VwGH Ra 2021/22/0078

VwGHRa 2021/22/007818.6.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger sowie Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der S Ö in F, vertreten durch Dr. Emelle Eglenceoglu, Rechtsanwältin in 6800 Feldkirch, Gilmstraße 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 4. März 2021, Zl. LVwG‑458‑13/2020‑R9, betreffend Wiederaufnahme iA Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Feldkirch),

Normen

AVG §45 Abs2
AVG §69 Abs1 Z1
EURallg
NAG 2005 §54
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
11992E052 EGV Art52
12010E020 AEUV Art20 Abs1
32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Z1
61990CJ0369 Micheletti VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220078.L00

 

Spruch:

A. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang des Spruchpunktes I. erster Absatz wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen den Spruchpunkt I. zweiter Absatz des angefochtenen Erkenntnisses wendet, zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 7. September 2020 nahm die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG das (rechtskräftig positiv abgeschlossene) Verfahren betreffend den Antrag der Revisionswerberin, einer türkischen Staatsangehörigen, vom 7. März 2017 auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) von Amts wegen wieder auf und wies den Antrag vom 7. März 2017 ab. Unter einem wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ausgeschlossen. Ferner hielt die Behörde fest, dass die Revisionswerberin die in Rede stehende Aufenthaltskarte unverzüglich bei der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch abzugeben habe.

2 Begründend führte die Behörde aus, die Revisionswerberin habe angegeben, dass ihr Ehegatte österreichischer Staatsangehöriger sei. Da bei der Antragstellung auch eine Bestätigung über die Beschäftigung des Ehegatten in der Schweiz in den Jahren von 2000 bis 2008 vorgelegt worden sei, sei die Behörde davon ausgegangen, dass die Revisionswerberin Angehörige eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR‑Bürgers sei. Im Hinblick darauf sei die in Rede stehende Aufenthaltskarte ausgestellt worden.

3 Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 11. Dezember 2019 sei in Bestätigung eines Bescheides der Vorarlberger Landesregierung vom 14. März 2019 festgestellt worden, dass der Ehegatte der Revisionswerberin (durch den erneuten Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit) am 15. November 1994 gemäß § 27 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) die (durch Verleihung nach § 10 Abs. 1 StBG mit Wirkung vom 12. November 1993 erworbene) österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe. Somit sei die Revisionswerberin zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht Angehörige eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers gewesen.

4 Die Revisionswerberin habe anlässlich ihrer Eheschließung am 2. September 2016 unter ihrer türkischen Personenkennzahl einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister für ihren Ehegatten beantragt. Somit sei ihr bereits zu diesem Zeitpunkt die türkische Staatsangehörigkeit ihres Ehegatten bekannt gewesen. Zwischenzeitlich habe dieser, da er erneut aus dem türkischen Staatsverband entlassen worden sei, auch die türkische Staatsangehörigkeit verloren und sei nun staatenlos. Dies sei vor dem 7. März 2017 erfolgt. Somit sei der Ehegatte der Revisionswerberin zum Zeitpunkt der Beantragung der gegenständlichen Aufenthaltskarte weder österreichischer noch türkischer Staatsangehöriger gewesen.

5 Weiters habe die Revisionswerberin angegeben, dass sie sowohl bei der Eheschließung als auch bei der Antragstellung am 7. März 2017 davon ausgegangen sei, dass ihr Ehegatte österreichischer Staatsangehöriger sei. Es sei der Revisionswerberin jedenfalls zum Zeitpunkt der Eheschließung die türkische Staatsangehörigkeit ihres Ehegatten bekannt gewesen. Der Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben der Revisionswerberin und der Ausstellung der Aufenthaltskarte sei nicht in Zweifel zu ziehen. Es liege folglich der Tatbestand der „Erschleichung“ im Sinn von § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vor.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der dagegen erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG keine Folge und bestätigte den Bescheid vom 7. September 2020 mit einer hier nicht weiter relevanten Maßgabeentscheidung (Spruchpunkt I. erster Absatz). Weiters wurden der Revisionswerberin näher bestimmte Dolmetscherkosten gemäß § 76 Abs. 1 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG auferlegt (Spruchpunkt I. zweiter Absatz). Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

7 Das Verwaltungsgericht stellte auf das Wesentliche zusammengefasst fest, dass die Revisionswerberin, obwohl sie in Kenntnis davon gewesen sei, dass „ihr Ehegatte damals nicht nur österreichischer Staatsbürger, sondern auch türkischer Staatsangehöriger“ gewesen sei, am Antragsformular in dem für die Angaben zur Staatsangehörigkeit des Ehepartners vorgesehenen Feld lediglich angegeben habe, dass ihr Ehegatte die österreichische Staatsangehörigkeit besitze.

8 Die Revisionswerberin habe am 29. November 2016 bei der Österreichischen Botschaft in Ankara einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ eingebracht. Diesem Antrag sei u.a. ein Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister betreffend ihren Ehegatten in türkischer und deutscher Sprache beigelegt gewesen. Diese Antragsunterlagen seien der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch übermittelt worden. Am 7. März 2017 habe die Revisionswerberin ihren Antrag vom 29. November 2016 zurückgezogen. Dem gegenständlichen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte vom 7. März 2017 habe die Revisionswerberin keinen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister betreffend ihren Ehegatten angeschlossen.

9 In rechtlicher Hinsicht ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Revisionswerberin der Behörde bei der Antragstellung am 7. März 2017 trotz diesbezüglicher Kenntnis verschwiegen habe, dass ihr Ehegatte nicht nur im Besitz der österreichischen, sondern auch im Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit gewesen sei. Die im Antragsformular angeführte Frage nach der Staatsangehörigkeit des Ehegatten sei, auch wenn die Revisionswerberin rechtsunkundig sei, weder schwer zu beantworten noch rechtlich kompliziert. Somit werde aufgrund der Tatsache, dass die Revisionswerberin das Antragsformular bezüglich der Daten ihrer Familienangehörigen nur unvollständig ausgefüllt habe, davon ausgegangen, dass eine Irreführungsabsicht der Revisionswerberin bestanden habe.

10 Dass bereits dem Antrag vom 29. November 2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ein Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister betreffend den Ehegatten der Revisionswerberin beigeschlossen worden sei, sei für den von der Revisionswerberin vertretenen Rechtsstandpunkt nicht hilfreich. Der Antrag vom 29. November 2016 sei zurückgezogen worden. Es sei lediglich maßgeblich, ob bei Antragstellung am 7. März 2017 wesentliche Angaben verschwiegen worden seien.

11 Die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG lägen fallbezogen vor. Hätte die Revisionswerberin ihren Antrag nach bestem Wissen und Gewissen vollständig ausgefüllt, so hätte sie auch die türkische Staatsangehörigkeit ihres Ehegatten anführen müssen. Die Verschweigung wesentlicher Umstände sei dem Erstatten unrichtiger Angaben gleichzusetzen. Es sei daher davon auszugehen, dass die Revisionswerberin den am 16. März 2017 durch Ausfolgung der Aufenthaltskarte erlassenen Bescheid mit Irreführungsabsicht erschlichen habe.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

13 Eine Revisionsbeantwortung wurde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Die Revision führt in ihrer Zulässigkeitsbegründung aus, dass für das „Erschleichen“ eines Bescheides vorsätzliches Verhalten der Partei erforderlich sei. Ein Vorsatz sei der Revisionswerberin keinesfalls anzulasten. Zudem hätte die Behörde ohne Schwierigkeiten den tatsächlichen Sachverhalt von Amts wegen ermitteln können. Der Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister betreffend den Ehegatten der Revisionswerberin sei der Behörde aufgrund des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 29. November 2016 in türkischer und deutscher Sprache vorgelegen.

15 Im Hinblick darauf erweist sich die Revision als zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der hg. Rechtsprechung zu § 69 Abs. 1 Z 1 AVG abgewichen ist. Sie ist daher auch berechtigt.

16 Gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, dieser Absatz in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR‑Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen.

17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein „Erschleichen“ eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG dann vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. VwGH 28.5.2019, Ra 2019/22/0105).

18 Zudem erfordert ein „Erschleichen“ nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen ist und ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere Ermittlungen durchzuführen (vgl. VwGH 12.2.2019, Ra 2019/22/0031). Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein „Erschleichen“ des Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten (vgl. VwGH 5.3.2021, Ra 2019/22/0234; 15.10.2020, Ra 2020/18/0300).

19 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass von einem „Erschleichen“ nur dann gesprochen werden kann, wenn der Bescheid seitens der Partei durch eine verpönte Einflussnahme auf die Entscheidungsunterlagen veranlasst wird und die Behörde durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigen wesentlicher Umstände mit Absicht irregeführt wurde. Unter einem „Erschleichen“ im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist daher nur ein vorsätzliches ‑ nicht bloß kausales oder bloß fahrlässiges ‑ Verhalten der Partei im Zuge des Verfahrens zu verstehen, das darauf abzielt, einen für sie günstigen Bescheid zu erlangen (VwGH 8.5.2008, 2004/06/0123).

20 Die für die „Erschleichung“ eines Bescheides notwendige Irreführungsabsicht setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ferner voraus, dass die Partei wider besseres Wissen gehandelt hat, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde (und vom Verwaltungsgericht) in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. etwa VwGH 27.5.2014, 2011/10/0187; 25.2.2014, 2012/01/0156, mwN).

21 Zunächst ist im vorliegenden Fall darauf hinzuweisen, dass es für die Ausstellung der von der Revisionswerberin beantragten Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG an sich nicht maßgeblich war, ob deren Ehegatte auch türkischer Staatsangehöriger war oder nicht. Hinsichtlich der Frage der Staatsangehörigkeit des Ehepartners der Revisionswerberin war rechtlich entscheidend, ob dieser die österreichische Staatsangehörigkeit besaß. Eine Doppelstaatsbürgerschaft eines auch über die österreichische Staatsangehörigkeit verfügenden (unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten) Ehepartners wäre grundsätzlich kein Hinderungsgrund für die Ausstellung einer Aufenthaltskarte (siehe Art. 20 Abs. 1 AEUV sowie Art. 2 Z 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten; demnach ist Unionsbürger, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt; dies unabhängig davon, ob neben der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates auch eine Staatsangehörigkeit eines Drittstaates besteht; so bereits zu Art. 52 EWG‑Vertrag EuGH 7.7.1992, Mario Vincente u.a. gegen Delegación del Gobierno en Cantabria, C‑369/90).

22 Somit mangelt es dem angefochtenen Erkenntnis, das in seinem wesentlichen Begründungsduktus ausschließlich auf die Kenntnis der Revisionswerberin von der türkischen Staatsangehörigkeit ihres Ehegatten sowie auf das Unterbleiben von Angaben zu dieser Staatsangehörigkeit Bezug nimmt, schon insofern an nachvollziehbaren Ausführungen zu jenen Angaben, die im Lichte von § 54 NAG rechtlich maßgeblich gewesen wären, jedoch von der Revisionswerberin wider besseres Wissen verschwiegen worden seien. Selbst wenn man nämlich davon ausginge, dass das Nichtanführen der türkischen Staatsangehörigkeit des Ehegatten auf ein bewusstes Verschweigen durch die Revisionswerberin zurückzuführen wäre (siehe dazu aber auch Rn 29), so wäre davon angesichts der Bestimmungen des § 54 NAG per se kein rechtserheblicher Umstand betroffen.

23 Was die subjektive Kenntnis der Revisionswerberin von der Staatsangehörigkeit ihres Ehegatten betrifft, so stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die Revisionswerberin gewusst habe, dass ihr Ehegatte nicht nur österreichischer, sondern auch türkischer Staatsangehöriger gewesen sei (was den Einträgen im Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister entspräche, in dem die österreichisch‑türkische Staatsangehörigkeit des Ehegatten ausdrücklich erwähnt wurde). In diesem Fall wäre der Revisionswerberin aber nicht das „Erschleichen“ der Ausstellung einer Aufenthaltskarte deshalb vorzuwerfen, weil sie zu dem betreffend die Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes im Zusammenhang mit § 54 NAG allein entscheidungswesentlichen Aspekt, nämlich das Vorliegen einer Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei des EWR‑Abkommens, nur Angaben zur österreichischen und nicht auch zur türkischen Staatsangehörigkeit ihres Ehegatten machte.

24 Ergänzend sei an dieser Stelle zudem angemerkt, dass die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde sowohl in ihrem Bescheid als auch in der Revisionsbeantwortung (unter Berufung auf das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 11. Dezember 2019) festhielt, dass der Ehegatte der Revisionswerberin zum Zeitpunkt der Antragstellung am 7. März 2017 nicht mehr türkischer Staatsangehöriger gewesen sei. Unter diesem Gesichtspunkt wäre das Anführen einer türkischen Staatsangehörigkeit des Ehegatten der Revisionswerberin im Antragsformular sogar objektiv unrichtig gewesen.

25 Wenn hingegen die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses sowie des Wiederaufnahmebescheides dahin zu verstehen sein sollten, dass im Antrag der Revisionswerberin Angaben zur türkischen Staatsangehörigkeit des Ehegatten und die Vorlage von Unterlagen (nämlich insbesondere des Auszugs aus dem türkischen Personenstandsregister betreffend den Ehegatten) unterblieben seien, unter deren Zugrundelegung die Behörde hätte erkennen können, dass der Ehegatte der Revisionswerberin nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft diese wieder ex lege verloren hatte, so ist in der vorliegenden Konstellation auf Folgendes zu verweisen:

26 Der Antrag der Revisionswerberin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 29. November 2016, dem der betreffende Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister in türkischer und deutscher Sprache beigeschlossen war und den diese am 7. März 2017 zurückzog, um den vorliegenden Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte zu stellen, stand mit dem gegenständlichen Verfahren angesichts der zeitlichen Abfolge sowie des inhaltlichen Konnexes der beiden Anträge in unmittelbarem Zusammenhang (die Zurückziehung des Antrags erfolgte offensichtlich, weil sich herausstellte, dass der Ehegatte der Revisionswerberin in der Schweiz erwerbstätig war und daher ein Aufenthaltsrecht nach § 54 NAG in Betracht zu ziehen war). Es ist nicht ersichtlich, dass es für die Behörde mit besonderen Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre, in der hier zu beurteilenden Situation auf die mit dem ersten Antrag der Revisionswerberin vorgelegten (und nach den Feststellungen des Gerichts durch die Österreichische Botschaft in Ankara an die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch übermittelten) Unterlagen zurückzugreifen.

27 Demzufolge gehen, sofern sich das Gericht auf den Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister berief, der dem Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte nicht angeschlossen war, das Unterlassen weiterer amtswegiger Ermittlungen zu dem für den Ehegatten der Revisionswerberin eingetretenen Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft durch den neuerlichen Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit und die unterbliebenen rechtlichen Schlussfolgerungen aus den der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vorliegenden Informationen zu Lasten der Behörde.

28 Die nicht erfolgte neuerliche Vorlage des Auszuges aus dem türkischen Personenstandsregister durch die Revisionswerberin aus Anlass ihres Antrages vom 7. März 2017 kann unter Berücksichtigung der gegenständlichen Konstellation nicht als „Erschleichen“ der Ausstellung einer Aufenthaltskarte gewertet werden. Die Behörde und die Revisionswerberin verfügten angesichts des vorliegenden Auszugs aus dem Personenstandsregister über denselben Informationsstand. Entscheidend war jedoch vor allem, welche rechtlichen Folgen sich daraus (in Verbindung mit weiteren Ermittlungen) aufgrund der im österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetz getroffenen Regelungen ergaben. Es fehlten vor diesem Hintergrund im Zusammenhang mit dem türkischen Personenstandsregister nicht wesentliche Angaben der Revisionswerberin aus dem Tatsachenbereich, sondern es war in erster Linie eine rechtliche Beurteilung der bekannten Informationen ausständig.

29 Abgesehen davon ist aber weder dem Bescheid vom 7. September 2020 noch dem angefochtenen Erkenntnis zu entnehmen, weshalb davon auszugehen wäre, dass die Revisionswerberin, wenn ihr nicht selbst bekannt gewesen sein sollte, dass ihr Ehegatte die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hatte, und sofern sie nicht gewusst haben sollte, dass der Fortbestand dieser Staatsangehörigkeit aus rechtlichen Gründen konkret zu hinterfragen war, davon in Kenntnis gewesen wäre, dass die Behörde, wüsste sie von der türkischen Staatsangehörigkeit des Ehegatten oder würde ihr der betreffende Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister (erneut) vorgelegt werden, erkennen könnte, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung der Dokumentation nach § 54 NAG nicht vorliegen.

30 Die im gegenständlichen Verfahren zentrale Fragestellung, ob die Revisionswerberin vom Verlust der österreichischen Staatsangehörigkeit ihres Ehegatten wusste, ob sie diesen Umstand mit Irreführungsabsicht verschwieg und ob sie wissentlich unrichtige Angaben zur österreichischen Staatsangehörigkeit ihres Ehegatten tätigte, wurde weder vom Verwaltungsgericht noch von der Behörde erörtert. Dazu fehlt es auch an Feststellungen. Es erfolgte im angefochtenen Erkenntnis zudem keine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den Angaben der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung, wonach ihr Ehegatte ihr seinen österreichischen Reisepass gezeigt und sie auch deshalb angenommen habe, dass er österreichischer Staatsangehöriger sei. Weshalb die rechtsunkundige Revisionswerberin auf Basis der ihr nach den Feststellungen des Gerichts zur Verfügung stehenden Unterlagen (Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister aus dem Jahr 2016, in dem die österreichische neben der türkischen Staatsangehörigkeit ihres Ehegatten ausgewiesen war) gewusst hätte, dass ihr Ehemann, obwohl er über den bei Antragstellung am 7. März 2017 vorgelegten, im Jahr 2012 ausgestellten österreichischen Pass verfügte, die österreichische Staatsangehörigkeit bereits 1994 ex lege verloren hatte, ist anhand des angefochtenen Erkenntnisses nicht zu ersehen.

31 Aus den dargelegten Erwägungen hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis, soweit es die mit einer Maßgabeentscheidung erfolgte Bestätigung der von der Behörde getätigten Aussprüche betrifft, mit (vorrangig wahrzunehmender) inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Das angefochtene Erkenntnis war deshalb im Umfang seines Spruchpunktes I. erster Absatz gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

32 Die Zuerkennung des begehrten Aufwandersatzes beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Zu Spruchpunkt B.

33 Die Revisionswerberin führt in der Revision aus, dass sie das angefochtene Erkenntnis „seinem gesamten Inhalt und Umfang nach“ anfechte, und begehrt, die Entscheidung (ohne jede Einschränkung) aufzuheben. Das Zulässigkeitsvorbringen enthält jedoch keinerlei Ausführungen zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in Bezug auf die ‑ als trennbar anzusehende ‑ Auferlegung der Dolmetschergebühren mit Spruchpunkt I. zweiter Absatz des angefochtenen Erkenntnisses (vgl. zur getrennten Prüfung der Zulässigkeit einer Revision bei trennbaren Spruchpunkten VwGH 26.11.2020, Ra 2019/22/0194).

34 Ausgehend davon war die Revision, soweit sie sich pauschal und undifferenziert auch gegen den Spruchpunkt I. zweiter Absatz des angefochtenen Erkenntnisses wendet, wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

35 Im Hinblick auf die vorliegende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs konnte ein Abspruch über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unterbleiben.

Wien, am 18. Juni 2021

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