AlVG §66
B-VG Art133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W164.2236993.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Vorsitzende sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert POROD (aus dem Kreis der ArbeitgeberInnen) und Mag. Kurt RETZER (aus dem Kreis der ArbeitnehmerInnen) als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 10.09.2020, Zl. VSNR. XXXX AMS Wien, Redergasse, nach Beschwerdevorentscheidung vom 29.10.2020, GZ WF 2020-0566-9-002464, nach Durchführung einer nicht öffentlichen Beratung vom 01.08.2022 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.09.2020 wies das Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) den Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) auf Gewährung einer Einmalzahlung gem. §§ 66 und 38 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) BGBl. Nr. 609/1077 ab.
Begründend wurde ausgeführt, zufolge § 66 AlVG, in Kraft seit 01.09.2020, würden Personen, die in den Monaten Mai bis August 2020 mindestens 60 Tage Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen haben, zur Abdeckung des Sonderbedarfs aufgrund der COVID-19-Krise eine Einmalzahlung iHv € 450,-- erhalten. Der BF habe im Zeitraum 01.05.2020 bis 31.08.2020 nur von 13.07.20 bis 16.08.20, also insgesamt 35 Tage Notstandshilfe bezogen.
Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und führte zunächst aus, die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides (diese wies auf das Beschwerderecht hin) sei falsch. Es wäre § 57 AVG anzuwenden gewesen. Der angefochtene Bescheid sei gem. § 57 Abs 3 AVG außer Kraft getreten. Es liege keine Begründung der Abweisung mehr vor. Ferner habe seine Beschwerde aufschiebende Wirkung, weshalb ihm der beantragte Betrag jedenfalls vorerst ausgezahlt werden müsste. In der Sache wendete der BF ein, er habe am 17.09.2019 einen Herzinfarkt erlitten. Er sei als Folge davon körperlich behindert und habe Krankenstände. Im maßgeblichen Zeitraum sei er durchgehend über das AMS krankenversichert gewesen.
Mit der im Spruch genannten Beschwerdevorentscheidung vom 29.10.2020 wies das AMS die Beschwerde ab, stützte sich auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 66 AlVG und führte begründend aus, der BF habe im maßgeblichen Zeitraum 01.05.20 bis 31.08.20 die Mindestanzahl an Bezugstagen nicht erreicht. Es bestehe kein Ermessensspielraum für die Einbeziehung von Tagen eines Krankenstandes bzw. eines Krankengeldbezugs oder überhaupt aus irgendwelchen sonstigen Gründen.
Der BF beantragte daraufhin Verfahrenshilfe. Diesem Antrag hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 28.01.2021, GZ.: W164 2236993-2/3E, Folge gegeben und dem BF gem. § 8a Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) Verfahrenshilfe zur Stellung eines Vorlageantrages und im darauffolgenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren in vollem Umfang bewilligt. Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien wurde entsprechend benachrichtigt. Mit Bescheid vom 19.02.2021, Zustellung an den bestellten Verfahrenshelfer am 10.03.2021, hat die Rechtsanwaltskammer Wien die Brauneiss Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH gem. §§ 8a Abs 6 VwGVG, 45ff RAO zum Vertreter des BF im vorliegenden Verfahren bestellt.
Mit 22.03.2021 erhob der nun vertreten durch die Brauneiss Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH vertretene BF fristgerecht einen Vorlageantrag und machte zu Begründung die folgenden Ausführungen:
Der BF sei weiterhin nach dem AlVG versichert. Schon aus diesem Grund habe er Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, darunter fallend die Einmalhilfe gem. § 66 AlVG.
§ 66 AlVG sei ferner verfassungskonform auszulegen: § 66 AlVG knüpfe an den Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe an. Während des Bezugs von Krankengeld ruhe dieser Anspruch zufolge § 16 Abs 1 lit a iVm § 38 AlVG. Die strikte Befolgung des Wortlauts des § 66 AlVG würde zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen, da die Gewährung einer einmaligen Hilfe aufgrund der durch die COVID 19 Pandemie verursachten Lebenslage nicht unterschiedslos gewährt werde bzw. der Kreis der Leistungsempfänger nicht sachgerecht abgegrenzt werde. Vielmehr werde das Ziel ohne sachliche Rechtfertigung davon abhängig gemacht, ob eine Person lange genug Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe bezog. Eine Unterscheidung bei der Gewährung der Einmalhilfe gem. § 66 AlVG anhand des gesundheitlichen Zustands der Person sei nicht sachlich gerechtfertigt. Ein objektiver Grund, der die unterschiedliche Behandlung eines gesunden Notstandshilfebeziehers und eines Notstandshilfebeziehers, dessen Anspruch wegen Krankheit ruhe, im Hinblick auf den Bezug der Einmalzahlung gem. § 66 AlVG rechtfertigen würde, sei nicht ersichtlich. Es sei daher eine analoge Anwendung des § 66 AlVG auf Fälle wie den gegenständlichen geboten, in denen die für die Einmalzahlung erforderlichen Zeiträume aufgrund des Bezugs von Krankengeld nicht erreicht werden können.
Der BF beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.
Das AMS gab mit Stellungnahme vom 07.05.2021 bekannt, dass nach einer Änderung des Bezugsverlaufs des BF (nachträgliche Zuerkennung von Notstandshilfe anstelle der bis dahin zuerkannten Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhaltes für 17.08.20 bis 21.08.20) für diesen nun im verfahrensgegenständlichen Zeitraum 40 Tage des Bezugs an Notstandshilfe vorliegen würden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF bezog im Zeitraum Mai 2020 bis August 2020 weniger als 60 Tage Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. Hinsichtlich der weiteren Feststellungen wird auf die unter Punkt 1., Verfahrensgang gemachten Ausführungen verwiesen.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, sowie Einsichtnahme in die vom BF eingebrachten Rechtsmittel und die im Beschwerdeverfahren vom AMS eingebrachte Stellungnahme vom 07.05.2021. Der Sachverhalt ist soweit hier wesentlich unstrittig. Die Abhaltung einer mündlichen Vereinbarung erscheint daher nicht geboten. Da sich aus der im Beschwerdeverfahren seitens des AMS eingebrachten Mitteilung über den Bezugsverlauf des BF für den hier wesentlichen Sachverhalt keine Änderung ergab, war diesbezüglich auch kein schriftliches Parteiengehör vorzunehmen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 56 Abs. 2 AlVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Im vorliegenden Fall war daher Senatszuständigkeit gegeben.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides war entgegen den Beschwerdevorbringen nicht zu beanstanden. Ein Eingehen auf die Frage der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde erübrigt sich im Rahmen der hier zu treffenden Entscheidung.
Zu den im Vorlageantrag dargelegten Einwendungen wird folgendes ausgeführt:
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist auch im öffentlichen Recht bei der Interpretation nach jenen grundlegenden Regeln des Rechtsverständnisses vorzugehen, die im ABGB für den Bereich der Privatrechtsordnung normiert sind. § 6 ABGB verweist zunächst auf die Bedeutung des Wortlautes in seinem Zusammenhang. Daher ist grundsätzlich zu fragen, welche Bedeutung einem Ausdruck nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder nach dem Sprachgebrauch des Normengebers zukommt (vgl. VwGH Ra 2017/11/0114 vom 13.11.2019).
Gemäß § 6 ABGB darf einem Gesetz in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhange und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet.
Jede Auslegung nimmt ihren Ausgang beim Wortlaut des Gesetzes. Dies versteht sich von selbst, weil die Sprache das einzige Instrument ist, durch das der Gesetzgeber seinen Willen artikulieren kann. Deshalb ist der Wortlaut zugleich die erste und vielfach die hauptsächliche Erkenntnisquelle für die gesetzgeberischen Absichten. IdR sind die vom Gesetzgeber verwendeten Ausdrücke iSd allgemeinen Sprachgebrauchs zu verstehen. Fachausdrücke sind idR im fachsprachlichen Sinn auszulegen; dies gilt auch für Worte aus der juristischen Fachsprache. Ein abweichender Sprachgebrauch des jeweiligen Normengebers ist zu berücksichtigen. Die gewöhnliche Bedeutung der Worte wird zumeist notorisch sein (§ 269 ZPO), weshalb nähere Feststellungen des Gerichts darüber entbehrlich sind. Ausnahmsweise kann die Verwendung von Lexika und anderen Nachschlagewerken erforderlich sein, um die gewöhnliche Bedeutung der Begriffe zu ermitteln. Durch den Verlauf der Zeit kann das Sinnverständnis eines Begriffs zweifelhaft werden, sodass unter Umständen ermittelt werden muss, wie ihn der historische Gesetzgeber verstanden hat.
Die Bedeutung von Worten des allgemeinen Sprachgebrauchs, aber auch von Fachausdrücken, weist oft unscharfe Grenzen auf. An den Begriffskern, der den begrifflichen Mindestinhalt beschreibt, schließt sich vielfach ein unscharfer Randbereich (Begriffshof), der bis zum äußersten Wortsinn reicht. Hierdurch wird zugleich die Grenze der Auslegung hergestellt. Eine über den äußersten Wortsinn hinausgehende Anwendung der Norm ist im Rahmen analoger Rechtsanwendung möglich (Rz 4). Die Wortinterpretation als solche lässt eine engere oder weitere Auslegung zu; sie entscheidet aber nicht darüber, welcher Auslegung der Vorzug zu geben ist. Hierfür bedarf es der Heranziehung der anderen Auslegungsmethoden.
Die systematische Interpretation beruht auf dem Gedanken, dass sich auch aus dem Aufbau eines Gesetzes und dem jeweiligen Standort einer Norm Schlüsse auf ihren Anwendungsbereich ziehen lassen. In diesem Zusammenhang spielen auch Überschriften eine wesentliche Rolle, die vielfach Rückschlüsse auf den Anwendungsbereich der jeweils folgenden Normen zulassen. Vielfach erscheint die systematische Interpretation so selbstverständlich, dass der Rechtsanwender sie sich gar nicht bewusst macht. Wenn beispielsweise in § 128 UGB vorgesehen ist, dass die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner unbeschränkt haften, dann ergibt sich aus der Einordnung der Bestimmung in den Ersten Abschnitt des Zweiten Buchs des Gesetzes, dass die Gesellschafter der OG gemeint sind. Zur systematischen Interpretation gehört auch das Postulat, dass Gesetze idR so auszulegen sind, dass sie ihren Anwendungsbereich nicht vollständig verlieren. Dies beruht auf dem Gedanken, dass der Gesetzgeber lediglich Bestimmungen erlässt, die einen eigenständigen normativen Gehalt aufweisen; mag dieser uU auch nur gering sein. Auch bei Antinomien (widersprüchliche Rechtsfolgeanordnungen) sollte versucht werden, die Tatbestände und die ihnen zugrunde liegenden Wertungen so miteinander in Ausgleich zu bringen, dass keine der konfligierenden Bestimmungen ohne jeglichen Anwendungsbereich verbleibt (vgl zur Auflösung von Normenkonflikten auch sogleich Rz 12 f). Freilich setzt die Anwendung dieser Auslegungsregel ein Minimum an legistischer Sorgfalt voraus. Erweist es sich aufgrund anderer Erkenntnisquellen, beispielsweise aufgrund der Mat zu einem Gesetz, dass eine bestimmte Rechtsnorm in der Tat zur Gänze oder für einen bestimmten Teilbereich nur wiederholt, was in einer anderen Norm geregelt ist, dann kann die Auslegung auch zum Ergebnis führen, dass für die betreffende Rechtsnorm kein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt.
Die historische Auslegung hat das Ziel, den subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers zu ermitteln. Es geht um die Frage, welche Absichten der Gesetzgeber mit der Rechtsvorschrift im Zeitpunkt ihrer Erlassung verfolgt hat. Als Erkenntnisquellen stehen vorzugsweise die Mat zum Gesetzgebungsverfahren zur Verfügung; vor allem die ErläutRV, die AB und die stProt der gesetzgebenden Körperschaft (Nationalrat, Landtag). Gerade bei neueren Gesetzen haben die Mat oftmals eine besondere Bedeutung, weil gesetzgeberische Ziele, die in einer späten Phase des Legislativverfahrens im Text des Gesetzes nicht mehr berücksichtigt werden können, häufig noch in die Mat aufgenommen werden. Dies gilt in besonderem Maße für die sog „Ausschussfeststellungen“, durch die der Ausschuss einer gesetzgebenden Körperschaft seine Ansicht über den Umgang mit einem im Gesetzgebungsverfahren möglicherweise zu wenig beachteten Problem zum Ausdruck bringt, ohne freilich den vorgeschlagenen Gesetzeswortlaut zu ändern. Als Hilfsmittel für die Auslegung können auch Überschriften vor dem Text einer Norm und Marginalrubriken herangezogen werden; dies gilt freilich nur dann, wenn sie vom Gesetzgeber beschlossen wurden, aber nicht, wenn sie vom Herausgeber einer Gesetzesausgabe eingefügt wurden. Auch ohne entsprechende Äußerungen in den Mat können aus der Entstehungsgeschichte eines Gesetzes Schlüsse auf den Willen des Gesetzgebers gezogen werden. Dafür kommen vor allem der Vergleich eines jüngeren Gesetzes mit der älteren Fassung36) sowie der Textvergleich des Gesetzes mit einem Entwurf bzw der Vergleich mehrerer chronologisch aufeinander folgender Entwürfe in Betracht. Wurde eine in einem Entwurf vorgesehene Bestimmung in den beschlossenen Gesetzestext nicht aufgenommen, so kann dieser Umstand darauf hindeuten, dass sie nach dem Willen des Gesetzgebers nicht gelten soll. Materialien dienen grundsätzlich nur zur Auslegung des jeweiligen Gesetzes, außer es werden Materialien eines älteren Gesetzes zur historischen Interpretation des auf diesem aufbauenden jüngeren Gesetzes herangezogen.
Stets gilt freilich, dass der Wille des historischen Gesetzgebers bei der Auslegung nur beachtet werden kann, wenn er im äußersten Wortsinn der Norm noch Deckung findet. Ist dies nicht der Fall, kann ihm uU durch analoge Rechtsanwendung Rechnung getragen werden. Nur wenn sich aus dem gesetzgeberischen Willen klar ergibt, dass der Gesetzestext ein Redaktionsversehen enthält, ist eine berichtigende Auslegung möglich. Dasselbe gilt, wenn der Wortlaut des Gesetzes widersprüchliche Anordnungen enthält, aber aus den Mat erschlossen werden kann, wie die Bestimmungen gemeint sind.
Bei der Auslegung sind auch besondere methodische Aspekte zu beachten, die in § 6 nicht ausdrücklich erwähnt werden. Die verfassungskonforme Interpretation strebt an, einfachgesetzliche Normen so zu interpretieren, dass ihnen tunlichst kein verfassungswidriger Inhalt beigelegt wird oder dass sie – nach anderer Formulierung – mit den Werten der Verfassung im Einklang stehen. Dies lässt sich mit dem Postulat der widerspruchsfreien Auslegung der Gesamtrechtsordnung (Rz 26) begründen. Freilich kann diesem Auslegungsziel nur insoweit Rechnung getragen werden als dies mit dem Wortlaut vereinbar ist und der Wille des historischen Gesetzgebers nicht entgegensteht.
(Quelle: Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 6 (Stand 1.3.2017, rdb.at)
Umgelegt auf den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:
Im vorliegenden Fall hatte der BF in der Zeit von Mai bis August 2020 mehr als 60 Tage Anspruch auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung (Notstandshilfe), wobei dieser Anspruch von 01.05.2020 bis 12.07.2020 wegen des Bezugs von Krankengeld ruhte. Nur von 13.07.2020 bis 21.08.2020 also für 40 Tage bezog der BF tatsächlich Notstandshilfe. Aus der Summe beider Zeiträume würden sich mehr als 60 Tage ergeben.
Gemäß § 66, erster Satz, AlVG in der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung, BGBl. I Nr. 71/2020, gebührt Personen, die in den Monaten Mai bis August 2020 mindestens 60 Tage Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen haben, zur Abdeckung des Sonderbedarfs aufgrund der COVID-19-Krise eine Einmalzahlung in Höhe von 450 Euro.
§ 66 AlVG wurde seither novelliert. Sein erster Satz, nunmehr § 66 Abs 1, erster Satz, blieb unverändert in Geltung.
Gemäß § 6 Ab 1 Z 10 AlVG in der anzuwendenden Fassung bildet die Einmalzahlung eine Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung.
Zufolge der Materialien zu § 66 AlVG in der anzuwendenden Fassung, 285 der Beilagen XXVII. GP, sollte der Gesetzentwurf nach seinem Hauptgesichtspunkt einen Beitrag leisten, Nachteile infolge der Covid-19 Krise besser bewältigen zu können.
Daher wurden für bestimmte Personengruppen gewisse Begünstigungen normiert: Arbeitslosen Personen sollte eine zusätzliche finanzielle Abgeltung gewährt werden. Jenen Personen, die eine konkrete berufliche Ausbildung während der Pandemie nicht abschließen konnten, sollte eine Nachholung des Abschlusses erleichtert werden, in dem befristet für diesen Zweck die gewährte finanzielle Existenzgrundlage (Fachkräftestipendium bzw. Weiterbildungsgeld) verlängert werden konnte. Familien sollten finanziell gefördert und dadurch deren Kaufkraft gestärkt werden.
Bezogen auf die Gruppe der arbeitslosen Personen wird ausgeführt: „Personen, die infolge der Corona-Pandemie längere Zeit arbeitslos sind, erhalten als Hilfe in dieser besonderen Lebenslage eine Einmalzahlung. Diese Einmalzahlung soll einen Beitrag leisten, um die Zeit bis zur Wiedererlangung einer neuen Beschäftigung leichter überbrücken zu können. Die Einmalzahlung unterliegt nicht der Sozialversicherung. Voraussetzung für den Anspruch auf die Einmalzahlung ist, dass in den Monaten Mai bis August 2020 mindestens 60 Tage Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen wurde. Die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung muss nicht durchgehend bezogen worden sein. Unterbrechungen durch kurzfristige Beschäftigungen oder Krankenstände schaden also nicht. Tage, für die der Leistungsbezug gesperrt wurde, zählen nicht zu den 60 Bezugstagen. Die neue Regelung soll mit 1. September 2020 in Kraft treten.“
Gemäß § 16 Abs 1 lit a AlVG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld (zufolge § 38 AlVG ferner der Anspruch auf Notstandshilfe) während des Bezuges von Kranken- oder Wochengeld, sowie bei Nichtgewährung von Krankengeld gem. § 142 Abs 1 ASVG.
Ruhen des Anspruches bedeutet, dass aus den in § 16 Abs 1 AlVG genannten Gründen zeitlich befristet grundsätzlich keine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung bezogen werden kann, obwohl der Anspruch dem Grunde nach besteht. Die Ruhenstatbestände lassen sich in drei Gruppen einteilen: Ruhen wegen Bezugs einer anderen existenzsichernden Versicherungsleistung, Ruhen aufgrund arbeitsvertraglicher Entgelt- bzw. Schadenersatzansprüche, Ruhen mangels Verfügbarkeit.
Der Bezug von Krankengeld zählt zur erstgenannten Gruppe der Ruhenstatbestände, die dem Grundsatz des österreichischen Sozialversicherungsrechts, dass bereits jede der Leistungen, die der Existenzsicherung dient, für sich allein die Aufgabe der Existenzsicherung erfüllt und ein Doppelbezug solcher Leistungen verhindert werden soll. (vgl. Sdouz/Zechner AlVG, 18. Lfg, Lexis Nexis).
Das AlVG nimmt somit in seiner Gesamtheit eine klare systematische Trennung zwischen dem Bezug von Arbeitslosengeld/Notstandshilfe einerseits und dem Ruhen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld/Notstandshilfe andererseits vor. Eine weite Auslegung des in § 66 AlVG verwendeten Wortlautes in der vom BF begehrten Weise kommt daher nicht in Betracht. § 66 AlVG in der anzuwendenden Fassung stellt gemäß seinem eindeutigen Wortlaut und seinem äußersten Wortsinn nicht auch auf den bloßen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe ab, sondern ausschließlich auf den tatsächlichen Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Diese Voraussetzung erfüllte der BF nur von 13.07.2020 bis 21.08.2020.
Eine Regelung dergestalt, dass das Ruhen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe iSd § 16 Abs 1 lit a AlVG insoweit es die Einmalzahlung gem. § 66 AlVG betrifft, dem Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe gleichzuhalten wäre, findet sich nicht im AlVG. Ohne eine Bestimmung dieses Inhalts, kann § 66 AlVG aber nicht in dem Sinn verstanden werden, dass auch solche arbeitslosen Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gem. § 16 Abs 1 lit a AlVG ruhte, wobei sich aus der Zusammenrechnung von solchen Tagen des Ruhens und den Tagen der Bezuges von Arbeitslosengel oder Notstandshilfe mehr als 60 Tage ergeben würden, Anspruch auf eine Einmalzahlung iSd des § 66 (nun § 66Abs 1), erster Satz AlVG hätten.
Mit zu berücksichtigen ist ferner, dass auch der nachfolgend erlassene § 66 Abs 2 AlVG in der aktuellen Fassung ausschließlich auf Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld/Notstandshilfe abstellt und Zeiten des Ruhens iSd § 16 Abs 1 AlVG nicht einbezog. Somit ist davon auszugehen, dass der Wille des Gesetzgebers auf die Gewährung von Einmalzahlungen nur an Bezieher von Arbeitslosengeld/Notstandshilfe gerichtet war.
Soweit der BF in seinem Vorlageantrag eine verfassungskonforme Auslegung des § 66 AlVG in dem Sinn fordert, dass auch Zeiträume des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld und Notstandshilfe zu berücksichtigen wären, da die strikte Befolgung des Wortlauts des § 66 AlVG aus den näher genannten Gründen zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen würde, so ist einzuräumen, dass nicht ohne weiteres erkennbar ist, aus welchen Erwägungen der Gesetzgeber mit § 66 AlVG nicht auch solche Personen erfassen wollte, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe infolge von Krankheit gem. § 16 Abs 1 lit a AlVG für längere Zeit ruhte.
In diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten dass der Verfassungsgerichtshof unter dem Aspekt der Gleichheitsprüfung dem Gesetzgeber in ständiger Judikatur einen legitimen Gestaltungsspielraum einräumt, der dann besonders groß ist, wenn der Gesetzgeber einer aktuellen Krisensituation begegnet und „Neuland betritt“. (vgl. Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht, 12 Auflage, 2019, facultas, RZ 763 mit Verweis auf VfSlg 19.598/2011, Stöger, ÖBA 2012,261). Die vorliegende Gesetzesbestimmung wurde im Zuge einer jäh eingetretenen Krisensituation mit dem erkennbaren Ziel erlassen, Beziehern von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe rasch Unterstützung zukommen zulassen. Vor diesem Hintergrund waren die vom BF aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken daher nicht aufzugreifen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, da es an einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu § 66 AlVG fehlt. Der zu lösenden Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu.
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