AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W211.2243909.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der BF ist ein männlicher Staatsangehöriger Syriens. Er stellte am XXXX 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag gab der BF zusammengefasst und soweit wesentlich an, er sei im August 2020 aus Syrien ausgereist. Er habe 2018 beim Aufheben eines Steins eine Mine ausgelöst und deswegen vier Finger an seiner rechten Hand verloren. Die Sicherheitslage sei schlimm in Syrien. Er wolle weiter nach Holland, um seine Familie nachzuholen. In Holland würde ihm auch ein Cousin mit der medizinischen Versorgung helfen.
3. Am XXXX 2021 fand eine Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, in deren Zuge der BF im Wesentlichen erklärte, er stamme aus XXXX im Bezirk Aleppo. Er sei Rechtshänder und habe an seiner rechten Hand nur mehr den Daumen. Er könne nicht mehr schreiben, nur mehr mit dem Laptop oder dem Handy. Er habe in Syrien eine Frau und drei Kinder. Er gehöre der Volksgruppe der Araber an. Er habe in Syrien die Grundschule für fünf Jahre besucht. In Österreich würden sich drei Cousins aufhalten. In seinem Heimatort seien nunmehr die Kurden. Die Kurden und das Assad-Regime würden die Leute zwangsweise militärisch bekleiden. Das wolle er nicht. Der BF gab an, in Syrien vom Militär gesucht zu werden. Er habe Syrien wegen des Krieges verlassen; es gäbe in seinem Gebiet keine Sicherheit. Man würde in rekrutieren und ihn eine Waffe tragen lassen. Wenn ihn das Assad-Regime festnehmen würde, wäre es schwierig, am Leben zu bleiben. Wenn man aus Europa zurückkäme, würde man bestraft werden. Der BF sei nicht zu einer Stellung gegangen und habe auch kein Militärbuch erhalten. Er hätte schon seit zwei Jahren zum Militär gehen müssen.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III).
5. In der gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der BF im Falle einer Rückkehr befürchte, als Regierungsgegner gefangen genommen, gefoltert und getötet zu werden. Er würde sich auch weigern, den Militärdienst abzuleisten. Der BF sei auch wegen einer Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Milizen geflüchtet.
6. Am XXXX 2021 legte der BF einen arabischsprachigen Einberufungsbefehl vor. Mit Stellungnahme der Vertretung des BF wurde am XXXX 2021 die Kopie des Behindertenausweises des BF, aus dem ein 50% Grad der Behinderung hervorgeht, eingebracht. Schließlich langte noch mit Schreiben vom XXXX 2021 eine Übersetzung ins Deutsche des arabischsprachigen Dokuments, das am XXXX 2021 vorgelegt wurde, ein.
7. Am XXXX 2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und in Anwesenheit des BF und seiner Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der der BF Gelegenheit hatte, zu seinen Fluchtgründen im Detail Stellung zu nehmen, und die Länderinformation aktualisiert wurde. Die belangte Behörde entschuldigte sich mit Schreiben vom XXXX 2021 für die Teilnahme an der Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum BF:
1.1.1. Der BF ist ein Staatsangehöriger Syriens, der am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.
1.1.2. Der BF gehört der Volksgruppe der Araber an.
1.1.3. Der BF stammt aus XXXX im Bezirk Aleppo.
In XXXX halten sich nach wie vor die Eltern, fünf Brüder, drei Schwestern, die Ehefrau und die drei minderjährigen Kinder des BF auf.
Der BF ging in der Zeit vor seiner Ausreise keiner Beschäftigung nach.
Der BF verließ Syrien illegal Mitte 2020 über die Grenze zur Türkei.
1.1.4. Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2.
1.2.1.: Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Nordost-Syrien – Politische Situation:
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die PYD gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baʿath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018a). Afrin im Nordwesten Syriens wird von der Türkei und alliierten syrischen oppositionellen Milizen kontrolliert (BBC 28.4.2020).
Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär (KAS 4.12.2018a). Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syriens (KAS 4.12.2018a; vgl. BS 29.4.2020). Die PYD hat sich in den kurdisch kontrollierten Gebieten als die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat etabliert, ähnlich der hegemonialen Rolle der Baʿath-Partei in der Nationalen Front (BS 2018). Die PYD kontrollierte im Allgemeinen die politische und staatliche Landschaft in Nordostsyrien, während sie eine arabische Vertretung in den lokalen Regierungsräten zuließ. Die Partei behielt jedoch die Gesamtkontrolle über kritische Entscheidungen der lokalen Räte. Der PYD nahestehende interne Sicherheitskräfte haben Berichten zufolge zeitweise vermeintliche Gegner festgenommen und verschwinden lassen (USDOS 30.3.2021). Ihr militärischer Arm, die YPG sind zudem die dominierende Kraft innerhalb des Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet "belohnt" zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018a).
Die syrische Regierung erkennt die kurdische Enklave oder Wahlen, die in diesem Gebiet durchgeführt werden, nicht an (USDOS 30.3.2021). Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, da die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019).
Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen: Nordost Syrien:
Wehrpflichtgesetz:
Die Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens, die von der kurdischen PYD dominiert wird, verabschiedete 2014 das sogenannte "Selbstverteidigungspflicht"-Gesetz, das vorsieht, dass jede Familie einen "Freiwilligen" zwischen 18 und 30 Jahren stellen muss, der sechs Monate lang in der YPG dient (NMFA 7.2019; cf. EB 12.7.2019). Dieser Zeitraum wurde später im Rahmen der im Januar 2016 verabschiedeten Änderungen auf neun Monate geändert. Nach Angaben verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt. Seit 2019 hat es eine ähnliche Form angenommen wie die Wehrpflicht der syrischen Regierung. Auch die Zwangsrekrutierung von Jungen und Mädchen kommt Berichten zufolge vor (AA 4.12.2021, vgl. EB 7.12.2019).
Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden. Selbst einige Beschäftigte im Bildungssektor sind von diesen Verhaftungen und Zwangsrekrutierungen nicht ausgenommen, obwohl sie im Besitz von Dokumenten für eine Befreiung sind (EB 12.7.2019).
Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes. Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen. Die Autonomiebehörden dürften laut der Österreichischen Botschaft Damaskus eine Verweigerung aber nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB 29.9.2020). Laut UNHCR kann die Weigerung, den YPG beizutreten, Berichten zufolge schwerwiegende Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten Personen sowie Zwangsrekrutierung, da die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung des sogenannten Islamischen Staates oder als Opposition zu PYD/YPG interpretiert werden kann (UNHCR 3.11.2017).
Altersgrenzen:
Mehrfach ist es dazu gekommen, dass Männer von der YPG rekrutiert wurden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (Savelsberg 3.11.2017).
Proteste gegen die Wehrpflicht:
Das Gesetz stößt bei den Bürgern in den von den SDF kontrollierten Gebieten auf heftige Ablehnung. Sie haben mehrfach gegen die Zwangsrekrutierungen demonstriert, insbesondere viele junge Männer, die die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hatten, um dem Militärdienst zu entgehen (EB 12.7.2021).
Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der Syrian Democratic Forces (SDF) gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Menbij bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2. Juni einigten sich die SDF, der Militärrat von Menbij und der Zivilrat von Menbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021).
Allgemeine Menschenrechtslage:
Elemente der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter willkürliche Inhaftierungen, Folter, Korruption und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Es gibt vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 10.9.2018, SNHR 26.1.2021).
Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und jihadistischer Gruppen befinden (AA 4.12.2020).
Rückkehr:
Einem 2021 veröffentlichten Bericht von Amnesty International zufolge betrachten die syrischen Behörden Personen, die das Land verlassen haben, als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen. Syrische Geheimdienstmitarbeiter haben Frauen, Kinder und Männer, die nach Syrien zurückkehrten, unrechtmäßig oder willkürlich inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt, einschließlich Vergewaltigung und sexueller Gewalt, und verschwinden gelassen. Ausgehend von diesen Erkenntnissen ist kein Teil Syriens für Rückkehrer sicher, und Menschen, die Syrien seit Beginn des Konflikts verlassen haben, sind bei ihrer Rückkehr der realen Gefahr ausgesetzt, verfolgt zu werden. Jede erzwungene Rückkehr nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt würde gegen den internationalen Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen, die in Artikel 33 der Flüchtlingskonvention von 1951 verankert ist und die es Staaten untersagt, Menschen an einen Ort zu überstellen, an dem sie der Gefahr von Verfolgung oder anderen schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind (AI 9.2021). Rückkehrüberlegungen syrischer Männer werden auch durch ihren Militärdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019). Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 % aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2020).
1.2.2. Zur Möglichkeit zwischen dem Nordosten Syriens und Irak-Kurdistan hin und her zu reisen:
Laut Kurdistan 24 sei der Grenzübergang von Semalka der einzige Grenzübergang zwischen der Autonomen Administration von Nordost Syrien und der Autonome Region Kurdistan im Irak. Der Grenzübergang ermögliche das Bestehen einer wichtigen Handelsroute und ermögliche vielen BürgerInnen von Nordost-Syrien Zugang zu medizinischer und humanitärer Hilfe (Kurdistan24, 23. Juni 2021). Enab Baladi beschreibt in einem Artikel vom Juli 2021 die Lage am Grenzübergang von Semalka. Der Grenzübergang werde von ZivilistInnen genutzt um, unter bestimmten Auflagen, Verwandte in der Autonomen Region Kurdistan im Irak zu besuchen. EuropäerInnen, Personen mit Aufenthaltserlaubnis in Europa, HändlerInnen und Bräuten sei es gestattet, den Übergang zu nutzen. Auch nütze die US-geführte Koalition den Grenzübergang, um militärische Ausrüstung nach Syrien zu liefern, und humanitäre Organisationen würden über diese Route Hilfen nach Syrien bringen. Außerdem verlaufe die einzige Handelsroute der Autonomen Administration von Nordost-Syrien über diesen Grenzübergang und die syrische Seite sei aus diesem Grund gezwungen jegliche geforderten Maßnahmen der irakisch-kurdischen Seite zu akzeptieren. Die Regionalregierung der Autonomen Region Kurdistan im Irak verlange zurzeit, dass die Verwaltung von Semalka für jede Person, die die Grenze überqueren möchte, ein Formular mit den persönlichen Daten der Person, einschließlich Familienstand, Namen der Familienmitglieder, aktuelle und ehemalige Wohnadressen, Nationalität, Religion, Stamm, sowie Zielort in der Autonomen Region Kurdistan im Irak und Name der Person, die besucht werde, zur Verfügung stelle. Laut Enab Baladi gebe es für ZivilIstInnen neben dem genannten Formular noch weitere Schwierigkeiten, um auf die irakische Seite der Grenze zu gelangen. PatientInnen und EhepartnerInnen sollten innerhalb von 48 Stunden eine Einreiseerlaubnis erhalten, doch seien sie zum Zeitpunkt des Verfassens des Artikels dazu gezwungen gewesen, vier Tage an der Grenze auf eine solche Genehmigung zu warten. Es werde berichtet, dass Personen an der Grenze schikaniert, verhört und zu stundenlangen Wartezeiten gezwungen würden und Verwundete, die zu Behandlungszwecken in die Autonome Region Kurdistan im Irak gebracht würden, würden vom Geheimdienst unangemessen behandelt. Auch medizinische Notfälle, die früher freien Zugang gehabt hätten, müssten nun das genannte Formular ausfüllen. BewohnerInnen von Nordost-Syrien seien aufgrund der Probleme an den Grenzen Milizen und Schmugglern ausgeliefert, die informelle Grenzübergänge kontrollieren würden. (Enab Baladi, 8. Juli 2021). Das World Food Programme (WFP) berichtet im Februar 2020 von einer kurdischen Flüchtlingsfamilie aus Syrien in der Autonome Region Kurdistan im Irak, die für die Möglichkeit über die Grenze zu kommen Schlepper bezahlt habe (WFP, 4. Februar 2020). Im Rahmen der Recherche konnten im Zeitraum 2020/2021 mehrere Berichte über Grenzschließungen des Übergangs von Semalka für unterschiedlich lange Zeiträume gefunden werden. Shafaq News berichtet im Mai 2020, dass der Grenzübergang aufgrund der Coronakrise seit März 2020 geschlossen sei, außer für medizinische Notfälle. Anfang Juni werde es BesucherInnen aus Nordost-Syrien beziehungsweise aus der Autonomen Region Kurdistan im Irak für sechs Tage möglich sein, in ihre Wohngebiete zurückzukehren, so der Artikel weiters (Shafaq News, 28. Mai 2020). Syriac Press schreibt Anfang Juni 2020, dass nach dreitägiger Öffnung der Grenzübergang bei Semalka für ZivilistInnen wieder geschlossen worden sei (Syriac Press, 2. Juni 2020). Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichten im Oktober 2020, dass die lokalen Behörden in Nordost-Syrien Ausnahmen für den Grenzübertritt bei Semalka für unter anderem humanitäre Güter, medizinische Fälle oder Personen mit abgelaufener europäischer Aufenthaltserlaubnis gestatten würden. Abgesehen davon seien Grenzbewegungen allgemein eingeschränkt (OCHA/WHO, 29. Oktober 2020). Eqtsad, eine arabische Onlinezeitung mit Fokus auf Syrien, schreibt in einem Artikel vom Februar 2021, dass der Grenzübergang von Semalka ohne Angabe von Gründen geschlossen worden sei (Eqtsad, 6. Februar 2021). Laut Sahfaq News sei der Grenzübergang nach ein paar Tagen wieder geöffnet worden (Shafaq News, 7. Februar 2021). Rudaw und Kurdistan 24 berichten im Juni 2021, dass der Semalka-Grenzübergang ab 23. Juni 2021 vollständig geschlossen sei. Dies gelte für alle Grenzübertritte, mit Ausnahme der UN und humanitärer Organisationen (Rudaw, 22. Juni 2021; Kurdistan24, 23. Juni 2021). Am 28. Juni sei der Grenzübergang für neuverheiratete Frauen, PantientInnen, HändlerInnen und Personen mit europäischer Staatsbürgerschaft oder europäischem Aufenthaltstitel wieder geöffnet worden (Rudaw, 26. Juni 2021). Laut North Press Agency sei es Bräuten, humanitären Fällen und InhaberInnen ausländischer und irakischer Aufenthaltstitel möglich den Grenzübergang zu nutzen (NPA, 28. Juni 2021).
1.2.3. In von der SDF kontrollierten Gebieten hat die syrische Armee Präsenzen in Hasaka, Qamishli, Manbij und Tal Tamr. Die syrische Regierung hat den verpflichtenden Wehrdienst in SDF-kontrollierten Gebieten in Nordostsyrien noch nicht wiedereingeführt, was auf einen Mangel an Verwaltungsstrukturen zurückzuführen ist. Die syrische Armee führt in SDF-kontrollierten Gebieten keine Rekrutierungskampagnen durch.
1.3. Zum fluchtauslösenden Vorbringen:
Es wird festgestellt, dass sich XXXX unter kurdischer Kontrolle befindet.
Der BF verlor bei einem Minenunfall im Jahr 2018 vier Finger an seiner rechten Hand. Als Rechtshänder ist er nunmehr durch diese Verletzung insoferne beeinträchtigt, als dass er beim Greifen mit dieser Hand, an der er nur mehr den Daumen hat, große Schwierigkeiten hat. Dem BF wurde ein 50% Grad an Behinderung in Österreich bescheinigt.
Es besteht keine Gefahr, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach XXXX gegen seinen Willen durch die kurdischen Kräfte zum Dienst an der Waffe gezwungen wird.
Der BF müsste im Falle einer (theoretischen) Rückkehr nicht über syrisch gehaltene Gebiete in seinen Herkunftsort einreisen.
Für den BF besteht außerdem keine Gefahr, von der syrischen Regierung zum Militärdienst einberufen zu werden bzw. im Falle einer Verweigerung als Oppositioneller zu gelten.
Schließlich besteht auch keine Bedrohung für den BF durch die syrische Regierung wegen seiner illegalen Ausreise in die Türkei im Jahr 2020, noch wegen der Asylantragstellung im Ausland.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zum BF betreffend seine Volksgruppenzugehörigkeit, seinen Herkunftsort, seine Familie, seine letzte fehlende Beschäftigung in Syrien und seine Ausreise gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben im Laufe des Verfahrens.
Dass der BF strafgerichtlich unbescholten ist, basiert auf einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister.
Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
2.2. Die Feststellungen zur relevanten Situation in Syrien beruhen auf:
Zu 1.2.1.: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien mit Stand Oktober 2021, und darin wiederum auf den folgenden Einzelquellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
AI - Amnesty International (9.2021): 'You're going to your death - Violations against Syrian Refugees returning to Syria', https://www.amnesty.de/sites/default/files/2021-09/Amnesty-Bericht-Syrien-Folter-Inhaftierungen-Rueckkehrende-Abschiebung-Geheimdienst-September-2021.pdf , Zugriff 28.9.2021
BBC - BBC News (28.4.2020): Syria war: Dozens killed in truck bomb attack at Afrin market, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-52454134 , Zugriff 18.8.2020
BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf , Zugriff 19.8.2020
BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2019 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427445/488327_en.pdf , Zugriff 29.9.2021
COAR - Center for Operational Analysis and Research (7.6.2021): Deadly SDF Crackdown as Conscription Sparks Menbij Unrest, https://coar-global.org/2021/06/07/deadly-sdf-crackdown-as-conscription-sparks-menbij-unrest/ , Zugriff 26.8.2021
DIS/DRC - Danish Immigration Service [Denmark]/ Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da&hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC , Zugriff 8.9.2020
EB - Enab Baladi (12.7.2019): Compulsory military recruitment in Jazira Region: SDF imposing their authority, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/07/compulsory-military-recruitment-in-jazira-region-sdf-imposing-their-authority/# , Zugriff 26.8.2021
HRW - Human Rights Watch (11.10.2019): Turkey/Syria: Civilians at Risk in Syria Operation, https://www.hrw.org/news/2019/10/11/turkey/syria-civilians-risk-syria-operation , Zugriff 7.9.2020
HRW - Human Rights Watch (10.9.2018): Syria: Kurdish-led Administration Jails Rivals, https://www.hrw.org/news/2018/09/10/syria-kurdish-led-administration-jails-rivals , Zugriff 7.9.2020
IWPR - Institute for War and Peace Reporting (29.3.2018): Underage Girls Recruited to Kurdish Forces, https://iwpr.net/global-voices/underage-girls-recruited-kurdish-forces , Zugriff 7.9.2020
KAS - Konrad Adenauer Stiftung [Gürbey, Gülistan] (4.12.2018a): Zwischen den Fronten - Die Kurden in Syrien, https://www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/zwischen-den-fronten-1 , Zugriff 18.8.2020
NMFA - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands - Department for Country of Origin Information Reports [Niederlande] (7.2019): Country of Origin Information Report Syria - The security situation, per E-Mail am 27.8.2019
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 12.10.2020
Savelsberg, Eva: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017). In STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020
Savelsberg, Eva [Vorsitzende des Europäischen Zentrum für Kurdische Studien] (3.11.2017): Informationen per E-Mail
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2018): Die Kurden im Irak und in Syrien nach dem Ende der Territorialherrschaft des "Islamischen Staates", https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S11_srt.pdf , Zugriff 18.8.2020
SNHR - Syrian Network for Human Rights (26.1.2021): The Bleeding Decade - Tenth Annual Report: The Most Notable Human Rights Violations in Syria in 2020, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/Tenth_Annual_Report_The_Most_Notable_Human_Rights_Violations_in_Syria_in_2020_en.pdf , Zugriff 3.2.2021
UNGASC - United Nations General Assembly (20.6.2019): Report of the Secretary-General [A/73/907-S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf , Zugriff 7.9.2020
UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (3.11.2017): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic; Update V, https://english.alaraby.co.uk/english/news/2020/6/17/turkey-bolsters-reinforcements-in-northern-syria , Zugriff 26.8.2021
USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021
USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html , Zugriff 22.7.2020
Zu 1.2.2.: auf e iner Anfragebeantwortung von ACCORD a-11657-2 vom 02.09.2021 (mit den oben im Text angeführten Detailquellen).
Zu 1.2.3.: auf dem EASO Bericht Syria, Military Service, April 2021, S 18, online abrufbar unter
https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/2021_04_EASO_COI_Report_Military_Service.pdf .
An der Aktualität, Relevanz und Richtigkeit der Informationen hat die erkennende Richterin keinen Zweifel. Anderslautende Stellungnahmen der Parteien langten zu diesen Informationen keine ein.
2.3. Die Feststellung zur Kontrollsituation in der Herkunftsregion des BF beruht auf den diesbezüglichen Angaben des BF, die auch – betreffend die kurdische Kontrolle – durch eine Einsicht in https://syria.liveuamap.com/ im Zuge der mündlichen Verhandlung am XXXX 2021 bestätigt wurde.
Die Feststellungen zur Verletzung bzw. Behinderung des BF gründen sich auf seine eigenen diesbezüglichen Angaben im Laufe der Verhandlung, auf die Vorlage einer Kopie des Behindertenausweises sowie auf den sonstigen Akteninhalt.
Der BF bringt in erster Linie vor, den Militärdienst beim syrischen Militär, aber auch bei der PYD/YPG zu fürchten.
Zur Rekrutierung durch die Kurdinnen und Kurden ist vorab zu sagen, dass der BF erst im Rahmen der Beschwerdeverhandlung davon berichtete, von der PYD/YPG bereits aktiv gesucht worden zu sein; es wäre beim zweiten Besuch Ende 2019, Anfang 2020 zu Bedrohungen der Familie des BF gekommen; die Familienmitglieder seien auch geschlagen worden.
Der BF kann nicht nachvollziehbar erklären, warum er bisher im Verfahren eine bereits erfolgte und nach seinen Schilderungen angeblich massive Bedrohung durch die kurdischen Einheiten nicht erwähnt hat; wenn er auf eine diesbezügliche Frage meint, dass er danach nicht gefragt worden sei, so greift diese Erklärung im Lichte der ausführlichen Einvernahme bei der belangten Behörde, die auch offene Fragen zu Fluchtgründen umfasste (vgl. AS 57ff), zu kurz. Demnach muss das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung als eine Schutzbehauptung angesehen werden, und ist eine bereits erfolgte konkrete Rekrutierungsmaßnahme durch die PYD/YPG mit einem zweimaligen Besuch Ende 2019/Anfang 2020 nicht glaubhaft.
Weiter gibt der BF in der Verhandlung selbst an, dass er glaube, dass die Kurdinnen und Kurden von seiner Verletzung wüssten, da er im Spital in XXXX behandelt worden sei. Der BF ist offensichtlich in der Verwendung seiner rechten Hand sehr beeinträchtigt. Dass er daher prima facie für den aktiven Wehrdienst bei der PYD/YPG tatsächlich in Frage kommen würde, muss bezweifelt werden. Der BF wurde in der Beschwerdeverhandlung konkret gefragt, was er denn glaube, was er mit seiner Verletzung im Rahmen eines Militärdienstes machen können würde, worauf der BF meinte, alles Mögliche, Wache, Türsteher, Kämpfer, Soldat. Im Lichte der Behinderung des BF scheint es jedoch entgegen der Einschätzung des BF nicht wahrscheinlich, dass er eine Waffe bedienen können würde, noch, dass er in einer anderen, aktiven Form im Kampf eingesetzt werden könnte.
Im Ergebnis wird daher eine bereits erfolgte Bedrohung durch die PYD/YPG, mit dem Ziel, den BF zu rekrutieren, nicht geglaubt, und ist eine konkrete Gefahr für den BF, von den kurdischen Einheiten in den Wehrdienst rekrutiert zu werden, aufgrund seiner schweren Verletzung der rechten Hand nicht ausreichend wahrscheinlich.
Eine politische Aktivität des BF, die von der PYD als oppositionell aufgefasst werden könnte, wurde im Verfahren nicht releviert und kam auch sonst nicht hervor.
Von einer von den Kurdinnen und Kurden ausgehenden Gefährdung des BF im Falle einer Rückkehr ist daher nicht auszugehen.
Der BF bringt weiter vor, von der syrischen Regierung bereits einen Einberufungsbefehl erhalten zu haben und sich vor einer Rekrutierung durch diese ebenfalls zu fürchten.
Zum vorgelegten „Einberufungsbefehl“ ist zu sagen, dass die Genese des Erhalts dieses Befehls nicht schlüssig nachvollzogen werden kann: der BF gab an, er habe diesen 2019 per WhatsApp vom Mukhtar (= eine Art Bezirksvorsteher oder Bürgermeister) erhalten, dann die entsprechende Nachricht auf einer Speicherkarte abgespeichert und nach dem gegenständlich angefochtenen Bescheid aus Syrien zugeschickt bekommen. Die Nachricht, mit der er diesen Befehl nun im Mai 2021 zugeschickt bekommen haben soll, hat der BF nicht mehr zur Verfügung.
Darüber hinaus ist in dem übersetzten Dokument angeführt, dass der BF am XXXX 2001 geboren sein soll, während er im gegenständlichen Verfahren und auch in der Beschwerdeverhandlung angab, im Jahr 2000 geboren worden zu sein. Auf diese Diskrepanz angesprochen gab der BF in der Verhandlung an, dass es eben so geschrieben worden sei, er sei jedoch im Jahr 2000 geboren. Da daher bereits unklar bleibt, wie dieses Dokument nun nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheids an den BF gelangt ist, und darüber hinaus sich darin auch der Fehler mit dem Geburtsjahr findet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich dabei tatsächlich um einen den BF betreffenden Einberufungsbefehl handelt.
Zur Wehrpflicht allgemein ist zu sagen, dass der BF nicht in syrisch kontrolliertes Gebiet zurückkehren würde und auch für eine Rückkehr nach XXXX nicht durch syrisches Gebiet einreisen muss: Es besteht ein Grenzübergang zwischen dem kurdischen Gebiet im Irak und jenem im Syrien, und befindet sich der Herkunftsort des BF nicht unter Kontrolle der syrischen Regierung. Gemäß der oben angeführten ACCORD-Anfragebeantwortung vom 02.09.2021 steht der Grenzübergang Semalka Personen mit einem europäischen Aufenthaltstitel (welches Kriterium der BF aufgrund der Zuerkennung des subsidiären Schutzes erfüllt) zur Einreise nach Nordost-Syrien – theoretisch – offen. Eine Einreise nach Syrien hat daher nicht zwingend über den von der syrischen Regierung kontrollierten Flughafen Damaskus zu erfolgen.
Darüber hinaus führen die Länderfeststellungen aus, dass die syrische Regierung in kurdisch-kontrolliertem Gebiet keine Rekrutierungskampagnen durchführt und bis dato keine allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt hat. Demnach besteht keine ausreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF im Falle einer theoretischen Rückkehr in seinen Heimatort zum syrischen Militär eingezogen werden würde.
Und schließlich muss an dieser Stelle erneut auf den 50% Grad an Behinderung des BF an seiner rechten Hand hingewiesen werden, die eine aktive Rekrutierung des BF durch das syrische Militär nicht wahrscheinlich macht.
Vor diesem Hintergrund konnte keine positive Feststellung zu einer entsprechend wahrscheinlich drohenden Einberufung als Rekrut zum syrischen Militär getroffen werden.
Diese Begründung in Hinblick darauf, dass der BF im Falle einer theoretischen Rückkehr nach Syrien nicht über von der Regierung kontrolliertes Gebiet einreisen muss, muss auch im Zusammenhang mit der Reaktion der syrischen Regierung auf eine illegale Ausreise, eine Asylantragstellung im Ausland und eine möglicherweise bestehende Befürchtung im Zusammenhang mit der Asylzuerkennung an Cousins des BF in Österreich herangezogen werden: Der BF muss im Falle einer hypothetischen Rückkehr in seinen Herkunftsort keine Berührungspunkte mit der syrischen Regierung haben, weshalb von einer entsprechenden Bedrohung durch diese nicht ausgegangen werden kann.
Die erkennende Richterin übersieht die Länderinformationen zur Situation in Syrien nicht, dass ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "(regierungs-)freundlich" oder "(regierungs-)feindlich" gilt. In Bezug auf den BF ergaben sich jedoch im Verfahren keine Hinweise darauf, dass diese allgemeinen Berichte und die darauf fußenden Möglichkeiten einer asylrelevanten Behandlung im gegenständlichen Falle für die konkrete Situation des BF anzunehmen sind.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Spruchpunkt I.:
3.1. Rechtsgrundlagen
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.
3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
3.2.1. Aufgrund der Kontrolllage in der Herkunftsregion des BF in XXXX fehlt es gemäß den relevanten Länderberichten der Annahme einer Verfolgungsgefahr durch die syrische Regierung wegen einer dem BF auch nur unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung aufgrund einer möglichen Verweigerung einer Einberufung zum Militär, aber auch aufgrund seiner illegalen Ausreise und Asylantragstellung in Österreich oder wegen seiner Cousins, denen in Österreich Asyl zuerkannt wurde, an der nötigen Wahrscheinlichkeit.
Eine entsprechend wahrscheinliche Gefahr, dass der BF von der YPG zwangsrekrutiert werden würde, konnte im Lichte der Behinderung des BF nicht festgestellt werden. Damit ergibt sich aber auch keine aktuelle und maßgeblich wahrscheinliche Gefahr für den BF, durch die YPG im Falle einer Weigerung des Wehrdienstes wegen einer auch nur unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung verfolgt zu werden.
3.2.2. Die gegenständliche Einschätzung soll keineswegs das Ausmaß an Willkür, Menschenrechtsverletzungen und die Gefahrenpotentiale, der bzw. denen von der syrischen Regierung als oppositionell angesehene Personen ausgesetzt sein können, banalisieren. In Bezug auf das allgemeine Sicherheitsrisiko wurde dem BF auch zu Recht subsidiärer Schutz gewährt. Dennoch fehlt es in seinen persönlichen Umständen an Hinweisen auf eine individuelle, den BF betreffende maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr, weshalb der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids nicht stattgegeben werden kann.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben unter 3. dargestellte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
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