieferungen an Checkpoints durch Regimekräfte sowie durch
andere bewaffnete Gruppen. Mangelnde Überwachung bedingt außerdem, dass die Hilfe,
selbst wenn sie die betroffenen Gebiete erreicht, oft nach politischen Loyalitäten oder
familiären Bindungen verteilt wird. Die Regierung verlässt sich zunehmend auf
Wohltätigkeitsverbände bei der Vergabe von Sozialleistungen und Unterstützungen (BS
29.4.2020).
Laut Angaben der Vereinten Nationen vom März 2021 benötigen 13,4 Mio. Menschen in
Syrien humanitäre Hilfe. Dies stellt eine Steigerung von 21% gegenüber dem Jahr 2020
dar. Mehr als 90% der Bevölkerung leben Schätzungen zufolge unterhalb der
Armutsgrenze (UNOCHA 3.2021). Ausreichender humanitärer Zugang und Schutz der
Zivilbevölkerung stellen weiter die größte Herausforderung dar. Das syrische Regime
gewährt weiterhin keinen ausreichenden Zugang zu den zurückeroberten Gebieten.
Insgesamt wurden im Februar und März 2020 nur 44% der humanitären Missionen, die
einer Genehmigung des Regimes bedürfen, genehmigt (AA 19.5.2020).
Außerhalb von Damaskus übersteigt der durchschnittliche Lebensmittelpreis die Preise in
der Hauptstadt um ein Vielfaches, aber auch in Damaskus und den Gouvernements
Lattakia und Tartous hat sich die Versorgungslage aufgrund der Wirtschaftskrise wieder
deutlich verschlechtert. Zur Versorgunglage der vier bis fünf Mio. nicht von humanitärer
Hilfe abhängiger Menschen in Syrien liegen laut UN keine Daten vor. In Gebieten im
Nordwesten und Nordosten Syriens sowie Landesteilen mit einem hohen Anteil an
Binnenvertriebenen ist die humanitäre Lage besonders angespannt. Die kritische
Versorgungslage hat in Regionen mit einem besonders hohen Anteil Binnenvertriebener
(z.B. Provinz Idlib, aber auch Zufluchtsorte in den Provinzen Homs, Damaskus, Lattakia und
Tartous) darüber hinaus vereinzelt zu Ablehnung und Abweisung von Neuankömmlingen
geführt, die als Konkurrenten in Bezug auf die ohnehin sehr knappen Ressourcen gesehen
werden. Nach wie vor verhindert das Regime Hilfslieferungen über die Konfliktlinien in
Oppositionsgebiete. Die Zahl der akut hilfsbedürftigen Personen ist laut UNOCHA in
Tartous, Lattakia und Teilen Hassakahs am niedrigsten. Der Zugang zu Wasser, Elektrizität,
Bildung und gesundheitlicher Versorgung ist dort grundlegend gewährleistet. Doch auch
dort sind Teile der Bevölkerung, vor allem Binnenvertriebene und vulnerable
Aufnahmegemeinden in den ländlichen Gegenden, weiterhin von Lebensmittelhilfe
abhängig (AA 4.12.2020).
In Damaskus haben sich fast eine Million Binnenvertriebene vorübergehend oder
dauerhaft niedergelassen, während ein großer Teil der Wohnhäuser am ehemals von den
Rebellen gehaltenen östlichen und südlichen Stadtrand zerstört ist (Wind/Ibrahim 2.2020).
Die Nachfrage nach Wohnraum ist enorm, während das Angebot auf dem
Wohnungsmarkt begrenzt ist. Neue Stadtentwicklungsprojekte sind luxuriös und
unerschwinglich für Familien, die ihr Zuhause aufgrund des Krieges verloren haben. Daher
hat der informelle Wohnungsbau am südlichen und nördlichen Rand der Stadt stark
zugenommen (Wind/Ibrahim 2.2020; vgl. ST 21.6.2020). Aufgrund der Abwertung des
syrischen Pfunds sind die Wohnungspreise im Laufe des Jahres 2020 stark gestiegen (ST
21.6.2020).
Das umstrittene Gesetz Nr. 10, das im April 2018 in Kraft trat, sieht vor, dass örtliche
Behörden die Kontrolle über ausgewiesene Gebiete für den Wiederaufbau übernehmen
und auch Enteignungen vornehmen können. Die Eigentümer werden innerhalb einer
einmonatigen Ankündigungsfrist verständigt und haben dann ein Jahr Zeit, ihre
Eigentumsansprüche einzubringen, damit sie Anspruch auf Kompensation (auch
Eigentumsansprüche auf neu errichtete Wohneinheiten auf ihren Grundstücken) erheben
können. Anvisierte Bezirke oder Gebiete waren mehrheitlich in der Hand der Rebellen. De
facto stellt dies auch eine Enteignung jener Flüchtlinge dar, die wegen der Angst vor
politischer Verfolgung oder anderer Gründe, nicht nach Syrien zurückkehren können, um
ihre Ansprüche anzumelden (WKO 10.2019). Informelle Siedler werden verdrängt und
erhalten nur begrenzte Entschädigungen, während die ehemaligen formellen
Grundeigentümer nur begrenzte Möglichkeiten haben, von der Wertsteigerung zu
profitieren (Wind/Ibrahim 2.2020).
Besonders gravierende Langzeitfolgen hat der Konflikt unter anderem im Bildungsbereich.
Durch Flucht und Vertreibung ist ein dramatischer Verlust an Lehrkräften entstanden
(SWP 7.4.2020). In Etwa drei Millionen Kinder in Syrien haben keinen Zugang zu
Schulbildung und etwa ein Drittel der Schulgebäude sind nicht in Betrieb (SHRC 1.2021). In
Gebieten, die zuvor unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates (IS) standen und
von den Syrian Democratic Forces (SDF) wiedererobert wurden, konnten Schulen
wiedereröffnet werden. Viele der Schulen benötigen jedoch noch umfangreiche
Reparaturen und müssen von explosiven Kampfmittelrückständen gesäubert werden
(USDOS 30.3.2021).
Die syrische Regierung bemüht sich den Wiederaufbau voranzutreiben, doch kann dieser
im Hinblick auf die Dimension der Zerstörung im Land im Moment nur als sehr
eingeschränkt und sehr punktuell bezeichnet werden. Die Ankündigung von Projekten
dient demnach eher der internen Propaganda bzw. dem Versuch, vor allem in Gebieten, in
denen die syrische Regierung erst seit Kurzem wieder die Kontrolle erlangt hat, ein
politisches Signal zu senden und die Präsenz des Staates zu bekräftigen (WKO 10.2019).
Erhebliche Teile bestimmter Städte wurden durch den Konflikt teils stark zerstört und sind
auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar, wie z.B. Teile von Homs, Ost-Aleppo, Raqqa,
die Vororte von Damaskus, Deir ez-Zour, Dara‘a und Idlib. Im vom sogenannten IS
befreiten Raqqa ist das Ausmaß der Zerstörung sehr hoch, hinzu kommt die immense
Kontaminierung durch nicht explodierte Munition und IS-Sprengfallen. Am wenigsten vom
Konflikt betroffen sind neben dem Stadtzentrum der Hauptstadt Damaskus die
Hafenstädte Tartous und Lattakia (AA 2.12.2020). Vor allem im westlichen Teil des Landes
ist aufgrund der weiterhin vorhandenen Strukturen und neu angesiedelter
Industriebetriebe eine stärkere wirtschaftliche Entwicklung zu beobachten. Von einer
Normalisierung der Wirtschaft ist man nach wie vor jedoch weit entfernt (WKO 10.2019).
Die Stadt Damaskus erstreckt sich über eine große Fläche und der Beschädigungsgrad
variiert stark. Es gibt Stadtteile, die dem Erdboden gleichgemacht wurden, andere weisen
klare Spuren des Krieges auf und wiederum andere sehen mit Ausnahme der Checkpoints
und der starken Militärpräsenz so aus wie vor dem Krieg (WKO 11.2018).
Die lange andauernden kriegerischen Handlungen führten auch zu einer Zerstörung der
landwirtschaftlichen Infrastruktur. Die COVID-19-Krise hat dies noch weiter verschärft. Im
Jahresverlauf 2020 ist die Zahl der Menschen, deren Ernährung nicht gesichert ist,
dramatisch gestiegen. Zu den Gebieten mit der größten Ernährungsunsicherheit gehören
Lattakia, Raqqa und Aleppo (UNFAO 13.8.2020). Anfang 2021 sind 12,4 Mio. Menschen in
Syrien von Ernährungsunsicherheit betroffen (WFP 3.2021). Anfang 2020 waren es noch
7,9 Mio. (UNOCHA 3.2021). Vulnerable Bevölkerungsgruppen, darunter Vertriebene und
Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand, sind einem größeren Risiko der
Ernährungsunsicherheit ausgesetzt. Die Transportkosten sind im Allgemeinen um etwa
30% gestiegen, in abgelegenen Gebieten sogar noch stärker, was die Warenlieferungen an
die Märkte beeinflusst (UNFAO 13.8.2020). Trotz der Brotkrise weigerte sich das Regime
im Jahr 2020 oft, private Bäcker in Gebieten, die zuvor von der Opposition kontrolliert
wurden, zuzulassen (USDOS 30.3.2021).
Die Trinkwasser- und Elektrizitätsversorgung ist infolge gezielter Zerstörung vor allem in
umkämpften Gebieten eingeschränkt. 15,5 Millionen Menschen benötigten 2019 dringend
Zugang zu (Trink-)Wasser, Sanitär- und Hygieneeinrichtungen (2018: 12,1 Mio.).
Insbesondere im Süden (Dara‘a, Quneitra) sowie im Norden (Idlib, Aleppo) ist die
Bevölkerung in hohem Maße auf durch Lastwagen im Rahmen der humanitären Hilfe
geliefertes Wasser angewiesen (AA 4.12.2020). Auch im Nordosten Syriens gibt es
zunehmend ernste Bedenken bezüglich der steigenden Wasserknappheit.
Medienberichten zufolge erreicht außerdem die Verschmutzung wichtiger Gewässer ein
kritisches Niveau. In vielen Gebieten ist das verschmutzte Wasser nicht mehr für den
Konsum geeignet (COAR 31.5.2021).
Anm.: Zur wachsenden Bedeutung religiöser Stiftungen für die Grundversorgung siehe
Kapitel "Religionsfreiheit".
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 18.02.2021
Die medizinische Infrastruktur Syriens ist in den vergangenen Jahren größtenteils von
Luftangriffen der eigenen Regierung und Russlands zerstört worden (bpb 18.6.2020; vgl.
SWP 7.4.2020).
Laut Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation sind mit Ende Juni 2020 von 1.790
untersuchten öffentlichen Gesundheitszentren 32% funktionsunfähig, 22% teilweise
funktionsunfähig und 47% voll funktionsfähig (WHO 2020c). In Hinblick auf die
Krankenhäuser waren von 113 untersuchten mit Ende Juni 2020 24% funktionsunfähig,
26% teilweise funktionsunfähig und 50% voll funktionsfähig (WHO 2020d).
Notfalltransporte sind durch einen Mangel an Krankenwagen stark beeinträchtigt, circa
40% der Ambulanzfahrzeuge sind beschädigt oder zerstört. Laut WHO können komplexere
Operationen und spezialisierte Behandlungen chronischer Krankheiten derzeit
ausschließlich in Damaskus oder den Küstenorten Tartous und Lattakia durchgeführt
werden. In den Städten Dara‘a und Idlib ist jeweils nur ein Krankenhaus funktionsfähig. In
Raqqa kann derzeit lediglich ein von Ärzte ohne Grenzen betriebenes Feldkrankenhaus
außerhalb der Stadt genutzt werden. Die medizinische Versorgung in von der Opposition
gehaltenen Gebieten wird weitestgehend von NGOs geleistet. Humanitäre Maßnahmen
der internationalen Gemeinschaft zur Sicherstellung einer Basisgesundheitsversorgung der
Menschen, die in nicht vom syrischen Regime kontrollierten Gebieten leben, werden von
diesem gezielt behindert bzw. verhindert (AA 4.12.2020). Neun von zehn Patienten in
Damaskus kommen aus anderen Provinzen, um Gesundheitsversorgung zu erhalten.
Aufgrund des hohen Bedarfs ist das Gesundheitswesen überlastet. Zum Beispiel müssen
sich Verwandte an der Pflege von Kindern in der Notfallversorgung beteiligen, da das
medizinische Personal nicht über ausreichende Ressourcen verfügt und die Krankenhäuser
überbelegt sind. Eine Mitarbeiterin einer internationalen Organisation in Damaskus
berichtete, dass in der Kinder-Notbetreuung fünf Kinder in einem Bett liegen (IO C
2.4.2019). Ansteckende Krankheiten wie Polio treten wieder auf (AA 4.12.2020).
Gezielte Angriffe des syrischen Regimes gegen zivile Gesundheitseinrichtungen dauern
weiterhin an (AA 4.12.2020). Das syrische Regime und seine Verbündeten zielten im
Verlauf des Konfliktes klar und bewusst auf den medizinischen Sektor und die
Notfallrettung ab und zogen es sogar vor, diese anstelle von Hauptquartieren bewaffneter
Gruppierungen, einschließlich der als terroristisch eingestuften, ins Visier zu nehmen.
Solche Angriffe stellen eine der wichtigsten militärischen Strategien des syrischen Regimes
und seiner Anhänger dar (SHRC 1.2020; vgl. AI 11.5.2020, NYT 3.6.2019, BS 29.4.2020). Im
Jahr 2020 wurde von der Menschenrechtsorganisation Syrian Human Rights Committee
verglichen mit früheren Jahren ein merkbarer Rückgang der Angriffe auf den
medizinischen Sektor und die Notfallrettung dokumentiert (SHRC 1.2021).
Die folgende Grafik der WHO mit Stand Ende Juni 2020 zeigt die Verteilung und den
Funktionalitätsstatus öffentlicher Gesundheitszentren:
RückkehrLetzte Änderung: 30.06.2021
Im Juli 2020 zählte die syrische Bevölkerung geschätzte 19,4 Millionen Menschen (CIA
12.8.2020).
Im Jahr 2020 registrierte UNOCHA in Syrien rund 1,8 Millionen Binnenvertriebene. Ca.
450.000 Binnenvertriebene kehrten in diesem Jahr dagegen zurück (UNOCHA 8.2.2021).
Mit Ende September 2020 waren 5.565.954 Personen in den Nachbarländern Syriens und
in Nordafrika als syrische Flüchtlinge registriert. 2019 sind laut UNHCR insgesamt etwa
95.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt (UNHCR 23.9.2020), im Jahr 2020 waren es
38.200 (UNOCHA 3.2021). Weder IDPs noch Flüchtlinge sind notwendigerweise in ihre
Heimatgebiete zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).
Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele unterschiedliche
Faktoren die Rückkehrmöglichkeiten beeinflussen. Ethno-religiöse, wirtschaftliche und
politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle, wie Fragen des Wiederaufbaus und die
Haltung der Regierung gegenüber Gemeinden, die der Opposition zugeneigt sind (FIS
14.12.2018). Die Sicherheit von Rückkehrern wird nicht in erster Linie durch die Region
bestimmt, in welche die Rückkehr erfolgt, sondern entscheidend ist vielmehr, wie
Rückkehrer von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen werden
(AA 4.12.2020).
Eine Studie der Weltbank ergab, dass die Sicherheitslage in Syrien ein wesentlicher
Bestimmungsfaktor bei Rückkehrentscheidungen ist. Flüchtlinge kehren mit geringerer
Wahrscheinlichkeit in Distrikte zurück, in welchen es zu intensiven Kämpfen kam. Auch die
geringe Versorgung mit Bildung, Gesundheit und grundlegenden Dienstleistungen in
Syrien hält Personen von einer Rückkehr ab. Die Bedingungen im Gastland haben
komplexe Auswirkungen auf Rückkehrentscheidungen, wobei eine geringere
Lebensqualität im Gastland die Rückkehrwahrscheinlichkeit nicht immer erhöht (WB
2020). Als wichtiger Grund für eine Rückkehr wurde auch der Wunsch nach
Familienzusammenführung genannt (UNHCR 7.2018). Neben der allgemein volatilen
Sicherheitslage bleibt mangelnde persönliche Sicherheit verbunden mit der Angst vor
staatlicher Repression weiterhin das wichtigste Hindernis für eine Rückkehr (AA 19.5.2020;
vgl. SACD 21.7.2020, ICG 13.2.2020). Rückkehrüberlegungen von syrischen Männern
werden auch von ihrem Wehrdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019).
Über die Zustände, in welche die Flüchtlinge zurückkehren und die Mechanismen des
Rückkehrprozesses ist wenig bekannt. Da Präsident Assad die Kontrolle über große
Gebiete wiedererlangt, sind immer weniger Informationen verfügbar (EIP 6.2019). UNHCR
erhielt vom Regime auch im Jahr 2020 nur stark eingeschränkten Zugang in Syrien und
konnte daher weder ein umfassendes Monitoring zur Lage von zurückgekehrten
Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherstellen noch einen Schutz ihrer Rechte
gewährleisten. Dennoch bemüht sich UNHCR, Beispiele von Rechtsbrüchen zu sammeln,
nachzuverfolgen und gegenüber dem Regime zu kommunizieren. Mittlerweile wurde ein
Mechanismus zur Meldung solcher Fälle durch UNHCR beim Regime eingerichtet (AA
4.12.2020). Die Behandlung von Einreisenden ist stark vom Einzelfall abhängig und über
den genauen Wissensstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer gibt es keine
gesicherten Kenntnisse (ÖB 29.9.2020).
Bereits im Jahr 2017 haben die libanesischen Behörden trotz des Konfliktes und
begründeter Furcht vor Verfolgung vermehrt die Rückkehr syrischer Flüchtlinge gefordert.
Eine kleine Anzahl von Flüchtlingen ist im Rahmen lokaler Abkommen nach Syrien
zurückgekehrt. Diese Rückkehrbewegungen werden nicht von UNHCR überwacht. Einige
Flüchtlinge kehren aufgrund der harschen Politik der Regierung ihnen gegenüber und sich
verschlechternden Bedingungen im Libanon nach Syrien zurück, und nicht weil sie der
Meinung sind, dass Syrien sicher sei. Gemeinden im Libanon haben Tausende von
Flüchtlingen in Massenausweisungen/Massenvertreibungen ohne Rechtsgrundlage oder
ordnungsgemäßes Verfahren vertrieben. Zehntausende sind weiterhin der Gefahr einer
Vertreibung ausgesetzt (HRW 17.1.2019).
Obwohl die wirtschaftliche Lage vieler syrischer Flüchtlinge in Jordanien schwierig ist (TN
1.10.2019; SD 6.5.2020), sind aufgrund der Sicherheitslage und wirtschaftlichen Situation
in Syrien bislang nur eine geringe Zahl Syrer wieder nach Syrien zurückgekehrt (SD
6.5.2020).
Die Türkei beherbergt etwa 3,65 Millionen syrische Flüchtlinge (DGMM 3.2.2021). Im Juli
2019 änderte sich die Einstellung der türkischen Regierung ihnen gegenüber. Nach
maßgeblichen Verlusten bei lokalen Wahlen und mit dem Wunsch die Kontrolle der
Regierung über die Situation zu demonstrieren, begannen türkische Sicherheitskräfte
syrische Flüchtlinge zusammenzutreiben und sie in die türkischen Provinzen, in denen sie
registriert waren, zurückzuschicken, bzw. einige von ihnen abzuschieben und andere zu
ermutigen, in die von der Türkei kontrollierten Gebiete in Nordsyrien, einschließlich der
Konfliktzone Idlib, zu ziehen (SWP 5.2.2020). Laut NGO-Berichten haben die türkischen
Behörden Flüchtlinge immer wieder festgenommen und sie gezwungen, "freiwillige"
Rückkehrdokumente zu unterzeichnen, manchmal durch Schläge und Drohungen (SJAC
8.10.2020).
Es liegen widersprüchliche Informationen vor, ob Personen, die nach Syrien zurückkehren
möchten, eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen müssen, oder nicht. Laut deutschem
Auswärtigen Amt müssen syrische Flüchtlinge, unabhängig von politischer Ausrichtung,
vor ihrer Rückkehr weiterhin eine Überprüfung durch die syrischen Sicherheitsdienste
durchlaufen (AA 19.5.2020). Auch laut International Crisis Group (ICG) stellt unabhängig
davon, welchen administrativen Weg ein rückkehrwilliger Flüchtling wählt, die
Sicherheitsfreigabe durch den zentralen Geheimdienstapparat in Damaskus (oder die
Verweigerung einer solchen) das endgültige Urteil dar, ob es einem Flüchtling möglich ist
sicher nach Hause zurückzukehren (ICG 13.2.2020). Im Gegensatz dazu berichtet der
Danish Immigration Service (DIS) auf Basis von Interviews, dass Syrer, die außerhalb
Syriens wohnen und nicht von der syrischen Regierung gesucht werden, keine
Sicherheitsfreigabe benötigen, um nach Syrien zurückzukehren. Weiters berichtete Syria
Direct gegenüber DIS, dass lediglich Syrer im Libanon, die über "organisierte
Gruppenrückkehr" nach Syrien zurückkehren möchten, eine Sicherheitsfreigabe benötigen
(DIS 12.2020).
Ein Punkt, der nach wie vor schwer zu ermitteln ist, ist der Anteil der Antragsteller, denen
die Rückkehr nicht genehmigt wurde (ICG 13.2.2020). Er wird von den verschiedenen
Quellen mit 5% (SD 16.1.2019), 10% (Reuters 25.9.2018), bis hin zu 30% (ABC 6.10.2018)
angegeben. In manchen Fällen wird auch Binnenvertriebenen die Rückkehr in ihre
Heimatgebiete nicht erlaubt (USDOS 30.3.2021).
Gründe für eine Ablehnung können (wahrgenommene) politische Aktivitäten gegen die
Regierung bzw. Verbindungen zur Opposition oder die Nicht-Erfüllung der Wehrpflicht
sein (Reuters 25.9.2018; vgl. ABC 6.10.2018, SD 16.1.2019). Einige Beobachter und
humanitäre Helfer behaupten, dass die Bewilligungsrate für Antragsteller aus Gebieten,
die als regimefeindliche Hochburgen identifiziert wurden, nahezu Null ist (ICG 13.2.2020).
Kriterien und Anforderungen, um ein positives Ergebnis zu erhalten, sind nicht bekannt
(AA 19.5.2020). Es gibt Berichte, denen zufolge Rückkehrer trotz positiver
Sicherheitsüberprüfung Opfer willkürlicher Verhaftung, Folter oder Verschwindenlassens
geworden und vereinzelt in Haft ums Leben gekommen sein sollen (AA 19.5.2020; vgl.
EASO 6.2021).
Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden, und darum die Genehmigung
zur Rückkehr nicht erhalten, sind aufgefordert ihren "Status zu klären", bevor sie
zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). Einem syrischen General
zufolge müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren möchten, in der
entsprechenden syrischen Auslandsvertretung "Versöhnung" beantragen und unter
anderem angeben, wie und warum sie das Land verlassen haben und Angaben über
Tätigkeiten in der Zeit des Auslandsaufenthaltes etc. machen. Diese Informationen
werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsüberprüfung
durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen dem General
zufolge dort ein "Versöhnungsformular" ausfüllen (DIS 6.2019). Um im Falle der Rückkehr
einer Verhaftung zu entgehen, versuchen Syrer, Informationen über ihre Sicherheitsakte
zu erhalten und diese, wenn möglich, zu bereinigen. Persönliche Kontakte und
Bestechungsgelder sind die gängigsten Mittel und Wege zu diesem Zweck (ICG 13.2.2020;
vgl. EASO 6.2021), doch aufgrund ihrer Informalität und der Undurchsichtigkeit des
syrischen Sicherheitssektors sind solche Informationen und Sicherheitsfreigaben nicht
immer zuverlässig, und nicht jeder kann sie erhalten (ICG 13.2.2020). Zwei Quellen
berichten EASO gegenüber, dass wenn ein Rückkehrer über informelle Netzwerke bzw.
Beziehungen (arab. wasta) herausfindet, dass er von den syrischen Behörden nicht
gesucht wird, es dennoch keine Garantie gibt, dass er oder sie im Zuge der Rückkehr nicht
verhaftet wird (EASO 6.2021).
Zwar schützt der Genehmigungsprozess potenzielle Rückkehrer nicht vor Misshandlung
durch die Milizen oder zukünftiger Verfolgung, trägt jedoch dazu bei, die Unsicherheit zu
verringern, mit der sie konfrontiert sind, und nimmt ihnen damit ein Element der
Abschreckung (ICG 13.2.2020).
Der Sicherheitssektor kontrolliert den Rückkehrprozess in Syrien. Die Sicherheitsdienste
institutionalisieren ein System der Selbstbeschuldigung und Informationsweitergabe über
Dritte, um große Datenbanken mit Informationen über reale und wahrgenommene
Bedrohungen aus der syrischen Bevölkerung aufzubauen. Um intern oder aus dem
Ausland zurückzukehren, müssen Geflüchtete umfangreiche Formulare ausfüllen (EIP
6.2019).
Gesetz Nr. 18 von 2014 sieht eine Strafverfolgung für illegale Ausreise in der Form von
Bußgeldern oder Haftstrafen vor. Entsprechend einem Rundschreiben wurde die
Bestrafung für illegale Ausreise jedoch aufgehoben und Grenzbeamte sind angehalten,
Personen, die illegal ausgereist sind, "bei der Einreise gut zu behandeln" (DIS 6.2019).
Syrer benötigen in unterschiedlichen Lebensbereichen eine Sicherheitsfreigabe von den
Behörden, so z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäftes, eine Eheschließung und
Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnsitz zu wechseln, für
Wiederaufbautätigkeiten oder auch, um eine Immobilie zu kaufen (FIS 14.12.2018; vgl. EIP
6.2019). Die Sicherheitsfreigabe kann auch Informationen enthalten, z.B. wo eine Person
seit dem Verlassen des konkreten Gebietes aufhältig war. Der Genehmigungsprozess
könnte sich einfacher gestalten für eine Person, die in Damaskus aufhältig war,
wohingegen der Aufenthalt einer Person in Orten wie Deir ez-Zour zusätzliche
Überprüfungen nach sich ziehen kann. Eine Person wird für die Sicherheitserklärung nach
Familienmitgliedern, die von der Regierung gesucht werden, befragt, wobei nicht nur
Mitglieder der Kern- sondern auch der Großfamilie eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018).
Erschwerend kommt hinzu, dass eine Sicherheitsfreigabe, die von einer regierungsnahen
Stelle innerhalb Syriens erteilt wurde, in Gebieten, die von anderen regierungsnahen
Stellen kontrolliert werden, als ungültig angesehen werden kann. Dies ist auf die
Fragmentierung des Sicherheitsapparats der Regierung zurückzuführen, die die Mobilität
auf Gebiete beschränkt, die von bestimmten regierungsnahen Sicherheitsbehörden
kontrolliert werden (EASO 6.2021).
Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens erlaubt die Regierung die
Wohnsitzänderung aktuell nicht. Wenn es darum geht, wer in seinen Heimatort
zurückkehren kann, können einem Experten zufolge ethnisch-konfessionelle aber auch
praktische Motive eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018). Ehemalige Bewohner von Homs
müssen auch Jahre nach der Wiedereroberung durch die Regierung noch immer eine
Sicherheitsüberprüfung bestehen, um in ihre Wohngebiete zurückkehren und ihre Häuser
wieder aufbauen zu können (TE 28.6.2018; vgl. CMEC 15.5.2020). Syrer, die nach Syrien
zurückkehren, können sich nicht an jedem Ort, der unter Regierungskontrolle steht,
niederlassen. Die Begründung eines Wohnsitzes ist nur mit Bewilligung der Behörden
möglich (ÖB 21.8.2019). Das syrische Innenministerium kündigte Anfang 2019 an, keine
Sicherheitserklärung mehr als Voraussetzung für die Registrierung eines Mietvertrages bei
Gemeinden zu verlangen (SLJ 29.1.2019; vgl. ÖB 10.5.2019), sondern Mietverträge werden
dort registriert und die Daten an die Sicherheitsbehörden weitergeleitet (ÖB 10.5.2019),
sodass die Sicherheitsbehörden nur im Nachhinein Einspruch erheben können. Abgesehen
von Damaskus wurde dies bisher nicht umgesetzt (ÖB 21.8.2019). Außerhalb von
Damaskus muss die Genehmigung nach wie vor eingeholt werden. Auch hinsichtlich
Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten nicht erlaubt wurde, sich in
Damaskus niederzulassen. Die Niederlassung ist dementsprechend – für alle Gebiete unter
Regierungskontrolle – von einer Zustimmung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB
29.9.2020).
Laut einem Syrien-Experten dient eine Sicherheitsfreigabe, die einem Rückkehrer von
einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat erteilt wird, nur dem Zweck, dem Inhaber
die Einreise nach Syrien zu ermöglichen. Sie garantiert einem Rückkehrer nicht, dass er
seinen Herkunftsort innerhalb der von der Regierung gehaltenen Gebiete physisch
erreichen kann. Die Rückkehr an den Herkunftsort innerhalb der Gebiete unter
Regierungskontrolle erfordert einen anderen Weg, der von lokalen Machthabern, wie z. B.
kommunalen Behörden oder lokalen pro-regime Milizen, gesteuert wird. Die Verfahren,
um eine Erlaubnis zur Einreise in den Herkunftsort zu erhalten, variieren von Ort zu Ort
und von Akteur zu Akteur. Da sich die lokale Machtdynamik im Laufe der Zeit verschiebt,
sind auch die unterschiedlichen Verfahren einem Wandel unterworfen (EASO 6.2021).
Einige zuvor von der Opposition besetzte Gebiete sind für Personen, die in ihre
ursprüngliche Heimat zurückkehren möchten, praktisch abgeriegelt. In anderen versucht
das Regime, die Rückkehr der ursprünglichen Bevölkerung einzuschränken, um ein
(Wieder-)Entstehen des sozialen Umfelds, das den Aufstand verursachte, zu verhindern.
Einige Gebiete, die nominell vom Regime kontrolliert werden, wie Dara'a, die Stadt Deir
ez-Zour und Teile von Aleppo und Homs, sind für Rückkehrer unwirtlich, nämlich aufgrund
der schweren Zerstörungen, der Herrschaft übergriffiger regimefreundlicher Milizen und
der die Sicherheitslage betreffenden Aspekte, wie Angriffe durch den sogenannten
Islamischen Staat (IS), oder infolge einer Kombination aus allen drei Aspekten (ICG
13.2.2020).
Eine Reihe von Vierteln in Damaskus bleibt teilweise oder vollständig geschlossen, selbst
für Zivilisten, welche die Wohnviertel nur kurz aufsuchen wollen, um nach ihren
ehemaligen Häusern zu sehen (SD 19.11.2018). Beispielsweise durften Bewohnerinnen
und Bewohner des palästinensischen Camps Yarmouk in Damaskus auch zwei Jahre,
nachdem das Regime die Kontrolle wiedererlangt hat, weitgehend noch nicht
zurückkehren (EB 8.7.2020), bzw. erhielten nach Angaben von Aktivisten bislang nur
wenige Familien mit Verbindungen zu regierungsfreundlichen Milizen und ältere
Bewohner die Erlaubnis, zurückzukehren (MEI 6.5.2020).
Sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch die Vereinten Nationen prangern
umstrittene Wohn- und Eigentumsgesetze des Regimes an, die, wie beispielsweise das
Dekret Nr. 42/2018 oder das Gesetz Nr. 10, zur Enteignung von Binnenvertriebenen und
Flüchtlingen führen können. Der Wiederaufbau schreitet nur langsam voran. Insbesondere
große Teile der syrischen Städte sind im Konfliktverlauf zerstört worden. Auch mittel- bis
langfristig werden sie nicht bewohnbar sein. Berichten von
Menschenrechtsorganisationen zufolge reißt das Regime beschädigte Häuser und
Wohnungen in ehemaligen Oppositionsgebieten ab (AA 19.5.2020; BS 29.4.2020).
Es ist wichtig, dass Rückkehrer in ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann auf ein
soziales Netzwerk und/oder ihren Stamm zurückgreifen können. Jenen, die aus dem
Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, fehlt ein solches Sicherheitsnetz
(MOFANL 7.2019).
Es ist schwierig, Informationen über die Lage von Rückkehrern in Syrien zu erhalten.
Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer (TN 10.12.2018),
oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von
Rückkehrern (TN 10.12.2018; vgl. TWP 2.6.2019, FP 6.2.2019). Zudem wollen viele
Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen der Regierung nicht mehr mit Journalisten (TN
10.12.2018) oder sogar mit Verwandten sprechen, nachdem sie nach Syrien zurückgekehrt
sind (SD 16.1.2019; vgl. TN 10.12.2018). Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus
Europa gibt es, wohl auch aufgrund deren geringen Zahl, keine Angaben (ÖB 29.9.2020).
Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form
regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr
unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel
kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle, wie einem Checkpoint, von
unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Personals am
Kontrollpunkt oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der
Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden,
können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite zu gewärtigen haben, wie
Festnahme und im Zuge dessen auch Folter. Zu als oppositionell oder regierungsfeindlich
angesehenen Personen gehören einigen Quellen zufolge unter anderem medizinisches
Personal, insbesondere wenn die Person in einem von der Regierung belagerten
oppositionellen Gebiet gearbeitet hat, Aktivisten und Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit
gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren, oder Informationen oder
Fotos von Geschehnissen in Syrien, wie Angriffe der Regierung, verbreitet haben sowie
allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Einer Quelle zufolge kann es
sein, dass die Regierung eine Person, deren Vergehen als nicht so schwerwiegend gesehen
wird, nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit festnimmt (FIS 14.12.2018). Jeder
Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten und es findet keine Abstimmung und
Zentralisierung statt. Daher kann es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes
jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen kommen (AA 4.12.2020).
Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Checkpoint beeinflussen kann, ist das
Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. In einem Ort, der von der Opposition
kontrolliert wird oder wurde, zu wohnen oder von dort zu stammen kann den Verdacht
des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018).
Laut ICG ist nicht immer klar, wen die syrische Regierung als Gegner ansieht, bzw. kann
sich dies im Laufe der Zeit auch ändern. Demnach gibt es keine Gewissheit darüber, wer
vor einer Verhaftung sicher ist. Viele Flüchtlinge, mit denen ICG Gespräche führte,
berichteten, dass der Verzicht auf regimefeindliche Aktivitäten keine sichere Rückkehr
garantiert (ICG 13.2.2020).
Es wurde regelmäßig von Verhaftungen von und Anklagen gegen Rückkehrer gemäß der
Anti-Terror-Gesetzgebung berichtet, wenn diesen Regimegegnerschaft unterstellt wird.
Diese Berichte erscheinen laut deutschem Auswärtigem Amt glaubwürdig, konnten im
Einzelfall aber nicht verifiziert werden (AA 13.11.2018).
Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind,
exil-politische Tätigkeiten auszuspähen und darüber zu berichten (ÖB 29.9.2020; vgl. TWP
2.6.2019, EASO 6.2021). Es gab Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste mit Drohungen
gegenüber noch in Syrien lebenden Familienmitgliedern Druck auf in z.B. Deutschland
lebende Verwandte ausübten (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung hat Interesse an
politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle
von exil-politischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der
Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den
Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen (STDOK 8.2017). Einem Syrien-
Experten des European Institute of Peace zufolge werden Syrer in der Diaspora auf zwei
Arten überwacht: informell und formell. Die informelle Art der Überwachung beinhaltet,
dass Einzelpersonen andere an die syrischen Behörden melden. Diese Informanten sind
nicht offiziell bei den Sicherheitsbehörden angestellt, melden aber andere, um
regierungstreu zu erscheinen. Damit versuchen sie, mögliche negative Aufmerksamkeit
von sich abzuwenden. Die formelle Art der Überwachung besteht darin, dass staatliche
Institutionen wie Botschaften und Sicherheitsbehörden Informationen über dissidente
Syrer sammeln, die sich im Ausland aufhalten (EASO 6.2021).
Der Sicherheitssektor nützt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um, wie in der
Vergangenheit, lokale Informanten zur Informationsgewinnung und Kontrolle der
Bevölkerung zu institutionalisieren. Die Regierung weitet ihre Informationssammlung über
alle Personen, die nach Syrien zurückkehren oder die dort verblieben sind, aus. Historisch
wurden Informationen dieser Art benutzt, um Personen, die aus jedwedem Grund als
Bedrohung für die Regierung gesehen werden, zu erpressen oder zu verhaften (EIP
6.2019). Das Schreiben eines „taqrir“ (Bericht), d.h. die Meldung von Personen an die
Sicherheitsbehörden, ist seit Jahrzehnten Teil des Lebens im ba'athistischen Syrien, der
laut ICG auch unter den Flüchtlingen im Libanon fortbesteht. Motive sind dabei
persönliche Bereicherung, Begleichen von Rechnungen oder Vermeidung selbst zur
Zielscheibe zu werden. Sogar Regimebeamte geben zu, dass Verhaftungen aufgrund
unbegründeter Denunziationen erfolgen (ICG 13.2.2020).
Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen, die nach Syrien
zurückgekehrt waren (IT 17.3.2018). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer
Rückkehr verhaftet und verhört – inklusive Geflüchteten, die aus dem Ausland nach Syrien
zurückkehrten, IDPs aus von der Opposition kontrollierten Gebieten, und Personen, die in
durch die Regierung wiedereroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der
Regierung unterschrieben haben. Sie wurden gezwungen, Aussagen über
Familienmitglieder zu machen und in manchen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019;
vgl. EIP 6.2019).
Daten der Vereinten Nationen weisen darauf hin, dass 14% von mehr als 17.000 befragten
IDP- und Flüchtlingshaushalten, die im Jahr 2018 zurückgekehrt sind, während ihrer
Rückkehr angehalten oder verhaftet wurden, 4% davon für über 24 Stunden. In der
Gruppe der (ins Ausland) Geflüchteten wurden 19% verhaftet. Diese Zahlen beziehen sich
spezifisch auf den Heimweg und nicht auf die Zeit nach der Rückkehr (EIP 6.2019).
Syrische Flüchtlinge benötigen für die Heimreise üblicherweise die Zustimmung der
Regierung und die Bereitschaft, vollständige Angaben über ihr Verhältnis zur Opposition
zu machen. In vielen Fällen hält die Regierung die im Rahmen der
„Versöhnungsabkommen“ vereinbarten Garantien nicht ein, und Rückkehrer sind
Schikanen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden oder auch Inhaftierung und
Folter ausgesetzt, mit dem Ziel Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im
Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019).
Nach Einschätzung des Hochkommissariats für Flüchtlinge der Vereinten Nationen
(UNHCR), der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und des Internationalen
Komitees vom roten Kreuz (IKRK) sind die Bedingungen für eine umfassende Rückkehr von
Flüchtlingen nach Syrien in Sicherheit und Würde aufgrund weiter bestehender
signifikanter Sicherheitsrisiken für die Zivilbevölkerung in ganz Syrien weiterhin nicht
gegeben (AA 4.12.2020).
2. Beweiswürdigung:
Zur Person der beschwerdeführenden Partei:
Die Feststellungen zur Herkunftsprovinz, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zur Muttersprache sowie zum Familienstand und zu den Kindern der beschwerdeführenden Partei basieren auf den in diesem Zusammenhang im bisherigen Verfahren konsistenten und kohärenten Angaben der beschwerdeführenden Partei, die auch die belangte Behörde dem angefochtenen Bescheid zugrunde legte. Die Identität der beschwerdeführenden Partei geht aus einem in Vorlage gebrachten syrischen Personalausweis hervor, der auch von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellt wurde.
Dass die Herkunftsregion der beschwerdeführenden Partei aktuell unter kurdischer Kontrolle steht und die syrische Regierung in der unter kurdischer Selbstverwaltung stehenden Region die Kontrolle über zwei kleine Gebiete, sogenannte „Sicherheitsviertel“, ausübt, ergibt sich aus einer Nachschau unter https://syria.liveuamap.com/ .
Die Feststellungen zur Ausreise der beschwerdeführenden Partei aus Syrien und der Asylantragstellung in Österreich basieren auf seinen glaubhaften Angaben im Verfahren und dem Akteninhalt.
Zum Fluchtgrund:
Zum Fluchtgrund gab die beschwerdeführende Partei im Zuge der Erstbefragung an, dass er Angst vor einer erneuten Rekrutierung zum Militärdienst habe. Bei der niederschriftlichen Einvernahme gab die beschwerdeführende Partei ebenfalls an, dass er in Syrien als Reservist gesucht werde, vermochte dieses Vorbringen jedoch nicht durch weitere Ausführungen zu präzisieren und konnte auch keine diesbezüglichen Beweismittel vorlegen.
Wenn die beschwerdeführende Partei auf Aufforderung, die konkrete Einberufung als Reservist zu schildern, vorbringt, dass er am 15.01.2019 vom Direktor erfahren habe, als Reservist einberufen zu werden, und dass er sich bei der Rekrutierungsabteilung melden müsse, so stehen diesen Ausführungen im diametralen Widerspruch zu den Erläuterungen hinsichtlich der Umsetzung der Rekrutierung durch die syrische Armee in den Länderfeststellungen, aus denen explizit hervorgeht, dass die Regierung bei der Einberufung neuer Rekruten Wehrdienstbescheide an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben, mit der Aufforderung übermittelt, sich zum Militärdienst anzumelden. Weiters ist aus dem Länderinformationsblatt abzuleiten, dass die Namen der einberufenen Männer in einer zentralen Datenbank erfasst werden. In Bezug auf die Rekrutierungspraxis seitens kurdischer Streitkräfte wurde im Länderinformationsblatt angemerkt, dass es zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Kontrollposten und auch zu Ausforschungen kommt und dass die Autonomiebehörden laut der Österreichischen Botschaft Damaskus eine Verweigerung aber nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen dürften (ÖB 29.9.2020).
Für die von der beschwerdeführenden Partei geschilderte Praxis der Rekrutierung, über einen mündlichen Hinweis nur indirekt über eine Rekrutierungsabteilung einberufen zu werden, gibt es hingegen keine Anhaltspunkte. Der Rechtfertigungsversuch der beschwerdeführenden Partei, wonach solche Reservisten immer dem Direktor geschickt werden würden, stimmt nicht mit den dem Gericht aufliegenden Länderinformationen überein und geht daher ins Leere. Überdies wurde vom BFA im angefochtenen Bescheid richtigerweise festgehalten, dass die beschwerdeführende Partei im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme ausdrücklich bestätigte, vom 15.01.2019 bis zu seiner Ausreise im Jahr 2020 keinerlei Probleme mit der Militärbehörde gehabt zu haben, und dass er die Frage, ob ihm eine schriftliche Einberufung übermittelt worden sei, verneinte (AS 193). Es ist unabhängig davon bereits nicht anzunehmen, dass sich die beschwerdeführende Partei bei Wahrheitsunterstellung des Vorbringens noch über ein Jahr unbehelligt in Syrien aufhalten und gänzlich unerkannt ein Restaurant betreiben hätte können, falls er tatsächlich für syrische Streitkräfte oder kurdische Milizen von besonderem Interesse gewesen wäre.
Wenngleich die beschwerdeführende Partei auf die Frage, ob er seitens des Schuldirektors oder der zuständigen Behörde zwischen 15./16.01.2019 und seiner Ausreise im Jahr 2020 kontaktiert oder aufgesucht worden sei, den Anschein erweckte, nunmehr zu wissen, dass er gesucht werde, ist dieser lapidaren Behauptung entgegenzuhalten, dass er auf Nachfrage selbst einräumte, von niemandem und vor allem von keiner Behörde kontaktiert oder aufgesucht worden zu sein (AS 193). Er konnte jedenfalls auch keine nachvollziehbare Erklärung angeben, wieso es seinen drei Brüdern im Gegensatz zu ihm nach wie vor möglich ist, sich weiterhin in Syrien aufzuhalten, ohne von einer unmittelbar bevorstehenden Rekrutierung betroffen zu sein. Der bloße Verweis der beschwerdeführenden Partei, wonach in Syrien theoretisch jeder eine Einberufung bekommen könne, ist mangels konkreter Anhaltspunkte jedenfalls nicht geeignet, eine unmittelbar bevorstehende Gefährdung seiner Person anzunehmen. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass syrische Behörden oftmals eine willkürliche Rekrutierungspraxis betreiben, eine gänzlich pauschale Gefährdungslage ist jedoch nicht anzunehmen. Selbst im Hinblick auf etwaige Rückkehrbefürchtungen gestand die beschwerdeführende Partei ein, dass es sich bei seiner Annahme, mit der syrischen Polizei Probleme zu bekommen, um eine bloße Spekulation handle, die jedoch auf keiner hinreichend substanziierten Grundlage basiert (AS 194).
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (z. B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können.
Aus den Angaben der beschwerdeführenden Partei im Verfahren sind daher keine Hinweise für eine mögliche Einberufung als Reservist ableitbar. Die beschwerdeführende Partei ist jedenfalls weder als Militärdienstverweigerer noch als Deserteur zu qualifizieren, da er bereits 45 Jahre alt ist, sich daher nicht mehr im wehrdienstfähigen Alter befindet und von 1996 bis 1999 den Militärdienst als einfacher Soldat bereits ableistete.
Im gesamten Verfahren sind keine Hinweise auf sonstige gefahrenerhöhende Umstände hervorgekommen, aufgrund derer die beschwerdeführende Partei in Syrien aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen könnte, von der syrischen Regierung zum Militärdienst eingezogen oder bestraft zu werden.
Aus den aktuellen Länderberichten ergibt sich überdies auch nicht, dass jedem Rückkehrer, der Syrien unrechtmäßig verlassen hat und im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird bzw. dass dieser bei einer Rückkehr eine allgemein asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte (VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0147). Die Tatsache, dass eine Person Syrien verlassen hat, bedeutet normalerweise für sich genommen nicht, dass für sie eine hinreichend große Gefahr besteht, um eine begründete Furcht vor Verfolgung festzustellen. In den meisten Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht wird, steht diese im Zusammenhang mit Umständen, die anderen in diesem Leitfaden behandelten Profilgruppen zuzuordnen sind, insbesondere der Gruppe der „Vermeintlich regierungsfeindlichen Personen“ (EASO, Leitfaden Syrien, November 2021, S. 11). Es ist im Verfahren jedenfalls entgegen dem Beschwerdevorbringen, dass die beschwerdeführende Partei nach den UNHCR-Erwägungen als Wehrdienstverweigerer drei Risikoprofilen entspreche, nicht hervorgekommen, aus welchem Grund die beschwerdeführende Partei als politischer Gegner der syrischen Streitkräfte oder der kurdischen Milizen eingestuft werden könnte.
Konkrete Gründe, aufgrund derer anzunehmen wäre, dass die beschwerdeführende Partei die Aufmerksamkeit der syrischen Regierungsbehörden auf sich gelenkt haben könnte, brachte er selbst nicht vor und konnten auch im Verfahren nicht ermittelt werden. Die Frage, ob er jemals Probleme mit den Behörden gehabt habe, wurde von der beschwerdeführenden Partei ebenfalls ausdrücklich verneint (AS 96).
Zu einem von der beschwerdeführenden Partei vorgelegten syrischen Wehrdienstbuch ist noch anzumerken, dass dieses Dokument nicht geeignet ist, eine asylrelevante Verfolgung zu belegen, da von der beschwerdeführenden Partei im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme nicht einmal ansatzweise angedeutet wurde, dass in diesem Schriftstück seine Einberufung als Reservist vermerkt wurde.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 29/2020 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:
§ 3 (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.
(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
§ 11 (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113; 24.03.2011, 2008/23/1443).
§ 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt Verfolgung als jede Verfolgungshandlung im Sinn des Art. 9 Statusrichtlinie 2011/95/EU , worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter.
Dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen muss, ergibt sich schon aus der Definition des Flüchtlingsbegriffs in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wonach als Flüchtling im Sinn dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Auch Art. 9 Abs. 3 der Statusrichtlinie verlangt eine Verknüpfung zwischen den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen einerseits und den Verfolgungsgründen andererseits (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080). Dafür reicht es nach der jüngeren Ansicht des UNHCR aus, dass der Konventionsgrund ein (maßgebend) beitragender Faktor ist, er muss aber nicht als einziger oder überwiegender Grund für die Verfolgung oder das Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen nachgewiesen werden (VwGH 13.01.2015, Ra 2014/18/0140).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 11 Abs. 1 AsylG 2005 (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, Rn. 14-24) ist im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung das Kriterium der "Zumutbarkeit" gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen. Die Frage der Zumutbarkeit soll danach beurteilt werden, ob der in einem Teil seines Herkunftslandes verfolgte oder von ernsthaften Schäden (iSd Art. 15 Statusrichtlinie) bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein „relativ normales Leben“ ohne unangemessene Härte führen kann. Dabei ist gemäß § 11 Abs. 2 AsylG 2005 (Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie) auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen. Der Verwaltungsgerichtshof hielt fest, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates selbstverständlich wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Es muss dem Asylwerber aber auch möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss.
Im vorliegenden Fall ist auf Grund der Sachverhaltsfeststellungen davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Partei eine drohende Verfolgung, die in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK steht, nicht glaubhaft machen konnte. Als Flüchtling im Sinn dieses Abkommens ist nur anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Die beschwerdeführende Partei verließ den Herkunftsstaat wegen des Krieges und erhielt auch bereits subsidiären Schutz in Österreich. Eine Gefahr der neuerlichen Einberufung der beschwerdeführenden Partei zum Wehrdienst trotz des Fehlens von besonderen Qualifikationen ist nach den Länderfeststellungen nicht ersichtlich (vgl. auch VwGH 21.09.2022, Ra 2022/19/0227).
Auch für eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungsgefahr in Syrien für alle Rückkehrer aus Europa, die einen Asylantrag stellten, gibt es keine ausreichenden Hinweise. Die einschlägigen Länderberichte sprechen davon, dass die Behandlung eines Rückkehrers durch die Behörden davon abhängt, ob die Person für oder gegen das Regime ist. Die beschwerdeführende Partei stellt aber keine besonders exponierte Person dar und behauptete auch selbst nicht, dass er gegen die syrische Regierung aufgetreten wäre.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.
Zu dem Antrag auf Durchführung einer Verhandlung wird ausgeführt:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Den Umfang der Verhandlungspflicht aufgrund dieser Bestimmung umschrieb der Verwaltungsgerichtshof in seinem grundlegenden Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, worin die Kriterien für die Annahme eines geklärten Sachverhaltes zusammengefasst wurden, folgendermaßen (seither ständige Rechtsprechung; vgl. zum grundrechtlichen Gesichtspunkt auch VfGH 26.02.2018, E 3296/2017; 24.11.2016, E 1079/2016; 14.03.2012, U 466/11, U 1836/11):
„Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstanziiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.“
Im vorliegenden Fall liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG und die dazu von der ständigen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien vor. Der Sachverhalt ist aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt. In einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren wurde der beschwerdeführenden Partei ausreichend Parteiengehör eingeräumt, und auch die Beschwerde zeigt nicht plausibel auf, inwieweit eine neuerliche Einvernahme zu einer weiteren Klärung der Sache führen könnte.
Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch das BFA vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. Der Sachverhalt wurde daher nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung festgestellt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
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