BVwG W164 2236993-2

BVwGW164 2236993-228.1.2021

AlVG §38
AlVG §66
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §8a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W164.2236993.2.00

 

Spruch:

W164 2236993-2/3E

 

BESCHLUSS

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über den Antrag von XXXX , geb. XXXX auf Bewilligung der Verfahrenshilfe vom 16.11.2020 im Verfahren über seine Beschwerde gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 10.09.2020, Zl. VSNR. XXXX AMS Wien, Redergasse, nach Beschwerdevorentscheidung vom 29.10.2020, GZ WF 2020-0566-9-002464, beschlossen:

A)

Dem Antrag wird, Folge gegeben. Herrn XXXX wird gem. § 8a Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) Verfahrenshilfe zur Stellung eines Vorlageantrages und im darauffolgenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren in vollem Umfang bewilligt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid vom 10.09.2020 wies das Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) den Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) auf Gewährung einer Einmalzahlung gem. §§ 66 und 38 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) BGBl. Nr. 609/1077 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 29.10.2020, dem BF zugestellt am 02.11.2020, wies das AMS die Beschwerde ab.

Der BF übermittelte dem AMS daraufhin innerhalb der Frist zur Stellung eines Vorlageantrages einen Antrag „Verfahrenshilfe wegen Stellung einer Bescheidbeschwerde und eines Vorlageantrages im Verfahren GZ: WF2020-0566-9-002464“[Zitat BF]. Er schloss diesem Antrag ein Vermögensbekenntnis gem. § 8 VwGVG (ein Formular des Verwaltungsgerichts Wien) an und kreuzte darin u.a. folgende Auswahlmöglichkeiten an: „Ich benötige einen Verfahrenshelfer zur Vertretung im gesamten verwaltungsgerichtlichen Verfahren, zur Vertretung in der Verhandlung und um einen Vorlageantrag zu stellen.“ Der BF beantragte Verfahrenshilfe im vollen Umfang.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Hinsichtlich der Feststellungen wird auf die unter Punkt 1. „Verfahrensgang“ gemachten Ausführungen verwiesen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und das vom BF vorgelegte Vermögensbekenntnis.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 56 Abs. 2 AlVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer.

Gemäß § 9 Abs. 1 BVwGG leitet und führt der/die Vorsitzende eines Senats das Verfahren bis zur Verhandlung. Die dabei erforderlichen Beschlüsse bedürfen keines Senatsbeschlusses. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (RV 2008 BlgNR 24. GP , S. 4) bedeutet dies, dass der/die Senatsvorsitzende "insbesondere die Entscheidung über die Gewährung eines Verfahrenshilfeverteidigers" ohne Senatsbeschlusses erlassen darf. Die vorliegende Entscheidung unterliegt somit Einzelrichterzuständigkeit.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

§ 8a Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet:

"(1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.

(2) Soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung - ZPO, RGBl. Nr. 113/1895, zu beurteilen. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe schließt das Recht ein, dass der Partei ohne weiteres Begehren zur Abfassung und Einbringung der Beschwerde, des Vorlageantrags, des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder zur Vertretung bei der Verhandlung ein Rechtsanwalt beigegeben wird.

(3) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist schriftlich zu stellen. Er ist bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Für Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG ist der Antrag unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen.

(4) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe kann ab Erlassung des Bescheides bzw. ab dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, gestellt werden. Wird die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer Säumnisbeschwerde beantragt, kann dieser Antrag erst nach Ablauf der Entscheidungsfrist gestellt werden. Sobald eine Partei Säumnisbeschwerde erhoben hat, kann der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auch von den anderen Parteien gestellt werden.

(5) In dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist die Rechtssache bestimmt zu bezeichnen, für die die Bewilligung der Verfahrenshilfe begehrt wird.

(6) Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen, so hat es den Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit der Ausschuss einen Rechtsanwalt zum Vertreter bestelle. Dabei hat der Ausschuss Wünschen der Partei zur Auswahl der Person des Vertreters im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen.

(7) Hat die Partei innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, so beginnt für sie die Beschwerdefrist mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Beschluss über die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid diesem zugestellt sind. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag abgewiesen, so beginnt die Beschwerdefrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei zu laufen. Entsprechendes gilt für die Fristen, die sich auf die sonstigen in Abs. 2 genannten Anträge beziehen.

(8) Die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter erlischt mit dem Einschreiten eines Bevollmächtigten.

(9) In Verfahrenshilfesachen ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zulässig.

(10) Der Aufwand ist von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen das Verwaltungsgericht in der Angelegenheit handelt."

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es nicht erforderlich, Verfahrenshilfe in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren. Vielmehr bedarf es einer Prüfung im Einzelfall. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Prüfungsbeschluss, der zur Aufhebung des § 40 VwGVG führte, die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dahingehend zusammengefasst, dass der "Zugang zu einem Gericht nicht bloß theoretisch und illusorisch, sondern effektiv gewährleistet sein müsse"; in jenen Fällen, in denen es "unentbehrlich sei, dass der Partei eines Verfahrens ein unentgeltlicher Verfahrenshelfer beigestellt werde," müsse ein solcher beigestellt werden.

Maßgeblich sind die Vermögensverhältnisse der Partei, ihre Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden, weiters ihre Erfolgsaussichten und die Komplexität des Falles bzw. die Bedeutung der Angelegenheit für die Parteien (vgl 1255 der Beilagen XXV. GP - Regierungsvorlage - Erläuterungen zu § 8a VwGVG).

Verfahrenshilfe gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist nur dann vorgesehen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und die Verfahrenshilfe im konkreten Verfahren geboten ist.

Gemäß § 64 Abs. 1 Z 3 ZPO umfasst die Verfahrenshilfe die unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwaltes nur in solchen Fällen, in denen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich geboten ist oder es nach der Lage des Falles erforderlich erscheint. Eine Erforderlichkeit ist nur dann gegeben, wenn der Rechtsfall besondere Schwierigkeiten in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht erwarten lässt. Dabei kommt es einerseits auf die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers an, wie etwa über den Grad von Verständnis und Intelligenz bzw. an Rechtskenntnissen dieser verfügt. In Einzelfällen kann auch die besondere Trageweite des Rechtsfalles für den Antragsteller von Relevanz sein. Weiters kommt es auch auf die Komplexität der Rechtssache an (vgl. M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 § 64 ZPO, Rz 16).

Die Beigebung eines Rechtsanwalts in Verfahren ohne Anwaltspflicht soll eine Ausnahme darstellen. OLG Linz 2 R 65/03x und LGZ Wien 42 R 226/03a EFSlg 105.674. Sie ist vor allem erforderlich, wenn die Partei nur über einen geringen Grad von Rechtsverständnis und Rechtskenntnis verfügt und damit auch der richterlichen Anleitung nach § 432 ZPO Grenzen gesetzt sind. LGZ Wien 31. 1. 1995 EFSlg 79.168; LGZ Wien 9. 4. 1997 EFSlg 85.252; LGZ Wien 20. 10. 1998 MietSlg 50.710; LGZ Wien 29. 12. 1999 EFSlg 90.866; LGZ Wien 42 R 122/01d EFSlg 98.128; LGZ Wien 43 R 420/02m EFSlg 101.846-101.848; OLG Linz 2 R 65/03x ua EFSlg 105.676 (vgl. Klauser/Kodek, JN - ZPO18 § 64 ZPO, E 16 (Stand 1.9.2018, rdb.at)).

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:

Im Rahmen des vom BF angestrebten Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht besteht zwar keine Anwaltspflicht. Allerdings zeigen die Beschwerdeausführungen implizit, dass die Prüfung der Gleichheitswidrigkeit des von der belangten Behörde angewendeten Gesetzes angestrebt wird. Die diesbezüglichen Vorbringen des BF sind auch nicht ohne weiteres - etwa mit dem Hinweis auf vorhandene einschlägige höchstgerichtliche Judikatur - zu verwerfen. Die vorliegende Rechtssache ist daher als komplex anzusehen. Die vom BF beabsichtigte Rechtsverfolgung ist auch nicht offenbar mutwillig oder aussichtslos. Der BF ist nicht rechtskundig. Das vom BF vorgelegte Vermögensverzeichnis belegt, dass auch das subjektiv Kriterium der hier gegenständlichen Bewilligung erfüllt ist.

Bis dato liegt kein Vorlageantrag des Antragstellers vor. Die zweiwöchige Frist zur Stellung eines Vorlageantrages beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Beschluss über die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid (hier: Ausgangsbescheid sowie Beschwerdevorentscheidung) diesem zugestellt sind (vgl. § 8a Abs 7 VwGVG).

Somit war spruchgemäß zu entscheiden.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

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