BVwG W144 2263344-1

BVwGW144 2263344-15.12.2022

AsylG 2005 §5
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W144.2263344.1.00

 

Spruch:

 

 

W144 2263344-1/5E

W144 2263348-1/5E

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die gemeinsame Beschwerde von 1 XXXX geb., StA von Kenia, und 2. mj. XXXX geb., StA von Polen, gegen die Bescheide des BFA jeweils vom 15.11.2022, Zlen. XXXX (ad 1.) und XXXX (ad 2.), zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde der XXXX wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerde des XXXX wird gemäß Protokoll Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum EU-Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang

 

Die 1.-Beschwerdeführerin (1.-BF) ist die Mutter des minderjährigen (mj.) 2.-Beschwerdeführs (2.-BF).

 

Die 1.-BF ist Staatsangehörige von Kenia. Der 2.-BF ist Staatsangehöriger von Polen.

 

Am 04.08.2022 reisten beide BF, die 1.-BF unter Verwendung eines polnischen Visums der Kategorie C (Schengen), gültig vom XXXX .08.2022 bis XXXX .09.2022 für 31 Tage, auf dem Luftweg von Tansania kommend nach Polen ein und begaben sich in der Folge am nächsten Tag, den 05.08.2022 ins österreichische Bundesgebiet, wo sie später am 23.08.2022 die gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet stellten.

 

Der Beschwerde liegen folgende Verwaltungsverfahren zugrunde:

 

Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Wien vom 25.08.2022 gab die 1.-BF in eigener Sache sowie als gesetzliche Vertreterin für ihren minderjährigen Sohn, den 2.-BF, - neben ihren Angaben zum Reiseweg und ihrem polnischen Visum - im Wesentlichen lediglich an, dass sie befürchte, dass ihr Sohn im Heimatland Kenia beschnitten werden würde. Ihr Exfreund aus Polen, der Vater des 2.-BF interessiere sich weder für sie noch für den gemeinsamen Sohn, sie habe ihm über die drohende Beschneidung alles erzählt, er habe jedoch nichts dagegen unternommen.

 

Der mj. 2.-BF wurde altersbedingt nicht einvernommen.

 

Das BFA richtete sodann am 30.08.2022 unter Hinweis auf das polnische Visum der 1.-BF und die polnische Staatsangehörigkeit des 2.-BF auf Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestützte Aufnahmeersuchen an Polen. Polen hat seine Zuständigkeit und die Rückübernahme der 1.-BF mit Schreiben vom 05.10.2022 unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO ausdrücklich akzeptiert, und unter einem ausgeführt, dass in Bezug auf den mj., polnischen 2.-BF als EU-Bürger die Dublin III-VO nicht anwendbar ist.

 

Im Zuge ihrer Einvernahme durch das BFA vom 10.11.2022 gab die 1.-BF an, dass ihre bisherigen Angaben der Wahrheit entsprechen, dass ihr Sohn Doppelstaatsbürger sei, sowie dass sie selbst und auch ihr Sohn gesund seien, keine Medikamente benötigten und nicht in ärztlicher Behandlung stünden. Sie habe weder in Österreich noch sonst im Bereich der Mitgliedstaaten Verwandte, sie habe lediglich eine beste Freundin hier, mit der sie jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Sie besuche die Freundin jedoch öfter, und erhalte von dieser manchmal auch finanzielle Zuwendungen. Nach Vorhalt, dass Polen zur Prüfung ihres Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei, gab die 1.-BF an, dass sie nicht nach Polen zurückkehren wolle. Sie sei jetzt vier Monate in Österreich, ihr Sohn, der 2.-BF gehe hier in die Schule und es gefalle ihm hier. Sie habe Freunde hier und wolle hier bleiben. In Polen habe sie eine Nacht geschlafen, die Leute dort seien schlecht und rassistisch, weil sie eine schwarze Frau sei. Sie habe niemanden in Polen und habe dort Angst vor ihrem Exfreund. Sie fühle sich hier wie zu Hause. Der Exfreund habe sie während der Schwangerschaft bedroht, dies sei noch in Kenia gewesen. In Polen habe es keine Vorfälle mit ihrem Exfreund gegeben, sie habe auch keinen Kontakt zu ihm.

 

Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde I. der Antrag beider BF auf internationalen Schutz – wenngleich aufgrund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen – als unzulässig zurückgewiesen.

In Bezug auf die 1.-BF wurde der Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-Verordnung zur Prüfung des Antrags zuständig ist, sowie II. die Außerlandesbringung der BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung nach Polen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig ist.

In Bezug auf den 2.-BF wurde sein Antrag gem. Protokoll Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum EU-Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 als unzulässig zurückgewiesen.

 

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen sowie die Beweiswürdigung zur Lage im Mitgliedstaat wurden im angefochtenen Bescheid der 1.-BF im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert):

„zur Lage im Mitgliedstaat:

Allgemeines zu Vorbringen von Asylwerbern in Dublin Verfahren:

Die Asylbehörden haben nicht nachzuprüfen, ob ein Mitgliedstaat generell sicher ist. Nur wenn sich im Einzelfall ergeben sollte, dass Grundrechte des Asylwerbers z.B. durch Kettenabschiebung bedroht sind, so wäre aus innerstaatlichen, verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben.

(VfGH 17.6.2005, B 336/05, UBAS zu 268.445/3-X/47/06 vom 14.03.2006)

Es ist nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörde, hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen. Auch aus dem Umstand, dass Anerkennungsquoten im Asylverfahren relativ gering seien, kann nicht automatisch darauf geschlossen werden, dass kein ordnungsgemäßes Verfahren geführt wird.“

(VwGH, 31.5.2005, Zl. 2002/20/0095)

Die höchstgerichtliche Judikatur ist gerade bei Anträgen ab 01.01.2006 aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 von besonderer Bedeutung.

Zu Polen werden folgende Feststellungen getroffen:

(Anmerkung: Die Feststellungen sind durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt und entsprechen dem Stand vom Juni 2021).

COVID-19-Pandemie

Letzte Änderung: 06.12.2021

Am 12. März 2020 wurde in Polen der Epidemiezustand ausgerufen (GOV o.D.a).

In Polen hat das Asylamt, nach COVID-bedingten Einschränkungen während denen keinerlei Entscheidungen in Verwaltungsverfahren getroffen werden durften, am 25.5.2020 den Parteienverkehr in Asylverfahren zumindest in Warschau wieder aufgenommen. Mit 23. Mai liefen auch die Fristen in Asylverfahren wieder weiter (ECRE 28.5.2020; vgl. AIDA 4.2021). Interviews fanden 2020 hauptsächlich über Videokonferenz statt, wobei sich Antragsteller und Entscheider in verschiedenen Räumen befanden. Der Antragsteller unterzeichnete das Protokoll hinterher wie gewohnt (AIDA 4.2021).

Polen hat während der Pandemie die Verlängerung der Gültigkeit von Dokumenten um bis zu 30 Tage nach Ende der COVID-Situation erklärt und Online-Anträge auf Integrations- und Sozialhilfe für Schutzberechtigte eingeführt. Es erlaubt Asylwerbern Arbeit ohne Verlängerung von entsprechenden Genehmigungen und hat den Zugang von Asylwerbern zu kostenfreier sozialer und medizinischer Hilfe erweitert (UNHCR 9.5.2020). Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurden psychologische Konsultationen im Jahr 2020 per Telefon abgehalten und auch die Möglichkeit zur telefonischen ärztlichen Konsultation eingeführt. 2020 gab es 874 gemeldete COVID-19-Fälle unter Asylwerbern in Polen, von denen nur eine Minderheit hospitalisiert werden musste. Es gab einen Todesfall (AIDA 4.2021).

Die COVID-19-Impfungen sind für alle Ausländer, die sich legal in Polen aufhalten, kostenlos (GOV o.D.b).

In Polen haben auch illegale Migranten kostenlosen Zugang zu COVID-19-Notfallbehandlung (WHO 2021).

Im Jahr 2020 hat die Ausländerbehörde aufgrund der COVID-19-Pandemie Asylbewerber ermutigt, außerhalb der Aufnahmezentren zu leben. Viele Asylwerber haben aufgrund der Pandemie ihre Jobs verloren (AIDA 2.2021).

Auf Grundlage des COVID-Gesetzes wurde die Frist zum Verlassen Polens nach negativer Entscheidung im Asylverfahren auf 30 Tage nach Beendigung des Epidemiezustands erweitert (AIDA 4.2021).

Quellen:

 AIDA – Asylum Information Database (4.2021): Helsinki Foundation for Human Rights (HFHR) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Poland. 2020 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/04/AIDA-PL_2020update.pdf , Zugriff 12.11.2021

 GOV - Government of Poland [Polen] (o.D.a): Coronavirus: information and recommendations, https://www.gov.pl/web/coronavirus/general-information , Zugriff 2.12.2021

 GOV - Government of Poland [Polen] (o.D.b): Information for foreigners, https://www.gov.pl/web/szczepimysie/information-for-foreigners , Zugriff 3.12.2021

 ECRE – European Council on Refugees and Exiles (28.5.2020): INFORMATION SHEET 28 MAY 2020: COVID-19 MEASURES RELATED TO ASYLUM AND MIGRATION ACROSS EUROPE, https://www.ecre.org/wp-content/uploads/2020/05/COVID-INFO-28-May.pdf , Zugriff 2.12.2021

 UNHCR - Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (9.5.2020): Regional Bureau for Europe: COVID-19 Emergency Response, Update #5 (2 – 7 May 2020), https://reliefweb.int/report/world/regional-bureau-europe-covid-19-emergency-response-update-5-2-7-may-2020 , Zugriff 2.12.2021

 WHO - Weltgesundheitsorganisation (2021): Global Evidence Review on Health and Migration. Refugees and migrants in times of COVID-19: mapping trends of public health and migration policies and practices, https://apps.who.int/iris/rest/bitstreams/1351802/retrieve , Zugriff 2.12.2021

Allgemeines zum Asylverfahren

Letzte Änderung: 06.12.2021

In erster Instanz für das Asylverfahren in Polen zuständig ist das Office for Foreigners (Urzad do Spraw Cudzoziemcow, UDSC), das dem Innenministerium untersteht. Es gibt ein mehrstufiges Asylverfahren mit Beschwerdemöglichkeiten:(AIDA 4.2021; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle)

Im Jahr 2020 wurden insgesamt 2.803 Anträge auf internationalen Schutz gestellt eingereicht, was einen Rückgang von 31% gegenüber 2019 (4.095 Anträge) bedeutet. Dies ist die niedrigste Zahl der Anträge seit 1999 und liegt an der Einstellung der Tätigkeit der Asylbehörde vom 16. März bis 25. Mai 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit für eine Entscheidung stieg von 152 Tagen im Jahr 2019 auf 207 im Jahr 2020. Die Anerkennungsrate lag bei 16%. Ende 2020 waren insgesamt 3.557 Verfahren anhängig (AIDA 4.2021).

Im Jahr 2020 wurden von 1.943 Beschwerden gegen erstinstanzliche Asylentscheidungen insgesamt 1.737 abgelehnt. Das Refugee Board (1. Beschwerdeinstanz) hat in keinem Fall Flüchtlingsstatus, aber in neun Fällen subsidiären Schutz zuerkannt (AIDA 4.2021).

2021 wurden bis 31. August 1.683 Asylanträge gestellt. Im selben Zeitraum wurde 723 Personen ein internationaler oder subsidiärer Schutz gewährt (UNHCR 9.2021).

Es gibt einen nationalen Schutzstatus namens Asyl. Wenn es im Interesse des Staates liegt, kann ein Fremder in einem separaten Verfahren diese Schutzform erhalten. Die Entscheidung ist also eine politische und im Laufe der Jahre wurde dieses Verfahren nur sehr selten angewendet (4 positive Fälle im Jahr 2020, ein Fall im Jahr 2019 und keiner im Jahr 2018) (AIDA 4.2021). (Wenn in dieser Länderinformation von "Asyl" die Rede ist, ist ausdrücklich internationaler Schutz und nicht die nationale Schutzform Asyl gemeint, es sei denn es wird anderes angemerkt; Anm. der Staatendokumentation)

Quellen:

 AIDA – Asylum Information Database (4.2021): Helsinki Foundation for Human Rights (HFHR) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Poland. 2020 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/04/AIDA-PL_2020update.pdf , Zugriff 12.11.2021

 UNHCR - Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (9.2021): Poland Fact Sheet, https://www.unhcr.org/6172aee9f.pdf , Zugriff 2.12.2021

Dublin-Rückkehrer

Letzte Änderung: 06.12.2021

Es gibt keine Berichte über Zugangshindernisse zum Verfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, können bei der Grenzwache einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen. Eine Wiedereröffnung ist innerhalb von neun Monaten ab Einstellung möglich. Sind diese neun Monate verstrichen, wird der Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft. Im Jahr 2020 wurden 1.044 Entscheidungen (betreffend 1.556 Personen) bezüglich Einstellung von Asylverfahren getroffen; in der überwiegenden Mehrheit der Fälle, weil die Antragsteller nach Antragsstellung nicht in einer Aufnahmeeinrichtung ankamen bzw. diese verließen und nicht binnen sieben Tagen zurückkehrten. Im Jahr 2020 beantragten 124 Personen innerhalb von 9 Monaten eine Wiedereröffnung ihres Verfahrens. Viele Rückkehrer ziehen die freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland einem Asylverfahren vor (AIDA 4.2021).Quellen:

 AIDA – Asylum Information Database (4.2021): Helsinki Foundation for Human Rights (HFHR) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Poland. 2020 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/04/AIDA-PL_2020update.pdf , Zugriff 12.11.2021

Unbegleitete minderjährige Asylwerber / Vulnerable

Letzte Änderung: 07.12.2021

Die Identifizierung von vulnerablen Gruppen geschieht durch die Grenzwache bei der Registrierung des Asylantrags bzw. durch die Asylbehörde. Als vulnerabel gelten in Polen laut Gesetz Minderjährige, Behinderte, Alte, Schwangere, Alleinerziehende, Opfer von Menschenhandel, ernsthaft Kranke, psychisch Beeinträchtigte, Folteropfer und Opfer psychischer, physischer bzw. sexueller Gewalt. Die Behörde ist verpflichtet bei Angehörigen dieser Gruppen unmittelbar nach Antragstellung oder aber zu jedem Zeitpunkt im Verfahren zu prüfen, ob sie spezielle Bedürfnisse haben. Dazu kann die Behörde eine medizinische oder psychologische Untersuchung des Antragstellers veranlassen. Betroffene können eine solche Untersuchung auch selbst veranlassen, müssen diese dann aber auch selbst finanzieren. Wer die Untersuchung verweigert hat auch keinen Anspruch auf besondere Behandlung. Typischerweise wird ein Gespräch mit einem Psychologen arrangiert, wenn der Antragsteller die relevanten Felder im Asylantragsformular ankreuzt. Der Psychologe empfiehlt dann, ob der Antragsteller als vulnerabel zu behandeln ist. Seit Juni 2019 wird jeder Asylwerber, der den sogenannten epidemiologischen Filter (medizinische Eingangsuntersuchung) durchläuft, auch einem Vulnerabilitätsscreening unterzogen. NGOs behaupten regelmäßig, dass das im polnischen Gesetz vorgesehene Identifikationssystem für Vulnerable in der Praxis nicht funktioniert. Besonders moniert wird, dass die Behörde prinzipiell keine Experten hinzuziehen muss, um Folteropfer zu identifizieren. An der Grenze wendet die Grenzwache eigene Identifizierungsmechanismen für Vulnerable an, um diese als Opfer von Menschenhandel oder von Folter zu erkennen oder um deren Haftfähigkeit festzustellen (AIDA 4.2021).

Antragsteller mit besonderen Bedürfnissen sind entsprechend unterzubringen. Spezielle Bedürfnisse bestehen, wenn folgende Unterbringung notwendig ist: behindertengerechte Unterbringung; Unterbringung in einem Einzelzimmer für alleinstehende Frauen mit Kindern; Unterbringung in einer medizinischen Einrichtung (auch wegen psychologischer Gründe); Unterbringung unter Beachtung angepasster Ernährung. Behinderte, Alte, Schwangere und Alleinerziehende sind nach Antragstellung, Dublin-Rückkehr oder etwaiger Entlassung aus Haft, von der Grenzwache in ein Unterbringungszentrum zu transportieren, was aber im Falle Behinderter, Alter, Schwangerer und Alleinerziehender in der Praxis selten vorkommt. Andere vulnerable Gruppen müssen selbst dorthin reisen. Einige der Unterbringungszentren in Polen sind behindertengerecht angepasst. Einige Zentren haben spezielle Eingänge und Bäder für Rollstuhlfahrer, andere Zentren haben gewisse Verbesserungen für diese Gruppe umgesetzt, und es gibt Rehabilitationsmaßnahmen. Für traumatisierte Asylwerber (etwa Folteropfer) gibt es kein eigenes Zentrum, jedoch können sie bei Bedarf in Einzelzimmern untergebracht werden. In Warschau gibt es ein Zentrum, speziell für alleinstehende Frauen und solche mit Kindern (AIDA 4.2021).

Die Gesetze sehen Identifizierungsmechanismen für unbegleitete Minderjährige vor. Wenn Zweifel an der Minderjährigkeit eines Antragstellers bestehen, ist mit Zustimmung des Antragstellers bzw. seines Vertreters, eine medizinische Altersfeststellung vorgesehen, die unter Wahrung der Würde und unter Anwendung der am wenigsten invasiven Methode vorzunehmen ist. Im Zweifelsfall wird in der Regel die Minderjährigkeit angenommen. Wird die Zustimmung zur Altersfeststellung verweigert, wird der Betreffende als Erwachsener behandelt (AIDA 4.2021; vgl. UDSC o.D.b).

Die Gesetze sehen vor, dass für unbegleitete Minderjährige vom lokal zuständigen Bezirksfamiliengericht ein Vormund (Kurator) bestimmt werden muss, was in der Praxis auch ausnahmslos der Fall ist. Die Frist zur Bestellung beträgt drei Tage, zu ihrer Einhaltung in der Praxis gibt es aber keine Berichte. Der Vormund ist zuständig für das Asylverfahren, soziale Betreuung und gegebenenfalls freiwillige Rückkehr, nicht jedoch für andere Lebensbereiche des UMA. In den letzten Jahren gab es in der Praxis Probleme mit der zu geringen Zahl an geeigneten Kandidaten für eine Vormundschaft. Meist werden NGO-Mitarbeiter oder entsprechend engagierte Rechtswissenschaftsstudenten bestellt. Der Vormund soll während des Asylinterviews des unbegleiteten Minderjährigen anwesend sein, ebenso ein Psychologe. Ein UNICEF-Bericht aus dem Jahr 2020 beklagt mangelnden oder gänzlich fehlenden Kontakt mancher Vormunde zu ihren Schutzbefohlenen und einen Mangel an (kindgerechter) Information für UMA über ihre rechtliche Situation. Vormunde werden nicht durch Übersetzer unterstützt, was die Kommunikation zusätzlich erschwert (AIDA 4.2021).

UMA werden in Jugendbetreuungseinrichtungen in ganz Polen untergebracht. Nach der gerichtlichen Entscheidung zur Bestellung des Vormunds ist Unterbringung in Betreuungseinrichtungen oder Pflegefamilien möglich. Wenn das Asylverfahren negativ ausgeht, darf der UM in der Unterbringung oder Familie bleiben, in der er sich befindet. 2020 gab es 113 UMA in Polen. Die meisten UMA in Polen entziehen sich dem Verfahren durch Verlassen der Unterbringung, bei manchen Nationalitäten sind das 100% (z.B. Vietnamesen) (AIDA 4.2021). Die medizinische und psychologische Betreuung unbegleiteter Minderjähriger in Pflege- und Betreuungseinrichtungen erfolgt am Ort der Einrichtung (UDSC o.D.a).

Alle in Polen aufhältigen Kinder unterliegen bis zum Alter von 18 Jahren der Schulpflicht. Es besteht gleicher Zugang zu öffentlichen Schulen wie für polnische Staatsbürger. Im September 2020 besuchten 841 asylwerbende Kinder etwa 126 öffentliche Schulen in Polen. Die Polnisch-Kurse und Vorbereitungsklassen gelten als unzureichend. Das polnische Bildungssystem nimmt nicht genug Rücksicht auf die speziellen Bedürfnisse dieser Schüler, aber auch Fluktuation durch Weiterreise der Familien nach Westeuropa ist ein Problem (AIDA 2.2021). Minderjährige, die mit ihren Familienangehörigen in geschlossenen Zentren untergebracht sind, haben keinen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

 AIDA – Asylum Information Database (4.2021): Helsinki Foundation for Human Rights (HFHR) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Poland. 2020 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/04/AIDA-PL_2020update.pdf , Zugriff 12.11.2021

 UDSC – Urząd do Spraw Cudzoziemców [Asylbehörde - Polen] (o.D.a): Unaccompanied minors, https://www.gov.pl/web/udsc-en/unaccompanied-minors , Zugriff 2.12.2021

 UDSC – Urząd do Spraw Cudzoziemców [Asylbehörde - Polen] (o.D.b): Rights and Obligations, https://www.gov.pl/web/udsc-en/rights-and-obligations-applicant , Zugriff 2.12.2021

 USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Poland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048465.html , Zugriff 2.12.2021

Non-Refoulement

Letzte Änderung: 07.12.2021

Im Juli 2020 kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem Urteil gegen Polen zu dem Schluss, dass die Lage an den Grenzübergängen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleichkäme, da die Behörden sich weigerten, Asylanträge anzunehmen, und sie summarische Abschiebungen durchführten, die einige der Betroffenen der Gefahr schwerer Menschenrechtsverletzungen aussetzten (Refoulement) (AI 7.4.2021).

Der Zugang von Schutzsuchenden zum polnischen Hoheitsgebiet bleibt weiterhin Gegenstand der Kritik, das betrifft insbesondere die Grenze zu Belarus am Grenzübergang Terespol. Am 23. Juli 2020 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall M.K. und andere gegen Polen entschieden, dass die polnischen Behörden es versäumt haben die Asylanträge der Betroffenen zu prüfen und stattdessen für deren kollektive Ausweisung verantwortlich sind, wodurch die Antragsteller einer ernsthaften Gefahr des Ketten-Refoulements ausgesetzt wurden. Trotz des EGMR-Urteils sowie anderer anhängiger Verfahren auf nationaler und europäischer Ebene bestreitet die polnische Regierung weiterhin die Anwendung ungesetzliche Praktiken an der Grenze. Für Polen waren die Beschwerdeführer Wirtschaftsmigranten, welche nicht um Asyl gebeten hatten. Auch polnische (Höchst-)Gerichte hoben in mehreren Fällen Entscheidungen zur Verweigerung der Einreise auf. Doch nach einem solchen Urteil ist das Verwaltungsverfahren der betreffenden Personen meist beendet (wegen Abwesenheit) und kann nicht wieder eröffnet werden. Wenn sich die Betreffenden wieder an der Grenze einfinden, wird ein neues Verfahren bezüglich Einreise eingeleitet, auf welches das Urteil des Gerichts nicht anwendbar ist, da es sich um ein neues Verfahren handelt. Der Betreffende erwirbt also trotz Urteil kein Recht auf Einreise (AIDA 4.2021).

Gemäß polnischem Asylgesetz gilt ein Asylantrag als unzulässig, wenn ein anderes Land existiert, in dem der Antragsteller als Flüchtling behandelt wird und dort Schutz genießen kann bzw. in anderer Form vor Refoulement geschützt ist („first country of asylum“). 2020 wurde die „first country of asylum“-Bestimmung in keinem Fall angewendet (AIDA 4.2021).

Polen gewährte zwischen dem 18. August und dem 12. November 2020 1.050 belarussischen Bürgern unter besonderen Verfahren die Einreise, unter anderem mit humanitären Visa, als Flüchtlinge und mit Sondergenehmigungen des Oberbefehlshabers des Grenzschutzes. Darüber hinaus sind 330 Weißrussen im Rahmen eines Programms ins Land gekommen, das es Weißrussen erleichtert, ihr Geschäft nach Polen zu verlagern (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

 AI – Amnesty International (7.4.2021): Report 2020/21 zur weltweiten Lage der Menschenrechte, Polen 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048856.html , Zugriff 1.12.2021

 AIDA – Asylum Information Database (4.2021): Helsinki Foundation for Human Rights (HFHR) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Poland. 2020 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/04/AIDA-PL_2020update.pdf , Zugriff 12.11.2021

 USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Poland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048465.html , Zugriff 2.12.2021

Situation an der polnisch-belarussischen Grenze

Letzte Änderung: 07.12.2021

Im Mai 2021 verhängte die EU Sanktionen gegen Belarus, nachdem die belarussischen Behörden ein kommerzielles Ryanair-Passagierflugzeug zur Landung in Minsk gezwungen und zwei der Passagiere, den prominenten Oppositionsaktivisten und Blogger Roman Protasevich und dessen Begleitung, die Studentin Sofia Sapega, verhaftet hatten. Als Reaktion auf die Verhängung der Sanktionen hat der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko angekündigt, Weißrussland werde nicht mehr dazu beitragen, die illegale Einwanderung an der EU-Grenze zu verhindern. Seit Sommer 2021 haben belarussische Behörden durch erleichterte Vergabe von Touristenvisa an Migranten aus dem Nahen Osten und deren ungehinderte Weiterreise an die Grenzen zu Polen, Litauen und Lettland, den Zustrom von Migranten aktiv befördert. Auf diese Weise sind bis November 2021 Tausende von Menschen nach Weißrussland gelangt und versuchten bzw. versuchen von dort in die EU zu gelangen. Die Zahlen ändern sich laufend und sind nicht mit Bestimmtheit eruierbar. Bis November berichteten polnische Medien von mehr als 30.000 Versuchen, die weißrussisch-polnische Grenze zu überqueren (HRW 11.2021; vgl. DS 9.11.2021).

Der Westen wirft dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko mehr oder weniger offene Schlepperei vor – und meint damit etwa das großzügige Visa-Regime für Menschen aus dem Irak, aus Syrien und Afghanistan, mit dem Minsk in diesen Ländern gezielte Angebote zur Reise an die EU-Außengrenze streut. Bis zu 40 Direktflüge aus Istanbul, Damaskus und Dubai landeten Woche für Woche auf dem Minsker Flughafen, andere reisten mit Zwischenstopps an (DS 9.11.2021).

Polen bewertete die Situation im September 2021 als hybriden Angriff und errichtete Stacheldrahtzäune entlang großer Teile der Grenze zu Weißrussland. Ebenfalls wurde in einem Bereich von drei Kilometern entlang der Grenze, der Notstand verhängt und Journalisten, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Freiwilligen usw. der Zugang zu diesem Gebiet verwehrt. Auf der belarussischen Seite gilt ein Bereich von zehn Kilometern entlang der Grenze als Sicherheitszone, zu der nur belarussische Staatsangehörige, die dort wohnen, Zugang haben. Der Bereich von drei Kilometern entlang der Grenze darf nur von Militär- und Sicherheitsbeamten betreten werden (HRW 11.2021).

Gemäß Verordnung über die vorübergehende Aussetzung oder Beschränkung des Grenzverkehrs an bestimmten Grenzübergängen haben seit 20.8.2021 Personen, die nicht einen definierten, offiziellen Grenzübergang benutzen, das Gebiet der Republik Polen zu verlassen. Im Falle von aufgegriffenen Personen an Grenzabschnitten, die keine offiziellen Grenzübergänge sind, sind diese von der Grenzwache bis zur Staatsgrenze rückzuführen (VB 24.8.2021).

Am 14. Oktober 2021 hat das polnische Parlament ein Gesetz angenommen, von dem Kritiker behaupten, dass es Pushbacks de facto legalisiere. Die beschlossenen Änderungen ermöglichen es, einer Person, die illegal einreist, auf Beschluss des örtlichen Grenzschutzchefs das Verlassen des polnischen Hoheitsgebiets anzuordnen. Gegen eine solche Entscheidung kann zwar beim Kommandeur des Grenzschutzes Beschwerde eingelegt werden, das würde jedoch nicht die Aussetzung der Ausführung des Ausreisebefehls bedeuten. Das Gesetz sieht auch die Befugnis des Leiters der Ausländerbehörde vor, einen Antrag auf internationalen Schutz eines Ausländers, der unmittelbar nach dem illegalen Grenzübertritt gestellt wird, nicht zu berücksichtigen. Am selben Tag gab der polnische Ministerrat grünes Licht für eine neue Grenzmauer, um Übergänge entlang der Grenze zu Weißrussland zu verhindern (ECRE 15.10.2021).

Es gibt Berichte von Betroffenen, dass polnische Grenzschutzbeamte Migranten nach illegalem Grenzübertritt routinemäßig und ohne Formalitäten wieder nach Weißrussland zurückdrängen (HRW 11.2021; vgl. ACLED 27.10.2021). Berichtet werden auch Angriffe auf polnische Grenzbeamte und gewaltsame Versuche, den Grenzzaun zu durchbrechen und der Einsatz von Tränengas durch polnische Beamte (ACLED 27.10.2021). Polen hat keine Statistiken über die Zahl der inhaftierten bzw. nach Weißrussland zurückgedrängten Personen vorgelegt. In einigen Fällen wurden verletzte oder kranke Grenzgänger in Polen in Krankenhäuser gebracht und erhielten einen sechsmonatigen temporären Aufenthalt aus humanitären Gründen. Etwaige Familienangehörige wurden jedoch nach Belarus zurückgebracht. Auf belarussischer Seite werden diejenigen, die zurückgedrängt werden, von Grenzschutzbeamten festgenommen und zu Sammelstellen unter freiem Himmel gebracht, von wo sie an verschiedene Stellen entlang der Grenze gebracht und gedrängt werden den Grenzübertritt erneut zu versuchen. Berichten von Migranten zufolge hindern belarussische Grenzschutzbeamte die Migranten an Verlassen der Grenzgebiete, selbst wenn sie den Grenzübertritt nicht mehr versuchen möchten. Folglich verbringen Migranten teilweise mehrere Tage bis zu mehreren Wochen im Freien an der Grenze, ohne Unterkunft oder Zugang zu den grundlegenden Dingen, einschließlich Nahrung und Wasser. Bis November 2021 wurden 13 Todesfälle gemeldet. Betroffene berichten über Gewalt, Misshandlung, Diebstahl und Erpressung durch belarussische Grenzschutzbeamte. Weißrussland hat Mitte November eine Unterkunft für einige Migranten in Grenznähe eröffnet. Kritiker meinen, dass Belarus durch seine Handlungen nicht als sicherer Drittstaat für Migranten und Asylwerber infrage komme und dass auch Polen mehrere internationale Verpflichtungen und europäisches Recht verletze, inklusive des Verbots von Refoulement (HRW 11.2021).

Nach polnischem Recht kann der Ausnahmezustand nur für eine Dauer von maximal drei Monaten verhängt werden, daher lief dieser Anfang Dezember 2021 aus und kann nicht verlängert werden. Als Ersatz hatte Polens Parlament Ende November dem Gesetz zum Schutz der Grenze zugestimmt. Dieses wurde vom Präsidenten unterzeichnet und ist offiziell in Kraft getreten. Damit kann die Regierung den Zugang zu bestimmten Teilen des drei Kilometer breiten Grenzstreifens je nach Lage weiterhin sperren und die Bewegungs- und Pressefreiheit im Grenzgebiet weiterhin temporär einschränken. Die Regelung sieht vor, dass künftig der Innenminister bei einer Gefahrenlage allen Ortsfremden den Zugang zu einem von ihm definierten Grenzgebiet verbieten kann. Kritiker meinen, dies verstoße gegen die polnische Verfassung (TS 1.12.2021).

In Weißrussland halten sich nach Einschätzung des polnischen Grenzschutzes weiterhin rund 10.000 Migranten auf, die in die EU gelangen möchten. Direkt an der polnischen Grenzbefestigung gebe es auf weißrussischer Seite derzeit keine Zeltlager mehr. Jedoch würden weißrussische Sicherheitskräfte regelmäßig Flüchtlinge mit Lastwagen zur Grenze bringen. Der weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko sagte, er habe Kanzlerin Merkel bei einem Telefonat mitgeteilt, er wolle das Problem bis Jahresende lösen. Er werde die Leute aus dem Nahen Osten bitten, in die Heimat zurückzukehren. Hunderte Migranten sind bereits in den Irak zurückgekehrt, es harren aber weitere Migranten in Belarus aus, die vor allem nach Deutschland wollen (NZZ 30.11.2021).

Inzwischen hat Polen in geringem Umfang begonnen, nicht asylberechtigte Migranten mit Linienflügen in ihre Heimatländer abzuschieben (FAZ 30.11.2021).

Quellen:

 ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (27.10.2021), veröffentlicht von ReliefWeb: ACLED Regional Overview – Europe, Caucasus, and Central Asia (16-22 October 2021), https://reliefweb.int/report/ukraine/acled-regional-overview-europe-caucasus-and-central-asia-16-22-october-2021 , Zugriff 29.11.2021

 DS - Der Standard (9.11.2021): Warum Belarus zum Migrations-Hotspot wurde, https://www.derstandard.at/story/2000131031108/warum-belarus-zum-migrations-hotspot-wurde , Zugriff 1.12.2021

 FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (30.11.2021): Polen erlässt neues Grenzgesetz, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/migration-ueber-belarus-polen-erlaesst-neues-grenzgesetz-17660343.html , Zugriff 1.12.2021

 HRW – Human Rights Watch (11.2021): Die here or go to Poland. Belarus’ and Poland’s Shared Responsibility for Border Abuses, https://www.hrw.org/sites/default/files/media_2021/11/eca_migrant1121_web_0.pdf , Zugriff 29.11.2021

 NZZ - Neue Zürcher Zeitung (30.11.2021): Weissrussland: Polen schränkt die Bewegungsfreiheit an der Grenze per Gesetz ein, https://www.nzz.ch/international/weissrussland-biden-sehr-besorgt-ueber-situation-an-der-eu-grenze-tuerkei-laesst-buerger-einiger-arabischer-staaten-nicht-mehr-nach-minsk-fliegen-ld.1570498 , Zugriff 1.12.2021

 TS - Tagesschau (1.12.2021): Polen beschränkt Zugang zu Grenzgebiet weiter, https://www.tagesschau.de/ausland/polen-belarus-137.html , Zugriff 1.12.2021

 VB des BM.I in Polen (24.8.2021): Bericht des VB, per E-Mail

Versorgung

Letzte Änderung: 07.12.2021

Das Recht auf Versorgung besteht ab dem Zeitpunkt der Registrierung (nach Antragstellung) in einem der zwei Erstaufnahmezentren Debak und Biala Podlaska. Dies sollte binnen zwei Tagen erfolgen, da ansonsten das Verfahren eingestellt wird (AIDA 4.2021; vgl. UDSC o.D.b) (2020 war das 36 Mal der Fall). Der Transport muss in der Regel auf eigene Faust erfolgen. Nur Schwangere, Alte, Alleinerziehende und Behinderte müssen von Gesetzes wegen behördlich dorthin transportiert werden. Ab Registrierung im Erstaufnahmezentrum besteht das Versorgungsrecht während des gesamten Verfahrens, inklusive einer ersten Beschwerde (nicht aber während weiterer Beschwerden vor einem Woiwodschaftsverwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof, außer das Gericht erkennt dieses Recht wieder zu; in der Praxis umgehen Antragsteller dieses Problem, indem sie rechtzeitig Folgeanträge stellen) (AIDA 4.2021).

Generell werden Unterbringung, materielle Hilfe und Gesundheitsversorgung bis zu zwei Monate nach der endgültigen positiven Entscheidung im Asylverfahren gewährt; oder bis zu 14 Tage nach einer endgültigen Entscheidung das Verfahren zu beenden (z.B. Zulassungsverfahren); oder bis zu 30 Tage nach einer endgültig inhaltlich negativen Entscheidung (AIDA 4.2021).

Wurde ohne Schuld des Antragstellers nach sechs Monaten noch keine Entscheidung in seinem Asylverfahren getroffen, hat er unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. In der Praxis ist der Zugang zum Arbeitsmarkt aber eingeschränkt, weil die Unterbringungszentren weit von Arbeitsmöglichkeiten entfernt und in strukturschwachen Gegenden liegen oder wegen der Sprachbarriere. Auch Diskriminierung von Fremden bei der Bezahlung ist ein Problem (AIDA 4.2021; vgl. USDOS 30.3.2021).

Auf der Webseite der Behörde ist eine Liste mit mehr als 20 Organisationen verfügbar, welche Asylwerbern/Fremden verschiedenste Hilfestellung bieten (UDSC o.D.b).

Quellen:

 AIDA – Asylum Information Database (4.2021): Helsinki Foundation for Human Rights (HFHR) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Poland. 2020 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/04/AIDA-PL_2020update.pdf , Zugriff 12.11.2021

 UDSC – Urząd do Spraw Cudzoziemców [Asylbehörde - Polen] (o.D.b): Rights and Obligations, https://www.gov.pl/web/udsc-en/rights-and-obligations-applicant , Zugriff 2.12.2021

 USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Poland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048465.html , Zugriff 2.12.2021

Unterbringung

Letzte Änderung: 07.12.2021

Asylsuchende werden in Polen entweder in einer Aufnahmeeinrichtung oder auf Wunsch (Antrag) privat untergebracht. Die meisten dieser Anträge werden angenommen. Im Jahr 2020 hat die Ausländerbehörde aufgrund der COVID-19-Pandemie Asylbewerber sogar ermutigt, außerhalb der Aufnahmezentren zu leben. Asylwerber, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, Mahlzeiten (oder PLN 9,-/Tag für Selbstverpflegung), Taschengeld (PLN 50,-/Monat), Geld für Hygieneartikel (PLN 20,-/Monat) und eine Einmalzahlung für Bekleidung (PLN 140,-). Asylwerber, die außerhalb der Zentren leben, erhalten eine finanzielle Beihilfe (von PLN 25,-/Tag für eine Einzelperson; bis hin zu PLN 12,50/Tag und Person für Familien mit vier oder mehr Familienmitgliedern). Beide Gruppen erhalten einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten), Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung (AIDA 4.2021; vgl. UDSC o.D.c) [Anm.: 1 Zloty/PLN entspricht 0,22 Euro].

Die Höhe der Unterstützung für Asylwerber liegt unter dem sogenannten 'sozialen Minimum' und wird als zu gering kritisiert, um in Polen außerhalb der Zentren einen angemessenen Lebensstandard führen zu können. Vor allem Mieten in Warschau, wo die meisten AW ihr Asylverfahren abwickeln, sind damit schwer bis unmöglich abzudecken. Asylwerber außerhalb der Zentren wohnen daher oft zu mehreren in beengten Wohnungen und unsicheren Verhältnissen. Daher arbeiten viele Asylwerber illegal, um ihre Mieten bezahlen zu können. Während der COVID-19-Pandemie haben zudem viele Asylwerber ihre Jobs verloren. Während Sozialhilfe für polnische Staatsangehörige auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung des besonderen Bedarfs berechnet wird, ist die Höhe der Zulagen für Asylbewerber generell standardisiert und wurden seit 2003 nicht erhöht. Die Unterstützung für ein Leben außerhalb eines Zentrums wird durch die Post ausgezahlt, das geschieht aber mitunter unregelmäßig (AIDA 4.2021).

Offiziell gibt es keine Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern. Wer jedoch in einem Zentrum untergebracht ist, darf dieses nicht grundlos für mehr als zwei Tage verlassen. Die Asylbehörde entscheidet, in welche Aufnahmeeinrichtung Asylsuchende aufgenommen werden. In der Praxis bleiben Kernfamilien in der Regel im selben Zentrum. Auch Vulnerabilität oder die Fortsetzung der medizinischen Behandlung wird bei dieser Entscheidung berücksichtigt. Aus dem Erstaufnahmezentrum werden Asylwerber nach einigen Tagen in andere Zentren verlegt (je nachdem, wie lange das epidemiologische Filterverfahren dauert usw.) (AIDA 4.2021).

In Polen gibt es zehn Unterbringungszentren mit insgesamt 1.962 Plätzen. Zwei der Zentren (Debak und Biala Podlaska) dienen der Erstaufnahme. Von den übrigen acht Zentren dient das Zentrum in Warschau speziell der Unterbringung von alleinstehenden Müttern. Nur drei der Zentren liegen in Städten, der Rest auf dem Lande und sind zum Teil schwer zu erreichen. Mit Überbelegung gibt es keine Probleme. Alle Zentren unterstehen der polnischen Asylbehörde UDSC, sechs der Zentren werden von Vertragspartnern geführt. Die Unterbringungsbedingungen in den Zentren sind unterschiedlich. Gewisse Grundlagen müssen vertraglich erfüllt werden, der Rest ist abhängig vom Willen und den finanziellen Möglichkeiten des Vertragspartners. Die Unterbringungsbedingungen werden von den Untergebrachten generell eher niedrig bewertet, die meisten Beschwerden gibt es über das Essen und die medizinische Versorgung. Alle diese Zentren sind offen, das bedeutet sie dürfen bis 23.00 Uhr frei verlassen und betreten werden. Ende 2020 waren 819 Asylwerber in Zentren untergebracht, während 2.225 Asylwerber außerhalb der Zentren Unterstützung erhielten (AIDA 4.2021).

Polen verfügt außerdem über sechs geschlossene Unterbringungszentren (guarded centers) mit zusammen 595 Plätzen, von denen Ende 2020 insgesamt 248 belegt waren. Weiters existiert ein sogenanntes rigoroses Haftzentrum mit 33 Plätzen. Das rigorose Haftzentrum ist gefängnisähnlicher als geschlossene Zentren und dient etwa der Unterbringung von Personen, welche die Regeln in geschlossenen Zentren verletzt haben. Geschlossene Unterbringung ist für Asylwerber in Polen aus einer Reihe von Gründen (z.B. Identitätsabklärung, Fluchtgefahr, Sicherheitsgründe) für max. sechs Monate möglich (18 Monate für Schubhäftlinge). Es ist aber in den meisten Fällen unwahrscheinlich, dass ein Asylwerber sein gesamtes Asylverfahren über in geschlossener Unterbringung bleiben muss (AIDA 4.2021).

Quellen:

 AIDA – Asylum Information Database (4.2021): Helsinki Foundation for Human Rights (HFHR) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Poland. 2020 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/04/AIDA-PL_2020update.pdf , Zugriff 12.11.2021

 UDSC – Urząd do Spraw Cudzoziemców [Asylbehörde - Polen] (o.D.c): Types of assistance, https://www.gov.pl/web/udsc-en/types-of-assistance , Zugriff 2.12.2021

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 07.12.2021

Asylwerber in Polen haben ab Registrierung ihres Asylantrags (in Notfällen schon ab Asylantragstellung) das gesetzlich garantierte Recht auf medizinische Versorgung im selben Ausmaß wie für versicherte polnische Staatsbürger. Dieses Recht besteht auch dann weiter, wenn die materielle Versorgung, aus welchen Gründen auch immer, reduziert oder eingestellt wird. Die medizinische Versorgung von AW wird öffentlich finanziert. Die medizinische Grundversorgung wird über die Krankenreviere der Unterbringungszentren gewährleistet, in denen der Arzt pro 120 Asylwerber sechs Ordinationsstunden und die Pflegekraft 20 Ordinationsstunden leisten. Für je 50 weitere Asylwerber sind je 3 Stunden mehr für Arzt und Pflegekraft vorgesehen. Sie kommen mindestens dreimal die Woche ins Zentrum. Zusätzlich sind für je 50 Kinder im Zentrum vier Ordinationsstunden/Woche für einen Kinderarzt mit zusätzlichen zwei Stunden für je 20 weitere Kinder vorgesehen (AIDA 4.2021).

Für Personen mit psychischen Problemen arbeiten in allen Zentren Psychologen im Ausmaß von zumindest vier Wochenstunden pro 120 Asylwerber mit zusätzlich einer Stunde für je 50 weitere AW. Diese Psychologen bieten jedoch nur grundlegende Konsultationen, die wegen der COVID-19-Pandemie 2020 oft per Telefon abgehalten wurden. Weiterführend können die Patienten an einen Psychiater oder ein psychiatrisches Krankenhaus überwiesen werden. Nach Ansicht einiger Experten und vieler NGOs ist eine spezialisierte Behandlung von Folteropfern bzw. traumatisierten Asylwerbern in der Praxis nicht verfügbar. NGOs beklagen unzureichende Behandlungsmöglichkeiten für Personen mit PTBS, da die verfügbare psychologische Unterstützung als Intervention und nicht als reguläre Therapie betrachtet wird. Es mangelt an Psychologen, die darauf vorbereitet sind, mit schutzbedürftigen und traumatisierten Asylwerbern zu arbeiten. Es gibt nur drei spezialisierte NGOs, die psychologische Konsultationen und Behandlungen für AW anbieten. Im Jahr 2020 konnten auch NGOs ihre psychologische Unterstützung aufgrund der Pandemie nur per Telefon anbieten (AIDA 4.2021).

Seit Juli 2015 wird die medizinische Versorgung von Asylwerbern durch die Firma Petra Medica gewährleistet, mit der die Behörde einen Vertrag abgeschlossen hat, dessen Umsetzung auch überwacht wird. Dennoch gibt es Kritik an der Qualität der medizinischen Versorgung in den Zentren. Insbesondere wird Asylwerbern gelegentlich der Zugang zu teureren Behandlungen verweigert und erst nach Interventionen von NGOs und monatelangem Streit gewährt. Besonders schwierig ist der Zugang zu einer Behandlung für Asylwerber mit HIV und Hepatitis C. Eine der größten Hürden beim Zugang zu medizinischer Versorgung sind mangelnde interkulturelle Kompetenz und Sprachkenntnisse. Petra Medica ist eigentlich verpflichtet für geeignete Übersetzung bei medizinischen/psychologischen Konsultationen zu sorgen, doch NGOs äußern Kritik an der Verfügbarkeit und Qualität dieser Übersetzungen. Ebenfalls ein Problem ist, dass einige der Spitäler, die mit Petra Medica in der Behandlung von Asylwerbern zusammenarbeiten, weit von den Unterbringungszentren entfernt liegen, während die nächstgelegenen medizinischen Einrichtungen von Asylwerbern nur im Notfall frequentiert werden dürfen. Für AW, die außerhalb der Zentren leben, wird die medizinische Versorgung in den Woiwodschaftshauptstädten gewährleistet. Dazu müssen sie sich mit der Hotline von Petra Medica bezüglich Terminen und Rezepten in Verbindung setzen. 2019 hat die polnische Asylbehörde 13 Beschwerden von Asylwerbern registriert (2020: 5 Beschwerden), die alle die medizinische Versorgung betrafen. Wegen der COVID-19-Pandemie wurden 2020 telefonische ärztliche Konsultationen eingeführt. Der Gesundheitszustand erkrankter Asylwerber in den Zentren wurde täglich von medizinischem Personal des Zentrums in eigens eingerichteten Isolationsräumen überwacht. Die Patienten hatten auch eine direkte Telefonnummer zu den Ärzten und Krankenschwestern, falls Sie sich schlechter fühlten. In Isolierzimmern wurde ihnen Essen serviert. Zur Begrenzung der Pandemie in den Aufnahmeeinrichtungen wurde allen Asylwerbern geraten in ihren Zimmern zu bleiben und sie nur zur Nutzung von Bad und Küche zu verlassen. Desinfektionsmittel und Masken waren vorhanden, Gemeinschaftsräume wurden regelmäßig desinfiziert, kranke Asylwerber abgesondert, die Temperatur jeder Person, die das Zentrum betreten wollte überprüft und der Zugang zu den Aufnahmezentren für Außenstehende deutlich eingeschränkt. Darüber hinaus wurden Asylsuchende ermutigt, sich außerhalb der Zentren privat unterzubringen. Es gab 2020 87 gemeldete COVID-19-positive Asylwerber in Polen, von denen nur eine Minderheit ins Spital musste. Es gab einen Todesfall (AIDA 4.2021).

Die COVID-19-Impfungen sind für alle Ausländer, die sich legal in Polen aufhalten, kostenlos (GOV o.D.b).

Die Gesundheitsversorgung, koordiniert von dem Unternehmen Petra Medica aufgrund des mit dem Ausländeramt geschlossenen Abkommens, umfasst medizinische Reviere in den Zentren, in denen Ärzte und Krankenschwestern medizinische Hilfe leisten, spezialisierte Behandlung, psychologische Betreuung (Psychologen können in Zentren in Anspruch genommen werden; das gilt auch für Personen, die Leistungen außerhalb der Einrichtung erhalten), zahnärztliche Versorgung (in Zahnarztpraxen mit entsprechendem Vertrag) (UDSC o.D.c).

Petra Medica ist gemäß Vertrag mit der Ausländerbehörde UDSC für die Organisation des medizinischen Versorgungssystems für Asylwerber in Polen zuständig. Für Ausländer, die einen Flüchtlingsstatus beantragen und sich beim Sozialamt gemeldet haben, ist die medizinische Versorgung kostenlos, unabhängig davon, ob sie in einem Zentrum für Ausländer oder außerhalb des Zentrums leben. Die von Petra Medica koordinierten Gesundheitsdienste umfassen medizinische Versorgung in Aufnahmezentren, einschließlich eines epidemiologischen Filters, der die Implementierung von Früherkennung für Tuberkulose-, Infektions-, Geschlechts- und Parasitenkrankheiten gewährleistet; medizinische Versorgung in den Unterbringungseinrichtungen durch den Betrieb medizinischer Reviere, in denen grundlegende Gesundheits- und psychologische Betreuung geboten werden; medizinische Versorgung von Asylwerbern, die außerhalb eines Zentrums leben, auf der Grundlage eigener Ressourcen und eines Netzwerks an Partnerinstitutionen. Bei gesundheitlichen Problemen meldet sich der Patient beim Medical Center des nächstgelegenen Ausländerzentrums oder vereinbart einen Termin in einer kooperierenden Einrichtung unter der Helpline-Nummer (22) 112 02 06. Dort werden gegebenenfalls Überweisungen an Fachärzte ausgestellt bzw. autorisiert. Im Falle einer plötzlichen Gefahr für Gesundheit und Leben ist jedes nächstgelegene Krankenhaus etc. ansprechbar. Spezialisierte Dienstleistungen werden in Petra Medica Medical Centers oder anderen medizinischen Einrichtungen erbracht, die vertraglich gebunden sind oder den geltenden Regeln für die Erbringung medizinischer Dienstleistungen unterliegen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Patienten profitieren von der Zahnpflege in Zahnarztpraxen, mit denen Petra Medica Verträge hat. Die Zentren für Ausländer haben ein entwickeltes System der psychologischen Versorgung. Psychologische Hilfe wird vor Ort angeboten. In besonderen Fällen werden Ausländer an spezialisierte psychologische oder psychiatrische Kliniken überwiesen. Stationäre Behandlung in Einrichtungen, die einen Vertrag mit der Krankenkasse oder Petra Medica haben, ist auf der Grundlage einer Überweisung möglich. Rehabilitation wird von der Behörde auf der Grundlage der Meinung eines Facharztes finanziert (PM o.D.).

MedCOI bearbeitet seit seiner Übernahme durch EASO keinerlei medizinische Fragen zu Mitgliedsstaaten mehr, da dies nunmehr außerhalb des Mandats von MedCOI und außerhalb seiner Methodologie liegt (MedCOI 19.2.2021).

 

Quellen:

 AIDA – Asylum Information Database (4.2021): Helsinki Foundation for Human Rights (HFHR) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Poland. 2020 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/04/AIDA-PL_2020update.pdf , Zugriff 12.11.2021

 GOV - Government of Poland [Polen] (o.D.b): Information for foreigners, https://www.gov.pl/web/szczepimysie/information-for-foreigners , Zugriff 3.12.2021

 MedCOI – Medical COI (19.2.2021): Anfragebeantwortung, per E-Mail

 PM – Petra Medica (o.D.): Opieka medyczna dla Cudzoziemców, https://www.petramedica.pl/nasza-oferta/oferta-dla-pacjentow-indywidualnych/opieka-medyczna-dla-cudzoziemcow , Zugriff 2.12.2021

 UDSC – Urząd do Spraw Cudzoziemców [Asylbehörde - Polen] (o.D.c): Types of assistance, https://www.gov.pl/web/udsc-en/types-of-assistance , Zugriff 2.12.2021

D) Beweiswürdigung

Die von der Behörde getroffenen Feststellungen beruhen auf folgenden Erwägungen:

[ … ]

- Betreffend der aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

Die Feststellungen zu den derzeitigen Informationen betreffend COVID-19 sind amtsbe-kannt und der weltweiten Gesamtberichterstattung zu entnehmen. Die Feststellungen hin-sichtlich der Anzahl der erkrankten und verstorbenen Personen in Österreich und Kenia stammen von der John Hopkins University & Medicine (https://coronavirus.jhu.edu/map.html , vom 15.11.2022).

Hierzu wird auch auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zum oa. The-menkomplex, bspw. W273 2188533-1/24E vom 25.03.2020, hingewiesen.

- betreffend die Lage im Mitgliedsstaat:

Die in den Feststellungen zu Polen angeführten Inhalte stammen aus einer Vielzahl von unbedenklichen und aktuellen Quellen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, welche durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt wurden. In diesem Zusammenhang sei auf den Inhalt des §5 BFA-G betreffend die Ausführungen zur Staatendokumentation verwiesen, insbesondere auf den Passus, wonach die gesammelten Tatsachen länderspezifisch zusammenzufassen, nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren sind, einschließlich den vorgegebenen Aktualisierungsverpflichtungen.

Hinweise darauf, dass die vorstehend angeführten Vorgaben des §5 BFA-G bei den dem gegenständlichen Verfahren zugrunde gelegten Feststellungen zu Polen nicht beachtet worden wären, haben sich im Verfahren nicht ergeben.

Soweit sich das Bundesamt im gegenständlichen Bescheid auf Quellen älteren Datums bezieht, wird angeführt, dass diese -aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse in Polen- nach wie vor als aktuell bezeichnet werden können.

Aus Ihren Angaben sind keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass Sie tatsächlich konkret Gefahr liefen, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass Ihnen eine Verletzung Ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte.

Soweit Sie bei der Einvernahme am 10.11.2022 zu Polen angeben, dass Sie von Ihrem Ex-Freund bedroht worden wären bzw. die Leute in Polen rassistisch wären, ist anzumerken, dass aus Ihren Angaben nicht hervorgeht, dass Sie durch diesen Umstand tatsächlich in Polen der Gefahr einer konkreten Verfolgung ausgesetzt sind. Insbesondere haben sich auch keine Vorfälle in Polen ereignet. Selbst bei Vorliegen der von Ihnen behaupteten Gefährdung in Polen, ist Ihren Angaben keinesfalls mangelnder Schutzwille oder mangelnde Schutzfähigkeit des Staates Polen zu entnehmen. Zudem ist auch darauf hinzuweisen, dass Polen als sicherer Staat im Sinne des Asylgesetzes anzusehen ist. Sie haben jedenfalls die Möglichkeit, sich in Polen an die dortigen Polizeibehörden zu wenden. Dass Ihnen dies –unter objektiven Gesichtspunkten betrachtet- nicht möglich oder zumutbar wäre, hat sich im Verfahren nicht ergeben. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte ist im gegenständlichen Fall keine drohende Verletzung Ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte im Falle Ihrer Überstellung nach Polen ersichtlich.

Der Vollständigkeit halber wird zudem auf folgendes hingewiesen:

Neben der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Rates sind für Polen folgende Richtlinien beachtlich:

- Statusrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG bzw. neu 2011/93/EU ) im Hinblick auf die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen.

- Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2005/85/EG des Rates bzw. neu 2011/93/EU ) hinsichtlich der Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft.

- Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2003/9/EG bzw. neu 2011/93/EU ) zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylwerbern in den Mitgliedstaaten, einschließlich der Verpflichtung des Partnerstaates für ausreichende medizinische Versorgung und die Gewährung von ausreichenden materiellen Leistungen an Asylwerbern, welche die Gesundheit und den Lebensunterhalt der Asylsuchenden gewährleisten. Insbesondere gewährleisten die Mitgliedstaaten in jedem Fall Zugang zur medizinischen Notversorgung.

Gegen Polen hat die Europäische Kommission kein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 des EG-Vertrages wegen Missachtung der Status-, Verfahrens- oder Aufnahmerichtlinie eingeleitet.

Insofern ergibt sich aus diesem Umstand –ebenso wie aus dem sonstigen Amtswissen- kein Hinweis, dass Polen die vorstehend angeführten Richtlinien nicht in ausreichendem Maß umgesetzt hätte oder deren Anwendung nicht in ausreichendem Umfang gewährleisten würde. Unter diesen Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ergibt sich in Ihrem Fall kein Hinweis auf eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verletzung Ihrer durch die vorstehend angeführten Richtlinien gewährleisteten Rechte in Polen im Falle Ihrer Überstellung in dieses Land.

[ … ]

……. ist festzuhalten, dass sich im Verfahren keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Polen ergeben haben. Weiters ist festzuhalten, dass Sie im Verfahren keine konkreten auf Sie persönlich bezogenen Umstände glaubhaft gemacht haben, die gerade in Ihrem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall Ihrer Abschiebung nach Polen als wahrscheinlich erscheinen lassen. Aus diesem Grund kann nicht davon ausgegangen werden, dass Sie tatsächlich konkret Gefahr liefen, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass Ihnen eine Verletzung Ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte.

Unter Beachtung des Aspektes, dass sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander im Sinne einer normativen Vergewisserung (VfGH 17.06.2005, B 336/05) als sichere Staaten für AsylwerberInnen ansehen, was jedenfalls insbesondere auch beinhaltet, dass Art. 3 EMRK gewährleistete Rechte eines Antragstellers in einem Mitgliedsstaat nicht verletzt werden und mangels sonstigem Hinweis darauf, dass dies speziell in Ihrem Fall in Polen nicht gegeben sein könnte, haben sich im Verfahren weder Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts, noch für die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen durch das Bundesamt zur allgemeinen und zu Ihrer besonderen Lage in Polen ergeben.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass sich Polen mit Schreiben vom 05.10.2022 ausdrücklich bereit erklärt hat, Sie im Rahmen der Verpflichtungen aus der Dublin Verordnung zur Prüfung Ihres Asylantrages zu übernehmen und es kann daher nicht erkannt werden, dass Ihnen der Zugang zum Asylverfahren in Polen verweigert werde. Eine Schutzverweigerung in Polen kann daher auch nicht erwartet werden.“

 

Es folgte im angefochtenen Bescheid der 1.-BF die rechtliche Beurteilung zu den beiden Spruchpunkten. Der Antrag auf internationalen Schutz sei zurückzuweisen, weil Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO formell erfüllt (und implizit sohin Polen für die Prüfung des Antrags zuständig) sei. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der GRC oder der EMRK im Falle einer Überstellung der BF ernstlich für möglich erscheinen lassen, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Der im Spruch genannte Staat sei bereit, die BF einreisen zu lassen und ihren Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Gefahr der Verletzung der EMRK oder eine systematische notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte seien in Polen nicht zu erkennen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe zu und es habe sich kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben. Weiters lägen keine ausreichenden humanitären Gründe gem. Art. 16 und 17 Abs. 2 leg.cit. vor. Die Ausweisung der BF stelle mangels weiterer familiäre Anknüpfungspunkte keine Verletzung von Art. 8 EMRK dar zumal der 2,.BF polnischer Staatsbürger sei, und sei auch die Aufenthaltsdauer der BF von rund 5 Monaten im Bundesgebiet zu kurz, als dass im Falle ihrer Rückverbringung nach Polen eine Verletzung ihres Rechts auf Privatleben gemäß Art. 8 EMRK anzunehmen wäre.

 

Im Hinblick auf den 2.-BF begründete das BFA die Zurückweisung des Antrags im Wesentlichen wie folgt:

„Der einzige Artikel des 24. Protokoll zum EU-Vertrag bestimmt:

In Anbetracht des Niveaus des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten die Mitgliedstaaten füreinander für alle rechtlichen und praktischen Zwecke im Zusammenhang mit Asylangelegenheiten als sichere Herkunftsländer. Dementsprechend darf ein Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats von einem anderen Mitgliedstaat nur berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen werden,

a) wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam Artikel 15 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anwendet und Maßnahmen ergreift, die in seinem Hoheitsgebiet die in der Konvention vorgesehenen Verpflichtungen außer Kraft setzen;

b) wenn das Verfahren des Artikels 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union eingeleitet worden ist und bis der Rat oder gegebenenfalls der Europäische Rat diesbezüglich einen Beschluss im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, gefasst hat;

c) wenn der Rat einen Beschluss nach Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, erlassen hat, oder wenn der Europäische Rat einen Beschluss nach Artikel 7 Absatz 2 des genannten Vertrags im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, erlassen hat;

d) wenn ein Mitgliedstaat in Bezug auf den Antrag eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats einseitig einen solchen Beschluss fasst; in diesem Fall wird der Rat umgehend unterrichtet; bei der Prüfung des Antrags wird von der Vermutung ausgegangen, dass der Antrag offensichtlich unbegründet ist, ohne dass die Entscheidungsbefugnis des Mitgliedstaats in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird.

In diesem Sinn muss darauf hingewiesen werden, dass das Protokoll Nr. 24 zum EUV, wie schon die Vorgängerbestimmung (das Protokoll Nr. 29 zum EGV), unionsrechtliches Primärrecht darstellt und sich daraus unmittelbare Anwendbarkeit des Inhaltes dieses Protokolls für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das Bundesverwaltungsgericht und die Höchstgerichte ergibt. Ausführende Gesetzesbestimmungen sind nicht erforderlich (siehe auch AB 1889 BlgNR 24. GP , Seite 4 zur Nichtübernahme des in der Regierungsvorlage geplanten § 4b AsylG).

Der Beitritt von EU-Staaten zur Europäischen Union ist untrennbar mit einer positiven Beurteilung der allgemeinen Menschenrechtslage in diesen Staaten verbunden. Nach Art. 49 des Vertrags über die Europäische Union kann jeder Staat, der die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit achtet (Art. 6 EUV) beantragen, Mitglied der EU zu werden. Durch diese Bedingung wird die schon bisher aufgrund der durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze bestehende Bindung an den gemeineuropäischen Grundrechtsbestand normativ festgelegt, der sich insbesondere auch, wie sich (nun) aus Art. 6 Abs. 2 EUV ergibt, aus der EMRK speist. Zu dem anlässlich eines EU-Beitritts zu übernehmenden acquis communautaire gehört also auch der Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (vgl. ausführlich Vedder, in Grabitz/Hilf, Art. 49 EUV Rn. 14)).

Der Europäische Rat beschrieb diese Voraussetzungen schon in seinen Schlussfolgerungen vom 22. Juni 1993 in Kopenhagen und bekräftigte sie abermals beim Europäischen Rat in Madrid am 15. und 16. Dezember 1995, indem er die Beitrittskriterien speziell für den Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten formulierte. Dazu gehört insbesondere das „politische Kriterium“: In den Beitrittsländern müssen institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten gewährleistet sein (vgl. ausführlich Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Baden-Baden 2000, Art. 49 EUV, Rn. 4). Die Fortschritte auf diesem Gebiet werden im Rahmen des Beitrittsverfahrens von der EG-Kommission in regelmäßigen Abständen überprüft und schließlich als erfüllt angesehen, bevor der Beitritt vollzogen werden kann (vgl. Herrnfeld, a.a.O., Rn 10; Vedder, in: Grabitz/Hilf, Art. 49, Rn. 22 ff.) Dies geht auch aus dem dritten Erwägungsgrund des Protokolls Nr. 24 zum EG-Vertrag (Protokoll über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union) hervor, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass gemäß Art. 49 EUV jeder Staat, der die EU-Mitgliedschaft beantragt, die oben angeführten Kriterien erfüllen muss. Eine Änderung dieser Bestimmungen ist weder zum Beitrittsdatum noch später vollzogen worden.

Aus der Beweiswürdigung in Verbindung mit den Feststellungen ergibt sich nicht, dass Ihr Herkunftsstaat ungehindert Artikel 15 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten samt der Außerkraftsetzung der damit verbundenen Verpflichtungen anwendet oder Verfahren gemäß Art 7 Abs. 1 des Vertrages über die Europäische Union eingeleitet worden ist oder der Rat der ein Mitgliedsstaat dazu einen Beschluss gefasst bzw. ebenso wenig nach Art 7 Abs 2 erlassen hat.

Auf Grund einer Anregung in der Stellungnahme des UNHCR im Rahmen des Begutachtungsverfahrens zur Asylgesetznovelle 2013 wurde die in § 4b AsylG 2005 vorgesehene Bestimmung über den Asylausschluss für EU-Bürger aus der Regierungsvorlage gestrichen. In diesem Sinn ist auch die dem Vertrag beigefügte „Erklärung Nr. 48 zum Protokoll (des Vertrages von Amsterdam) über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union“, Amtsblatt (EG) Nr. C 306 bzw. BGBl. III Nr. 132/2009, zu sehen, welche festhält, das gegenständliche Protokoll berühre „nicht das Recht eines jeden Mitgliedstaates, die organisatorischen Maßnahmen zu treffen, die er zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge für erforderlich hält“. Folgerichtig wurden in das Protokoll die erwähnten Öffnungsklauseln in lit. a-d eingefügt (vgl. dazu Röben, in: Grabitz/Hilf, Art. 63 EGV Rn. 26; Weiß, in: Streinz, Art. 63 EGV Rn 8), welche es ermöglichen, auf Ausnahmesituationen, die zwar derzeit nicht vorhersehbar, aber nicht mit letzter Sicherheit unmöglich sind, reagieren zu können. Insbesondere lit. d würde die individuelle Einzelfallüberprüfung eines Schutzersuchens zulassen, allerdings ist vor einer genauen Prüfung zu entscheiden, ob der Antrag – von dessen offensichtlicher Unbegründetheit auszugehen ist – so viel Substanz hat, dass eine Prüfung notwendig ist, um die Verpflichtungen Österreichs nach der Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten.

Diese Tatbestände des angeführten Protokolls trafen und treffen derzeit auf den zu prüfenden EU-Mitgliedstaat definitiv nicht zu. Eine Prüfung des von Ihnen erstatteten Vorbringens im Lichte der Anforderungen für eine individuelle Einzelprüfung nach lit. d des Protokolls hat nicht ergeben, dass die zufolge des Protokolls Nr. 24 statuierte Vermutung im Falle Ihres Antrages auf internationalen Schutz nicht zutreffen könnte.

Die gesetzliche Vertretung machte darüber hinaus auch keine Angaben, die in begründeter und nachvollziehbarer Weise zur Widerlegung der angeführten Regelvermutung geeignet gewesen wären.“

 

Gegen diese, am 16.11.2022 zugestellten Bescheide erhoben die BF mit gemeinsamen Schriftsatz vom 24.11.2022 Beschwerde, in welcher im Wesentlichen geltend gemacht wird, dass die Behörde verabsäumt habe, Ermittlungen zum tatsächlichen Abhängigkeitsverhältnis der 1.-BF zu ihren in Österreich lebenden Bekannten anzustellen. Diese sei psychisch stark belastet, leide an diversen Krankheiten und wolle bald eine Psychotherapie beginnen, sie sei auf die Hilfe ihrer engen Freundin angewiesen. Der 2.-BF gehe seit einigen Monaten zur Schule und lerne fleißig die deutsche Sprache. Im Übrigen wurde allgemeine Kritik polnischen Unterbrinungs- und Versorgungssystem geltend gemacht und gerügt, dass keine Einzelfallprüfung vorgenommen worden sei und keine individuelle Zusicherung Polens im Hinblick auf eine adäquate Unterbringung der Antragsteller eingeholt worden sei.

Der Begründung des Bescheides betreffend den 2.-BF, dessen Antrag als EU-Bürger gemäß dem 24. Protokoll über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum EU Vertrag von Lissabon als unzulässig zurückgewiesen wurde, wurde in der Beschwerde nicht entgegengetreten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.

 

Festgestellt wird, dass der 2.-BF (auch) polnischer Staatsangehöriger und damit EU-Bürger ist.

 

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen der angefochtenen Bescheide an.

 

Anhaltspunkte dafür, dass die polnischen Behörden den BF im Falle einer Bedrohung durch den Exfreund der 1.-BF bzw. Vater des 2.-BF keinen Schutz - wie vergleichsweise Österreich - gewähren würden, sind nicht vorhanden.

 

Die BF sind beide gesund und benötigen keine Medikamente.

 

Die BF haben im Bundesgebiet – abgesehen von ihrer Beziehung untereinander – keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte. Die erst BF hat im Bundesgebiet lediglich eine Freundin, mit der sie jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt lebt.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen zum Verfahrensgang und zum polnischen Visum der 1.-BF ergeben sich aus den Akt des BFA, dem Vorbringen der BF und dem Antwortschreiben der polnischen Behörden.

Die Feststellung, dass der 2.-BF polnischer Staatsbürger ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass er im Besitz eines polnischen Reisepasses ist und zudem die polnischen Behörden im Zuge der Dublin-Konsultationen ausdrücklich mitgeteilt haben, dass der 2.-BF Staatsangehöriger von Polen ist.

 

Die Feststellungen zur gesundheitlichen und familiären Situation der BF ergeben sich aus dem Vorbringen der 1.-BF, im Zuge ihrer Einvernahme ausdrücklich angegeben hat, dass sie beide gesund seien und keine Medikamente benötigten. Angesichts dessen war die pauschal in der Beschwerde in den Raum gestellte Behauptung, dass die 1.-BF an nicht näher genannten „diversen Krankheiten“ leide, als nicht glaubhaft gemacht anzusehen, zumal die 1.-BF auch keinerlei medizinische Unterlagen vorgelegt hat, die konkrete Krankheiten belegen würden.

 

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides der 1.-BF, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen.

 

Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid der 1.-BF neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Polen auch Feststellungen zur polnischen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf „Dublin-Rückkehrer“) samt dem dortigen jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelwege getroffen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Erwägungen zur Beweiswürdigung an.

 

Die Negativfeststellung, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die polnischen Behörden den BF im Falle einer Bedrohung keinen Schutz gewähren würden, ergeben sich aus dem Umstand, dass die diesbezüglichen Befürchtungen an der BF lediglich spekulativ sind, es während ihres Aufenthaltes in Polen keine konkreten Vorfälle, welche eine solche Gefährdung indizieren könnten, gegeben hat und Polen als Mitgliedstaat der EU notorisch in gleicher Art und Weise in der Lage und willens wäre, Schutz vor Verfolgung zu bieten, wie etwa die Behörden in Österreich.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

 

„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

 

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

 

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

 

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:

„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“

 

 

§ 61 FPG 2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:

 

„§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. …

 

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

 

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

 

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“

 

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates („Dublin III-VO“) zur Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaates lauten:

 

„KAPITEL II

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN

Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

 

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

 

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

 

KAPITEL III

KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

 

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

 

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

 

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

 

Art. 12

Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

 

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft ( 1 ) erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

 

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

 

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

 

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

 

Art. 13

Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

 

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller — der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können — sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

 

KAPITEL IV

ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN

 

Artikel 16

Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des

Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

 

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, d s Kind, eines

seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

 

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

 

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese

Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

 

Art. 17

Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

 

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

 

KAPITEL V

PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

 

Artikel 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

 

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

 

KAPITEL VI

AUFNAHME- UND WIEDERAUFNAHMEVERFAHREN

 

Art. 20

Einleitung des Verfahrens

(1) Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

 

(2) Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein.

 

(3) Für die Zwecke dieser Verordnung ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.

 

(4) Stellt ein Antragsteller bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, während er sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält. Dieser Mitgliedstaat wird unverzüglich von dem mit dem Antrag befassten Mitgliedstaat unterrichtet und gilt dann für die Zwecke dieser Verordnung als der Mitgliedstaat, bei dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.

Der Antragsteller wird schriftlich von dieser Änderung des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats und dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt ist, unterrichtet.

 

(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen

Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.

Diese Pflicht erlischt, wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abschließen soll, nachweisen kann, dass der Antragsteller zwischenzeitlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten hat.

Ein nach einem solchen Abwesenheitszeitraum gestellter Antrag im Sinne von Unterabsatz 2 gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

 

Art. 21

Aufnahmegesuch

(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen.

Abweichend von Unterabsatz 1 wird im Fall einer Eurodac- Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 dieses Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 jener Verordnung gestellt. Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in Unterabsätzen 1 und 2 niedergelegten Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig.

 

(2) Der ersuchende Mitgliedstaat kann in Fällen, in denen der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, nachdem die Einreise oder der Verbleib verweigert wurde, der Betreffende wegen illegalen Aufenthalts festgenommen wurde oder eine Abschiebungsanordnung zugestellt oder vollstreckt wurde, eine dringende Antwort anfordern. In dem Gesuch werden die Gründe genannt, die eine dringende Antwort rechtfertigen, und es wird angegeben, innerhalb welcher Frist eine Antwort erwartet wird. Diese Frist beträgt mindestens eine Woche.

 

(3) In den Fällen im Sinne der Unterabsätze 1 und 2 ist für das Gesuch um Aufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat ein Formblatt zu verwenden, das Beweismittel oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung des Antragstellers enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat gemäß den in dieser Verordnung definierten Kriterien zuständig ist. Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für die Erstellung und Übermittlung von Aufnahmegesuchen fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

 

Art. 22

Antwort auf ein Aufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs.

 

(2) In dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats werden Beweismittel und Indizien verwendet.

(3) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten die Erstellung und regelmäßige Überprüfung zweier Verzeichnisse, in denen die sachdienlichen Beweismittel und Indizien gemäß den in den Buchstaben a und b dieses Artikels festgelegten Kriterien aufgeführt sind, fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

 

 

a) Beweismittel:

i) Hierunter fallen förmliche Beweismittel, die insoweit über die Zuständigkeit nach dieser Verordnung entscheiden, als sie nicht durch Gegenbeweise widerlegt werden;

ii) Die Mitgliedstaaten stellen dem in Artikel 44 vorgesehenen Ausschuss nach Maßgabe der im Verzeichnis der förmlichen Beweismittel festgelegten Klassifizierung Muster der verschiedenen Arten der von ihren Verwaltungen verwendeten Dokumente zur Verfügung;

 

b) Indizien:

i) Hierunter fallen einzelne Anhaltspunkte, die, obwohl sie anfechtbar sind, in einigen Fällen nach der ihnen zugebilligten Beweiskraft ausreichen können;

ii) Ihre Beweiskraft hinsichtlich der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz wird von Fall zu Fall bewertet.

 

(4) Das Beweiserfordernis sollte nicht über das für die ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung erforderliche Maß hinausgehen.

 

(5) Liegen keine förmlichen Beweismittel vor, erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit an, wenn die Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sind, um die Zuständigkeit zu begründen.

 

(6) Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 21 Absatz 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedstaat alle Anstrengungen, um die vorgegebene Frist einzuhalten. In Ausnahmefällen, in denen nachgewiesen werden kann, dass die Prüfung eines Gesuchs um Aufnahme eines Antragstellers besonders kompliziert ist, kann der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort nach Ablauf der vorgegebenen Frist erteilen, auf jeden Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. In derartigen Fällen muss der ersuchte Mitgliedstaat seine Entscheidung, die Antwort zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist mitteilen.

 

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.“

 

In Bezug auf den Zweit BF lautet die maßgebliche rechtliche Bestimmung des 24. Protokoll zum EU-Vertrag:

„In Anbetracht des Niveaus des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten die Mitgliedstaaten füreinander für alle rechtlichen und praktischen Zwecke im Zusammenhang mit Asylangelegenheiten als sichere Herkunftsländer. Dementsprechend darf ein Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats von einem anderen Mitgliedstaat nur berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen werden,

a) wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam Artikel 15 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anwendet und Maßnahmen ergreift, die in seinem Hoheitsgebiet die in der Konvention vorgesehenen Verpflichtungen außer Kraft setzen;

b) wenn das Verfahren des Artikels 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union eingeleitet worden ist und bis der Rat oder gegebenenfalls der Europäische Rat diesbezüglich einen Beschluss im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, gefasst hat;

c) wenn der Rat einen Beschluss nach Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, erlassen hat, oder wenn der Europäische Rat einen Beschluss nach Artikel 7 Absatz 2 des genannten Vertrags im Hinblick auf den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, erlassen hat;

d) wenn ein Mitgliedstaat in Bezug auf den Antrag eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats einseitig einen solchen Beschluss fasst; in diesem Fall wird der Rat umgehend unterrichtet; bei der Prüfung des Antrags wird von der Vermutung ausgegangen, dass der Antrag offensichtlich unbegründet ist, ohne dass die Entscheidungsbefugnis des Mitgliedstaats in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird.“

 

Zu A)

 

A.a.) Zur 1.-BF:

 

1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz):

 

In materieller Hinsicht ist die Zuständigkeit Polens zur Prüfung des Asylantrags der 1.-BF aufgrund des zum Antragszeitpunkt (23.08.2022) gültigen polnischen Visums (gültig von XXXX .08.2022 bis XXXX .09.2022), mit dem die BF in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen konnte, jedenfalls in Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO begründet.

 

Aus Art. 16 (abhängige Personen) Dublin III-VO ergibt sich schon mangels jeglicher Vulnerabilitäten keine österreichische Zuständigkeit zur Prüfung des Antrags der 1.-BF. Im Hinblick auf 17 Abs. 2 leg.cit. (humanitäre Klausel) begegnet es in casu seitens des BVwG keinen Bedenken, wenn das BFA keine ausreichenden humanitären Gründe für einen Selbsteintritt für gegeben erachtet hat, zumal der Sohn der 1.-BF polnischer Staatsbürger ist.

 

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (zB 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673) ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

 

Das BFA hat von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre:

 

Die bloße Möglichkeit einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigenden notorischen Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter, auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, 96/21/0499; 09.05.2003, 98/18/0317; vgl. auch 16.07.2003, 2003/01/0059). „Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist.“ (VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, 96/18/0379; EGMR 04.02.2005, 46827/99 und 46951/99, Mamatkulov und Askarov/Türkei Rz 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK, sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde. Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0025; 25.04.2006, 2006/19/0673), ebenso weitere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung³, K13 zu Art. 19).

 

Der EuGH sprach in seinem Urteil vom 10.12.2013, C-394/12, Shamso Abdullahi/Österreich Rz 60, aus, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO festgelegten Kriteriums zugestimmt hat, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC ausgesetzt zu werden.

 

Zudem hat der EuGH in seinem Urteil vom 07.06.2016, C-63/15, Gezelbash (Große Kammer), festgestellt, dass Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass [ … ] ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriteriums [ … ] geltend machen kann.

Damit im Einklang steht das Urteil des EuGH ebenfalls vom 07.06.2016, C-155/15, Karim (Große Kammer), wonach ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung einen Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung geltend machen kann.

 

Mit der Frage, ab welchem Ausmaß von festgestellten Mängeln im Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaates der Union ein Asylwerber von einem anderen Aufenthaltsstaat nicht mehr auf die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch die innerstaatlichen Gerichte im zuständigen Mitgliedstaat und letztlich den EGMR zur Wahrnehmung seiner Rechte verwiesen werden darf, sondern vielmehr vom Aufenthaltsstaat zwingend das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben ist, hat sich der EuGH in seinem Urteil vom 21.12.2011, C-411/10 und C-493/10, N.S. ua/Vereinigtes Königreich, befasst und – ausgehend von der Rechtsprechung des EGMR in der Entscheidung vom 02.12.2008, 32733/08, K.R.S./Vereinigtes Königreich, sowie deren Präzisierung mit der Entscheidung vom 21.01.2011 (GK), 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland – ausdrücklich ausgesprochen, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechtes durch den zuständigen Mitgliedstaat, sondern erst systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes durch den Aufenthaltsstaat gebieten.

 

Somit ist zum einen unionsrechtlich (im Hinblick auf die Urteile des EuGH vom 10.12.2013, C-394/12, Shamso Abdullahi/Österreich, sowie jeweils vom 07.06.2016, C-63/15, Gezelbash, und C-155/15, Karim) zu prüfen, ob im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorherrschen, und zum anderen aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, ob die BF im Falle der Zurückweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz und ihrer Außerlandesbringung nach Polen gemäß §§ 5 AsylG und 61 FPG – unter Bezugnahme auf ihre persönliche Situation – in ihren Rechten gemäß Art. 3 und/oder 8 EMRK verletzt werden würden, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist.

 

Der angefochtene Bescheid der 1.-BF enthält – wie oben ausgeführt – ausführliche Feststellungen zum polnischen Asylwesen. Diese Feststellungen basieren auf einer aktuellen Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA, zu den einzelnen Passagen sind jeweils detaillierte Quellenangaben angeführt. Die belangte Behörde behandelt in ihrem Bescheid etwa die Situation von sogenannten „Dublin-Rückkehrern“, das Non-Refoulmentgebot sowie die Versorgung, einschließlich der medizinischen Versorgung, und Unterbringung von Asylwerbern in Polen.

Schon vor dem Hintergrund der zitierten erstinstanzlichen Erwägungen kann nicht erkannt werden, dass im Hinblick auf Asylwerber, die von Österreich im Rahmen der Dublin III-VO nach Polen rücküberstellt werden, aufgrund der polnischen Rechtslage und/oder Vollzugspraxis systematische Verletzungen von Rechten gemäß der EMRK erfolgen würden, oder dass diesbezüglich eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines „real risk“ für den Einzelnen bestehen würde.

 

Insgesamt ergibt sich weder eine konkrete systemische, noch eine konkrete individuell drohende Gefahr der BF in Polen, welche für die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK sprechen würden, weshalb die Rechtsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG zur Anwendung kommt, wonach ein Asylwerber im zuständigen Mitgliedstaat Schutz vor Verfolgung findet.

 

Soweit die BF geltend machen, dass sie befürchten, in Polen eventuell vom Exfreund der 1.-BF bedroht zu werden, ist entgegenzuhalten, dass Derartiges nicht maßgeblich wahrscheinlich erscheint und sie diesfalls den Schutz der polnischen Behörden in Anspruch zu nehmen hätten: Zum einen sind die Befürchtungen der 1.-BF, die keinerlei Kontakt zu ihrem Exfreund hat und die auch angegeben hat, dass es in Polen keinen Vorfall mit dem Exfreund gegeben habe, lediglich spekulativ, sodass hieraus noch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit für eine derartiges Bedrohungsszenario erkannt werden kann. Zum anderen wären die BF- wie bereits dargelegt- selbst im Falle des Vorliegens eines solchen Bedrohungsszenarios gehalten, sich an die polnischen Behörden um Schutz zu wenden, die im EU Mitgliedstaat in gleicher Weise wie in Österreich in der Lage und willens wären, derartigen Schutz zu gewährleisten.

 

Gesundheitliche Probleme haben beide BF nicht plausibel dargelegt. Der mentale Stress bei einer Abschiebung selbst ebenfalls kein ausreichendes „real risk“, weshalb eine – nach dem Maßstab der Judikatur des EGMR – maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Rechte der BF gemäß Art. 3 EMRK nicht erkannt werden kann.

 

Im Hinblick auf Art. 8 EMRK wird, um doppelte Ausführungen zu vermeiden, auf nachstehende, unter Punkt 2. ausgeführte, Erwägungen, wonach – selbst unter Berücksichtigung des Kindeswohls im Hinblick auf den 2.-BF – kein schützenswertes Privat- oder Familienleben der BF erkannt werden kann, verwiesen.

 

Das BFA hat daher zu Recht keinen Gebrauch vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO gemacht. Spruchpunkt I. der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG und einer möglichen Verletzung von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG (iVm § 61 Abs. 1 FPG) ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

 

Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Die BF verfügen im Bundesgebiet über keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte, sodass ihre gemeinsame Rückkehr nach Polen nicht in der Recht auf Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK eingreift.

Der durch die normierte Ausweisung der 1.-BF aus dem Bundesgebiet erfolgende Eingriff in ihr Privatleben ist ebenfalls durch ein Überwiegen des öffentlichen Interesses im Vergleich zu ihrem Privatinteresse am Verbleib im Bundesgebiet gedeckt:

Der nunmehriger Aufenthalt der 1.-BF (und ihres Sohnes) in Österreich in der Dauer von etwa 5 Monaten war nur ein vorläufig berechtigter. Zudem ist dieser Aufenthalt, gemessen an der Judikatur des EGMR und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, als kein ausreichend langer Zeitraum zu qualifizieren. Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist erkennbar, dass etwa ab einem zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet im Regelfall die privaten Interessen am Verbleib gegenüber den öffentlichen Interessen überwiegen können (09.05.2003, 2002/18/0293). Gleiches gilt etwa für einen siebenjährigen Aufenthalt, wenn eine berufliche und soziale Verfestigung vorliegt (05.07.2005, 2004/21/0124). Bei der 1.-Bf und ihrem Sohn liegen jedenfalls keine berufliche und soziale Verfestigung vor und erreicht ihr Aufenthalt im Bundesgebiet bei weitem nicht die seitens der Höchstgerichte geforderte annähernde Mindestdauer. Die 1.-BF musste sich weiters ihrer unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein. Sonstige Integrationsaspekte liegen demgegenüber nicht vor, sodass bei einer abwägenden Gesamtbetrachtung der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Privatleben der 1.-BF nicht nur zulässig, sondern insbesondere im Hinblick auf die geringe zeitliche Komponente geradezu geboten ist. Die Verwaltungsbehörde hat daher eine korrekte Interessensabwägung im Sinne der Rechtsprechung vorgenommen.

 

A.b.) Zum 2.-BF

 

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den obzitierten rechtlichen Erwägungen des BFA bezüglich der Unzulässigkeit des Antrags des 2.-BF im Hinblick auf seine EU-Bürgerschaft als Staatsangehöriger Polens an:

 

Gemäß dem 24. Protokoll zum EU Vertrag von Lissabon sind Anträge von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates von einem anderen Mitgliedstaat nur unter seinen Ausnahmetatbeständen der lit. a bis d zu berücksichtigen und zur Bearbeitung zuzulassen.

 

In casu ist jedoch keiner der Tatbestände des 24. Protokolls lit. a (Außerkraftsetzen [der EMRK] im Notstandsfall), lit. b und c (Verfahren bzw. Beschluss des Rates gem. Art 7 Abs. 1 bzw. Abs. 2 EU-Vertrag über eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Art. 2 leg.cit. genannten Werte), oder lit. d (nationaler Beschluss der Zulassung des Antrags), erfüllt, sodass der Antrag des 2.-BF als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates als unzulässig zurückzuweisen war.

 

Bezüglich des 2.-BF ist seitens des BFA keine Anordnung zur Außerlandesbringung ergangen, da der 2.-BF als EU-Bürger sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat und im Rahmen dessen zunächst aufenthaltsberechtigt ist.

 

Hinblick auf das Kindeswohl werden der Vollständigkeit halber nachstehende Erwägungen ergänzt:

Es ist davon auszugehen, dass der 2.-BF mit seiner Mutter, der 1.-BF das Bundesgebiet verlassen und sich nach Polen begeben wird, was jedoch im Hinblick auf das Kindeswohl keinen Bedenken begegnet:

Der 2.-BF ist etwa 9½ Jahre alt und befindet sich seit erst 5 Monaten im Bundesgebiet. Er beherrscht weder die deutsche Sprache noch ist in der kurzen Zeit seines Aufenthalts eine verfestigte Integration ersichtlich. Der 2.-BF geht im Bundesgebiet zur Schule, doch wird ihm unzweifelhaft auch in Polen ein Schulbesuch möglich sein und bietet Polen als Mitgliedstaat der EU selbstverständlich auch ausreichende persönliche Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, sodass ein Aufwachsen von Kindern/Jugendlichen in Polen nicht per se das Kindeswohl gefährdet. Zudem ist der Vater des 2.-BF ebenfalls polnischer Staatsangehöriger, sodass dem Kindeswohl wohl auch durch diese in Polen naturgemäß leichter möglich erscheinende Nahebeziehung, besser entsprochen wird, zumal Kinder grundsätzlich ein Recht auf Kontakt zu beiden Elternteilen haben. Bei einer gemeinsamen Rückkehr mit der Mutter nach Polen kann jedenfalls keine „Gefährdung“ des Kindeswohls im Sinne eines Unterschreitens von Mindeststandards für die persönliche und schulische Entwicklung des Minderjährigen erkannt werden.

 

Gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

 

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die Entscheidung liegt allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, welche bereits durch umfassende und im Detail bzw. in der fachlichen Substanz unwidersprochen gebliebene Feststellungen festgehalten wurde und demgemäß in einer Tatbestandsfrage.

 

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf umfangreiche Judikatur des EGMR sowie auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte