BVwG W259 2234855-1

BVwGW259 2234855-12.8.2021

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W259.2234855.1.00

 

Spruch:

W259 2234855-1/15E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike RUPRECHT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) I. Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von 3 Jahren erteilt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der 28-jährige Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, brachte am 24.02.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

2. Am selben Tag fand eine Erstbefragung durch die Sicherheitsbehörden statt. Bei dieser gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er nicht zum Militär einrücken habe wollen. Auch die kurdische Armee habe gewollt, dass er für sie kämpfe, was er aber nicht gewollt habe. Er möchte weder töten noch getötet werden (AS 25).

3. Bei seiner ersten Einvernahme vor dem BFA am 26.02.2020 wurde der Beschwerdeführer zu seiner Identität befragt (AS 73 ff). Am 18.05.2020 wurde der Beschwerdeführer erneut einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er vom syrischen Regime wegen des Militärdienstes gesucht werde. Nachdem die Türken in Syrien einmarschiert seien, hätten die Kurden junge Männer gesucht, damit diese mit ihnen kämpfen würden. Die PKK habe ihn verhaftet und zusammengeschlagen. Er sei in einem Bus mit anderen Personen nach XXXX gebracht worden. Er sei eine Woche dort geblieben und danach geflohen (AS 155 f).

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die gegenständliche fristgerecht erhobene Beschwerde. In der Beschwerdebegründung wurde insbesondere ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer in Syrien Verfolgung aufgrund seiner politischen Gesinnung sowie aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der männlichen Syrer, die sich im wehrdienstfähigen Alter befinden würden und den verpflichtenden Wehrdienst noch nicht abgeleistet hätten, drohe (AS 401).

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15.03.2021 in Anwesenheit einer beeideten Dolmetscherin für die Sprache Arabisch und im Beisein des rechtskundigen Vertreters des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er trägt den im Spruch angeführten Namen, ist am XXXX im Dorf XXXX in der Nähe der Stadt XXXX in der Provinz Al-Hasaka geboren und dort aufgewachsen. Der Beschwerdeführer verließ Syrien im Februar 2020 illegal über die syrische-türkische Grenze.

Der Beschwerdeführer hat in Syrien die Schule besucht. Er hat die Höhere Technische Lehranstalt für Gas- und Erdöl in XXXX in der Provinz Al-Hasaka abgeschlossen und zwei Jahre lang als Techniker in einer staatlichen Ölfirma gearbeitet. Danach hat er bis zu seiner Ausreise in seinem Heimatdorf Gelegenheitsarbeiten verrichtet und war in der Landwirtschaft tätig.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Ehefrau und Kinder leben seit Oktober 2020 in der Türkei. Zu seiner Familie zählen weiters seine Mutter, sieben Brüder, fünf Schwestern sowie Tanten und Onkel. Ein Bruder lebt in der Türkei, ein anderer im Libanon und ein weiterer Bruder, XXXX , befindet sich in Österreich. Die restlichen Verwandten leben in Syrien.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatte darüber hinaus keine Probleme mit Behörden. Er ist kein Mitglied von politischen Parteien und war bisher auch sonst politisch nicht aktiv.

1.2. Zum Fluchtgrund und zur Rückkehr:

Die Heimatregion des Beschwerdeführers steht unter kurdischer Kontrolle.

Im Oktober 2019 startete die Türkei eine Militäroperation im Nordosten Syriens. Um den Vorstoß türkischer Truppen und mit der Türkei verbündeter syrischer Rebellen zurückdrängen zu können, suchten die syrische Regierung und die kurdische YPG-Miliz nach RekrutInnen.

Der Beschwerdeführer befindet sich aktuell im wehrfähigen Alter und hat den Wehrdienst sowohl für die YPG als auch für das syrische Regime noch nicht abgeleistet.

Im Falle einer Rückkehr besteht für den 28-jährigen Beschwerdeführer die Gefahr, zum Militärdienst - sowohl zum kurdischen als auch zu jenem für das syrische Regime - eingezogen zu werden, was er ablehnt.

Der Beschwerdeführer hat sich vor seiner Ausreise aus Syrien dem kurdischen Militärdienst entzogen. Die YPG wollte den Beschwerdeführer zwangsrekrutieren, indem sie ihn im Dezember 2019 festnahmen. Vertreter des kurdischen Militärs kennen seine Identität. Die Weigerung, der YPG beizutreten kann schwerwiegende Konsequenzen, wie eine Inhaftierung haben. Die YPG sieht die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung von ISIS oder als Opposition zur YPG an. Aus der Familie des Beschwerdeführers hat noch niemand den Wehrdienst für die YPG abgeleistet.

1.3. Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom Dezember 2020:

Politische Situation

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 25.2.2019). Seit der Machtergreifung Assads haben weder Vater noch Sohn eine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017).

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba’ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).

Es gibt jedoch weiterhin Landesteile, in denen das syrische Regime effektiv keine Kontrolle ausübt, wenngleich auch dies einer gewissen Dynamik unterworfen ist: Der Nordwesten wird teilweise durch bewaffnete Gruppen, teilweise durch das Regime kontrolliert. Gebiete im Norden und Nordosten werden durch die Türkei und mit ihr verbündete bewaffnete Gruppen sowie – außerhalb des türkischen Einflussbereiches – durch die Syrian Democratic Forces (SDF) sowie seit Mitte Oktober teilweise durch das syrische Regime kontrolliert (AA 20.11.2019).

Die syrische Verfassung sieht die Ba’ath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 11.3.2020). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten der Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2018).

Wahlen in Syrien dienen nicht dazu, Entscheidungsträger zu finden, sondern dem Staat den Anschein eines demokratischen Verfahrens zu geben, Normalität zu demonstrieren und die Fassade von demokratischen Prozessen aufrechtzuerhalten (BS 29.4.2020).

2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 11.3.2020), wodurch dieser für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt wurde (WKO 11.2018). Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten. Sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch kritisiert, die syrische Opposition sprach von einer „Farce“ (Ha’aretz 4.6.2014).

Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten (IFK 10.2018; vgl. WKO 11.2018). Der Sieg von Assads Ba’ath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und Binnenvertriebene waren von der Wahl ausgeschlossen (WKO 11.2018).

Im Juli 2020 fanden nach zweimaligem Verschieben des Wahltermins aufgrund der COVID-19-Pandemie die dritten Parlamentswahlen seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs statt. Die herrschende Ba’ath-Partei von Präsident Bashar al-Assad gewann wie erwartet die Mehrheit. Die Ba’ath-Partei und deren Verbündete schlossen sich zum Bündnis der „Nationalen Einheit“ zusammen (DS 21.7.2020) und gewannen zumindest 177 der 250 Sitze (TWP 22.7.2020; vgl. AJ 22.7.2020), laut einer anderen Quelle 183 von 250 Sitzen (DS 21.7.2020). Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, die das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (TWP 22.7.2020). Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall wählen, und es gibt keine Liste der registrierten Wähler in Wahllokalen, somit gibt es keinen Mechanismus, um zu überprüfen, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Jede Partei oder jeder Kandidat, der kandidieren möchte, muss die Namen seiner Mitglieder nach denen der Ba’ath-Partei auflisten, so dass jeder, der kandidiert, automatisch die Namen der Ba’ath- Mitglieder in den Vordergrund rückt. Druckereien dürfen auf Anordnung des Geheimdienstes keine Listen ohne die Namen der Ba’ath-Kandidaten drucken. Daher ist jeder, der kandidiert, standardmäßig nur ein Zusatz zu den Ba’ath-Kandidaten (AAN/MEI 24.7.2020).

In den vergangenen Jahren hat das syrische Regime mit militärischer Unterstützung Russlands und Irans die Kontrolle über große Teile des Landes zurückerlangt (AA 20.11.2019; vgl. AJ 22.7.2020). Das Assad-Regime hat wiederholt öffentlich erklärt, dass die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes weiterhin sein erklärtes Ziel sei. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, jedoch weiter fort. Dies gilt insbesondere für den Nordwesten und Nordosten des Landes (AA 20.11.2019). Die Präsenz ausländischer Streitkräfte, die ihren politischen Willen geltend machen, untergräbt weiterhin die staatliche Souveränität, und Zusammenstöße zwischen bewaffneten regimefreundlichen Gruppen deuten darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Akteure vor Ort zu kontrollieren. Darüber hinaus hat eine aufstrebende Klasse wohlhabender Kriegsprofiteure begonnen, ihren wirtschaftlichen Einfluss und den Einfluss von ihnen finanzierter Milizen zu nutzen, und innerhalb der staatlichen Strukturen nach legitimen Positionen zu streben (BS 29.4.2020).

Durch die Eskalation des Syrien-Konfliktes verlagerte sich die Macht zu regieren in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zunehmend auf die Sicherheitskräfte. In Gebieten außerhalb der Kontrolle der Regierung ist dies nicht anders. Extremistische Rebellengruppierungen, darunter vor allem Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS), haben die Vorherrschaft in Idlib. Lokalräte werden von militärischen Einheiten beherrscht, die momentan unter der Kontrolle von HTS stehen. In den kurdischen Gebieten in Nordsyrien dominiert die Partei der Demokratischen Union (PYD). Obwohl es Lippenbekenntnisse zur Integration arabischer Vertreter in Raqqa und Deir ez-Zour gibt, ist die Dominanz der PYD bei der Entscheidungsfindung offensichtlich. Die PYD hat zwar eine Reihe von Verwaltungsorganen auf verschiedenen Ebenen eingerichtet, es ist jedoch ein kompliziertes System mit sich überschneidenden Zuständigkeiten, das es für die Bürger schwierig macht, sich an der Politik zu beteiligen, wenn sie nicht bereits in die Parteikader integriert sind (BS 29.4.2020). Die PYD [ihrerseits nicht von EU oder USA verboten, Anm.] gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (KAS 4.12.2018a).

2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die PYD gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine „zweite Front“ in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba’ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen „Rojava“ bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018a). Afrin im Nordwesten Syriens wird von der Türkei und alliierten syrischen oppositionellen Milizen kontrolliert (BBC 28.4.2020).

Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das nicht von islamistischen, sondern von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär (KAS 4.12.2018a). Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syriens (KAS 4.12.2018a; vgl. BS 29.4.2020). Die PYD hat sich in den kurdisch kontrollierten Gebieten als die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat etabliert, ähnlich der hegemonialen Rolle der Ba’ath-Partei in der Nationalen Front (BS 2018). Ihr militärischer Arm, die YPG sind zudem die dominierende Kraft innerhalb des Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen (KAS 4.12.2018a).

Die syrische Regierung erkennt die kurdische Enklave oder Wahlen, die in diesem Gebiet durchgeführt werden, nicht an (USDOS 11.3.2020). Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, da die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019).

Türkische Militäroperationen in Nordsyrien

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation „Euphrates Shield“ in Syrien aktiv. Die Operation zielte auf zum damaligen Zeitpunkt vom sogenannten Islamischen Staat (IS) gehaltene Gebiete, sollte jedoch auch dazu dienen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) davon abzuhalten, ein autonomes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Die Türkei sieht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Bedrohung der türkischen Sicherheit (CRS 2.1.2019).

Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der Operation „Olive Branch“ die zuvor kurdisch kontrollierte Stadt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten, die anfällig für innere Machtkämpfe sind (Bellingcat 1.3.2019). Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der UN warnte, dass die Menschenrechtssituation in Orten wie Afrin, Ra’s al-’Ain und Tel Abyad düster, und Gewalt und Kriminalität weit verbreitet seien (UN News 18.9.2020).

Nachdem US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mit Hilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Der UN zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern (UN News 14.10.2019). Es gab Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS) kommt (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge seien in dem Gefangenenlager ’Ain Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (DZ 10.10.2019).

Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der „türkischen Aggression“ entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (TWP 15.10.2019). Das Regime ist jedenfalls in allen größeren Städten im Nordosten präsent (AA 19.5.2020).

Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine „Sicherheitszone“ in dem Gebiet zwischen Tal Abyad und Ra’s al-’Ain ein (SWP 1.1.2020; vgl. AA 19.5.2020), die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist (AA 19.5.2020).

Auch seit Ende der türkischen Militäroperation „Peace Spring“ im Oktober 2019 kommt es weiterhin vereinzelt zu Kampfhandlungen und Anschlägen (AA 19.5.2020). Im August 2020 wurde im Nordosten Syriens eine steigende Zahl von Übergriffen nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen, syrischer Regierungskräfte und der SDF im Süden der Kontaktlinie des Gebiets zwischen Tal Abyad und Ra’s al-’Ain gemeldet. Sowohl die SDF als auch die pro-Regime-Kräfte erlebten einen Anstieg der Zahl der Angriffe des IS. Haftanstalten, in denen IS-Kämpfer festgehalten werden, berichten von zunehmenden Unruhen mit immer wiederkehrenden Aufständen und versuchten Ausbrüchen (UN SC 20.8.2020).

Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an (USDOS 11.3.2020). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020, USDOS 11.3.2020, AA 20.11.2019). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden (AA 20.11.2019).

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 11.3.2020; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 11.3.2020). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 20.11.2019).

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod von Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik (USDOS 11.3.2020). Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 20.11.2019, SHRC 24.1.2019). Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) an unbekannten Orten fest (USDOS 11.3.2020). Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (MOFANL 7.2019).

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines „Freilassungsabkommens“ auszutauschen (SHRC 24.1.2019).

Im Sommer und Herbst 2018 wurden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe unspezifischer Todesursachen (Herzversagen, Schlaganfall etc.). Berichten zufolge sind die Todesfälle auf Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötungen zurückzuführen (AA 20.11.2019; vgl. SHRC 24.1.2019). Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien (HRW 14.1.2020).

Zehntausende Menschen sind weiterhin verschwunden, die Mehrheit seit 2011. Unter ihnen befinden sich humanitäre Helfer, Anwälte, Journalisten, friedliche Aktivisten, Regierungskritiker und -gegner sowie Personen, die anstelle von Verwandten, die von den Behörden gesucht wurden, inhaftiert wurden (AI 18.2.2020). In Gebieten, die unter der Kontrolle der Opposition standen und von der Regierung zurückerobert wurden, darunter Ost-Ghouta, Dara’a und das südliche Damaskus, verhafteten die syrischen Sicherheitskräfte Hunderte von Aktivisten, ehemalige Oppositionsführer und ihre Familienangehörigen, obwohl sie alle Versöhnungsabkommen mit den Behörden unterzeichnet hatten, in denen garantiert wurde, dass sie nicht verhaftet würden (HRW 14.1.2020).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits seit der Ära von Hafez al-Assad gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agierte Berichten zufolge mit Brutalität und Missbräuchen gegen Personen in seiner Gefangenschaft in oder in der Nähe der schrumpfenden Gebiete, die er 2019 kontrollierte (USDOS 11.3.2020).

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 12.8.2020; vgl. AA 20.11.2019, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Nach dem Ausbruch des Konfliktes stellte die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten, welche den verpflichtenden Wehrdienst geleistet hatten, ein (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). 2018 wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren. Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch auch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020).

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (STDOK 8.2017).

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Unter anderem besteht aufgrund der Kämpfe in Idlib ein hoher Bedarf an Rekruten und Reservisten. Nach Gebietsgewinnen im Sommer 2018 rekrutieren die syrischen Streitkräfte nun vermehrt in diesen Gebieten. Während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsieht, hat die syrische Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt (DIS 5.2020) [Anm.: zum Wehrdienst bei Einheiten der SDF siehe Kapitel „Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)“.]

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020).

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020). Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). So errichtet die Militärpolizei beispielsweise in Homs stichprobenartig und nicht vorhersehbar Straßenkontrollen. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara’a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Weiters rekrutieren die syrischen Streitkräfte in Lagern für Binnenvertriebene (DIS 5.2020).

Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).

Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).

Befreiung und Aufschub

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020).

Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, mittlerweile wird der Status der Studenten jedoch aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren (STDOK 8.2017). Einem Bericht zufolge wurden gelegentlich Studenten trotz einer Befreiung bei Checkpoints rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern im Militärdienstalter (18-42 Jahre), einschließlich registrierter Palästinenser aus Syrien, eine Gebühr zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Diese Option gilt jedoch nur für Personen mit Wohnsitz im Ausland. Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, können einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (DIS 5.2020; vgl. EB 9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD (DIS 5.2020; vgl. AA 13.11.2018). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen (DIS 10.2019). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).

Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten (DIS 5.2020).

Es gibt kein Gesetz, welches eine Befreiungsgebühr für Reservisten vorsieht. Einer Quelle zufolge kann ein Reservist den Militärdienst umgehen, indem er den verantwortlichen Offizier besticht, der dann registriert, dass der Reservist bereits dient (DIS 5.2020).

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 10.6.2020). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018).

Wehrdienstverweigerung

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an oder tauchte unter (DIS 5.2020). Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft [Anm.: die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort]. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 20.11.2019). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018), was von einer Quelle mit dem Bedarf der syrischen Regierung nach Verstärkung in Verbindung gebracht wird. Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020).

Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8,000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020).

Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017). Neben anderen Personengruppen sind insbesondere auch Wehrdienstverweigerer bzw. Deserteure Ziel der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 19.5.2020; vgl. DIS 5.2020).

Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (STDOK 8.2017).

Unterschiedliche Quellen berichten von unterschiedlichen Konsequenzen für Deserteure und Überläufer. Während eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, habe die syrische Regierung jedoch ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an Kräften an der Front festgenommene Deserteure unter Umständen vor dem Militärgericht zu kurzen Haftstrafen verurteilt. Eine andere Quelle berichtet jedoch, dass Deserteure üblicherweise von Einheiten des syrischen Geheimdienstes inhaftiert würden, womit sie dem Risiko von Folter und Verschwindenlassen ausgesetzt sein können. Auch berichtet eine weitere Quelle, dass Tötungen und Exekutionen von Deserteuren weiterhin stattfinden, zum Beispiel während der Offensive in Idlib im Jahr 2020 (DIS 5.2020).

Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen (STDOK 8.2017; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 20.11.2019; vgl. FIS 14.12.2018, DIS 5.2020). Auch in den „versöhnten Gebieten“ sind Männer im entsprechenden Altermit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem einer Quelle zufolge viele Deserteure und Überläufer, denen durch die Versöhnungsabkommen Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).

Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)

Die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen geschieht im Allgemeinen auf freiwilliger Basis. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018; vgl. DRC/DIS 8.2017). Der soziale Druck sich diesen Gruppierungen anzuschließen, ist jedoch stark. In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Ein weiterer Hauptgrund für das Eintreten in diese Gruppierungen ist, dass damit der Wehrdienst in der Armee umgangen werden kann. Die Mitglieder können so in ihren oder in der Nähe ihrer lokalen Gemeinden ihren Einsatz verrichten und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen. Die syrische Armee hat jedoch begonnen, diese Milizen in die Strukturen der syrischen Armee zu integrieren (FIS 14.12.2018), indem sie Mitglieder der Milizen, welche im wehrfähigen Alter sind, zum Beitritt in die syrische Armee zwingt (MEI 18.7.2019). Dadurch ist es unter Umständen nicht mehr möglich, durch den Dienst in einer lokalen Miliz die Rekrutierung durch die Armee oder den Einsatz an einer weit entfernten Front zu vermeiden (FIS 14.12.2018). Auch aufgrund der deutlich höheren Bezahlungder Milizmitglieder stießen die laufenden Bemühungen, Milizen in die syrische Armee zu integrieren, auf erheblichen Widerstand (MEI 18.7.2019). Regierungstreue Milizen haben sich außerdem an Zwangsrekrutierungen von gesuchten Wehrdienstverweigerern beteiligt (FIS 14.12.2018).

Was die oppositionellen Milizen in Syrien betrifft, so ist die Grenze zur Zwangsrekrutierung ebenfalls nicht klar. Die Frage ist, ob man sich dem Druck seitens der Milizen und der Gesellschaft entziehen kann. Zwangsrekrutierung per se durch Milizen ist nicht dokumentiert, aber Nötigung und sozialer Druck, sich den Milizen anzuschließen, sind in von oppositionellen Gruppen gehaltenen Gebieten ein Problem. So herrscht z.B. in Idlib, wo es zahlreiche Gruppierungen gibt, großer Druck sich einer bewaffneten Gruppierung anzuschließen, wobei auch die Bezahlung eine Motivation darstellen kann (STDOK 8.2017).

Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)

Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind die bewaffneten Einheiten der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) (TNA 17.6.2020; vgl. DZO 13.1.2019). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig (AA 20.11.2019). Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst für Männer von 18 bis 30 Jahren (MOFANL 7.2019; vgl. EB 7.12.2019). Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes.Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Kontrollposten und auch zu Ausforschungen. Die Autonomiebehörden dürften laut der Österreichischen Botschaft Damaskus eine Verweigerung aber nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB 29.9.2020). Laut UNHCR kann die Weigerung, den YPG beizutreten, Berichten zufolge schwerwiegende Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten Personen sowie Zwangsrekrutierung, da die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung des sogenannten Islamischen Staates oder als Opposition zu PYD/YPG interpretiert werden kann (UNHCR 3.11.2017).

Mehrfach ist es zu Fällen gekommen, in denen Männer von der YPG rekrutiert werden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (Savelsberg 3.11.2017).

Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten leisten, wobei es gleichzeitig Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen (AA 20.11.2019) und minderjährigen Mädchen gibt (Savelsberg 3.11.2017; vgl. HRW 11.10.2019, UNGASC 20.6.2019). Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, diese wieder zu verlassen (IWPR 29.3.2018; vgl. Savelsberg 3.11.2017).

Rückkehr

Im Juli 2020 zählte die syrische Bevölkerung geschätzte 19,4 Millionen Menschen (CIA 12.8.2020).

Im Jahr 2019 registrierte UNOCHA in Syrien rund 1,8 Millionen Binnenvertriebene. Ca. 500.000 Binnenvertriebene kehrten in diesem Jahr dagegen zurück. Im ersten Halbjahr 2020 wurden rund 1,6 Millionen Menschen innerhalb Syriens vertrieben, während rund 310.000 in diesem Zeitraum zurückkehrten (UNOCHA 7.9.2020). Mit Ende September 2020 waren 5.565.954 Personen in den Nachbarländern Syriens und in Nordafrika als syrische Flüchtlinge registriert. 2019 sind laut UNHCR insgesamt etwa 95.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt, im Zeitraum Jänner-Juli 2020 waren es rund 22.000 (UNHCR 23.9.2020). Weder IDPs noch Flüchtlinge sind notwendigerweise in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele unterschiedliche Faktoren die Rückkehrmöglichkeiten beeinflussen. Ethno-religiöse, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle, wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber Gemeinden, die der Opposition zugeneigt sind (FIS 14.12.2018). Eine Studie der Weltbank ergab, dass die Sicherheitslage in Syrien ein wesentlicher Bestimmungsfaktor bei Rückkehrentscheidungen ist. Flüchtlinge kehren mit geringerer Wahrscheinlichkeit in Distrikte zurück, in welchen es zu intensiven Kämpfen kam. Auch die geringe Versorgung mit Bildung, Gesundheit und grundlegenden Dienstleistungen in Syrien hält Personen von einer Rückkehr ab. Die Bedingungen im Gastland haben komplexe Auswirkungen auf Rückkehrentscheidungen, wobei eine geringere Lebensqualität im Gastland die Rückkehrwahrscheinlichkeit nicht immer erhöht (WB 2020). Als wichtiger Grund für eine Rückkehr wurde auch der Wunsch nach Familienzusammenführung genannt (UNHCR 7.2018). Neben der allgemein volatilen Sicherheitslage bleibt mangelnde persönliche Sicherheit verbunden mit der Angst vor staatlicher Repression weiterhin das wichtigste Hindernis für eine Rückkehr (AA 19.5.2020; vgl. SACD 21.7.2020, ICG 13.2.2020). Rückkehrüberlegungen von syrischen Männern werden auch von ihrem Wehrdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019).

Über die Zustände, in welche die Flüchtlinge zurückkehren und die Mechanismen des Rückkehrprozesses ist wenig bekannt. Da Präsident Assad die Kontrolle über große Gebiete wiedererlangt, sind immer weniger Informationen verfügbar (EIP 6.2019). UNHCR erhält vom Regime auch im zehnten Jahr des Konflikts nur stark eingeschränkten Zugang in Syrien und kann daher weder ein umfassendes Monitoring zur Lage von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherstellen noch einen Schutz ihrer Rechte gewährleisten. Dennoch bemüht sich UNHCR, Beispiele von Rechtsbrüchen zu sammeln, nachzuverfolgen und gegenüber dem Regime zu kommunizieren. Mittlerweile wurde ein Mechanismus zur Meldung solcher Fälle durch UNHCR beim Regime eingerichtet (AA 19.5.2020). Die Behandlung von Einreisenden ist stark vom Einzelfall abhängig und über den genauen Wissensstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer gibt es keine gesicherten Kenntnisse (ÖB 29.9.2020).

Bereits im Jahr 2017 haben die libanesischen Behörden trotz des Konfliktes und begründeter Furcht vor Verfolgung vermehrt die Rückkehr syrischer Flüchtlinge gefordert. Eine kleine Anzahl von Flüchtlingen ist im Rahmen lokaler Abkommen nach Syrien zurückgekehrt. Diese Rückkehrbewegungen werden nicht von UNHCR überwacht. Einige Flüchtlinge kehren aufgrund der harschen Politik der Regierung ihnen gegenüber und sich verschlechternden Bedingungen im Libanon nach Syrien zurück, und nicht weil sie der Meinung sind, dass Syrien sicher sei. Gemeinden im Libanon haben Tausende von Flüchtlingen in Massenausweisungen/Massenvertreibungen ohne Rechtsgrundlage oder ordnungsgemäßes Verfahren vertrieben. Zehntausende sind weiterhin der Gefahr einer Vertreibung ausgesetzt (HRW 17.1.2019). Obwohl die wirtschaftliche Lage vieler syrischer Flüchtlinge in Jordanien schwierig ist (TN 1.10.2019; SD 6.5.2020), sind aufgrund der Sicherheitslage und wirtschaftlichen Situation in Syrien bislang nur eine geringe Zahl Syrer wieder nach Syrien zurückgekehrt (SD 6.5.2020). Die Türkei beherbergt nahezu vier Millionen syrische Flüchtlinge. Im Juli 2019 änderte sich die Einstellung der türkischen Regierung ihnen gegenüber. Nach maßgeblichen Verlusten bei lokalen Wahlen und mit dem Wunsch die Kontrolle der Regierung über die Situation zu demonstrieren begannen türkische Sicherheitskräfte syrische Flüchtlinge zusammenzutreiben und sie in die türkischen Provinzen, in denen sie registriert waren, zurückzuschicken, bzw. einige von ihnen abzuschieben und andere zu ermutigen, in die von der Türkei kontrollierten Gebiete in Nordsyrien, einschließlich der Konfliktzone Idlib, zu ziehen (SWP 5.2.2020). Laut NGO-Berichten haben die türkischen Behörden Flüchtlinge immer wieder festgenommen und sie gezwungen, „freiwillige“ Rückkehrdokumente zu unterzeichnen, manchmal durch Schläge und Drohungen (SJAC 8.10.2020).

Syrische Flüchtlinge, unabhängig von politischer Ausrichtung, müssen Berichten zufolge vor ihrer Rückkehr weiterhin eine Überprüfung durch die syrischen Sicherheitsdienste durchlaufen (AA 19.5.2020). Flüchtlinge, die beispielsweise aus dem Libanon nach Syrien zurückkehren möchten, müssen dies bei den lokalen Sicherheitsbehörden melden und diese leiten den Antrag an die syrischen Behörden weiter (IT 19.8.2018; vgl. ICG 13.2.2020). Ein Punkt, der nach wie vor schwer zu ermitteln ist, ist der Anteil der Antragsteller, denen die Rückkehr nicht genehmigt wurde (ICG 13.2.2020). Er wird von den verschiedenen Quellen mit 5% (SD 16.1.2019), 10% (Reuters 25.9.2018), bis hin zu 30% (ABC 6.10.2018) angegeben. In vielen Fällen wird auch Binnenvertriebenen die Rückkehr in ihre Heimatgebiete nicht erlaubt (USDOS 11.3.2020).

Gründe für eine Ablehnung können (wahrgenommene) politische Aktivitäten gegen die Regierung bzw. Verbindungen zur Opposition oder die Nicht-Erfüllung der Wehrpflicht sein (Reuters 25.9.2018; vgl. ABC 6.10.2018, SD 16.1.2019). Einige Beobachter und humanitäre Helfer behaupten, dass die Bewilligungsrate für Antragsteller aus Gebieten, die als regimefeindliche Hochburgen identifiziert wurden, nahezu Null ist (ICG 13.2.2020). Kriterien und Anforderungen, um ein positives Ergebnis zu erhalten, sind nicht bekannt. Es gibt Berichte, denen zufolge Rückkehrer trotz positiver Sicherheitsüberprüfung Opfer willkürlicher Verhaftung, Folter oder Verschwindenlassens geworden und vereinzelt in Haft ums Leben gekommen sein sollen (AA 19.5.2020).

Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden, und darum die Genehmigung zur Rückkehr nicht erhalten, sind aufgefordert ihren „Status zu klären“, bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). Um im Falle der Rückkehr einer Verhaftung zu entgehen, versuchen Syrer, Informationen über ihre Sicherheitsakte zu erhalten und diese, wenn möglich, zu bereinigen. Persönliche Kontakte und Bestechungsgelder sind die gängigsten Mittel und Wege zu diesem Zweck, doch aufgrund ihrer Informalität und der Undurchsichtigkeit des syrischen Sicherheitssektors sind solche Informationen und Sicherheitsfreigaben nicht immer zuverlässig, und nicht jeder kann sie erhalten (ICG 13.2.2020).

Der Sicherheitssektor kontrolliert den Rückkehrprozess in Syrien. Die Sicherheitsdienste institutionalisieren ein System der Selbstbeschuldigung und Informationsweitergabe über Dritte, um große Datenbanken mit Informationen über reale und wahrgenommene Bedrohungen aus der syrischen Bevölkerung aufzubauen. Um intern oder aus dem Ausland zurückzukehren, müssen Geflüchtete umfangreiche Formulare ausfüllen (EIP 6.2019).

Gesetz Nr. 18 von 2014 sieht eine Strafverfolgung für illegale Ausreise in der Form von Bußgeldern oder Haftstrafen vor. Entsprechend einem Rundschreiben wurde die Bestrafung für illegale Ausreise jedoch aufgehoben und Grenzbeamte sind angehalten, Personen, die illegal ausgereist sind, „bei der Einreise gut zu behandeln“. Einem syrischen General zufolge müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren möchten, in der entsprechenden syrischen Auslandsvertretung „Versöhnung“ beantragen und unter anderem angeben, wie und warum sie das Land verlassen haben und Angaben über Tätigkeiten in der Zeit des Auslandsaufenthaltes etc. machen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen dem General zufolge dort ein „Versöhnungsformular“ ausfüllen (DIS 6.2019).

Laut International Crisis Group (ICG) führen unabhängig davon, welchen administrativen Weg ein rückkehrwilliger Flüchtling wählt, die Sicherheitsfreigabe (oder die Verweigerung einer solchen) des zentralen Geheimdienstapparat in Damaskus stellt das endgültige Urteil dar, ob es einem Flüchtling möglich ist sicher nach Hause zurückzukehren. Zwar schützt der Genehmigungsprozess potenzielle Rückkehrer nicht vor Misshandlung durch die Milizen oder zukünftiger Verfolgung, trägt jedoch dazu bei, die Unsicherheit zu verringern, mit der sie konfrontiert sind, und nimmt ihnen damit ein Element der Abschreckung (ICG 13.2.2020).

Syrer benötigen in unterschiedlichen Lebensbereichen eine Sicherheitsfreigabe von den Behörden, so z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäftes, eine Eheschließung und Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnsitz zu wechseln, für Wiederaufbautätigkeiten oder auch, um eine Immobilie zu kaufen (FIS 14.12.2018; vgl. EIP 6.2019). Die Sicherheitsfreigabe kann auch Informationen enthalten, z.B. wo eine Person seit dem Verlassen des konkreten Gebietes aufhältig war. Der Genehmigungsprozess könnte sich einfacher gestalten für eine Person, die in Damaskus aufhältig war, wohingegen der Aufenthalt einer Person in Orten wie Deir ez-Zour zusätzliche Überprüfungen nach sich ziehen kann. Eine Person wird für die Sicherheitserklärung nach Familienmitgliedern, die von der Regierung gesucht werden, befragt, wobei nicht nur Mitglieder der Kern- sondern auch der Großfamilie eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018).

Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens erlaubt die Regierung die Wohnsitzänderung aktuell nicht. Wenn es darum geht, wer in seinen Heimatort zurückkehren kann, können einem Experten zufolge ethnisch-konfessionelle aber auch praktische Motive eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018). Ehemalige Bewohner von Homs müssen auch Jahre nach der Wiedereroberung durch die Regierung noch immer eine Sicherheitsüberprüfung bestehen, um in ihre Wohngebiete zurückkehren und ihre Häuser wieder aufbauen zu können (TE 28.6.2018; vgl. CMEC 15.5.2020). Syrer, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht an jedem Ort, der unter Regierungskontrolle steht, niederlassen. Die Begründung eines Wohnsitzes ist nur mit Bewilligung der Behörden möglich (ÖB 21.8.2019). Das syrische Innenministerium kündigte Anfang 2019 an, keine Sicherheitserklärung mehr als Voraussetzung für die Registrierung eines Mietvertrages bei Gemeinden zu verlangen (SLJ 29.1.2019; vgl. ÖB 10.5.2019), sondern Mietverträge werden dort registriert und die Daten an die Sicherheitsbehörden weitergeleitet (ÖB 10.5.2019), sodass die Sicherheitsbehörden nur im Nachhinein Einspruch erheben können. Abgesehen von Damaskus wurde dies bisher nicht umgesetzt (ÖB 21.8.2019). Außerhalb von Damaskus muss die Genehmigung nach wie vor eingeholt werden. Auch hinsichtlich Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten nicht erlaubt wurde, sich in Damaskus niederzulassen. Die Niederlassung ist dementsprechend – für alle Gebiete unter Regierungskontrolle – von einer Zustimmung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB 29.9.2020).

Einige zuvor von der Opposition besetzte Gebiete sind für Personen, die in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren möchten, praktisch abgeriegelt. In anderen versucht das Regime, die Rückkehr der ursprünglichen Bevölkerung einzuschränken, um ein (Wieder-)Entstehen des sozialen Umfelds, das den Aufstand verursachte, zu verhindern. Einige Gebiete, die nominell vom Regime kontrolliert werden, wie Dara’a, die Stadt Deir ez-Zour und Teile von Aleppo und Homs, sind für Rückkehrer unwirtlich, nämlich aufgrund der schweren Zerstörungen, der Herrschaft übergriffiger regimefreundlicher Milizen und der die Sicherheitslage betreffenden Aspekte, wie Angriffe durch den sogenannten Islamischen Staat (IS), oder infolge einer Kombination aus allen drei Aspekten (ICG 13.2.2020).

Eine Reihe von Vierteln in Damaskus bleibt teilweise oder vollständig geschlossen, selbst für Zivilisten, welche die Wohnviertel nur kurz aufsuchen wollen, um nach ihren ehemaligen Häusern zu sehen (SD 19.11.2018). Beispielsweise durften Bewohnerinnen und Bewohner des palästinensischen Camps Yarmouk in Damaskus auch zwei Jahre, nachdem das Regime die Kontrolle wiedererlangt hat, weitgehend noch nicht zurückkehren (EB 8.7.2020), bzw. erhielten nach Angaben von Aktivisten bislang nur wenige Familien mit Verbindungen zu regierungsfreundlichen Milizen und ältere Bewohner die Erlaubnis, zurückzukehren (MEI 6.5.2020).

Sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch die Vereinten Nationen prangern umstrittene Wohn- und Eigentumsgesetze des Regimes an, die, wie beispielsweise das Dekret Nr. 42/2018 oder das Gesetz Nr. 10, zur Enteignung von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen führen können. Der Wiederaufbau schreitet nur langsam voran. Insbesondere große Teile der syrischen Städte sind im Konfliktverlauf zerstört worden. Auch mittel- bis langfristig werden sie nicht bewohnbar sein. Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge reißt das Regime beschädigte Häuser und Wohnungen in ehemaligen Oppositionsgebieten ab (AA 19.5.2020; BS 29.4.2020).

Es ist wichtig, dass Rückkehrer in ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann auf ein soziales Netzwerk und/oder ihren Stamm zurückgreifen können. Jenen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, fehlt ein solches Sicherheitsnetz (MOFANL 7.2019).

Es ist schwierig, Informationen über die Lage von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer (TN 10.12.2018), oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern (TN 10.12.2018; vgl. TWP 2.6.2019, FP 6.2.2019). Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen der Regierung nicht mehr mit Journalisten (TN 10.12.2018) oder sogar mit Verwandten sprechen, nachdem sie nach Syrien zurückgekehrt sind (SD 16.1.2019; vgl. TN 10.12.2018). Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es, wohl auch aufgrund deren geringen Zahl, keine Angaben (ÖB 29.9.2020).

Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form als regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle, wie einem Checkpoint, von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Personals am Kontrollpunkt oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite zu gewärtigen haben, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter. Zu als oppositionell oder regierungsfeindlich angesehenen Personen gehören einigen Quellen zufolge unter anderem medizinisches Personal, insbesondere wenn die Person in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet gearbeitet hat, Aktivisten und Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren, oder Informationen oder Fotos von Geschehnissen in Syrien, wie Angriffe der Regierung, verbreitet haben sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Einer Quelle zufolge kann es sein, dass die Regierung eine Person, deren Vergehen als nicht so schwerwiegend gesehen wird, nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit festnimmt (FIS 14.12.2018).

Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Checkpoint beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. In einem Ort, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, zu wohnen oder von dort zu stammen kann den Verdacht des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018).

Laut ICG ist nicht immer klar, wen die syrische Regierung als Gegner ansieht, bzw. kann sich dies im Laufe der Zeit auch ändern. Demnach gibt es keine Gewissheit darüber, wer vor einer Verhaftung sicher ist. Viele Flüchtlinge, mit denen ICG Gespräche führte, berichteten, dass der Verzicht auf regimefeindliche Aktivitäten keine sichere Rückkehr garantiert (ICG 13.2.2020).

Es wurde regelmäßig von Verhaftungen von und Anklagen gegen Rückkehrer gemäß der Anti- Terror-Gesetzgebung berichtet, wenn diesen Regimegegnerschaft unterstellt wird. Diese Berichte erscheinen laut deutschem Auswärtigem Amt glaubwürdig, konnten im Einzelfall aber nicht verifiziert werden (AA 13.11.2018).

Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, exil-politische Tätigkeiten auszuspähen und darüber zu berichten (ÖB 29.9.2020; vgl. TWP 2.6.2019). Es gab Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste mit Drohungen gegenüber noch in Syrien lebenden Familienmitgliedern Druck auf in z.B. Deutschland lebende Verwandte ausübten (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exil-politischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen (STDOK 8.2017). Der Sicherheitssektor nützt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um, wie in der Vergangenheit, lokale Informanten zur Informationsgewinnung und Kontrolle der Bevölkerung zu institutionalisieren. Die Regierung weitet ihre Informationssammlung über alle Personen, die nach Syrien zurückkehren oder die dort verblieben sind, aus. Historisch wurden Informationen dieser Art benutzt, um Personen, die aus jedwedem Grund als Bedrohung für die Regierung gesehen werden, zu erpressen oder zu verhaften (EIP 6.2019). Das Schreiben eines „taqrir“ (Bericht), d.h. die Meldung von Personen an die Sicherheitsbehörden, ist seit Jahrzehnten Teil des Lebens im ba’athistischen Syrien, der laut ICG auch unter den Flüchtlingen im Libanon fortbesteht. Motive sind dabei persönliche Bereicherung, Begleichen von Rechnungen oder Vermeidung selbst zur Zielscheibe zu werden. Sogar Regimebeamte geben zu, dass Verhaftungen aufgrund unbegründeter Denunziationen erfolgen (ICG 13.2.2020).

Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen, die nach Syrien zurückgekehrt waren (IT 17.3.2018). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört – inklusive Geflüchteten, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrten, IDPs aus von der Opposition kontrollierten Gebieten, und Personen, die in durch die Regierung wiedereroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterschrieben haben. Sie wurden gezwungen, Aussagen über Familienmitglieder zu machen und in manchen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019; vgl. EIP 6.2019).

Daten der Vereinten Nationen weisen darauf hin, dass 14% von mehr als 17.000 befragten IDP- und Flüchtlingshaushalten, die im Jahr 2018 zurückgekehrt sind, während ihrer Rückkehr angehalten oder verhaftet wurden, 4% davon für über 24 Stunden. In der Gruppe der (ins Ausland) Geflüchteten wurden 19% verhaftet. Diese Zahlen beziehen sich spezifisch auf den Heimweg und nicht auf die Zeit nach der Rückkehr (EIP 6.2019).

Syrische Flüchtlinge benötigen für die Heimreise üblicherweise die Zustimmung der Regierung und die Bereitschaft, vollständige Angaben über ihr Verhältnis zur Opposition zu machen. In vielen Fällen hält die Regierung die im Rahmen der „Versöhnungsabkommen“ vereinbarten Garantien nicht ein, und Rückkehrer sind Schikanen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden oder auch Inhaftierung und Folter ausgesetzt, mit dem Ziel Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019).

Nach Einschätzung des Hochkommissariats für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind die Bedingungen für eine umfassende Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien in Sicherheit und Würde aufgrund weiter bestehender signifikanter Sicherheitsrisiken für die Zivilbevölkerung in ganz Syrien weiterhin nicht gegeben. Dies führt UNHCR v.a. auf fehlende Fortschritte bei der Erfüllung der Mindestkriterien für Rückkehr, die es in den „Protection Thresholds“ definiert, zurück (AA 19.5.2020).

1.3.2. Auszug aus dem UNHCR-Bericht: Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien – „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, Stand: Februar 2017:

Personen, die sich einem Schießbefehl widersetzten, desertierten oder einer geplanten Desertion verdächtigt wurden, werden in der Regel nicht formell angeklagt. Stattdessen wurden sie entweder zum Zeitpunkt der Desertion umgehend hingerichtet oder willkürlich inhaftiert, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und extralegal hingerichtet. Andere wurden nach einer Untersuchung zurück in ihre Einheit geschickt. Regierungskräfte griffen bei Verhaftungskampagnen in Gebieten, in denen ihrer Wahrnehmung nach die Opposition unterstützt wurde, gezielt Angehörige von Deserteuren heraus. Das Eigentum von Deserteuren wurde durch Plünderung und Brandstiftung zerstört. Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandte) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise − einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt – misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet. Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln.

Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als „Tauschobjekte“ für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.

1.3.3. Auszug aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen 5. aktualisierte Fassung vom November 2017:

In seinen Richtlinien „zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2017 geht UNHCR u.a. von folgenden „Risikoprofilen“ aus:

 Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen (u.a. Wehrdienstverweigerer)

Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen:

Die syrische Regierung hat schon vor dem Ausbruch des aktuellen Konflikts abweichende politische Meinungen nicht bzw. nur in sehr begrenztem Umfang geduldet. Auf die im März 2011 aufkommenden Protestbewegungen der Opposition und die sich anschließenden bewaffneten Aufstände reagierte die Regierung Berichten zufolge mit massiver Unterdrückung und Gewalt. Bei der Frage, wo die politische Opposition beginnt, wendet die Regierung laut Berichten sehr weite Kriterien an: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung in jeglicher Form – so auch friedliche Proteste, die organisiert oder spontan im Rahmen einer politischen Partei oder auf individueller Ebene virtuell im Internet oder auf der Straße kundgetan wurden – führten Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen. Es wurde berichtet, dass zahlreiche Mitglieder oppositioneller Parteien, Teilnehmer von Protesten gegen die Regierung, Aktivisten, Wehrdienstentzieher und Deserteure, bestimmte Berufsgruppen (z.B. Journalisten und Bürgerjournalisten, Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen, Ärzte, Hochschuldozenten) und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, durch Vergeltungsmaßnahmen in Form von Reiseverboten, Enteignungen, Zerstörung ihres Privateigentums, Zwangsvertreibungen, willkürlichen Verhaftungen, Isolationshaft, Folter und sonstigen Formen der Misshandlung sowie summarischen und extra-legalen Hinrichtungen bestraft wurden. Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden Berichten zufolge häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben.

Seit 2011 wird in zahlreichen Berichten von weitverbreiteten und systematischen willkürlichen Festnahmen und dem Verschwindenlassen von Männern und männlichen Jugendlichen berichtet, wovon insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, sunnitische Araber aus Gebieten betroffen sind, die derzeit oder früher von oppositionellen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden bzw. wurden. Berichten zufolge werden sie aufgrund ihrer vermeintlichen Teilnahme an Kämpfen gegen die Regierung, ihrer vermeintlichen Unterstützung bewaffneter Gruppen oder ganz allgemein wegen ihrer vermeintlich oppositionellen Ansichten ins Visier genommen. Die Festnahmen beruhen laut Meldungen oft allein darauf, dass ein Mann oder Junge aus einem Gebiet stammt, das mit der Opposition in Verbindung gebracht wird. Die weitverbreiteten Festnahmen finden Berichten zufolge vor allem an Kontrollstellen, bei Razzien in wiedereroberten Gebieten und bei Evakuierungen statt, jedoch auch an öffentlichen Orten (einschließlich Krankenhäusern, Behörden, Flughäfen und Grenzübergängen). Bei Männern, die sich dem Wehrdienst entzogen haben oder desertiert sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Oppositionelle wahrgenommen und verhaftet, zwangsrekrutiert und schwer misshandelt werden. Wie aus Berichten hervorgeht, meiden deshalb syrische Männer im wehrfähigen Alter − so auch männliche Jugendliche − Kontrollstellen der Regierung, da sie befürchten, misshandelt und getötet zu werden oder unter Zwang zu verschwinden.

Berichten ist zu entnehmen, dass die Regierung im Allgemeinen weiterhin Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zumindest zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, mit der bewaffneten Opposition in Verbindung bringt. Dies ist Berichten zufolge Teil einer umfassenden Politik, die Zivilpersonen aufgrund ihrer Verbindungen ins Visier nimmt, wenn sich die Betroffenen in einem Gebiet aufhalten oder aus einem Gebiet stammen, das als regierungsfeindlich angesehen wird und/oder dem Lager der bewaffneten Opposition zugerechnet wird. Es wurde gemeldet, dass Zivilpersonen in diesen Gebieten zahlreichen Bestrafungen unterzogen wurden. Dies beinhaltet Massenverhaftungen, Folter, sexuelle Gewalt insbesondere der Einsatz von Vergewaltigungen als Kriegswaffe, extra-legale Hinrichtungen durch die Streitkräfte der Regierung und regierungsnahe Gruppen im Rahmen von Bodenoffensiven, Hausdurchsuchungen und an Kontrollstellen sowie umfassenden Artilleriebeschuss und Luftangriffe.

Es wurde gemeldet, dass die Regierung zahlreiche Gebiete, die unter der Kontrolle bewaffneter oppositioneller Gruppen stehen, belagert hat und auf diese Weise Zivilpersonen von der Grundversorgung – z. B. von Lebensmitteln und medizinischer Versorgung – abgeschnitten hat. Personen, die Nahrungsmittel oder andere Grundversorgungsgüter in belagerte Gebiete transportierten oder versuchten, aus einem belagerten Gebiet zu fliehen, wurden Berichten zufolge schikaniert, festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. Die Belagerungstaktik der Regierung in Gebieten, die von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert werden, zielt Berichten zufolge darauf ab, die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten zu bestrafen, die Unterstützung der bewaffneten Regierungsgegner in der Bevölkerung zu unterminieren und Zivilisten und Kämpfer zum Aufgeben zu zwingen.

Laut Berichten sind die Regierungstruppen im Rahmen lokaler Waffenstillstandsvereinbarungen zunehmend dazu übergegangen, die Zivilbevölkerung aus belagerten, von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrollierten Gebieten zu evakuieren, nachdem sie diese Gebiete zuvor über lange Zeiträume belagert und bombardiert haben. Im Rahmen von lokalen Waffenstillstandsvereinbarungen in Barza, Tishreen, Qabun und den „Vier Städten“ (Madaya und Zabadani in der Provinz Damaskus-Umgebung und Fu’ah und Kefraya in der Provinz Idlib) hat die unabhängige internationale Untersuchungskommission dokumentiert, wie regierungsnahe Truppen von einzelnen Personen, die sich ergeben hatten, verlangt haben, sich einem Versöhnungsverfahren zu unterziehen und der Regierung Treue zu geloben, damit sie in den betreffenden Gebieten bleiben können, während oppositionelle Einzelpersonen und Kämpfer von diesem Verfahren ausgeschlossen wurden und im Rahmen von organisierten Evakuierungen aus den Gebieten deportiert wurden.

Laut der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission werden solche Evakuierungen von der Regierung strategisch eingesetzt, um Bevölkerungstransfers auf der Grundlage politischer Loyalitäten zu erzwingen und die (vermeintlichen) Anhänger der Opposition in ein Gebiet im Nordosten des Landes zu verbannen. Die Untersuchungskommission stellt fest, dass die Evakuierungen in einigen Fällen mit Zwangsvertreibungen von Zivilpersonen gleichzusetzen sind. In Gebieten, die die Regierung von bewaffneten oppositionellen Gruppen zurückerobert hat, hat sie Berichten zufolge zahlreiche Personen verhaftet, insbesondere Männer und Jungen über zwölf Jahren, von denen sie vermutete, dass sie die oppositionellen Gruppen unterstützen oder mit ihnen sympathisieren.

1.3.4. Auszug aus ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Gebiete unter kurdischer Selbstverwaltung: Wehrdienst bei den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel, YPG; People’s Protection Units): Verpflichtung, Konsequenzen bei Weigerung [a-11060] vom 14.08.2019:

Konsequenzen bei Wehrdienstverweigerung; Fälle von Zwangsrekrutierung

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) berichtet in einer im November 2017 veröffentlichten Aktualisierung seiner Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, unter Berufung auf mehrere Quellen von 2017 Folgendes zur Rekrutierungspraxis der YPG:

„Es wurde gemeldet, dass YPG und Asayish in den Gebieten, die de facto unter ihrer Kontrolle stehen, Zwangsrekrutierungen und Rekrutierungen von Minderjährigen vornehmen. Die Weigerung, den YPG beizutreten, kann Berichten zufolge schwerwiegend Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten Personen sowie Zwangsrekrutierung, da die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung von ISIS oder als Opposition zu PYD/YPG interpretiert werden kann. Es wurden einige Fälle gemeldet, in denen die Familienangehörigen von Personen, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzten oder aus anderem Grund verdächtigt wurden, mit ISIS in Verbindung zu stehen, von den YPG ins Visier genommen wurden.“ (UNHCR, 3. November 2017, S. 55-56)

Das ägyptische Nachrichtenportal Arabi 21 berichtet im Jänner 2019, dass laut örtlichen Quellen in Nordsyrien die kurdischen Volksverteidigungseinheiten ihre Zwangsrekrutierungskampagne in der Stadt Raqqa und ihrer Umgebung ausgeweitet hätten. Dies sei vor dem Hintergrund der Drohungen der Türkei, die Region einzunehmen, geschehen. Aktivisten hätten in sozialen Netzwerken Fotos einer Kundmachung der öffentlichen Verwaltung zur Wehrdienstpflicht gepostet. Junge Männer, die im Norden der Provinz Al- Raqqa (Ain Eissa) und im Osten der Provinz Aleppo (Ain Al-Arab/Kobane) wohnhaft seien und den Jahrgängen 1986 bis 2001 angehören würden, würden darin aufgefordert, ihren Wehrdienst zu leisten. Sie müssten sich bis zum 10. Jänner bei den Rekrutierungsbüros melden, sonst würden ihnen eine Geldstrafe und eine Verlängerung des einjährigen Wehrdienstes um einen Monat drohen. Gleichzeitig hätten kurdische Einheiten in der Provinz Al-Hasaka angekündigt, den Wehrdienst derer, deren Dienstzeit zu Ende gehe, „aufgrund der Notwendigkeit in der derzeitigen Lage“ um einen Monat zu verlängern. (Arabi 21, 2. Jänner 2019)

Noonpost, eine von einem Netzwerk arabischer JournalistInnen betriebene Webseite, die unter anderem Beiträge freiwilliger Bürgerjournalisten aus Syrien veröffentlicht, berichtet im Jänner 2019 ebenfalls über die von Einheiten der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) durchgeführte Rekrutierungskampagne in der Provinz Al-Raqqa. Nachdem die SDF bei ihrer Offensive gegen die Gruppe Islamischer Staat (IS) viele Kämpfer verloren hätten, habe man mit dieser Kampagne die Reihen wieder auffüllen wollen. Die Bewohner der Region hätten diese Rekrutierungen abgelehnt. Junge Männer seien daher von den Einheiten zum Zweck der Rekrutierung unter anderem bei Hausdurchsuchungen festgenommen worden. Es wird ebenfalls die oben bereits erwähnte Kundmachung zur Rekrutierung der Jahrgänge 1986 bis 2001 erwähnt. (Noonpost, 29. Jänner 2019)

Der oppositionelle syrische Onlinesender Halab Today berichtet im März 2019, dass Einheiten der YPG Razzien und Festnahmen durchgeführt hätten, die darauf abgezielt hätten, junge Männer zum Wehrdienst zu rekrutieren. Auch die Stadt Al-Malikiya in der Provinz Al-Hasaka sei von solchen Rekrutierungskampagnen betroffen gewesen. Dort habe es ebenfalls Hausdurchsuchungen und Festnahmen gegeben. Für das Jahr 2019 hätten die SDF die Jahrgänge 1986 bis 2001 für den Wehrdienst vorgesehen. (Halab Today, 15. März 2019)

Watan FM, ein syrischer oppositioneller Radiosender, berichtet im Mai 2019, dass laut Angaben von lokalen Quellen Mitglieder der Sicherheitskräfte Asayish und der Militärpolizei in der Provinz Al-Hasaka eine Reihe von Personen festgenommen und sie in Rekrutierungslager gebracht hätten. Bei einer Hausdurchsuchung in einer Schule in Daradscha seien zehn Lehrer festgenommen worden. In den Tagen zuvor hätten die SDF, deren Rückgrat die kurdischen Einheiten bilden würden, in den Gebieten unter ihrer Kontrolle im Nordosten Syriens Dutzende Personen festgenommen, entweder weil man ihnen Mitgliedschaft beim IS vorgeworfen habe oder weil man sie zwangsrekrutiert habe (Watan FM, 22. Mai 2019).

1.3.5. Auszug aus ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), insbesondere in Qamischli [a-11189] vom 14.02.2020:

Zwangsrekrutierung durch YPG und YPJ (insbesondere in Qamischli)

Die in London ansässige Online-Nachrichtenorganisation Middle East Eye (MEE), die Artikel freiberuflicher Journalisten und Beiträge von Think Tanks veröffentlicht, hält in einem Artikel vom Oktober 2019 fest, dass die syrische Regierung und die kurdische YPG-Miliz auf der Suche nach RekrutInnen seien, um den Vorstoß türkischer Truppen und mit der Türkei verbündeter syrischer Rebellen zurückdrängen zu können. Laut Angaben eines aus Qamischli stammenden Syrers, der vor der türkischen Offensive geflohen sei, hätten sich die Regierung und die YPG junge Männer für den Militärdienst „geschnappt“ („snatching up young guys“). Nun, da er im Irak sei, so der Artikel, erzähle der Syrer ohne Zurückhaltung über die Situation in seiner Heimat Qamischli. Durch die türkischen Bombardements und die Möglichkeit, von der YPG oder der syrischen Armee gezwungen zu werden, für diese zu kämpfen, sei er dazu genötigt gewesen, das Land zu verlassen. Andere im irakischen Domiz-Lager, in dem sich Hussein nun befinde, seien vor den YPG geflohen („have fled the YPG“), allerdings schon Jahre zuvor: […]

Der Euro-Mediterranean Human Rights Monitor, eine in Belgien ansässige Nicht-Regierungsorganisation, hält in einem Bericht vom September 2019 fest, dass es Berichte über Entführungen dutzender Waisenkinder und hunderter Jugendlicher aus Flüchtlingslagern im Nordosten Syriens vonseiten der Syrian Democratic Forces (SDF) (von den YPG geführtes Militärbündnis, Anm. ACCORD) gebe. Diese würden anschließend in Rekrutierungslager verschleppt und von der Außenwelt abgeschnitten. Die SDF hätten vor kurzem mit Unterstützung der Internationalen Koalition zur Bekämpfung der Gruppe Islamischer Staat (IS) eine massive Kampagne zur Verhaftung arabischer Jugendlicher im syrischen Dschazira-Gebiet östlich des Euphrat gestartet. Die Jugendlichen seien in Zwangsrekrutierungslager in Ostsyrien, darunter die Lager von Tel Baidar, Tel Adas und Fodsch al-Hasaka, gebracht worden. Die SDF hätten wenige Tage vor Veröffentlichung des Berichts etwa 200 Kinder aus dem Lager al-Houl südöstlich von al-Hasaka entführt und sie in eines ihrer Lager verschleppt. Nach Angaben von Hilfsorganisationen seien die meisten der Kinder zwischen 13 und 16 Jahre alt, und es würden sich darunter auch Waisenkinder und Nichtsyrer befinden. Die Entführung dieser Kinder sei zeitlich mit dem Beginn einer Kampagne der SDF zusammengefallen, im Zuge derer arabische Jugendliche in den Städten Qamischli, Hasaka, Raqqa und Deir Ezzor in großem Stil verhaftet worden und gezwungen worden seien, sich an den so genannten "Selbstverteidigungskräften" der SDF zu beteiligen. Nach lokalen Berichten hätten die so genannte Militärpolizei und die Asayisch, die Sicherheitskräfte der SDF, in der Woche der Veröffentlichung des Berichts hunderte Jugendliche der arabischen Stämme festgenommen. Die Festnahmen hätten an zwei Checkpoints, Al-Numatli und Alaya, östlich der Stadt Qamischli, und an den Kontrollpunkten Sabbagh und Al-Sarafis, sowie an den Kreisverkehren Al-Quds Park, Marschu, al-Kahrabah und al-Naschwa in al-Hasaka stattgefunden. Die SDF hätten ähnliche weitere Verhaftungen arabischer Jugendlicher an den Checkpoints von al-Dschanubi, al-Saomaa, al-Petrol al-Scharqi und al-Kaziayyh al-Schamalyyah in der Stadt Tal Hamisin in ländlichen Gebieten der Provinz al-Hasaka durchgeführt. Eine große Zahl von Jugendlichen, die von der Zwangsrekrutierungskampagne betroffen gewesen seien, seien aus ihren unter der Kontrolle der SDF stehenden Dörfern geflohen und hätten in den von der syrischen Armee kontrollierten Stadtteilen der Städte al-Hasaka und Qamischli Zuflucht gesucht: […]

Die der syrischen Opposition nahestehende arabischsprachige Nachrichtenagentur SMART News Agency berichtet in einem Artikel vom 5. November 2019 unter Verweis auf Aussagen von Augenzeugen und lokalen Quellen, dass die YPG in der Stadt Raqqa zwölf junge Männer verhaftet hätten, die vom Wehrdienst innerhalb der SDF desertiert seien. Die SDF hätten in der Nähe der Stadt Raqqa bereits zuvor junge Männer verhaftet, um sie zu einer Rekrutierungsstelle der SDF zu bringen. (SMART News Agency, 5. November 2019)

In einem weiteren Artikel vom 10. November berichtet die SMART News Agency unter Verweis auf Militärquellen der kurdischen Asayisch von einem ähnlichen Fall, bei dem die YPG 30 junge Männer bei temporären Checkpoints in der Provinz Raqqa verhaftet hätten. Anschließend hätten sie die Männer zu einer Rekrutierungsstelle der SDF bei der Division 17 gebracht. (SMART News Agency, 10. November 2019)

Die englisch- und arabischsprachige syrische Zeitung Enab Baladi hält in einem Artikel vom Dezember 2019 unter anderem folgende Informationen zur Rekrutierungspraxis der SDF fest: Der Verkündung des Militärrekrutierungsgesetzes von 2014, das unter dem Namen „Pflicht zur Selbstverteidigung“ beschlossen worden sei, seien in al-Hasaka und Qamishli Verhaftungen junger Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren durch die Asayisch vorangegangen. Später, in der Phase, die auf das Ende des Kampfes in Kobane im November 2015 folgte, hätten die SDF größere Militäroperationen in Nord- und Ostsyrien durchgeführt und parallel dazu ihre Zwangsrekrutierungsoperationen in Gebieten wie Hasaka, Ayn al-Arab, Tell Abyad und Qamischli fortgesetzt, wobei auch Kinder und Minderjährige rekrutiert worden seien. Das Gesetz „Pflicht zur Selbstverteidigung“ sei bis heute (Artikel vom Dezember 2019) gültig, und der Rekrutierungsprozess gehe weiter, obwohl das Gesetz vonseiten der in den SDF-kontrollierten Gebieten lebenden Bevölkerung auf starke Ablehnung stoße. Es habe bereits mehrere Demonstrationen gegen Zwangsrekrutierungen gegeben, insbesondere auch Demonstrationen dagegen, dass ein großer Teil der jungen Männer, die die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hätten, um ihrer Wehrpflicht zu entgehen, nun Zwangsrekrutierung ausgesetzt seien, die in ihrer Methodik jener des syrischen Regimes ähneln würde. (Enab Baladi, 7. Dezember 2019)

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Arabisch. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren (AS 15 ff, 75 ff, 151 und 389 f; Seite 3 und 6 des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellungen zu seiner Fluchtreise konnten aufgrund der gleichlautenden und glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren festgestellt werden (AS 21 ff, 81 ff, 153 und 390; Seite 8 des Verhandlungsprotokolls).

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburts- und Aufenthaltsort, seinem Familienstand, seinen Familienangehörigen und deren Aufenthaltsort sowie zu seinem schulischen und beruflichen Werdegang sind chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen in Syrien plausibel. Die von dem Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang getätigten Angaben waren in Zusammenschau mit den vorgelegten syrischen Dokumenten im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei (AS 15 ff, 75, 79 ff, 85, 151, 155 und 390; Seite 6 f, 8 f und 16 des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer unbescholten ist und keine Probleme mit den österreichischen Behörden hatte, ergibt sich durch Einsichtnahme in einen aktuellen Strafregisterauszug und seinen glaubhaften Angaben im Verfahren (AS 152; Seite 8 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer gab auch nachvollziehbar an, dass er nicht Mitglied einer Partei oder politisch aktiv gewesen sei und im Herkunftsstaat nicht strafrechtlich verurteilt worden sei (AS 85, 155 und 157 f; Seite 8 des Verhandlungsprotokolls).

2.2. Zum Fluchtgrund und zur Rückkehr:

Dass die Heimatregion des Beschwerdeführers unter Kontrolle der Kurden befindet, ergibt sich aus der Einsicht in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com/ (Zugriff am 15.03.2021; vgl. Seite 8 des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellungen zur Situation in Nordostsyrien im Oktober 2019 ergeben sich zum einen aus den übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers und decken sich zum anderen auch mit den festgestellten Länderberichten (AS 155, 157 und 161; Seite 10 f des Verhandlungsprotokolls, vgl. Pkt. 1.3.1., 1.3.4. und 1.3.5.).

Dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr Gefahr läuft, zum Militärdienst durch die YPG eingezogen zu werden, basiert bereits auf den herangezogenen Länderfeststellungen, wonach für Männer von 18 bis 30 Jahren in Syrien in Gebieten, die unter der Kontrolle der kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) stehen, ein verpflichtender Militärdienst besteht.

Der Beschwerdeführer ist im wehrfähigen Alter und hat den Wehrdienst für die YPG noch nicht abgeleistet (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Seine in Syrien lebenden Brüder XXXX und XXXX sind nach den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers Schüler und aufgrund deren Alter nicht in den Militärdienst einberufen worden. Die Brüder XXXX und XXXX seien nicht mehr im wehrdienstfähigen Alter. Die Brüder XXXX und XXXX seien im Ausland und hätten sich dadurch der Zwangsrekrutierung durch die Kurden und durch das Regime entzogen. Sein Bruder XXXX , der sich in Österreich befinde, sei Reservist gewesen (Seite 8 und 11 des Verhandlungsprotokolls). Aufgrund dieser schlüssigen Angaben des Beschwerdeführers konnte festgestellt werden, dass aus der Familie des Beschwerdeführers noch niemand den Wehrdienst für die YPG abgeleistet hat.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer vor dem BFA zusammengefasst an, dass er vom syrischen Regime wegen des Militärdienstes gesucht werde. Nachdem die Türken in Syrien einmarschiert seien, hätten die Kurden junge Männer gesucht, damit diese mit ihnen kämpfen würden. Die PKK habe ihn verhaftet und zusammengeschlagen. Er sei in einem Bus mit anderen Personen nach XXXX gebracht worden. Er sei eine Woche dort geblieben und danach geflohen (AS 155 f und 160). Der Beschwerdeführer war in der Lage, sein Fluchtvorbringen ohne grobe Unstimmigkeiten vorzubringen. Insbesondere konnte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sein Fluchtvorbringen strukturiert und nachvollziehbar darlegen (Seite 9 f des Verhandlungsprotokolls). Sein Vorbringen lässt sich mit den Länderfeststellungen in Einklang bringen. Diesen ist unter anderem zu entnehmen, dass es in Ostsyrien Zwangsrekrutierungslager der YPG gebe – darunter das Lager von XXXX (vgl. Pkt. 1.3.5.). Ferner konnte er glaubhaft anführen, weshalb die YPG seinen Namen und Wohnadresse kenne und dass sich sein Personalausweis bei den Kurden befinde (AS 161; Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Somit konnte die Feststellung getroffen werden, dass der YPG die Identität des Beschwerdeführers bekannt ist. Aus einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren ergibt sich, dass der Beschwerdeführer den geschilderten Vorfall mit der YPG und die ihm drohende Zwangsrekrutierung durch die YPG glaubhaft machen konnte. Es waren daher die entsprechenden Feststellungen zu treffen.

Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, müssen Personen, die die Ableistung des Wehrdienstes verweigern, zur Strafe statt sechs Monaten, 15 Monate Wehrdienst leisten. Wie sich der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation a-11060 vom 14.08.2019 zu entnehmen ist, kann die Weigerung der Ableistung des Militärdienstes schwerwiegende Konsequenzen wie Entführung, Inhaftierung und Misshandlung haben. Die YPG sieht die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung oder als Ausdruck der Unterstützung von ISIS.

Der Beschwerdeführer verweigert die Ableistung des Wehrdienstes für die YPG, nachdem glaubhaft darstellen konnte, dass er aus dem Lager der YPG geflüchtet ist. Die Feststellung zur Ablehnung des Beschwerdeführers an Kämpfen beteiligt sein zu wollen, ergibt sich aus seinen stimmigen Angaben. So gab der Beschwerdeführer nachvollziehbar an, dass er weder für das Regime noch für die Kurden kämpfen, noch überhaupt eine Waffe tragen möchte. Er möchte nicht töten und nicht getötet werden und habe sich deswegen dem Zugriff beider Seiten entzogen (AS 25, 156 und 159; Seite 10 des Verhandlungsprotokolls).

Es ist daher glaubwürdig, dass im Falle einer Rückkehr für den 28-jährigen Beschwerdeführer die Gefahr besteht, zum Militärdienst durch die YPG eingezogen zu werden.

Dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr ebenfalls Gefahr läuft, durch das syrische Regime zum Militärdienst eingezogen zu werden, basiert auf den Länderfeststellungen, wonach Männer ab dem Alter von 18 Jahren dem verpflichtenden Wehrdienst unterliegen. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehrdienst befreit werden. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden. So gibt es Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was diese aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konflikts – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden. Außerdem werden Personen bei ihrer Einreise an der Grenzübergangsstelle (Landgrenze, Flughafen) untersucht, um festzustellen, ob sie im Zusammenhang mit sicherheitsbezogenen Vorfällen (wie Straftaten, tatsächliche oder vermeintliche regierungsfeindliche Aktivitäten oder Ansichten, Kontakte zu politischen Oppositionellen im Ausland, Einberufung etc.) gesucht werden. Dabei wird gleichzeitig auch überprüft, ob Männer im wehrfähigen Alter ihren Wehrdienst bereits geleistet haben.

In diesem Zusammenhang konnte der Beschwerdeführer während des gesamten Verfahrens schlüssig und widerspruchsfrei darlegen, dass er den Militärdienst beim syrischen Militär verschieben habe können, weil er von der Fachhochschule eine Bestätigung erhalten habe. Außerdem habe er bis 2015 gearbeitet und habe deswegen den Militärdienst nicht ableisten müssen. Im Jahr 2015 sei dann entschieden worden, dass auch die Fachkräfte den Wehrdienst ableisten müssten. Er habe zu dieser Zeit einen Einberufungsbefehl erhalten und sei deshalb nicht mehr zur Arbeit gegangen, nachdem er bei einer staatlichen Ölfirma gearbeitet habe (vgl. AS 157; Seite 16 des Verhandlungsprotokolls; OZ 3).

Dem Beschwerdeführer droht in Syrien bei einer nunmehrigen Rückkehr daher auch die reale Gefahr, als Mann im wehrfähigen Alter zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden. Es waren daher die entsprechenden Feststellungen zu treffen.

2.3. Zu den Länderfeststellungen:

Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Syrien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung von anderen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht maßgeblich geändert haben.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden dem Beschwerdeführer die gegenständlichen Länderfeststellungen zur Kenntnis gebracht. Die festgestellten Länderberichte wurden nicht bestritten.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative“). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann. Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 08.09.1999, 98/01/0614; 29.03.2001, 2000/20/0539).

Die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung kann asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl. VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124; 23.01.2019, Ra 2019/19/0009; vgl. auch VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548 sowie jüngst VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274). Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009 m.w.N.; Putzer, Leitfaden, Asylrecht, 2. Auflage [2011], Rz 97; EuGH 26.02.2015, C-472/13, Shepherd). Auch dem Zwang zum Vorgehen gegen Mitglieder der eigenen Volksgruppe kann Asylrelevanz zukommen (vgl. VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124 m.w.N.).

3.1.2. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien besteht für den Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgungsgefahr, weil er sich durch seine illegale Ausreise dem Militärdienst - sowohl dem kurdischen als auch jenem für das syrische Militär -, in dessen Rahmen er zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen (wie Angriffen auf die Zivilbevölkerung) gezwungen und bei Weigerung mit Haft und Folter bedroht würde, entzogen hat und somit als politischer Gegner der Kurden und des syrischen Regierung gesehen würde (vgl. insbes. nochmals VwGH 25.03.2015, Ra 2014/20/0085, sowie EuGH 26.02.2015, C-472/13, Shepherd, 19.06.2019, Ra 2018/18/0548, wonach es für die Frage eines möglichen Asylanspruchs entscheidend ist, ob einem Beschwerdeführer bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat angesichts des in den Länderfeststellungen ausgewiesenen erhöhten Rekrutierungsdrucks der syrischen Armee und der besonderen Gefährdung von einreisenden Männern im wehrfähigen Alter mit maßgebender Wahrscheinlichkeit eine Einziehung zum Wehrdienst droht, sowie VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274, wonach allein aus dem Umstand, dass einem Beschwerdeführer in der Vergangenheit eine befristete Befreiung vom Wehrdienst gegeben wurde, sich noch nicht ableiten lässt, dass diesem eine solche Befreiung nach Rückkehr wiederum gewährt werden würde).

Damit fällt er (auch) in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich der „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen“ ([u.a. Wehrdienstverweigerer]“; zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 23.01.2019, Ra 2018/18/0521, m.w.N.).

Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den syrischen Staat ist für den Beschwerdeführer schon deswegen auszuschließen, weil die Verfolgung gerade von diesem ausgeht.

Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht; die Annahme ebendieser würde im Widerspruch zum aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. etwa VwGH 25.03.2015, Ra 2014/18/0168; 29.06.2015, Ra 2014/18/0070).

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Aus-schlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Gemäß § 3 Abs. 4 iVm § 75 Abs. 24 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, wenn er einen Antrag auf internationalen Schutz nicht vor dem 15.11.2015 gestellt hat. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz wurde am 24.02.2020 und damit nach dem 15.11.2015 gestellt; die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 finden daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. im vorliegenden Fall Anwendung.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt B)

3.2. Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Eine Revision gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch mangelt es an einer derartigen Rechtsprechung (vgl. die oben unter Punkt 3.1. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes); schließlich ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

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