BVwG W175 2242576-1

BVwGW175 2242576-111.10.2021

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W175.2242576.1.00

 

Spruch:

 

W175 2242578-1/8E

W175 2242576-1/7E

W175 2242577-1/4E

W175 2242579-1/5E

 

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geboren am XXXX , 2.) XXXX , geboren am XXXX , 3.) XXXX , geboren am XXXX und 4.) XXXX , geboren am XXXX , afghanische Staatsangehörige, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2021, 1.) Zahl: XXXX , 2.) Zahl: XXXX , 3.) Zahl: XXXX und 4.) Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

 

 

 

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind nach islamischem Recht verheiratet und die leiblichen Eltern der Dritt- und des Viertbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer reisten schlepperunterstützt und unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 05.08.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 06.08.2020 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari einer niederschriftlichen Erstbefragung unterzogen. Sie gaben befragt zu ihrer Identität, ihrer Reiseroute und ihrem Fluchtgrund an, afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Hazara zu sein. Ihre Muttersprache sei Dari und sie würden sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekennen. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin seinen in Afghanistan geboren worden, im Kindesalter jedoch in den Iran verzogen, wo in Folge die beiden anderen Beschwerdeführer geboren seien.

Der Erstbeschwerdeführer gab zu seinem Fluchtgrund an, Afghanistan im Alter von fünf Jahren gemeinsam mit seinen Eltern wegen des Krieges verlassen zu haben. Im Iran habe er kein Aufenthaltsrecht gehabt, zudem habe er die Schule nicht besuchen können. Er sei immer von der Polizei kontrolliert und belästigt worden, auch habe er Probleme mit Iranern gehabt, die ihn sehr schlecht behandelt hätten. Weitere Fluchtgründe habe er keine.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, im Alter von acht bis neun Jahren Afghanistan wegen des Krieges verlassen zu haben. Sie habe dann im Iran gelebt und habe keinen Aufenthaltstitel gehabt, außerdem hätten ihre Kinder die Schule nicht besuchen dürfen. Um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, habe sie beschlossen, den Iran zu verlassen. Weitere Gründe für die Reise nach Österreich habe sie keine.

3. Am 23.03.2021 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz einvernommen. Befragt nach seinem Fluchtgrund führte der Erstbeschwerdeführer kurzgefasst aus, dass er im Iran eine (räumlich beschränkte) Aufenthaltskarte gehabt habe. Er sei immer von der Polizei kontrolliert worden, einmal sei ihm seine Aufenthaltskarte auch abgenommen worden. Die Polizei habe ihm gesagt, dass er eigentlich gar nicht im Iran sein dürfte. Sodann habe er und die Zweitbeschwerdeführerin beschlossen, aus dem Iran auszureisen. Er führte überdies aus, dass sein Vater in der Provinz Ghazni ein Grundstück gehabt habe, weshalb er Schwierigkeiten mit den Kutschis gehabt habe, die dem Vater des Erstbeschwerdeführers gedroht hätten, ihm diese Grundstücke wegzunehmen, woraufhin der Vater Afghanistan verlassen habe. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers sei im Jahr 1384 nach Afghanistan abgeschoben worden, wo er von den Kutschis getötet worden sei.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen zusammengefasst an, dass sie gemeinsam mit ihrer Familie Afghanistan verlassen habe, als sie acht Jahre alt gewesen sei. In Afghanistan hätten die Taliban regiert, es habe keine Sicherheit gegeben. Den Iran habe sie verlassen, weil ihr Mann Probleme mit seiner Aufenthaltskarte gehabt habe. Sie gab ferner an, dass Frauen in Afghanistan keinen Wert hätten, es gäbe dort keine Sicherheit, die Taliban hätten Frauen einfach mitgenommen.

Für die Dritt- und den Viertbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, die Fluchtgründe der Kinder seien dieselben wie die deren Eltern.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Den Beschwerdeführern wurde der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das BFA aus, dass man eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführer in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht habe feststellen können. Die vom Erstbeschwerdeführer vorgebrachten Grundstücksstreitigkeiten mit den Kutschis seien nicht glaubhaft. Auch eine Verfolgung der Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan liege nicht vor. Weil die Beschwerdeführer über keine Schulbildung und über keine familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügen würden, sei ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden. Eine Rückkehr sei den Beschwerdeführern nicht zumutbar, eine solche würde die Beschwerdeführer in eine existenzbedrohende Notlage versetzen.

5. Gegen Spruchpunkt I.) dieser Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht die gegenständliche Beschwerde und machte die Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Das von der belangten Behörde geführte Ermittlungsverfahren sei mangelhaft, auch seien die vom BFA herangezogenen Länderberichte in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht ausreichend. Weiters habe die belangte Behörde die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Fluchtgründe mangelhaft gewürdigt; die Verfolgung durch die Kutschis sei sehr wohl gegeben, auch sei die Zweitbeschwerdeführerin westlich orientiert.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte nach Vorlage der Beschwerde in Anwesenheit der Beschwerdeführer und deren ausgewiesener rechtsfreundlicher Vertreterin sowie einer Dolmetscherin für die Sprache Dari am 14.07.2021 eine mündliche Verhandlung durch. Das BFA erschien entschuldigt nicht zur Verhandlung. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurden den Beschwerdeführern die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte der Länderfeststellungen zur Kenntnis gebracht und diesen die Möglichkeit zur Einsichtnahme sowie zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt. Die Beschwerdeführer legten im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung eine schriftliche Stellungnahme sowie diverse Teilnahmebestätigungen vor. Diese wurden zum Akt genommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihre Muttersprache ist Dari.

Die Dritt- und der Viertbeschwerdeführer sind die minderjährigen ledigen Kinder des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind nach traditionell-islamischem Ritus verheiratet; eine nach österreichischem Recht gültige Zivilehe ist nicht erfolgt. Die Hochzeit hat im Iran stattgefunden.

Der Erstbeschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni in Afghanistan geboren, verzog jedoch mit fünf Jahren mit seiner Familie in den Iran, wo er aufwuchs und sich bis zu seiner Ausreise nach Europa auch aufhielt. Der Erstbeschwerdeführer hat im Iran weder eine Schule besucht noch eine spezifische Berufsausbildung absolviert. Er war zwölf Jahre lang im Baugewerbe tätig.

Die Eltern des Erstbeschwerdeführers, ein Bruder und drei Schwestern leben im Iran. Ein anderer Bruder lebt in Griechenland, ein weiterer in Schweden und eine weitere Schwester des Beschwerdeführers lebt in Deutschland. Der Erstbeschwerdeführer steht im Kontakt mit seiner im Iran aufhältigen Kernfamilie, er verfügt über keine Verwandten mehr in Afghanistan.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in der Provinz Ghazni in Afghanistan geboren und ist dort bis zu ihrer Ausreise in den Iran im Alter von acht bis neun Jahren auch aufgewachsen. Die Zweitbeschwerdeführerin hat im Iran keine Schule besucht und auch keine spezifische Berufsausbildung absolviert. Sie hat beruflich zuletzt zwei bis drei Jahre als Schneiderin gearbeitet.

Die Kernfamilie der Zweitbeschwerdeführerin (Eltern, drei Brüder und zwei Schwestern) lebt im Iran, eine Schwester hält sich in Österreich auf, ein weiterer Bruder in Frankreich. Die Zweitbeschwerdeführerin verfügt in Afghanistan über keine Verwandten. Die Zweitbeschwerdeführerin steht im Kontakt mit ihrer im Iran lebenden Kernfamilie.

Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer wurden im Iran geboren und sind dort bis zu ihrer Ausreise nach Europa auch aufgewachsen.

Die Beschwerdeführer haben in Österreich allesamt den Status von subsidiär Schutzberechtigten inne.

Die Beschwerdeführer sind nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, sie sind mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Die Beschwerdeführer sind gesund, sie leiden an keinen physischen oder psychischen Krankheiten.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

1.2.1. Dem Erstbeschwerdeführer drohen in seinem Herkunftsland Afghanistan keine Eingriffe von erheblicher Intensität durch Angehörige des Stammes der Kutschis.

Der Vater des Erstbeschwerdeführers hat Afghanistan weder wegen Grundstücksstreitigkeiten mit den Kutschis noch wegen konkreten Bedrohungen durch diese verlassen. Auch der Bruder des Erstbeschwerdeführers wurde nicht von den Kutschis getötet.

1.2.2. Weder die Zweitbeschwerdeführerin noch andere Mitglieder ihrer Kernfamilie wurden von den Taliban bedroht oder angegriffen beziehungsweise entführt.

1.2.3. Die Zweitbeschwerdeführerin hat seit ihrer Einreise in Österreich keine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten – weder in urbanen Zentren noch in ruralen Gebieten – in Afghanistan darstellt.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine in hohem Maße auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist nicht erwerbstätig, sie lebt von der Grundversorgung. Auch hat die Zweitbeschwerdeführerin keine konkreten Berufsvorstellungen. Ihre Deutschkenntnisse sind gering, sie nimmt in Österreich – wie auch bereits im Iran – nur einen sehr geringen Bewegungsradius wahr.

Sie ist an der Haushaltsführung, an ihrem Mann und an ihren Kindern orientiert. Es ist bei ihr auch keine besondere Ausübung der in Österreich geltenden Grundrechte und Freiheiten nach außen erkennbar.

1.2.4. Auch der Erstbeschwerdeführer ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Es liegt keine Lebenseinstellung beim Erstbeschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan Bedrohungen von erheblicher Intensität aussetzten würde.

1.2.5. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass den Beschwerdeführern aufgrund einer Asylantragstellung oder aufgrund seines Auslandaufenthaltes Repressalien von erheblicher Intensität drohen.

Sie wurden in ihrem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatten mit den Behörden ihres Herkunftsstaates weder aufgrund ihrer Rasse, Nationalität, ihres Religionsbekenntnisses oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst Probleme. Sie waren nie politisch tätig und gehörten keiner politischen Partei an.

1.2.6. Den Beschwerdeführern drohen in Afghanistan keine Eingriffe von erheblicher Intensität aufgrund deren Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder wegen deren schiitisch-muslimischen Glaubens.

1.2.7. Der minderjährigen Dritt- und dem ebenfalls minderjährigen Viertbeschwerdeführer drohen in Afghanistan keine Eingriffe von erheblicher Intensität aufgrund deren spezifischer Situation als Kinder. Auch sonst ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Gefahr der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan.

1.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung vom 08.09.2021 (Stand: 11.06.2021)

- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2018 und 2019 (EASO).

- Bericht von Amnesty International vom 20.08.2021: Afghanistan | Taliban töten Hazara-Männer | 20.08.2021 (amnesty.de)

 

1.5.1. Aktuelle Entwicklungen in Afghanistan

Am 15. August übernahmen die Taliban kampflos die Hauptstadt Kabul, nachdem sie innerhalb von nur wenigen Tagen den Großteil des Landes, inklusive aller größeren Städte Afghanistans eingenommen und Präsident Ashraf Ghani Berichten zufolge das Land verlassen hatte.

 

Tausende AfghanInnen und ausländische Staatsangehörige versuchen, aus Kabul zu fliehen. Am Kabuler Flughafen sind Szenen von Chaos und Panik zu beobachten.

 

Am Morgen des 16. August 2021 schlossen die USA die Evakuierung ihrer Botschaft ab und holten ihre Flagge an ihren Botschaftsgebäuden ein.

 

Mehr als 60 Länder gaben eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie die sofortige Wiederherstellung der Sicherheit und der zivilen Ordnung fordern und die Taliban bitten, denjenigen, die das Land verlassen wollen, dies zu ermöglichen.

AktivistInnen äußern sich besorgt über die Lage der Frauen in Afghanistan, nachdem berichtet wurde, dass die Taliban in einigen Teilen des Landes bereits Änderungen in Bezug auf die Kleidung der Frauen und ihre Arbeitsmöglichkeiten durchsetzen.

 

Kurzinformation der Staatendokumentation mit Stand 02.08.2021

 

In Afghanistan ist die Zahl der konfliktbedingten Todesopfer derzeit so hoch wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNHCR, mit durchschnittlich 500-600 Sicherheitsvorfällen pro Woche. Berichten zufolge liegt die Gebietskontrolle der Regierung auf dem niedrigsten Stand seit 2001 (UNHCR 20.7.2021)

 

Nach Angaben des Long War Journals (LWJ) kontrollieren die Taliban 223 der 407 Distrikte Afghanistan. Die Regierungstruppen kämpfen aktuell (Ende Juli / Anfang August 2021) gegen Angriffe der Taliban auf größere Städte, darunter Herat, Lashkar Gah und Kandahar, dessen Flughafen von den Taliban bombardiert wurde . Seit 1.8.2021 gibt es keine Flüge mehr zu und von dem Flughafen (AJ 1.8.2021). Von den 17 Distrikten Herats sind nur Guzara und die Stadt Herat unter Kontrolle der Regierung. Die übrigen Bezirke werden von den Taliban gehalten, die versuchen, in das Zentrum der Stadt vorzudringen (TN 31.7.2021; vgl. ANI 2.8.2021). Die afghanische Regierung entsendet mehr Truppen nach Herat, da die Kämpfe mit den Taliban zunehmen (ANI 2.8.2021; vgl. AJ 1.8.2021).

 

1.5.2. Sicherheitslage

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum "vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte" gemacht (SIGAR 30.7.2020).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch Tausender Gefangener verhandelt (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021), was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (SIGAR 30.1.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2021

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu (RFE/RL 12.5.2021a; cf. SIGAR 30.4.2021, BAMF 31.5.2021). Im Mai 2021 übernahmen die Taliban die Kontrolle über den Distrikt Dawlat Shah in der ostafghanischen Provinz Laghman (LWJ 20.5.2021) und den Distrikt Nerkh in der Provinz (Maidan) Wardak, einen strategischen Distrikt etwa 40 Kilometer von Kabul entfernt. Spezialkräfte wurden in dem Gebiet eingesetzt, um den Distrikt Nerkh zurückzuerobern, nachdem Truppen einen "taktischen Rückzug" angetreten hatten (RFE/RL 12.5.2021b; vgl. TN 12.5.2021, AJ 12.5.2021). Aufgrund der sich intensivierenden Kämpfe zwischen den Taliban und der Regierung an unterschiedlichsten Fronten in mindestens fünf Provinzen (Baghlan, Kunduz, Helmand, Kandahar und Laghman) sind im Mai 2021 bis zu 8.000 Familien vertrieben worden. Berichten zufolge haben die Vertriebenen keinen Zugang zu Unterkunft, Verpflegung, Schulen oder medizinischer Versorgung (BAMF 31.5.2021; vgl. UNOCHA 2.6.2021).

Ende Mai/Anfang Juni übernahmen die Taliban die Kontrolle über mehrere Distrikte (LWJ 6.6.2021; vgl. DW 6.6.2021, MENAFN 7.6.2021). Die Taliban haben den Druck in allen Regionen des Landes verstärkt, auch in Laghman, Logar und Wardak, drei wichtigen Provinzen, die an Kabul grenzen (LWJ 6.6.2021; vgl. RFE/RL 1.6.2021). Damit haben die Taliban seit Beginn des Truppenabzugs am 1.5.2021 bis Anfang Juni mindestens zwölf Distrikte erobert (LWJ 6.6.2021; vgl. DW 6.6.2021, MENAFN 7.6.2021, LWJ 20.5.2021, VOA 7.6.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2020

Die Sicherheitslage verschlechterte sich im Jahr 2020, in dem die Vereinten Nationen 25.180 sicherheitsrelevante Vorfälle registrierten, ein Anstieg von 10% gegenüber den 22.832 Vorfällen im Jahr 2019 (UNASC 12.3.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, sodass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.2.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (AAN 16.8.2020). Während die Zahl der Luftangriffe im Jahr 2020 um 43,6 % zurückging, stieg die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße um 18,4 % (UNGASC 12.3.2021).

Die Taliban starteten wie üblich eine Frühjahrsoffensive, wenn auch unangekündigt, und verursachten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 43 Prozent aller zivilen Opfer, ein größerer Anteil als 2019 und auch mehr in absoluten Zahlen (AAN 16.8.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020). Während im Jahr 2020 Angriffe der Taliban auf größere Städte und Luftangriffe der US-Streitkräfte zurückgingen, wurden durch improvisierte Sprengsätze (IEDs) der Taliban eine große Zahl von Zivilisten getötet, ebenso wie durch Luftangriffe der afghanischen Regierung. Entführungen und gezielte Tötungen von Politikern, Regierungsmitarbeitern und anderen Zivilisten, viele davon durch die Taliban, nahmen zu (HRW 13.1.2021; vgl. AAN 16.8.2020, USDOS 30.3.2021).

In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten (AA 14.1.2021; vgl. UNGASC 12.3.2021, AIHRC 28.1.2021).

Obwohl sich die territoriale Kontrolle kaum verändert hat (UNGASC 12.3.2021; vgl. AAN 16.8.2020), scheint es in der ersten Hälfte 2020 eine geografische Verschiebung gegeben zu haben, mit mehr Gewalt im Norden und Westen und weniger in einigen südlichen Provinzen, wie Helmand (AAN 16.8.2020). Die Taliban hielten jedoch den Druck auf wichtige Verkehrsachsen und städtische Zentren aufrecht, einschließlich gefährdeter Provinzhauptstädte wie in den Provinzen Farah, Kunduz, Helmand und Kandahar. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen durch, um wichtige Autobahnen zu sichern und die Gewinne der Taliban rückgängig zu machen, insbesondere im Süden nach den jüngsten Offensiven der Taliban auf die Städte Lashkar Gah und Kandahar (UNGASC 12.3.2021).

Zivile Opfer

Zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.3.2021 dokumentierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 1.783 zivile Opfer (573 Tote und 1.210 Verletzte). Der Anstieg der zivilen Opfer im Vergleich zum ersten Quartal 2020 war hauptsächlich auf dieselben Trends zurückzuführen, die auch im letzten Quartal des vergangenen Jahres zu einem Anstieg der zivilen Opfer geführt hatten - Bodenkämpfe, improvisierte Sprengsätze (IEDs) und gezielte Tötungen hatten auch in diesem vergleichsweise warmen Winter extreme Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung (UNAMA 4.2021; vgl. UNSC 1.6.2021).

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA 2.2021a; AIHRC 28.1.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021a).

Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen (UNAMA 2.2021a).

Obwohl ein Rückgang der durch regierungsfeindliche Elemente verletzten Zivilisten im Jahr 2020, der hauptsächlich auf den Mangel an zivilen Opfern durch wahlbezogene Gewalt und den starken Rückgang der zivilen Opfer durch Selbstmordattentate im Vergleich zu 2019 zurückzuführen ist, festgestellt werden konnte, so gab es einen Anstieg zivilen Opfer durch gezielte Tötungen, durch wahllos von Opfern aktivierte Druckplatten-IEDs und durch fahrzeuggetragene Nicht-Selbstmord-IEDs (UNAMA 2.2021a; vgl. ACCORD 6.5.2021b).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffen waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (AIHRC 28.1.2021). Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch haben aufständische Gruppen in Afghanistan ihre gezielten Tötungen von Frauen und religiösen Minderheiten erhöht (HRW 16.3.2021).

Im April 2021 meldete UNAMA für das erste Quartal 2021 einen Anstieg der zivilen Opfer um 29% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Aufständische waren für zwei Drittel der Opfer verantwortlich, Regierungstruppen für ein Drittel. Seit Beginn der Friedensverhandlungen in Doha Ende 2020 wurde für die letzten sechs Monate ein Anstieg von insgesamt 38 % verzeichnet (UNAMA 4.2021; vgl. BAMF 19.4.2021) .

Während des gesamten Jahres 2020 dokumentierte UNAMA Schwankungen in der Zahl der zivilen Opfer parallel zu den sich entwickelnden politischen Ereignissen. Die "Woche der Gewaltreduzierung" vor der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban in Doha am 29.2.2020 zeigte, dass die Konfliktparteien die Macht haben, Schaden an der Zivilbevölkerung zu verhindern und zu begrenzen, wenn sie sich dazu entschließen, dies zu tun. Ab März wuchs dann die Besorgnis über ein steigendes Maß an Gewalt, da UNAMA zu Beginn des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie eine steigende Zahl von zivilen Opfern und Angriffen auf Gesundheitspersonal und -einrichtungen dokumentierte. Regierungsfeindliche Elemente verursachten mit 62% weiterhin die Mehrzahl der zivilen Opfer im Jahr 2020. Während UNAMA weniger zivile Opfer dem Islamischen Staat im Irak und in der Levante - Provinz Khorasan (ISIL-KP, ISKP) und den Taliban zuschrieb, hat sich die Zahl der zivilen Opfer, die durch nicht näher bestimmte regierungsfeindliche Elemente verursacht wurden (diejenigen, die UNAMA keiner bestimmten regierungsfeindlichen Gruppe zuordnen konnte), im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt (UNAMA 2.2021a; vgl. AAN 16.8.2020). Pro-Regierungskräfte verursachten ein Viertel der getöteten und verletzten Zivilisten im Jahr 2020 (UNAMA 2.2021a; vgl. HRW 13.1.2021). Nach den Erkenntnissen der AIHRC sind von allen zivilen Opfern in Afghanistan im Jahr 2020 die Taliban für 53 % verantwortlich, regierungsnahe und verbündete internationale Kräfte für 15 % und ISKP (ISIS) für fünf Prozent. Bei 25 % der zivilen Opfer sind die Täter unbekannt und 2 % der zivilen Opfer wurden durch pakistanischen Raketenbeschuss in Kunar, Khost, Paktika und Kandahar verursacht (AIHRC 28.1.2021).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 1.7.2020). Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Der Großteil der Anschläge richtet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten 'green-on-blue-attack': der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020). Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein (UNGASC 17.3.2020).

High-profile Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente werden landesweit fortgesetzt, insbesondere in der Stadt Kabul. Zwischen dem 13.11.2020 und dem 11.2.2021 wurden 35 Selbstmordattentate dokumentiert, im Vergleich zu 42 im vorherigen Berichtszeitraum. Darüber hinaus wurden 88 Anschläge mit magnetischen improvisierten Sprengsätzen verübt, 43 davon in Kabul, darunter auch gegen prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Gezielte Attentate, oft ohne Bekennerschreiben, nahmen weiter zu (UNGASC 12.3.2021).

Anschläge gegen Gläubige, Kultstätten und religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (TN 26.3.2020; vgl. BBC 25.3.2020, USDOD 1.7.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 26.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020, USDOD 1.7.2020). Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger waren im Jahr 2020 ein häufiges Ziel gezielter Anschläge (AIHRC 28.1.2021).

Opiumproduktion und die Sicherheitslage

Afghanistan ist das Land, in dem weltweit das meiste Opium produziert wird. In den letzten fünf Jahren entfielen etwa 84 % der globalen Opiumproduktion auf Afghanistan. Im Jahr 2019 ging die Anbaufläche für Schlafmohn zurück, während der Ernteertrag in etwa dem des Jahres 2018 entsprach (UNODC 6.2020; vgl. ONDCP 7.2.2020). Der größte Teil des Schlafmohns in Afghanistan wird im Großraum Kandahar (d.h. Kandahar und Helmand) im Südwesten des Landes angebaut (AAN 25.6.2020). Opium ist eine Einnahmequelle für Aufständische sowie eine Quelle der Korruption innerhalb der afghanischen Regierung (WP 9.12.2019); der Opiumanbau gedeiht unter Bedingungen der Staatenlosigkeit und Gesetzlosigkeit wie in Afghanistan (Bradford 2019; vgl. ONDCP 7.2.2020).

1.5.3. Provinz Ghazni

Letzte Änderung: 10.06.2021

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans und grenzt an die Provinzen Bamyan und Wardak im Norden, Logar, Paktya und Paktika im Osten, Zabul im Süden und Uruzgan und Daykundi im Westen. Ghazni liegt an keiner internationalen Grenze (UNOCHA Ghazni 4.2014). Die Provinz ist in 19 Distrikte unterteilt: die Provinzhauptstadt Ghazni-Stadt sowie den Distrikte Ab Band, Ajristan, Andar (auch Shelgar genannt (AAN 22.5.2018)), Deh Yak, Gelan, Giro, Jaghatu, Jaghuri, Khwaja Omari, Malistan, Muqur, Nawa, Nawur, Qara Bagh, Rashidan, Waghaz, Wali Muhammad Shahid (Khugyani) und Zanakhan (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Ghazni 2019).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Ghazni im Zeitraum 2020-21 auf 1,362.504 Personen (NSIA 1.6.2020). Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte Hazara und rund 5% Tadschiken (NPS Ghazni o.D.; vgl. PAJ Ghazni o.D.), weiters gibt es kleinere Gruppen wie die Bayats und Sadats (PAJ Ghazni o.D.). In der Vergangenheit lebten mehrere hundert Sikh-Familien in der Stadt Ghazni. Inzwischen haben sie Ghazni weitgehend verlassen, wobei ein letzter Sikh-Bewohner der Stadt betonte, dass seine Gemeinde von den paschtunischen, tadschikischen oder Hazara-Bewohnern von Ghazni nicht verfolgt worden sei, aber die Angst, Ziel von Angriffen militanter Islamisten zu werden oder von Kriminellen entführt zu werden, sie zum Verlassen des Landes veranlasst habe (RFE/RL 23.9.2020).

Die Stadt Ghazni liegt an der Ring Road, welche die Hauptstadt Kabul mit dem großen Ballungszentrum Kandahar im Süden verbindet und auch die Straße zu Paktikas Hauptstadt Sharan zweigt in der Stadt Ghazni von der Ring Road ab, die Straße nach Paktyas Hauptstadt Gardez dagegen etwas nördlich der Stadt. Die Kontrolle über Ghazni ist daher von strategischer Bedeutung (CJ 13.8.2018). Im September 2020 waren die Hauptstraßen, die Kabul mit Ghazni, Kabul mit Bamyan, Ghazni mit Kandahar und Ghazni mit Paktika verbinden, nach wie vor unsicher, da die Zusammenstöße zwischen den Regierungskräften und Aufständischen andauerten, was die zivilen Bewegungen weiterhin beeinträchtigte (UNOCHA 27.9.2020). Die Taliban unterhalten entlang der Ring Road in Ghazni Berichten zufolge Straßenkontrollen (RFE/RL 30.10.2020, UNOCHA 6.2020, PAJ 3.3.2020, XI 29.2.2020).

Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 418 zivile Opfer (183 Tote und 235 Verletzte) in der Provinz Ghazni. Dies entspricht einem Rückgang von 38% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2021a).

Im Dezember 2019 führten die Taliban im Distrikt Qara Bagh einen Insiderangriff auf eine Einheit der neu geschaffenen ANA Territorial Force (ANA-TF) durch (NYT 14.12.2019; vgl. AAN 8.2020). Im September 2020 wurde über die Stationierung von zusätzlichen Truppen in der Provinz berichtet (KP 7.9.2020). Im Juni 2021 wurde der Distrikt De Hyak von den Taliban eingenommen (ArN 5.6.2021; vgl. LWJ 6.6.2021). Zur selben Zeit wurde berichtet, dass auch der Distrikt Ab Band durch die Taliban überrannt wurde, während die Regierung nur den Fall zweier Kontrollposten bestätigt (PAJ 8.6.2021).

Es kommt zu Kämpfen in der Provinz (BAMF 17.8.2020; BAMF 20.4.2020; BAMF 30.3.2020; BAMF 23.3.2020), wobei die Taliban Sicherheitsposten, Militäreinrichtungen oder Konvois der Regierungskräfte angreifen und die Regierungskräfte das Feuer erwidern (RY 24.8.2020; RFE/RL 6.8.2020; NYTM 30.7.2020; KUNA 22.7.2020; KP 12.7.2020; NYTM 27.2.2020; BAAG 2.1.2020), auch in der Provinzhauptstadt (NYTM 28.8.2020; KP 16.8.2020). Die Regierungskräfte führen Räumungsoperationen durch (KP 11.5.2020, PAJ 3.3.2020; KP 19.2.2020; XI 29.1.2020a).

Es kommt zu Vorfällen mit IEDs - Detonationen von Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 30.7.2020; GW 1.5.2020; NYTM 30.4.2020; RFE/RL 13.12.2019) und Explosionen von an Fahrzeugen angebrachten Bomben (VBIEDs) (BAMF 26.4.2021; PAJ 24.4.2021; BBC 18.12.2020; HOA 24.8.2020; XI 9.8.2020; RY 24.8.2020), auch in Ghazni-Stadt (VOA 18.5.2020; SaS 18.5.2020). Es wird von Entführungen und Tötungen durch die Taliban in Ghazni berichtet (BAMF 11.1.2021; OMCT 4.8.2020; AIHRC 5.8.2020; BAMF 27.7.2020; NYTM 27.2.2020).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Ghazni gehörte im August 2020 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen (KP 16.8.2020; vgl. LWJ 27.1.2020). Im Juli 2020 gaben Bewohner von Ghazni an, dass Taliban-Kämpfer bis in die Nähe des Sicherheitsgürtels um die Stadt Ghazni vorgedrungen seien und die Straßen zur Provinzhauptstadt blockiert hätten (AT 7.7.2020; vgl. LWJ 10.3.2020). Das Long War Journal schätzte im Mai 2021 die Distrikte Ajristan, Andar, Deh Yak, Giro, Nawa, Nawur, Rashidan, Waghaz, Wali M. Shahid und Zanakhan als unter Talibankontrolle stehend ein, während Ab Band, Gelan, Ghazni City, Jaghatu, Jaghuri, Khwaja Omari, Malistan, Muqur und Qara Bagh als umkämpft galten (LWJ o.D.). Eine andere Quelle gab im August 2020 an, dass Andar, Deh Yak, Muqur und Qara Bagh stark umkämpft oder von den Taliban kontrolliert seien (AAN 8.2020).

Einem UN-Bericht zufolge ist Al-Qaida in 12 afghanischen Provinzen verdeckt aktiv, darunter auch in Ghazni (UNSC 27.5.2020).

Auf Regierungsseite befindet sich Ghazni im Verantwortungsbereich des 203. Afghan National Army (ANA) "Tandar" Corps (USDOD 1.7.2020, AAN 25.7.2018) das der Task Force Southeast untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020).

Jüngste Entwicklungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 418 zivile Opfer (183 Tote und 235 Verletzte) in der Provinz Ghazni. Dies entspricht einem Rückgang von 38% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2021a).

Im Dezember 2019 führten die Taliban im Distrikt Qara Bagh einen Insiderangriff auf eine Einheit der neu geschaffenen ANA Territorial Force (ANA-TF) durch (NYT 14.12.2019; vgl. AAN 8.2020). Im September 2020 wurde über die Stationierung von zusätzlichen Truppen in der Provinz berichtet (KP 7.9.2020). Im Juni 2021 wurde der Distrikt De Hyak von den Taliban eingenommen (ArN 5.6.2021; vgl. LWJ 6.6.2021). Zur selben Zeit wurde berichtet, dass auch der Distrikt Ab Band durch die Taliban überrannt wurde, während die Regierung nur den Fall zweier Kontrollposten bestätigt (PAJ 8.6.2021).

Es kommt zu Kämpfen in der Provinz (BAMF 17.8.2020; BAMF 20.4.2020; BAMF 30.3.2020; BAMF 23.3.2020), wobei die Taliban Sicherheitsposten, Militäreinrichtungen oder Konvois der Regierungskräfte angreifen und die Regierungskräfte das Feuer erwidern (RY 24.8.2020; RFE/RL 6.8.2020; NYTM 30.7.2020; KUNA 22.7.2020; KP 12.7.2020; NYTM 27.2.2020; BAAG 2.1.2020), auch in der Provinzhauptstadt (NYTM 28.8.2020; KP 16.8.2020). Die Regierungskräfte führen Räumungsoperationen durch (KP 11.5.2020, PAJ 3.3.2020; KP 19.2.2020; XI 29.1.2020a).

Es kommt zu Vorfällen mit IEDs - Detonationen von Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 30.7.2020; GW 1.5.2020; NYTM 30.4.2020; RFE/RL 13.12.2019) und Explosionen von an Fahrzeugen angebrachten Bomben (VBIEDs) (BAMF 26.4.2021; PAJ 24.4.2021; BBC 18.12.2020; HOA 24.8.2020; XI 9.8.2020; RY 24.8.2020), auch in Ghazni-Stadt (VOA 18.5.2020; SaS 18.5.2020). Es wird von Entführungen und Tötungen durch die Taliban in Ghazni berichtet (BAMF 11.1.2021; OMCT 4.8.2020; AIHRC 5.8.2020; BAMF 27.7.2020; NYTM 27.2.2020).

1.5.4. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019).

Für die meisten zivilen Opfer im Jahr 2020 waren weiterhin regierungsfeindliche Elemente verantwortlich, 62% wurden ihnen zugeschrieben. Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 schrieb UNAMA 5.459 zivile Opfer (1.885 Tote und 3.574 Verletzte) regierungsfeindlichen Elementen zu. Dies bedeutete einen Gesamtrückgang um 15% im Vergleich zu 2019. Die Zahl der von regierungsfeindlichen Elementen getöteten Zivilisten stieg jedoch um 13% (UNAMA 2.2021a)

1.5.5.Taliban

Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. Die Taliban-Führung regierte Afghanistan zwischen 1996 und 2001, als sie von US-amerikanischen/internationalen Streitkräften entmachtet wurde; nach ihrer Entmachtung hat sie weiterhin einen Aufstand geführt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020). Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten (EASO 8.2020c; vgl. RFE/RL 27.4.2020).

Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen "Werte" betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik einer eventuellen Regierung der Machtteilung, die die Taliban einschließt, zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab (Ruttig 3.2021). Sie sehen sich nicht als bloße Rebellengruppe, sondern als eine Regierung im Wartestand und bezeichnen sich selbst als "Islamisches Emirat Afghanistan", der Name, den sie benutzten, als sie von 1996 bis zu ihrem Sturz nach den Anschlägen vom 11.9.2001 an der Macht waren (BBC 15.4.2021).

1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 11.06.2021

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen engagiert sich politisch, kulturell und sozial und verleiht der Zivilgesellschaft eine starke Stimme. Diese Fortschritte erreichen aber nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Gerichten sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Afghanistan wurde 2017 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2020 gewählt (AA 16.7.2020). Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 16.7.2020; vgl. CoA 26.1.2004). Darüber hinaus hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (AA 16.7.2020).

Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken den Zugang der Bürger zu Justiz in Bezug auf Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen ein (USDOS 30.3.2021). In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt (FH 4.3.2020). Die Regierung versäumt es weiterhin, hochrangige Beamte strafrechtlich zu verfolgen, die für sexuelle Übergriffe, Folter und die Tötung von Zivilisten verantwortlich sind (HRW 13.1.2021). Beschwerden gegen Menschenrechtsverletzungen können an die Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC) gemeldet werden, die glaubwürdige Beschwerden überprüft und an die Generalstaatsanwaltschaft zur weiteren Untersuchung und Strafverfolgung weiterleitet. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte; das Komitee für Drogenbekämpfung, Rauschmittel und ethischen Missbrauch sowie der Justiz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 30.3.2021).

Präsident Ghani hat am 12.5.2018 eine Verordnung unterzeichnet, wonach ein unabhängiger Ombudsmann für Angelegenheiten des Präsidenten eingerichtet werden soll (SIGAR 5.2018). AIHRC entwickelte in Kooperation mit den Ministerien für Verteidigung und Inneres ein Ombudsmannprogramm, durch welches Polizeigewalt gemeldet werden kann (USDOD 12.2018; vgl. UNAMA 4.2019). Die Einrichtung dieses Ombudsmannprogramms wurde für 31.12.2018 angekündigt (SIGAR 5.2018), aber bisher noch nicht finanziert und umgesetzt (USDOD 12.2018).

Menschenrechtsverteidiger werden immer wieder sowohl von staatlichen, als auch nicht-staatlichen Akteuren angegriffen; sie werden bedroht, eingeschüchtert, festgenommen und getötet. Maßnahmen, um Menschenrechtsverteidiger zu schützen, waren zum einen inadäquat, zum anderen wurden Misshandlungen gegen selbige selten untersucht (AI 30.1.2020). Die weitverbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Straflosigkeit für Amtsträger, die Menschenrechte verletzen, stellen ernsthafte Probleme dar. Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Unterdrückung von Kritik an Amtsträgern durch strafrechtliche Verfolgung von Kritikern im Rahmen der Verleumdungs-Gesetzgebung, Korruption, fehlende Rechenschaftspflicht und Ermittlungen in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern durch Sicherheitskräfte, Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft sowie Gewalt gegen Journalisten (USDOS 30.3.2021).

Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Rechenschaftspflicht (UNHRC 21.2.2018). Im Dezember 2018 würdigte UNAMA die Fortschritte Afghanistans auf dem Gebiet der Menschenrechte, insbesondere unter den Herausforderungen des laufenden bewaffneten Konfliktes und der fragilen Sicherheitslage. Die UN arbeitet weiterhin eng mit Afghanistan zusammen, um ein Justizsystem zu schaffen, das die Gesetzesreformen, die Verfassungsrechte der Frauen und die Unterbindung von Gewalt gegen Frauen voll umsetzen kann (UNAMA 10.12.2018).

1.5.7. Religionsfreiheit

Stand 11.06.2021

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 19.5.2021; vgl. USDOS 12.5.2021, AA 16.7.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3% der Bevölkerung aus (CIA 19.5.2021, USDOS 12.5.2021). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 12.5.2021). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (USDOS 12.5.2021; vgl. UP 16.8.2019, BBC 11.4.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017. Genaue Angaben zur Größe der Gemeinschaft der Ahmadi und der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 12.5.2021).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 12.5.2021; vgl. FH 4.3.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.7.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 12.5.2021), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 12.5.2021; vgl. AA 16.7.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 12.5.2021). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 12.5.2021). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 12.5.2021; vgl. AA 16.7.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 12.5.2021).

Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 12.5.2021). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 12.5.2021; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 12.5.2021).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 12.5.2021).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 12.5.2021).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 12.5.2021; vgl. FH 4.3.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 12.5.2021).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 12.5.2021). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 12.5.2021).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 12.5.2021).

In Hinblick auf die Gespräche im Rahmen des Friedensprozesses, äußerten einige Sikhs und Hindus ihre Besorgnis darüber, dass in einem Umfeld nach dem Konflikt von ihnen verlangt werden könnte, gelbe (Stirn-)Punkte, Abzeichen oder Armbinden zu tragen, wie es die Taliban während ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 vorgeschrieben hatten (USDOS 12.5.2021).

Schiiten

Letzte Änderung: 11.06.2021

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 19.5.2021; vgl. AA 16.7.2020). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Vertretern der Religionsgemeinschaft sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 12.5.2021).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 16.7.2020). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2019 10 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, die 485 zivile Opfer forderten (117 Tote und 368 Verletzte), was einem Rückgang von 35 % gegenüber 2018 entspricht, als es 19 Fälle gab, die 747 zivile Opfer forderten (233 Tote und 524 Verletzte). Der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) bekannte sich zu sieben der zehn Vorfälle und gab an, dass diese auf die religiöse Minderheit der schiitischen Muslime ausgerichtet waren (USDOS 10.6.2020). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, CRS 1.5.2019). Nach einer Reihe tödlicher Angriffe des ISKP im März 2020, die sich gegen Sikhs richteten und 25 Personen töteten, verließen etwa 200 Mitglieder der Sikh-Gemeinschaft das Land in Richtung Indien und gaben an, dass sie wegen der mangelnden Sicherheit und des unzureichenden Schutzes durch die Regierung ausgereist seien (USDOS 12.5.2021).

Vertreter der überwiegend schiitischen Hazara-Gemeinschaft sagen weiterhin, dass die Sicherheitsvorkehrungen der Regierung in den von Schiiten dominierten Gebieten unzureichend sind. Vertreter der Schiiten sagen, dass sie keine Erhöhung des Schutzes durch die Afghanischen Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) festgestellt haben; sie sagen jedoch, dass die Regierung vor großen schiitischen Versammlungen direkt Waffen an die schiitische Gemeinschaft verteilt hat (USDOS 12.5.2021).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 4.3.2020). Einige Schiiten haben weiterhin hochrangige Positionen in der Regierung inne, darunter der zweite Vizepräsident Sarwar Danish und eine Reihe von stellvertretenden Ministern, Gouverneuren und ein Mitglied des Obersten Gerichtshofs, aber anders als in den Vorjahren keine Positionen auf Kabinettsebene. Schiitische Führer erklären weiterhin, dass der Anteil der von Schiiten besetzten offiziellen Positionen nicht ihrer Einschätzung der Demographie des Landes entspreche, was sie auf die Marginalisierung von Minderheitengruppen durch die Regierung und das Fehlen eines unterstützenden sozialen Umfelds zurückführen. Sunnitische Mitglieder des Ulema-Rates erklären jedoch weiterhin, dass Schiiten in der Regierung überrepräsentiert seien, basierend auf sunnitischen Schätzungen des Anteils der Schiiten an der Bevölkerung. Drei ismailitische Muslime waren Mitglieder des Parlaments, einer weniger als 2019, und der Staatsminister für Frieden, Sadat Mansoor Naderi, ist ebenfalls ein ismailitischer Muslim. Führer der ismailitischen Gemeinschaft berichten weiterhin von Bedenken über den, wie sie es nennen, Ausschluss von Ismailis aus anderen Positionen der politischen Autorität (USDOS 12.5.2021).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 8.9.2020; vgl. USIP 14.6.2018, AA 2.9.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 12.5.2021).

1.5.8. Ethnische Gruppen

Letzte Änderung: 11.06.2021

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 36 Millionen Menschen (NSIA 6.2020; vgl. CIA 16.2.2021). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA 16.2.2021). Schätzungen zufolge sind: 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 16.7.2020).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimak, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“ (STDOK 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 30.3.2021).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 16.7.2020). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 30.3.2021).

Hazara

Letzte Änderung: 11.06.2021

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.c.). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazarajat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (STDOK 7.2016).

Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt Kabul, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri, Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.3.2019).

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (STDOK 7.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (STDOK 7.2016; vgl. MRG o.D.c), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 12.5.2021). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazarajat lebt, ist ismailitisch (STDOK 7.2016). Ismailitische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.8.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 12.5.2021).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert (AA 16.7.2020; vgl. FH 4.3.2020) und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert (AA 16.7.2020). Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 30.3.2021). Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (FH 4.3.2020; vgl. WP 21.3.2018).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan (STDOK 7.2016; vgl. MRG o.D.c). Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorstand, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o.D.c). Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (STDOK 7.2016).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.3.2018). Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP (Islamischer Staat Khorasan Provinz) und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an (USDOS 12.5.2021).

Während des gesamten Jahres 2020 setzte der ISKP seine Angriffe auf schiitische Gemeinschaften, vorwiegend Hazara, fort. Am 6.3.2021 griffen Bewaffnete eine Zeremonie in Kabul an, an der hauptsächlich schiitische Hazara teilnahmen, und töteten 32 Personen. Am 24.10.2021 tötete ein Selbstmordattentäter in einem Bildungszentrum in einem Hazara-Viertel von Kabul 40 Personen und verwundete 72 weitere. Der ISKP bekannte sich dazu. Viele der Opfer waren zwischen 15 und 26 Jahre alt (USDOS 30.3.2021). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Nach Angaben der schiitischen Gemeinschaft gab es trotz der Pläne keine Aufstockung der ANDSF-Kräfte; sie sagten jedoch, dass die Regierung Waffen direkt an die Wächter der schiitischen Moscheen in Gebieten verteilte (USDOS 12.5.2021). Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (MEI 10.2018; vgl. WP 21.3.2018). Im Mai 2021 explodierte eine Autobombe vor einer Mädchenschule in Dasht-e Barchi, wobei 58 Personen, darunter Schülerinnen, getötet und mehr als 100 verletzt wurden (AJ 9.5.2021; vgl. RFE/RL 9.5.2021, BBC 9.5.2021, NYT 9.5.2021, TN 8.5.2021).

In Randgebieten des Hazarajat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (AREU 1.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.9.2017). NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (USDOS 30.3.2021).

1.5.9. Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Letzte Änderung: 11.06.2021

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (CoA 26.1.2004). Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 16.7.2020). Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (REU 26.6.2018).

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat (SIGAR 2.2021; vgl. HRW 30.6.2020, STDOK 25.6.2020, AA 16.7.2020), können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst (AA 16.7.2020; vgl.: REU 2.12.2019, STDOK 25.6.2020). Dennoch arbeiten Frauen als Gesetzgeberinnen, Richterinnen, Lehrerinnen, Gesundheitsarbeiterinnen, Beamtinnen, Journalistinnen und Führungskräfte in Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Von den etwa 9 Millionen eingeschriebenen Schülern sind 3,5 Millionen Mädchen. Der gesetzliche Rahmen Afghanistans bietet Frauen - zumindest auf dem Papier - viele Schutzmaßnahmen, einschließlich gleicher Rechte für Frauen und Männer (SIGAR 2.2021). Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (AA 16.7.2020; vgl. STDOK 25.6.2020).

Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frauen innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (STDOK 13.6.2019). In der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif und den angrenzenden Distrikten sind die Lebensumstände für Frauen verglichen mit anderen Landesteilen beispielsweise gut. Hier gibt es Frauen, welche sich frei bewegen, studieren oder arbeiten können und auch selbst entscheiden dürfen, ob sie heiraten oder nicht. Es gibt aber auch in Mazar-e Sharif Frauen, deren Familien dies nicht erlauben (STDOK 21.7.2020).

Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben (EASO 12.2017; vgl. STDOK 4.2018, UNAMA/OHCHR 5.2018), der sich bemüht Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen (UNAMA/OHCHR 5.2018). Jedoch ist sexuelle Belästigung in Afghanistan, speziell innerhalb der afghanischen Regierung, im Präsidentenpalast sowie anderen Regierungsinstitutionen, sowohl national als auch international zum Thema regelmäßiger Diskussionen geworden (STDOK 25.6.2020; vgl. AT 6.11.2019). Aus unterschiedlichen Regierungsbüros berichten seit Mai 2019 vermehrt afghanische Frauen von sexueller Belästigung durch männliche Kollegen und hochrangige Personen (STDOK 25.6.2020; vgl. RY 1.8.2019, BBC 10.7.2019).

Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Gemäß Artikel 83 und 84, sind Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen (WILFPFA 7.2019). Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm "Women's Economic Empowerment" gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig (UNGA 28.2.2019). So hat die afghanische Regierung unter anderem, gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das Projekt "Enhancing Gender Equality and Mainstreaming in Afghanistan" (EGEMA) beispielsweise ist ein Gemeinschaftsprojekt der afghanischen Regierung und des UNDP (United Nations Development Program) Afghanistan und hat den Hauptzweck, das Ministerium für Frauenrechte (MoWA) zu stärken. Es läuft von Mai 2016 bis Dezember 2020 (UNDP o.D)

Im Zuge der Friedensverhandlungen bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten (STDOK 25.6.2020; vgl. BBC 27.2.2020, BP 31.8.2020, TN 31.5.2019, Taz 6.2.2019), die im Islam vorgesehen sind, wie zu Lernen, zu Studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass 'im Namen der Frauenrechte' Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden (Taz 6.2.2019). Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben (USAT 3.9.2019). Die afghanischen Frauen sind jedoch ob der Verhandlungen mit den Taliban besorgt und fürchten um ihre mühsam erkämpften Rechte (HRW 22.3.2021, IWPR 8.3.2021; vgl. BP 31.8.2020, WP 12.9.2020). Eine jener vier Frauen, die an den Verhandlungen mit den Taliban teilnehmen, glaubt nicht, dass sich die Taliban-Kämpfer, die an der Frontlinie stehen, geändert hätten (BP 31.8.2020). Am 18.3.2021 empfing die russische Regierung Vertreter der afghanischen Regierung, der Taliban und von Partnerländern zu einem Gipfeltreffen, das die Friedensgespräche voranbringen sollte. Der 12-köpfigen afghanischen Regierungsdelegation gehörte eine Frau, Dr. Habiba Sarabi, an - ein Rückschritt gegenüber der Teilnahme von vier Frauen unter den 20 Mitgliedern beim innerafghanischen Dialog in Doha, Katar, im September 2020. Die 10-köpfige Taliban-Delegation war wie in der Vergangenheit ausschließlich männlich. Afghanische Frauenrechtsaktivistinnen haben die Sorge geäußert, dass Frauen von den geplanten Friedensgesprächen in der Türkei weitgehend ausgeschlossen werden, wodurch die Rechte der Frauen bei einer endgültigen Einigung stark gefährdet sind (HRW 22.3.2021; vgl. VIDC 26.4.2021).

Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (STDOK 13.6.2019; vgl. STDOK 25.6.2020).

Auch im Jahr 2020 wurden Frauen durch den bewaffneten Konflikt in vielfältiger Weise geschädigt, unter anderem durch Tod, Verletzungen und sexuelle Gewalt. Frauen trugen auch die Hauptlast der breiteren Auswirkungen des bewaffneten Konflikts, die sich negativ auf die Wahrnehmung einer breiten Palette von Menschenrechten auswirkten, einschließlich der Bewegungsfreiheit und des Zugangs zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Justiz sowie des Rechts, nicht aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung diskriminiert zu werden. Frauen waren auch im Jahr 2020 konfliktbedingter sexueller Gewalt ausgesetzt. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die gemeldeten Zahlen das wahre Ausmaß der konfliktbedingten sexuellen Gewalt in Afghanistan widerspiegeln. Tief konservative Geschlechternormen, Stigmatisierung und ein Mangel an speziell auf Opfer ausgerichteten Diensten tragen dazu bei, dass wahrscheinlich eine hohe Dunkelziffer gibt (UNAMA 2.2021a).

Das afghanische Frauenministerium dokumentierte innerhalb eines Jahres (November 2018 - November 2019) 6.449 Fälle von Gewalt und Missbrauch gegen Frauen. Der Großteil dieser Fälle wurde in den Provinzen Kabul, Herat, Kandahar und Balkh registriert. Dem Frauenministerium zufolge wurden rund 2.886 Fälle an Ermittlungsbehörden und Gerichte weitergeleitet, 456 Frauen bekamen Anwälte zugewiesen und 682 Fälle wurden durch Mediation zwischen den Parteien gelöst. Außerdem wurden 2.425 Fälle an Organisationen weitergeleitet, die sich für Frauenrechte einsetzen (STDOK 25.6.2020; vgl. RFE/RL 25.11.2019). Im Vergleich dazu registrierte die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für den Untersuchungsraum 2019 4.693 Vorfälle und für 2018 4.329 Vorfälle (AIHCR 23.3.2020; vgl. STDOK 25.6.2020). Ein hohes Maß an Gewalt gegen Frauen ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, wie z.B. die Sensibilisierung der Frauen für ihre Menschenrechte und die Reaktion auf häusliche Gewalt, ein geringes öffentliches Bewusstsein für die Rechte der Frauen, eine schwache Rechtsstaatlichkeit und die Ausbreitung von Unsicherheit in verschiedenen Teilen des Landes (AIHRC 23.3.2020). Die afghanische Regierung versäumt es weiterhin, hochrangige Beamte, die für sexuelle Übergriffe verantwortlich sind, strafrechtlich zu verfolgen (HRW 13.1.2021).

Einigen Schätzungen zufolge haben in den letzten sechs Jahren mindestens 900 afghanische Journalistinnen ihre Arbeit aufgegeben, weil sie unter Druck gesetzt wurden, hauptsächlich aus Sicherheitsgründen. Viele haben das Land in den letzten Jahren aufgrund von Sicherheitsbedenken, einschließlich gezielter Tötungen, verlassen (IWPR 8.3.2021). Das CPAWJ (Zentrum zum Schutz afghanischer Journalistinnen) hat in den vergangenen zwölf Monaten [Anm.: März 2020 - März 2021] mehr als 100 Fälle von Aggression gegen Journalistinnen registriert - darunter Beleidigungen, körperliche Angriffe, Morddrohungen und Morde. Von den 21 Fällen, die von den betroffenen Frauen an das Zentrum verwiesen wurden, wurden zehn vom Innenministerium bewertet, fünf wurden von der Polizei untersucht und vier der Frauen wurden in Zufluchtsorten untergebracht (RSF 11.3.2021; vgl. CPAWJ 7.3.2021).

In vielen Fällen haben Aufständische Frauen beschuldigt, durch die Übernahme einer öffentlichen Rolle gegen gesellschaftliche Normen zu verstoßen. Es ist oft nicht klar, ob die ISKP, die Taliban oder andere Gruppen für die Drohungen und Angriffe verantwortlich sind (HRW 16.3.2021).

1.5.10. Bildung für Mädchen

Letzte Änderung: 11.06.2021

Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt worden war, Schulbildung erhalten (HRW 30.6.2020; vgl. KUR 17.12.2019, STDOK 25.6.2020), Bildung afghanischer Mädchen sowie die Stärkung afghanischer Frauen ist seitdem ein Schwerpunkt internationaler Bemühungen (STDOK 25.6.2020; vgl. REU 2.12.2019). Auf nationaler Ebene hat das afghanische Bildungsministerium im Februar 2019 eine Bildungsrichtlinie eingeführt, um Frauen und Mädchen den Zugang zu Bildung zu erleichtern sowie die Analphabetenrate zu reduzieren (STDOK 25.6.2020; vgl.: OI 3.12.2019, AT 6.11.2019). Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, fehlende familiäre Unterstützung sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen (USDOS 30.3.2021; vgl. UNICEF 8.2020). Untersuchungen von Human Rights Watch (HRW) und anderen belegen eine steigende Nachfrage nach Bildung in Afghanistan, einschließlich einer wachsenden Akzeptanz eines Schulbesuchs von Mädchen in vielen Teilen des Landes. NGOs, die "gemeindebasierte Bildung" unterstützen - Schulen, die sich in Häusern in den Gemeinden der Schülerinnen und Schüler befinden - waren oft erfolgreicher, wenn es darum ging, Mädchen den Schulbesuch in Gegenden zu ermöglichen, in denen sie aufgrund von Unsicherheit, familiärem Widerstand und Gemeindeeinschränkungen nicht in der Lage gewesen wären, staatliche Schulen zu besuchen. Doch das Versäumnis der Regierung, diese Schulen in das staatliche Bildungssystem zu integrieren, hat in Verbindung mit der uneinheitlichen Finanzierung dieser Schulen dazu geführt, dass vielen Mädchen die Bildung vorenthalten wird (HRW 30.6.2020).

Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. Zwischen 2018 und 2019 gab es einen Anstieg der Angriffe auf Schulen und Schulpersonal um 45% (UNICEF 8.2020). Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 27.5.2019). Von den rund 5.000 Örtlichkeiten, die als Wahlzentren dienten, waren etwa 50% Schulen (UNICEF 2019). Im Mai 2021 explodierte eine Autobombe vor einer Mädchenschule in Dasht-e Barchi in Kabul, einer von mehrheitlich schiitischen Hazara bewohnten Gegend, wobei 58 Personen, darunter Schülerinnen getötet und mehr als 100 verletzt wurden (AJ 9.5.2021; vgl. RFE/RL 9.5.2021, BBC 9.5.2021, NYT 9.5.2021, TN 8.5.2021).

Schätzungen zufolge sind etwa 3,7 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, also fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder, nicht in der Schule - Mädchen machen dabei 60% aus (UNICEF 27.5.2019), in manchen abgelegenen Gegenden sogar 85% (UNICEF 2019). 2018 ist diese Zahl zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 wieder gestiegen (UNICEF 27.5.2019). Geschlechternormen führen dazu, dass die Ausbildung der Buben in vielen Familien gegenüber der Ausbildung der Mädchen prioritär gesehen wird, bzw. dass die Ausbildung der Mädchen als unerwünscht gilt oder nur für einige Jahre vor der Pubertät als akzeptabel gesehen wird (HRW 17.10.2017). Bis zu 3,5 Millionen Mädchen (ca. 40 Prozent von insgesamt ca. 9 Millionen Schülern) sind in der Schule eingeschrieben, obwohl die Zahl der Mädchen, die tatsächlich die Schule besuchen, höchstwahrscheinlich niedriger ist (SIGAR 2.2021).

Jedoch sind auch hier landesweit Unterschiede festzustellen (BBW 28.8.2019): Beispielsweise waren Mädchen unter der Taliban-Herrschaft auf Heim und Haus beschränkt - speziell in ländlichen Gegenden wie jene in Bamyan. Eine Quelle berichtet von einer Schule in Bamyan, die nun vor allem von Mädchen besucht wird. Dort werden Mädchen von den Eltern beim Schulbesuch manchmal den Buben vorgezogen, da die Buben bei der Feldarbeit oder im Elternhaus aushelfen müssen. In besagtem Fall existieren sogar gemischte Klassen (NYT 27.6.2019). Aufgrund der Geschlechtertrennung darf es eigentlich keine gemischten Klassen geben. In ländlichen Gebieten kommt es oft vor, dass Mädchen nach der vierten oder fünften Klasse die Schule abbrechen müssen, weil die Zahl der Schülerinnen zu gering ist. Grund für das Abnehmen der Anzahl an Schülerinnen ist u.a. die schlechte Sicherheitslage in einigen Distrikten. Statistiken des afghanischen Bildungsministeriums zufolge war Herat mit Stand November 2018 beispielsweise die einzige Provinz in Afghanistan, wo die Schulbesuchsrate der Mädchen höher war (53%) als die der Burschen (47%). Ein leitender Mitarbeiter einer u.a. im Westen Afghanistans tätigen NGO erklärt die höhere Schulbesuchsrate damit, dass in der konservativen afghanischen Gesellschaft, wo die Bewegungsfreiheit der Frau außerhalb des Hauses beschränkt bleibt, Mädchen zumindest durch den Schulbesuch die Möglichkeit haben, ein Sozialleben zu führen und das Haus zu verlassen. Aber auch in einer Provinz wie Herat missbilligen traditionelle Dorfälteste und konservative Gemeinschaften in manchen Distrikten den Schulbesuch von Mädchen. So kommt es manchmal vor, dass Unterrichtsschichten für Mädchen eingerichtet sind, die von den Schülerinnen jedoch nicht besucht werden (STDOK 13.6.2019).

Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien (LI 16.5.2018), kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen (NYT 21.5.2019; UNAMA 24.4.2019; PAJ 16.4.2019; PAJ 15.4.2019; PAJ 31.1.2019; HRW 17.10.2017). Solche Angriffe zerstören nicht nur wertvolle Infrastruktur, sondern schrecken auch lang anhaltend eine große Zahl von Eltern ab, ihre Töchter zur Schule zu schicken (HRW 17.10.2017). Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste legten nach Vorfällen in der Provinz Farah nahe, dass Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten dies ab (NYT 21.5.2019). Obwohl die Taliban offiziell erklären, dass sie nicht mehr gegen die Bildung von Mädchen sind, gestatten nur sehr wenige Taliban-Entscheidungsträger Mädchen tatsächlich den Schulbesuch nach der Pubertät. Andere gestatten Mädchenschulen überhaupt nicht. Diese Ungereimtheiten führen zu Misstrauen in der Bevölkerung. Beispielsweise haben Taliban in mehreren Distrikten von Kunduz den Betrieb von Mädchen-Grundschulen zugelassen und in einigen Fällen Mädchen und jungen Frauen erlaubt, in von der Regierung kontrollierte Gebiete zu reisen, um dort höhere Schulen und Universitäten zu besuchen. Im Gegensatz dazu gibt es in einigen von den Taliban kontrollierten Distrikten in der Provinz Helmand keine funktionierenden Grundschulen für Mädchen, geschweige denn weiterführende Schulen - einige dieser ländlichen Distrikte hatten keine funktionierenden Mädchenschulen, selbst als sie unter Regierungskontrolle standen. Ihre inkonsistente Herangehensweise an Mädchenschulen spiegelt die unterschiedlichen Ansichten der Taliban-Kommandeure in den Provinzen, ihre Stellung in der militärischen Kommandohierarchie der Taliban und ihre Beziehung zu den lokalen Gemeinschaften wider. In einigen Distrikten hat die lokale Nachfrage nach Bildung die Taliban-Behörden überzeugt oder gezwungen, einen flexibleren Ansatz zu wählen (HRW 30.6.2020; vgl. RFE/RL 13.4.2021).

Der Zugang zu öffentlicher Hochschulbildung ist wettbewerbsintensiv: Studenten müssen eine öffentliche Aufnahmeprüfung, genannt Kankor, ablegen. Für diese Prüfung gibt es Vorbereitungskurse, mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften, die oft kostspielig sind und in der Regel außerhalb der Schulen angeboten werden. Unter den konservativen kulturellen Normen, die die Mobilität von Frauen in Afghanistan einschränken, können Studentinnen in der Regel nicht an diesen Kursen teilnehmen und afghanische Familien ziehen es oft vor, in die Ausbildung ihrer Söhne zu investieren, sodass den Töchtern die Ressourcen für eine Ausbildung fehlen (AF 13.2.2019).

Um diese Aufnahmeprüfung zu bestehen, werden Bewerberinnen von unterschiedlichen Stellen unterstützt. Eine Hilfsorganisation hat beispielsweise bislang Vorbereitungsmaterialien und -aktivitäten für 70.000 Studentinnen zur Verfügung gestellt. Auch wurden Aktivitäten direkt in den Unterricht an den Schulen integriert, um der mangelnden Bereitschaft von Eltern, ihre Töchter in Privatkurse zu schicken, zu entgegnen (AF 13.2.2019).

Es gibt aktuell (Stand Oktober 2020) 424.621 Studenten an den öffentlichen und privaten Universitäten Afghanistans. Davon sind 118.893 (28%) weiblich. Im Jahr 2020 haben 61.000 Frauen die Zulassungsprüfung für das Universitätsstudium bestanden (RA KBL 12.10.2020a). Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich an öffentlichen Universitäten in Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen seit 2015 erhöht.

Beispielsweise wurden im Rahmen von Initiativen des Ministeriums für höhere Bildung sichere Transportmöglichkeiten für Studentinnen zu und von den Universitäten zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Studentinnen konnten dieses Service in den Provinzen Herat, Jawzjan, Kabul, Kunar und Kunduz genießen. Das sind jene Provinzen, in denen sichere und verlässliche Transportmöglichkeiten aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und der Sicherheitslage dringend benötigt werden. Auch sollen mehr studentische Wohnmöglichkeiten für Frauen an Universitäten zur Verfügung gestellt werden; das Ministerium für höhere Bildung plant, an fünf Universitäten Studentenwohnheime zu errichten. In zwei Provinzen - Bamyan und Kunar - sollen sie im Jahr 2019 fertiggestellt werden. Das Ministerium für höhere Bildung unterstützt Frauen auch finanziell. Mithilfe des Higher Education Development Programms haben 2018 100 Frauen Stipendien erhalten, 65 Frauen waren dabei im Ausland ein Masterstudium abzuschließen und 41 weitere standen vor ihrem Studienbeginn (WB 6.11.2018).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul der Moraa Educational Complex, die erste Privatuniversität für Frauen in Afghanistan mit einer Kapazität von 960 Studentinnen (MED o.D.). Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für 'Frauen- und Genderstudies' (KP 18.10.2015; vgl. EN 25.10.2018, Najimi 2018). Die ersten Absolventinnen und Absolventen haben bereits im Jahr 2017 das Studium abgeschlossen (UNDP 7.11.2017).

Kinder

Letzte Änderung: 11.06.2021

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Von den ca. acht Millionen Schulkindern sind rund drei Millionen Mädchen. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Nach Angaben der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) sind die durch den Konflikt verursachten zivilen Opfer unter Kindern im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 um 25 Prozent zurückgegangen. Im Jahr 2020 gab es insgesamt 2.019 zivile minderjährige Opfer, darunter 565 getötete Kinder und 1.454 verletzte Kinder. Im Jahr 2019 betrug die Gesamtzahl der minderjährigen Opfer in der Zivilbevölkerung 2.696, darunter 445 getötete und 2.251 verletzte Kinder (AIHRC 28.1.2021). UNAMA zählte 2019 874 getötete und 2.275 verletzte Kinder (3%-Anstieg im Vergleich zu 2018), dies entspricht 30% aller zivilen Opfer (AA 16.7.2020).

Die afghanische Bevölkerung ist eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden der Welt - mit rund 47% der Bevölkerung (27,5 Millionen Afghanen) unter 25 Jahren und 46% (11,7 Millionen Kinder) unter 15 Jahren (UNFPA 18.12.2018; vgl. NSIA 1.6.2020). Das Durchschnittsalter liegt in Afghanistan bei 18,4 Jahren (WoM 6.10.2020) und die Volljährigkeit beginnt mit dem 18. Geburtstag, wobei einige politische Kräfte dies mit Verweis auf die Scharia ablehnen. Die Zwangsverheiratung auch von Kindern unter dem gesetzlichen Mindestalter der Ehefähigkeit – 18 Jahre für Männer, 16 für Frauen (mit Zustimmung des Vaters 15 Jahre) – ist weit verbreitet (AA 16.7.2020).

Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Zu Hause und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen (Ventevogel et al. 2013).

Während des gesamten Jahres 2020 rekrutierten die Taliban, die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppen weiterhin Kinder. Die regierungsfeindlichen Elemente rekrutierten und verwendeten Kinder sowohl für Kampf- als auch für Dienstfunktionen. Während die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte insgesamt Fortschritte bei der Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern gemacht haben, gibt der Einsatz von Kindern durch die afghanische Nationalpolizei zu Dienst- und sexuellen Zwecken und in geringerem Maße der Einsatz von Kindern durch die Territorial Force der afghanischen Nationalarmee (ANA-TF) und die [Anm.: in Auflösung begriffene] afghanische Lokalpolizei (ALP) für Kampffunktionen weiterhin Anlass zu großer Sorge. Zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2020 verifizierte UNAMA die Rekrutierung und den Einsatz von 196 Jungen, wobei die meisten Fälle in den nördlichen und nordöstlichen Regionen des Landes auftraten. Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass Rekrutierung und Einsatz von Kindern in Afghanistan oft nicht gemeldet werden (UNAMA 2.2021a).

 

Schulbildung in Afghanistan

Letzte Änderung: 11.06.2021

Die akademische Freiheit wird weitgehend in den von der Regierung kontrollierten Gebieten ausgeübt. Neben dem öffentlichen Schulwesen gab es 2020 einen Zuwachs an privaten Bildungsmöglichkeiten, wobei neue Universitäten volle Autonomie von der Regierung genießen.

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zum Abschluss der Unterstufe der Sekundarschule (d.h. nach sechs Jahren Grundschule und drei Jahren Sekundärbildung) verpflichtend (USDOS 30.3.2021; vgl. IOM 2019). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung. Ob ein Kind tatsächlich in der Schule eingeschrieben wird, hängt vom Bildungsstand der Familie ab. Bildung wird vom Staat bis zum Hochschulabschluss in staatlichen Bildungseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Bildungsministerium hat aber keine ausreichenden Ressourcen, um die Bedürfnisse für ganz Afghanistan abzudecken (STDOK 4.2018).

In Afghanistan existieren zwei Bildungssysteme parallel zueinander. Für den Religionsunterricht sind die Mullahs in den Moscheen zuständig, während die Regierung für den kostenlosen akademischen Unterricht an den staatlichen Schulen sorgt. Von 6 bis 10 Jahren besuchen die Schülerinnen und Schüler Grundschulen, in denen sie die Grundlagen des Lesens, Schreibens, Rechnens und ihrer nationalen Kultur erlernen. Es folgen drei Jahre Mittelschule. Am Ende der Phase müssen die Schülerinnen und Schüler eine Prüfung ablegen, wenn sie ihre Schulbildung fortsetzen wollen. In der Sekundarschule haben die Schüler die Wahl, entweder drei Jahre lang eine akademische Laufbahn fortzusetzen, die vielleicht zur Universität führen könnte, oder stattdessen Fächer wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel und Lehrerausbildung zu belegen. Beide Studiengänge schließen mit einer "Bachelor"-Prüfung ab (IOM 2019).

Kinder können in Afghanistan öffentliche, private oder religiöse Schulen besuchen (EASO 4.2019). Der Unterricht in öffentlichen Bildungseinrichtungen von der Grundschule bis einschließlich der Universität ist kostenlos. Nur private Schulen und Universitäten heben Studiengebühren ein (IOM 2019). Die Regierung versorgt die Schüler mit Schulbüchern. Jedoch sind das Budget und die Anzahl der Bücher meistens nicht ausreichend; auch wird das Unterrichtsmaterial oft zu spät zugestellt: z.B. vier Monate nach Unterrichtsbeginn. Aus diesen Gründen gibt es in Afghanistan einen Schwarzmarkt für Bücher, wo Familien kopierte Versionen der Schulbücher erwerben können. Der Staat versucht vergebens, dies zu verhindern. Die Regierung bietet weder Stipendien an, noch stellt sie Schulmaterialien für ärmere Familien zur Verfügung. In besonders verarmten Gebieten verteilen Organisationen wie UNICEF Schulmaterialien. Solche Hilfsaktionen betreffen allerdings nur die ländlichen Gebiete und auch dort ist das Ausmaß nicht ausreichend: in der Regel werden zwischen 80 und 100 Schulen versorgt. Einige private Schulen vergeben Stipendien, z.B. die Afghan-Turk-Schule. Meistens handelt es sich hierbei um Leistungsstipendien für Schüler von der siebten bis zur zwölften Klasse. Jedes Jahr werden zwischen 100 und 150 Stipendien je nach Kapazität der Schule vergeben (STDOK 13.6.2019).

Laut UNICEF wird in Afghanistan 3,7 Millionen Kindern im Alter zwischen 7 und 17 Jahren die Schulbildung vorenthalten, 60% von ihnen sind Mädchen (UNICEF 23.8.2020). Gemäß Schätzungen der CSO [Anm.: jetzt NSIA, Statistikbehörde Afghanistans] besuchten im Zeitraum 2016-17 landesweit 56,1% der Kinder im Grundschulalter eine Grundschule (CSO 2018; vgl. STDOK 10.2020). Es existieren allerdings erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts und Wohnorts: Während 77,5% der Buben in urbanen Gebieten und 66% in ländlichen Gebieten eine Grundschule besuchten, waren es bei den Mädchen 45,5% im städtischen Raum und 40,3% auf dem Land. Nur schätzungsweise 6,6% der Angehörigen der nomadischen Gruppe der Kutschi im Grundschulalter besuchten im Zeitraum 2016-17 eine Grundschule (10% der Buben und 2,5% der Mädchen). Im Bereich der sekundären und tertiären Schulbildung (Mittelschule/höhere Schule, bzw. Universität) sind die Schulbesuchsraten in allen genannten Gruppen niedriger (CSO 2018).

Die Schulbesuchsrate unter Buben aus Rückkehrerfamilien liegt bei 55%, während es bei den Mädchen nur 30% sind. Unter den Binnenvertriebenen (internally displaced persons, IDPs) besuchen 64% der Buben und 42% der Mädchen eine Schule (UNHCR 5.2018). Damit beispielsweise Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrern aus Pakistan auch die Möglichkeit zum Schulbesuch haben, arbeitet das Norwegian Refugee Council (NRC) mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern (STDOK 4.2018).

Als Gründe für die niedrigen Schulbesuchsraten werden insbesondere bei Mädchen kulturelle Gegebenheiten, wahrgenommene oder tatsächliche Unsicherheit und die Distanz bis zur nächsten Schule genannt. Für alle Kinder ist Armut neben Wohnort, Geschlecht und etwaigen Behinderungen, ein bestimmender Faktor für den Schulbesuch oder -abbruch, bzw. Nichteintritt (EASO 4.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, UNICEF 23.8.2020). Direkte Angriffe und Drohungen gegen Lehrer, Schulen und Schüler sowie wahllose Angriffe, die denselben beiläufig Schaden zufügen, behindern den Zugang von Kindern zu Bildung in Afghanistan zusätzlich (UNAMA 2.2021a). Kinder mit psychischen Problemen, Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten, unterschiedlichem linguistischem Hintergrund, Bewohner von Slums, Straßenkinder, Kinder von saisonal migrierenden Familien, Flüchtlinge und Binnenvertriebene gehen einer Studie zufolge überproportional oft nicht zur Schule. Ebenso wirkt sich Kinderarbeit negativ auf den Bildungsverlauf der betroffenen Kinder aus (EASO 4.2019).

Neben der Qualität der Ausbildung ist die niedrige Schuleintrittsrate ein Hauptproblem des afghanischen Bildungssystems (EASO 4.2019), auch wird von Mängeln hinsichtlich der Infrastruktur der Schulen - beispielsweise bei der Strom- und Wasserversorgung sowie den Sanitäranlagen (SIGAR 2.2018; SIGAR 3.2017) - bzw. fehlenden Schulgebäuden berichtet (SIGAR 30.1.2019). Die Gelder für die Instandhaltung der Schulen sind sehr gering und so werden diese oft von den Eltern zur Verfügung gestellt, oder von internationalen Organisationen wie UNICEF, die auch Wartungsarbeiten bzw. Reparaturen durchführen. In einigen Fällen, z.B. wenn das Schulgebäude zu klein und die Zahl der Schüler zu groß ist, wird der Unterricht in Zelten durchgeführt. Hierbei stellen die Wetterbedingungen oft eine Herausforderung dar: Herat ist z.B. oft starken Winden ausgesetzt, dadurch sind Zelte dort nicht als Unterrichtsstätten geeignet. Bezüglich der Schulzeit wird Afghanistan in „kalte“ und „warme“ Provinzen aufgeteilt: In ersteren schließen die Schulen mangels Heizmöglichkeiten im Winter und in letzteren wird der Unterricht wegen der hohen Temperaturen im Sommer unterbrochen (STDOK 13.6.2019).

Sowohl staatliche Sicherheitskräfte als auch die Taliban nützen Schulen als Militärposten (USDOS 30.3.2021). Zwischen dem 1.1.2020 und dem 31.12.2020 verifizierte UNAMA 62 Vorfälle, die den Zugang von Kindern zu Bildung beeinträchtigten. Dazu gehörten Angriffe, die auf Schulen und Madrassas abzielten oder diese zufällig beschädigten, die Tötung, Verletzung und Entführung von Bildungspersonal und Schülern sowie Drohungen gegen Bildungseinrichtungen und Personal (UNAMA 2.2021a). Im Mai 2021 explodierte eine Autobombe vor einer Mädchenschule in Dasht-e Barchi in Kabul, einer von mehrheitlich schiitischen Hazara bewohnten Gegend, wobei 58 Personen, darunter Schülerinnen getötet und mehr als 100 verletzt wurden (HRW 10.5.2021; vgl. AJ 9.5.2021, RFE/RL 9.5.2021, BBC 9.5.2021, NYT 9.5.2021, TN 8.5.2021).

Auch wird Korruption als ein Problem des afghanischen Bildungssektors genannt (HRW 30.6.2020). Lehrer sind oftmals unterqualifiziert und das Lernumfeld für die Kinder inadäquat. Die Anzahl der Lehrer korreliert zudem nicht mit der Anzahl an Schülern und ist regional ungleich verteilt (EASO 4.2019). Es besteht der Verdacht, dass Lehrposten aufgrund von Nepotismus und Bestechung vergeben werden (SIGAR 30.1.2019). Insbesondere in den Provinzen wird der Lehrberuf aufgrund der niedrigen Bezahlung und der Sicherheitsrisiken als wenig attraktiv wahrgenommen (EASO 4.2019).

Kinderhäuser und Waisenhäuser

Letzte Änderung: 11.06.2021

Afghanistan hat die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten (AA 16.7.2020). Trotz Verbesserungen mangelt es nach wie vor an einer wirksamen Regelung zur Verhinderung von Kinderarbeit. Nach afghanischem Recht ist das Mindestalter für eine Erwerbstätigkeit 18 Jahre, jedoch können Kinder zwischen 15 und 17 Jahren arbeiten, wenn „die Arbeit nicht schädlich ist, weniger als 35 Stunden pro Woche beträgt und eine Form der Berufsausbildung darstellt“. Kinder unter 14 Jahren dürfen nicht arbeiten (EASO 4.2019). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 sind insbesondere zwei Faktoren zentral: 1.) ob eine Familie intakt ist, oder bedeutsame Ernährer der Familie (Väter) fehlen; 2.) ist auch die Haltung der Familien, insbesondere der Eltern, gegenüber Kinderarbeit und Bildung von Bedeutung (APPRO 4.2018).

Viele Familien, insbesondere die mit weiblichem Oberhaupt, sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen (AA 16.7.2020; vgl. ILO 2018). Daher ist eine konsequente Umsetzung des Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt Programme, die es Kindern erlauben sollen, neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z.B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) sind gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt. Viele Kinder sind unterernährt. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 16.7.2020).

Im Jahr 2014 haben laut AIHRC (Children’s Situation Summary Report vom 14.Dezember 2014) 51,8% der Kinder in Afghanistan auf die ein oder andere Weise gearbeitet (AA 16.7.2020). Die CSO (Central Statistics Organization) [Anm.: jetzt NSIA, Statistikbehörde Afghanistans] schätzte den Anteil der arbeitenden Kinder gemäß der Definition von Kinderarbeit der International Labour Organization (ILO) unter den fünf- bis 17-Jährigen im Zeitraum 2013-14 auf 26,5%. Gemäß der Definition von Kinderarbeit durch UNICEF waren nach CSO-Schätzung im selben Zeitraum 29,4% der fünf- bis 17-Jährigen in Kinderarbeit involviert, wobei UNICEF - anders als ILO - auch Tätigkeiten im Haushalt berücksichtigt. Bei beiden Definitionen von Kinderarbeit lag der Anteil der arbeitenden Buben (ILO: 32,7%; UNICEF: 34,1%) über jenem der Mädchen (ILO: 19,6%; UNICEF: 24,2%). Kinderarbeit ist unter IDPs weiter verbreitet, als in anderen Bevölkerungsschichten (NRC 27.9.2018).

Arbeitsgesetze sind meist unbekannt und Vergehen werden oftmals nicht sanktioniert. Arbeitende Kinder sind besonders gefährdet, Gewalt oder sexuellen Missbrauch zu erleiden. Dies kann durch den Arbeitgeber, aber auch durch andere Personen geschehen. Für Kinder, welche ungeschützt im öffentlichen Raum arbeiten, besteht beispielsweise ein erhöhtes Risiko von Entführungen, sexuellen Übergriffen und in manchen Fällen auch Tötungen (APPRO 4.2018).

Neben Kinderarbeit, welche ausschließlich dem Gelderwerb dient, existieren in Afghanistan auch Beschäftigungsverhältnisse von Kindern, welche sich an einem Lehrmodell orientieren. Eltern geben ihre Kinder dabei bei einem Arbeitgeber in die Lehre, um dem Kind das Erlernen eines Berufs zu ermöglichen. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 erfüllen viele Arbeitgeber ihre Pflichten gegenüber den Kindern und behandeln diese entsprechend, jedoch können Arbeitgeber bei Vergehen gegenüber den Kindern kaum zur Rechenschaft gezogen werden (APPRO 4.2018).

Beobachtungen verschiedener Organisationen, darunter IOM, Weltbank, UNICEF und ILO, deuten darauf hin, dass Kinderarbeit während der COVID-19-Krise für viele Familien zu einem Bewältigungsmechanismus geworden ist. Mit Stand März 2021 sind staatliche Schulen geschlossen, was die Situation für die Kinder verschlechtert und sie zwingt, Vollzeit zu arbeiten (IOM 18.3.2021; vgl. UNICEF 12.6.2020). In Koordination mit dem Afghanistan Protection Cluster (APC) führte IOM 1.659 Haushaltsbefragungen bei undokumentierten Rückkehrern durch, um die Auswirkungen von COVID-19 auf das Umfeld des Schutzes in elf Provinzen zu untersuchen. Vorläufige Ergebnisse weisen auf eine Zunahme der Kinderarbeit an einigen Orten hin: Ghor und Sar-i-Pul waren die Provinzen mit den höchsten Raten, welche im Juni 2020 ihren Höchststand erreichten (mit 81% bzw. 63%) (IOM 23.9.2020; vgl. GPC 5.5.2020).

Waisenhäuser

Die Lebensbedingungen in afghanischen Waisenhäusern sind schlecht. Laut NGOs sind bis zu 80% der vier- bis 18-Jährigen in den Waisenhäusern keine Waisen, sondern Kinder, deren Familien nicht für ihre Verpflegung, Unterkunft oder Bildung sorgen können. Kinder in Waisenhäusern berichteten von psychischem, physischem und sexuellem Missbrauch, manchmal werden sie auch zu Opfern von Menschenhandel. Sie haben keinen regelmäßigen Zugang zu Wasser, Heizung im Winter, Sanitäranlagen innerhalb des Hauses, Gesundheitsleistungen, Freizeiteinrichtungen oder Bildung (USDOS 30.3.2021).

Sexueller Missbrauch und körperliche Züchtigung von Kindern

Letzte Änderung: 11.06.2021

Obwohl gesetzlich verboten, bleibt die körperliche Bestrafung in Schulen, Rehabilitationszentren und anderen öffentlichen Einrichtungen weit verbreitet (USDOS 30.3.2021; vgl. APPRO 4.2018, UNSC 29.3.2019). Dem afghanischen Strafgesetzbuch zufolge, stehen Kindesmissbrauch und -vernachlässigung unter Strafe. Körperliche oder geistige Züchtigung sowie Misshandlung eines Kindes können wie folgt bestraft werden: eine Geldstrafe von 10.000 Afghanis (rund 130 USD), bis zu einem Jahr Gefängnis, vorausgesetzt das Kind erleidet keine schweren Verletzungen oder Behinderung. Der Straftatbestand der Gefährdung des Lebens eines Kindes wird mit einer Strafe von ein bis zwei Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe von 60.000 bis 120.000 Afghanis (ca. 800 bis 1.600 USD) in bar geahndet (USDOS 30.3.2021).

In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, da die Mehrheit der Vorfälle nicht angezeigt wird. UNAMA konnte in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 aufgrund der mit dem Thema verbundenen gesellschaftlichen Befindlichkeiten lediglich vier Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, die strafrechtliche Verfolgung scheint nur in Einzelfällen stattzufinden (AA 16.7.2020; vgl. UNAMA 24.2.2019).

Die afghanische Polizei war im Jahr 2018 nur begrenzt zur Bekämpfung von Sexualverbrechen fähig, teilweise aufgrund der niedrigen Anzahl von Frauen in der Polizei (rund 1.8% der Kräfte). Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA in dieser Hinsicht 37 Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Fünf Vergewaltigungen und eine Zwangsheirat wurden von UNAMA bestätigt, welche von Konfliktparteien begangen wurden - unter anderem von Mitgliedern der Taliban sowie einer weiteren nicht identifizierten Person einer regierungsfeindlichen Gruppierung. In fünf von sechs Fällen wurden die Angeklagten von den Behörden belangt und verurteilt. UNAMA hat auch zwei Fälle von sexueller Gewalt gegen Buben durch Mitglieder der afghanischen Nationalpolizei überprüft; in einem Fall handelte es sich um Bacha Bazi (sog. „Tanzjungen“ auch „Knabenspiel“) (UNSC 29.3.2019).

Berichten zufolge kam zu Fällen von Misshandlung und sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch die Polizei. Minderjährige, welche sich in Missbrauchsfällen an die Polizei wandten, berichteten von weiterer Belästigung und Missbrauch durch Exekutivbeamte, insbesondere bei Fällen von Bacha Bazi, was Opfer davon abhielt, Vergehen zu melden (USDOS 30.3.2021). Es wird von sexuellen Übergriffen durch die Streitkräfte, der Afghan Local Police (ALP) und Afghan National Police (ANP) berichtet (HRC 28.1.2019; vgl. UNSC 29.3.2019; SIGAR 18.1.2018).

Bacha Bazi

Eine in Afghanistan praktizierte Form der Kinderprostitution ist Bacha Bazi, was in der afghanischen Gesellschaft in Bezug auf Jungen nicht als homosexueller Akt erachtet und als Teil der gesellschaftlichen Norm empfunden wird (AA 16.7.2020). Bacha Bazi ist eine Praxis, bei der Buben von reichen oder mächtigen Männern zur Unterhaltung, insbesondere Tanz und sexuellen Handlungen, ausgebeutet werden (UNAMA 24.2.2019, vgl. UNAMA 7.2020).

Mit einer Ergänzung zum Strafgesetz, die am 14.2.2018 in Kraft trat, wurde die Bacha-Bazi-Praxis erstmalig explizit unter Strafe gestellt (AA 16.7.2020). Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht (MoJ 15.5.2017). Aber auch hier verläuft die Durchsetzung des Gesetzes nur schleppend und Straflosigkeit der Täter ist weiterhin verbreitet. Missbrauchte Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung ausgeschlossen und stigmatisiert; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (AA 16.7.2020).

Üblicherweise sind die Buben zwischen zehn und 18 Jahren alt (SBS 20.12.2016); viele von ihnen werden weggegeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Buben wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. AA 16.7.2020).

Im Jahr 2020 wurden fünf Fälle von Bacha Bazi im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt dokumentiert (UNSC 30.3.2021).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer ergeben sich aus deren dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zu ihren Sprachkenntnissen, zu ihrem Aufwachsen in Afghanistan und im Iran, ihrer Schulbildung und Berufserfahrung sowie ihren familiären Verhältnissen in Afghanistan und insbesondere im Iran gründen sich auf die diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben der Beschwerdeführer. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen der Beschwerdeführer zu zweifeln.

Die Feststellung zur Ehe zwischen dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin nach traditionell-islamischen Ritus ergeben sich insbesondere aus deren Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA. Demnach gaben diese glaubwürdig an, im Iran vor zwölf Jahren geheiratet zu haben. Die Feststellung, dass die Dritt- und der Viertbeschwerdeführer die minderjährigen ledigen leiblichen Kinder des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin sind ergeben sich aus den Verwaltungsakten und den glaubhaften Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin vor dem BFA und dem BVwG.

Die Feststellung zum Aufenthaltsstaus der Beschwerdeführer in Österreich ergibt sich aus den in den jeweiligen Verfahrensakten einliegenden Bescheiden.

Die Feststellung zur Sozialisierung der Beschwerdeführer nach den afghanischen Gepflogenheiten, ergibt sich daraus, dass diese in Afghanistan – und später im Iran – in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen sind. Auch die Dritt- und der Viertbeschwerdeführer wachsen in Österreich in einem afghanischen Familienverband auf, ihre Muttersprache ist Dari, sie werden von ihren afghanischen Eltern (Erst- und Zweitbeschwerdeführerin) erzogen.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung sowie auf den Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

2.2. Zu den Feststellungen betreffend das Fluchtvorbringen:

2.2.1. Das vom Erstbeschwerdeführer erstattete Fluchtvorbringen, es drohe diesem bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung durch Kutschi konnte aus mehreren Gründen nicht festgestellt werden.

In diesem Zusammenhang erwähnte der Erstbeschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Einvernahme, dass sein Vater ein Grundstück in Ghazni gehabt habe. Kutschi sollen versucht haben, ihm das Grundstück wegzunehmen, sie hätten den Vater des Beschwerdeführers bedroht. Er sei dann gezwungen gewesen, Afghanistan zu verlassen. Der Beschwerdeführer gab ferner an, dass sein Bruder nach dessen Abschiebung vom Iran nach Afghanistan von den Kutschi getötet worden sei.

Vorauszuschicken ist, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung angab, er habe gemeinsam mit seinen Eltern Afghanistan wegen des Kriegs verlassen. Aus dem Iran sei er mit der Zweitbeschwerdeführerin geflüchtet, weil seine Kinder dort kein Aufenthaltsrecht bekommen hätten, sie hätten auch nicht die Schule besuchen können. Er sei immer wieder von der Polizei kontrolliert und belästigt worden, auch hätten ihn die Iraner schlecht behandelt.Das Gericht verkennt bei der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat. Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert § 19 Abs. 1 AsylG jedoch nicht. Im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen können Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben - unter Abklärung und in der Begründung vorzunehmender Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind – einbezogen werden (VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0607 bis 0608-12, VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0271, mwN). Es ist davon auszugehen, dass jemand, der ein derartig einschneidendes einmaliges Erlebnis erlebt hat, dieses auch in groben Zügen umgehend und gleichbleibend zu schildern vermag.

Das Fluchtvorbringen entbehrt aber auch aus anderen Gründen jeglicher Glaubwürdigkeit. So waren die Angaben des Erstbeschwerdeführers betreffend die Grundstücksstreitigkeiten zwischen den Kutschi und seinem Vater vage und oberflächlich. Er vermochte es in diesem Zusammenhang nicht, detailliertere Angaben zu machen, er beschränkte sich auf Gemeinplätze. So gab der Erstbeschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme lediglich sinngemäß an, dass sein Vater Afghanistan aufgrund von Problemen mit den Kutschi wegen Grundstücksstreitigkeiten verlassen habe. Im Jahr 1384 (=2005) sei dann der Bruder des Erstbeschwerdeführers getötet worden, vier Monate nach dessen Tod habe er und seine Familie davon erfahren. Er konnte jedoch keine genaueren Angaben zur Anzahl der Grundstücke seines Vaters in Afghanistan machen, auch konnte er keine detaillierteren Angaben machen, wie seine Familie versucht habe, die Grundstücke für sich zu gewinnen. Seine Angaben zum vorgebrachten Themenkomplex waren insbesondere in dessen niederschriftlicher Einvernahme unzureichend, er vermochte es nicht plausibel darzulegen, dass sein Vater tatsächlich wegen der behaupteten Grundstücksstreitigkeiten geflohen sei.

Auch waren die Angaben des Erstbeschwerdeführers betreffend die Grundstücksstreitigkeiten und den Tod des Bruders widersprüchlich. So gab er in seiner niederschriftlichen Einvernahme an, dass er nicht wisse, was mit der Leiche seines Bruders geschehen sei. In der mündlichen Verhandlung hingegen brachte der Erstbeschwerdeführer hierzu vor, dass die die Familie des Erstbeschwerdeführers informierenden Bekannten die Leiche des Bruders gesichtet hätten und demnach wissen würden, dass es sich bei der getöteten Person um den Bruder des Erstbeschwerdeführers gehandelt haben soll. Auch ist eine Steigerung in der Intensität des Fluchtvorbringens zwischen niederschriftlicher Einvernahme und mündlicher Verhandlung erkennbar. Während der Erstbeschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA noch nicht mit Sicherheit angab, dass die Kutschi seinen Bruder getötet hätten, spricht er in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG bereits von einer 100%igen Sicherheit, dass diese seinen Bruder umgebracht hätten.

Aber auch die Angaben des Erstbeschwerdeführers in dessen mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht lassen erhebliche Zweifel an der Plausibilität des von diesem vorgebrachten Fluchtvorbringen bestehen. Insbesondere vermochte es der Erstbeschwerdeführer nicht konkret darzulegen, wieso es die Kutschi gerade auf seine Familie abgesehen haben sollten, er brachte immer wieder das behauptete große Grundstück des Vaters ins Spiel. Er konnte keinerlei Hintergrundinformationen zum behaupteten Vorfall vorbringen, weder zur Flucht seines Vaters (und somit auch seiner Familie) aus Afghanistan noch zum Tod des Bruders. Ein mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmender Zusammenhang zwischen dem Tod des Bruders und den Kutschi wurde vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft vermittelt. Es ist vor allem nicht mit der allgemeinen Lebenserfahrung vereinbar, dass der Erstbeschwerdeführer keine genaueren Informationen zur Beziehung seiner Familie mit den Kutschi, zu den behaupteten Grundstücken und dem von ihm ins Treffen gebrachten Tod beziehungsweise den Umständen des Auffindens der Leiche seines Bruders darlegen kann.

Es ist außerdem zu erwähnen, dass auch die Zweitbeschwerdeführerin befragt zum Umstand, warum ihr Ehemann Afghanistan verlassen habe, keine genauen Angaben machen konnte. Sie sagte lediglich aus, dass es wegen Grundstücksstreitigkeiten gewesen sei. Es ist nicht nachvollziehbar, dass zwischen Eheleuten über Gründe, die zu einer Reise nach Europa führen, nicht zumindest grundsätzliche Informationen ausgetauscht werden.

Im Zusammenhang mit den Angaben des Erstbeschwerdeführers in dessen niederschriftlicher Erstbefragung und dem Umstand, dass dieser seinen verstorbenen Bruder weder unter dem Punkt „Familienangehörige“ angibt noch etwas hinsichtlich des Todes und der Grundstücksstreitigkeiten erwähnt, kann von einer Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens nicht ausgegangen werden. Auch in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA konzentrierte sich der Beschwerdeführer bei der Erzählung seines Fluchtgrundes primär auf die bereits im Verfahrensgang unter Punkt I.3. erwähnten Umstände, wonach Grund für seine Ausreise aus dem Iran die Probleme mit seiner Aufenthaltsberechtigung gewesen sein sollen.

Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konnte der Erstbeschwerdeführer sein Fluchtvorbringen nicht substantiiert und glaubhaft vorbringen.

Das Fluchtvorbringen konnte demnach nicht festgestellt werden; vielmehr muss das erkennende Gericht nach umfangreicher Beweiswürdigung davon ausgehen, dass keine Gründe zu der Annahme bestehen, dass der Bruder des Erstbeschwerdeführers von den Kutschi getötet wurde und dass der Vater des Erstbeschwerdeführers von den Kutschi verfolgt worden wäre, was ihn zur Ausreise in den Iran bewogen hätte.

2.2.2. Die Feststellungen zu Punkt II.1.1.2. ergeben sich aus den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren und insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG. Ihr Vorbringen (VP S. 8) war allgemein gehalten und bezog sich keineswegs auf ihr widerfahrene Situationen. Sie schilderte zu keinem Verfahrenszeitpunkt weder ein von ihr erlebtes konkretes Ereignis noch ihr oder anderen Familienangehörigen widerfahrene Eingriffe, Angriffe oder Verfolgungen.

2.2.3. Die Feststellung zur Zweitbeschwerdeführerin als eine nicht am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau, ergab sich aus ihren Angaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie aus dem persönlichen Eindruck, der von der Beschwerdeführerin in der Verhandlung gewonnen werden konnte.

Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen ließen, dass die Beschwerdeführerin in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") selbstbestimmte Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.

Der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht von der Zweitbeschwerdeführerin gewonnene Eindruck lässt nicht darauf schließen, dass es sich bei dieser um eine an Eigenverantwortung und (beruflicher wie sozialer) Selbstständigkeit interessierte Frau handelt. So gab diese befragt zu ihren Integrationsschritten beziehungsweise ihrem Tagesablauf an, dass sie ein Sprachcafe besuche, um Deutsch zu lernen. Sie bringe ihre Tochter in die Schule und ihren Sohn in den Kindergarten. Gerne gehe sie auch im Park spazieren. Am Nachmittag fahre sie mit ihren Kindern zu einem Badeteich.

Befragt, wer denn in der Familie über die finanziellen Mittel verfüge gab die Zweitbeschwerdeführerin sinngemäß an, dass ihr Mann arbeite und Geld auf sein Konto bekomme. Wenn sie einkaufen gehe, bekomme sie Geld von ihrem Mann.

Befragt zum Umstand, inwiefern sich ihr Leben seit ihrer Ankunft in Österreich geändert habe führt die Zweitbeschwerdeführerin aus, dass sie jetzt Fahrrad fahren könne, sie könne überall ohne Angst hingehen, sie könne Dinge erledigen. Sie sei frei, könne anziehen was sie wolle und rausgehen wann sie wolle. Sie gehe in den Park und mache Sport.

Auch in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab die Beschwerdeführerin an, dass sie manchmal ein Kopftuch trage, manchmal hingegen nicht. Mit in Österreich geltenden Frauenrechten habe sie sich noch nicht beschäftigt. Sie selbst finde das Konzept beziehungsweise Recht der freien Meinungsäußerung super, selbst habe sie dieses (sinngemäß) aber noch nicht ausgeübt. Befragt zum Umstand, was sie von anderen nach Afghanistan zurückkehrenden Frauen unterscheide, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, dass sich ihr Kleidungsstil geändert habe, sie habe ihr Kopftuch weggegeben und sei jetzt frei.

Befragt zum Umstand, was sie tun würde, wenn ihr Mann gewalttätig ihr gegenüber wäre, antwortet die Zweitbeschwerdeführerin lediglich „Er wird es nicht machen“. Nach Wiederholen der Frage gab diese an, dass sie darüber noch nicht nachgedacht habe, verlassen würde sie ihn aber nicht, er müsse sich jedoch entschuldigen. Befragt zu ihrem Tagesablauf gab die Beschwerdeführerin in ihrer niederschriftlichen Einvernahme an, dass sie spazieren gehe, ihre Kinder in den Park bringe und für ihre Kinder koche. Der Tag vergehe dann schon.

Folglich ist festzuhalten, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius wahrnimmt, sie ist auf die Haushaltsführung, auf ihre Kinder und auf ihren Mann (den Erstbeschwerdeführer) beschränkt. Eine besondere Ausübung der Grundrechte und Freiheiten ist bei der Erstbeschwerdeführerin ebenso wenig erkennbar wie eine Ausschöpfung der Möglichkeiten, die ihr eine selbstbestimmte Lebensweise und ihr Aufenthalt in Österreich bieten. Für das erkennende Gericht entsteht aufgrund der gewonnenen Beweiswürdigung der Eindruck, dass die Beschwerdeführerin sich in ihrer Lebensführung nach wie vor lediglich nach ihrem Mann orientiert. Auch ist für das erkennende Gericht aufgrund der Angaben der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung und des hierbei gewonnenen Eindruckes sowie in der Einvernahme vor dem BFA keine konsequente Verinnerlichung eines westlich-modernen Kleidungsstils inhärent.

In Bezug auf die von der Beschwerdeführerin ins Treffen gebrachten Berufswünsche ist auch in der Gesamtschau mit den übrigen Beweisergebnissen keine Ernsthaftigkeit erkennbar. Hierzu gab ihr Mann an, dass sie Friseurin werden wolle, sie selbst wünsche sich den Beruf der Köchin beziehungsweise Konditorin. Auch wenn die Beschwerdeführerin erst ein Jahr in Österreich aufhältig ist, muss festgestellt werden, dass diese noch keine Anstalten in Richtung einer etwaigen Informationsbeschaffung betreffend ihre gewünschten beruflichen Entwicklungen gemacht hat. Insofern weichen die von ihr geäußerten Berufswünsche erkennbar von ihrer Lebenswirklichkeit ab.

Zusammenfassend ergab sich, dass die Beschwerdeführerin eine "westliche Orientierung", der eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Lebensweise immanent ist, weder verinnerlicht noch in ihrer alltäglichen Lebensführung verankert hat. Die Beschwerdeführerin ist eine zum Entscheidungszeitpunkt unselbständige Frau, mit lediglich geringen Deutschkenntnisse, die in Österreich nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius wahrnimmt. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck, den die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, ließ sich eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise", die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt, nicht ableiten.

2.2.4. Auch für eine mittlerweile eingetretene „Verwestlichung“ des Erstbeschwerdeführers gibt es keine nachhaltigen Argumente. Der BF machte weder einen Abfall vom islamischen Glauben geltend, noch sprechen seine Lebensumstände dafür, dass er sich mittlerweile so sehr an die westliche Kultur angepasst hätte, dass ihm in Afghanistan deswegen Verfolgung drohen würde. Auch ist der Aufenthalt des Erstbeschwerdeführers – wie auch jener der Zweitbeschwerdeführerin – in Österreich und Europa lediglich von einjähriger Dauer.

2.2.5. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass dem BF aufgrund einer Asylantragstellung oder aufgrund seines Auslandsaufenthaltes Repressalien von erheblicher Intensität drohen.

2.2.6. Auch ist eine Verfolgung der Beschwerdeführer in Afghanistan alleine aus Gründen ihrer Volksgruppen- beziehungsweise Religionszugehörigkeit als schiitische-Hazara angesichts der derzeit vorliegenden Länderberichte nicht gegeben.

Insbesondere unter Beiziehung der vorliegenden Länderberichte zum Fehlen entsprechend massiver religiöser und volksgruppenbezogener Diskriminierung gegenüber Angehörigen der Volksgruppe der Hazara, ist davon auszugehen, dass derzeit keine Anzeichen dafür vorliegen, dass die Beschwerdeführer einer massiven individuell konkret gegen sie gerichteten Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit in Afghanistan ausgesetzt wären.

Auch in Abstimmung mit den aktuellen Ereignissen in Afghanistan durch den Vormarsch und die Machtergreifung der Taliban kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine generelle Verfolgung von schiitischen Hazara abgeleitet werden. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass es im Juli 2021 zu einer Tötung von neun männlichen Angehörigen der Volksgruppe der Hazara gekommen ist, kann daraus aber mangels ausreichender Evidenz nicht zum Schluss kommen, dass alle Angehörigen der Volksgruppe der Hazara zum Entscheidungszeitpunkt Verfolgungshandlungen von erheblicher Intensität in ganz Afghanistan ausgesetzt sind beziehungsweise in naher Zukunft ausgesetzt sein werden.

2.2.7. Die Feststellung zu Punkt II.1.2.7. ergibt sich aus den vorliegenden Länderberichten und aus den Angaben der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren. Eine spezifische Gefährdung der Dritt- und des Viertbeschwerdeführers aufgrund deren Situation als Kinder ergibt sich aus den Länderberichten nicht, insbesondere nicht, wenn diese mit ihren Eltern im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren würden. Auch angesichts der aktuellen Situation betreffend die Machtergreifung ist kann eine Gefahr aus diesen Umständen mangels hinreichender Evidenz nicht prognostiziert oder abgeleitet werden

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell, insbesondere sind die aktuellen sicherheitsrelevanten Entwicklungen unter Punkt II.1.5. angeführt sodass auf die sich dynamisch verändernde Sicherheits- und Menschenrechtslage in Afghanistan möglichst zeitnah eingegangen werden kann.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides - Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

"Status des Asylberechtigten

(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

..."

3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.3. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde, kommt dem Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers, im Falle der Rückkehr nach Afghanistan von den Kutschi verfolgt zu werden, keine Glaubwürdigkeit zu. Es liegt beim Erstbeschwerdeführer keine Verfolgungsgefahr aufgrund einer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie vor.

3.1.4. Auch droht der Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan keine asylrelevante Verfolgung aufgrund ihres Geschlechtes. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein.

Bezogen auf Afghanistan führt die Eigenschaft des Frau-Seins an sich gemäß der ständigen Judikatur der Höchstgerichte nicht zur Gewährung von Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet, wenn diese in einem wesentlichen Bruch zu den in Afghanistan gelebten Werten führt und daher Sanktionen nach sich ziehen würde; es ist daher zu prüfen, ob westliches Verhalten oder westliche Lebensführung derart angenommen und wesentlicher Bestandteil der Identität einer Frauen geworden ist, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015).

Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, führt dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0301 - 0306, mwN). Die in der Rechtsprechung behandelte Verfolgung von Frauen mit westlicher Orientierung wird darin gesehen, dass solche Frauen, obwohl ihr westliches Verhalten oder ihre westliche Lebensführung ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dieses Verhalten unterdrücken müssten (VwGH vom 13.11.2019, Ra 2019/18/0303).

3.1.5. Im Fall der Zweitbeschwerdeführerin konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass diese seit ihrer Einreise nach Österreich im August 2020 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt, somit eine "westliche" Lebensführung angenommen hat, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden wäre und mit der sie mit den sozialen Gepflogenheiten des Heimatlandes brechen würde.

3.1.6. Auch beim Erstbeschwerdeführer liegt keine europäische oder "westliche" Lebenseinstellung seiner Person, die zu einer Gefährdung führen könnte, vor. Auch EASO bewertet in seinen Leitlinien das Risikopotential von Männern, welche als "verwestlicht" angesehen werden könnten, im Allgemeinen als minimal (EASO Kapitel Common analysis: Afghanistan). Es sind nach den zitierten Länderinformationen keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa Opfer von Gewalttaten wurden.

Auch die Dritt- und der Viertbeschwerdeführer haben als in einen funktionierenden Familienverband eingebundene Minderjährige keine unmittelbare konkrete Verfolgung aufgrund ihres jugendlichen Alters zu befürchten.

3.1.7. Eine auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu prognostizierende, individuelle und konkret gegen die Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung aus einem in der GFK genannten Grund aufgrund ihrer Eigenschaft als Rückkehrer aus Europa oder damit verbundenen Asylantragstellung kann aus den vorliegenden Länderberichten nicht abgeleitet werden.

3.1.8. Es konnte auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit der Beschwerdeführer zu den schiitischen Hazara festgestellt werden.

In Ermangelung von den Beschwerdeführern individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob sie im Herkunftsland Afghanistan aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur Religionsgruppe der Schiiten - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wären.

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der schiitischen Hazara im Falle seiner Einreise nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht erkennen:

Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Es wurde zwar eine steigende Anzahl von Angriffen gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige registriert, wovon ein Großteil der zivilen Opfer schiitische Muslime waren. Die Angriffe haben sich jedoch nicht ausschließlich gegen schiitische Muslime, sondern auch gegen sunnitische Moscheen und religiöse Führer gerichtet, sodass die Angriffe keine spezifische Verfolgung schiitischer Muslime darstellen, sondern auf die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen zurückzuführen sind.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

Auch unter Beiziehung der aktuellen Länderberichte und der Machtergreifung der Taliban kann das erkennende Gericht derzeit mangels ausreichender Evidenz nicht zum Schluss kommen, dass schiitische Hazara gegenwärtig und in näherer Zukunft Verfolgungshandlungen von erheblicher Intensität ausgesetzt sind beziehungsweise sein werden.

Es liegen daher derzeit keine Anzeichen für eine Gruppenverfolgung - sowohl in Hinblick auf die Religions- als auch die Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara und Schiiten in Afghanistan vor.

3.1.9. Aufgrund der getroffenen Feststellungen zur Lage der Herkunftsregion der Beschwerdeführer ist auch sonst nicht darauf zu schließen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem der Gründe nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK vorliegen.

3.1.10. Auch eine asylrelevante Verfolgung der minderjährigen Dritt- bzw. des minderjährigen Viertbeschwerdeführers aufgrund dessen spezifischer Situation als Kinder kann aus den gegenwärtig vorliegenden Länderberichten weder abgeleitet noch für die nähere Zukunft prognostiziert werden.

3.1.11. Die Beschwerden sind zu diesem Spruchpunkt daher als unbegründet abzuweisen.

 

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

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