AVG §69
AVG §69 Abs1 Z1
AVG §69 Abs1 Z2
AVG §69 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W203.2242913.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2021, Zl. 1266378293/200613650, betreffend die Wiederaufnahme des Asylverfahrens, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, verließ im Jahr 2016 zusammen mit seiner Familie seinen Herkunftsstaat und stellte am 22.05.2018 in Griechenland einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 31.03.2020 wurde ihm und seinen mit ihm ausgereisten Familienangehörigen von der griechischen Asylbehörde der Status des bzw. der Asylberechtigten zuerkannt.
2. Am 17.07.2020 stellte der Beschwerdeführer in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Dabei gab er anlässlich der am selben Tag durchgeführten polizeilichen Erstbefragung u.a. auf die ausdrücklich gestellte Frage, ob er in einem anderen Land um Asyl angesucht habe, an, dass dies nicht der Fall sei und dass er in Griechenland lediglich seine Fingerabdrücke habe abgeben müssen. Am Ende der Befragung gab er an, dass er alles verstanden habe und bestätigte die inhaltlich Richtigkeit der Niederschrift über die Einvernahme mit seiner Unterschrift.
3. Am 09.11.2020 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde er zunächst darüber belehrt, dass es unumgänglich sei, dass er die Wahrheit sage, nichts verschweige und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte selbständig und über Nachfrage wahrheitsgemäß darlege. Der Beschwerdeführer bestätigte, dass er im bisherigen Verfahren ausschließlich wahrheitsgemäße und vollständige Angaben gemacht habe.
Auf die Frage, warum er nicht in einem anderen, für Schutzsuchende als sicher eingestuften Staat Asyl beantragt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er in Serbien nicht Asyl habe beantragen können.
4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 27.11.2020 wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass diesem kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
5. Am 14.01.2021 wurde die belangte Behörde von den griechischen Asylbehörden darüber informiert, dass der Beschwerdeführer in Griechenland seit dem 31.03.2020 anerkannter Flüchtling sei.
6. Am 04.02.2021 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde neuerlich niederschriftlich einvernommen. Dabei wiederholte er, dass er im bisherigen Verfahren ausschließlich wahrheitsgemäße und vollständige Angaben gemacht habe. Seine Familie befinde sich noch in Griechenland und er habe täglich Kontakt mit dieser.
Auf den Vorhalt, dass er in Griechenland über einen Asylstatus verfüge, antwortete der Beschwerdeführer, dass er am 01.07.2020 einen Termin zur Einvernahme bei den griechischen Behörden gehabt habe. Er habe nicht gewusst, dass er in Griechenland einen Asylstatus gehabt habe, ansonsten hätte er Griechenland nicht verlassen. Er habe 6.000 Euro „verloren“, um nach Österreich kommen zu können. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass er gezwungen worden sei, in Griechenland Asyl zu beantragen, da er und seine Familie ansonsten wieder in die Türkei zurückgehen hätten müssen.
Er sei am 01.05.2018 nach Griechenland gekommen und habe am 22.05.2018 dort Asyl bekommen. Alles, was er wisse, sei, dass er am 22.05.2018 in Griechenland Asyl bekommen habe und dass er am 01.07.2020 einen „Termin für seinen Aufenthalt“ bei den griechischen Behörden gehabt habe. Es sei nicht sein Fehler, dass ihm in Griechenland ohne sein Wissen Asyl gewährt worden sei. Inzwischen habe er 6.000 Euro „verloren“.
7. Am 19.02.2021 gab der Beschwerdeführer über seine Vertretung eine Stellungnahme zu seinem Asylverfahren ab, aus der auf das Wesentliche zusammengefasst Folgendes hervorgeht: Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Behörde eine Wiederaufnahme des Asylverfahrens prüfe. Bei den Einvernahmen des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde dürfte es zu Missverständnissen gekommen sein. Die Situation für Asylwerber in Griechenland sei prekär, eine Asylgewährung in Griechenland bedeute keine Erleichterung und Sicherheit für Flüchtlinge. Der Beschwerdeführer hätte im Falle seiner Rückkehr nach Griechenland auch als dort Asylberechtigter Obdachlosigkeit und Verelendung zu gewärtigen.
8. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 07.04.2021, Zl. 1266378293/200613650 (im Folgenden: angefochtener Bescheid), wurde das den Beschwerdeführer betreffende Asylverfahren vom 17.07.2020 gemäß § 69 Abs. 1 AVG wiederaufgenommen mit der Begründung, dass dieser die Gewährung des Asylstatus durch wissentliches Verschweigen von Tatsachen erschlichen habe. Nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens seien neue Beweismittel hervorgekommen.
9. Am 05.05.2021 brachte der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 07.04.2021 ein und begründete diese auf das Wesentliche zusammengefasst wie folgt: Eine am 31.03.2020 in Griechenland erfolgte Asylgewährung sei nicht nachvollziehbar, da die vorgelegten Ausweise nur jeweils für sechs Monate gültig gewesen wären und außerdem noch eine Vorladung für den 01.07.2020 angestanden wäre. Außerdem gehe aus der Bestätigung der griechischen Asylbehörde hervor, dass zumindest bis 04.01.2021 noch keine Aufenthaltsbewilligung erteilt worden sei. Insofern sei es nicht verwunderlich, dass sich die Familie über eine etwaige tatsächlich erfolgte Asylgewährung in Unkenntnis befunden habe. Es könne somit keine Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer diese Tatsachen wissentlich verschwiegen habe. Die Situation für Asylwerber in Griechenland sei prekär, der Beschwerdeführer hätte im Falle einer Rückkehr nach Griechenland Obdachlosigkeit und Verelendung zu gewärtigen. Voraussetzung für eine Wiederaufnahme von Amts wegen sei außerdem, dass die Behörde auf die Angaben des Beschwerdeführers angewiesen gewesen sei. Dies sei aber gegenständlich nicht der Fall, da die Behörde über eine EURODAC-Anfrage sehr einfach feststellen hätte können, dass der Beschwerdeführer in Griechenland einen Asylantrag gestellt habe. Insofern treffe die belangte Behörde ein Verschulden daran, dass wesentliche Tatsachen erst verspätet hervorgekommen seien. Der Beschwerdeführer habe auch nicht vorsätzlich gehandelt, da er nicht gewusst habe, dass er bereits über einen Asylstatus in Griechenland verfüge.
10. Einlangend am 31.05.2021 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - samt zugehörigem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Anlässlich der Beschwerdevorlage führte die belangte Behörde aus, dass ihr zwar anlässlich einer EURODAC-Abfrage bekannt gewesen sei, dass der Beschwerdeführer in Griechenland Behördenkontakt gehabt habe und dass diesem dort Fingerabdrücke abgenommen worden seien, jedoch sei nicht ersichtlich gewesen, dass der Beschwerdeführer einen Asylantrag gestellt habe und ihm in der Folge ein Asylstatus zuerkannt worden sei. Es seien diesbezüglich auch mehrere Anfragen an die griechischen Asylbehörden gestellt worden, diese seien aber bis 14.01.2021 unbeantwortet geblieben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht auf Grundlage der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch ein Organ der belangten Behörde sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt fest. Aus den diesbezüglichen Angaben und Informationen werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:
Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem dort angegebenen Datum geboren.
Der Beschwerdeführer hat zusammen mit seiner Familie Syrien 2016 verlassen. Im Jahr 2018 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz in Griechenland, woraufhin ihm von den griechischen Behörden am 31.03.2020 der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.
Der Beschwerdeführer hat trotz ausdrücklicher Befragung durch die belangte Behörde gegenüber dieser während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens weder das Faktum, dass er in Griechenland internationalen Schutz beantragte noch das Faktum, dass ihm dort der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, bekanntgegeben.
Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 27.11.2020 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Nach rechtskräftigem Abschluss des den Beschwerdeführer betreffenden Asylverfahrens wurde die belangte Behörde von den griechischen Asylbehörden darüber informiert, dass dem Beschwerdeführer am 31.03.2020 der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem ordnungsgemäß durchgeführten Verfahren vor der belangten Behörde, den Angaben des Beschwerdeführers im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens, dem vorliegenden Verwaltungsakt und aus der Beschwerde.
Die Feststelllungen betreffend die Beantragung von internationalem Schutz durch den Beschwerdeführer in Griechenland und die Gewährung des Status des Asylberechtigten durch die griechischen Asylbehörden an diesen ergeben sich aus dem am 14.01.2021 der belangten Behörde übermittelten Dokument der griechischen Asylbehörde.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.2. Zu Spruchpunkt A):
3.2.1. Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 und 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 i.d.g.F., ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens u.a. dann stattzugeben, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
3.2.2. Verfahrensgegenstand ist ausschließlich die Frage, ob die belangte Behörde zu Recht von Amts wegen das Verfahren wiederaufgenommen hat. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist demnach, ob bzw. wie über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 17.07.2020 (neuerlich) zu entscheiden ist bzw. sein wird.
3.2.3. Von den in § 69 Abs. 1 AVG abschließend genannten Wiederaufnahmegründen kommen verfahrensgegenständlich allenfalls die Erschleichung (§ 69 Abs. 1 Z 1 AVG) oder das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel (§ 69 Abs. 1 Z 2 AVG) in Betracht.
3.2.3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein „Erschleichen“ eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG dann vor, wenn dieser in der Art zu Stande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. VwGH 28.05.2019, Ra 2019/22/0105, mwN). Unter einem „Erschleichen“ im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist daher nur ein vorsätzliches - nicht bloß kausales oder bloß fahrlässiges - Verhalten der Partei im Zuge des Verfahrens zu verstehen, das darauf abzielt, einen für sie günstigen Bescheid zu erlangen (VwGH 18.06.2021, Ra 2021/22/0078).
Mit Irreführungsabsicht handelt eine Partei dann, wenn sie vorsätzlich, also wider besseren Wissens, falsche Angaben macht oder entscheidungswesentliche Umstände verschweigt und damit das Ziel verfolgt, daraus einen (vielleicht) sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen (VwGH 08.06.2006, 2004/01/0470). Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde (und vom Verwaltungsgericht) in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. etwa VwGH 27.5.2014, 2011/10/0187; 22.04.2021, Ra 2020/22/0237, mwN).
Zudem erfordert ein „Erschleichen“, dass die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen ist und ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere Ermittlungen durchzuführen (vgl. VwGH 12.2.2019, Ra 2019/22/0031). Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein „Erschleichen“ des Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten (vgl. VwGH 5.3.2021, Ra 2019/22/0234; 15.10.2020, Ra 2020/18/0300).
Zusammengefasst müssen nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes für eine „Erschleichung“ drei Voraussetzungen gegeben sein: Erstens müssen objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung gemacht worden sein. Zweitens muss ein Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde bestehen. Drittens muss Irreführungsabsicht der Partei vorliegen, nämlich eine Behauptung wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen. (vgl. Hengstschläger – Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Teilband, Rz 12ff zu § 69 AVG).
Das Verschuldenskriterium des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG findet auf amtswegige Wiederaufnahmen sinngemäß Anwendung. Eine Wiederaufnahme von amtswegen ist demnach nur dann zulässig, wenn die neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweise ohne Verschulden der Behörde unbekannt geblieben sind und von ihr nicht berücksichtigt werden konnten (VwSlg 5005 A/1959; VwGH 03.10.1997, 96/19/2173; 24.02.2002, 2002/01//0458).
3.2.3.2. Umgelegt auf das gegenständliche Verfahren lässt sich aus dem unter Pkt. 3.2.3.1. Gesagten Folgendes ableiten:
Das Vorgehen des Beschwerdeführers während des erstinstanzlichen Verfahrens erfüllt den Tatbestand der Erschleichung des Bescheides. So hat er trotz expliziter Nachfrage durch die belangte Behörde verneint, jemals in einem anderen Staat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt zu haben. Es wiederspricht jedweder Lebenserfahrung, dass Personen, die sich auf der Flucht befinden, einen derartigen Antrag stellen, ohne dass Ihnen dies bewusst wäre. Das Motiv, aus welchem der Antrag gestellt wurde – verfahrensgegenständlich gemäß Vorbringen des Beschwerdeführers nur deswegen, um nicht zusammen mit seiner Familie in die Türkei abgeschoben zu werden – spielt dabei keine Rolle. Dass dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Befragungen durchaus bewusst war, dass er einen derartigen Antrag in Griechenland gestellt hatte, ergibt sich zum einen aus dessen Antworten im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 04.02.2021, denen zu Folge er in Griechenland „gezwungen“ worden wäre, Asyl zu beantragen (vgl. Niederschrift, Seite 8) und er dort am 22.05.2018 Asyl bekommen habe (vgl. Niederschrift, Seite 10), was aber „nicht sein Fehler“ gewesen sei (vgl. Niederschrift, Seite 11), und zum anderen auch daraus, dass jedenfalls davon auszugehen ist, dass er von seiner Familie, die sich nach wie vor in Griechenland aufhält und mit der er täglich telefonisch in Kontakt steht, über den aktuellen Verfahrensstand informiert wurde. Aus den Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 04.02.2021 lässt sich ableiten, dass ihm sehr wohl bewusst war, dass er in Griechenland einen Antrag auf Zuerkennung von internationalem Schutz gestellt hatte, dass er dies aber nicht aus freien Stücken sondern deswegen gemacht hat, um mit seiner Familie nicht in die Türkei zurückgeschoben zu werden und dass er in der Folge in Österreich neuerlich Asyl beantragte, weil er davon ausging, dass die Situation von Asylberechtigten in Griechenland eine prekäre sei. Mögen beide Motive – nämlich zum einen die Angst vor einer Abschiebung in die Türkei und zum anderen die Befürchtung, in Griechenland auch als Asylberechtigter in einer schwierigen Situation zu sein – aus Sicht des Beschwerdeführers nachvollziehbar erscheinen, ändert dies dennoch nichts daran, dass er bewusst Tatsachen vor der belangten Behörde verschwiegen hat, deren Kenntnis zum Entscheidungszeitpunkt geeignet gewesen wäre, zu einem anderen Ergebnis des Verfahrens zu gelangen.
Aber selbst wenn man davon ausginge, dass dem Beschwerdeführer tatsächlich die in Griechenland objektiv erfolgte Antragstellung auf Gewährung von internationalem Schutz nicht bewusst gewesen sein sollte, ließe sich dadurch für diesen nichts gewinnen, da gegenständlich jedenfalls der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG erfüllt ist. Durch die erst nach Erlassung des Bescheides, mit dem dem Beschwerdeführer durch die belangte Behörde am 27.11.2020 der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, erfolgte Information über die bereits zu einem früheren Zeitpunkt in Griechenland erfolgte Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Beschwerdeführer sind neue, entscheidungsrelevante Tatsachen hervorgekommen. An der Nichtberücksichtigung dieser Tatsachen im erstinstanzlichen Verfahren trifft die belangte Behörde auch kein Verschulden, da sie alle ihr zumutbaren und mit vertretbarem Aufwand durchführbaren Ermittlungsschritte – insbesondere durch mehrmalige, ausdrückliche Befragung des Beschwerdeführers sowie Einsichtnahme in die EURODAC-Datenbank und Rückfrage bei den zuständigen griechischen Behörden – gesetzt hat.
Die belangte Behörde hat somit zu Recht die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 27.11.2020 abgeschlossenen Verfahrens verfügt.
3.2.4. Zur Unterlassung einer mündlichen Verhandlung
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 VwGVG kann – soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist – das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
3.2.5. Es war sohin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Spruchpunkt A) zu entscheiden.
3.3. Zu Spruchpunkt B):
3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3.3.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
3.3.3. Es war daher gemäß Spruchpunkt B) zu entscheiden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
