AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:I403.2222892.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH (ARGE Rechtsberatung), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.07.2019, Zl. 1148825300/170450725 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird
XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres erteilt.
III. Der Beschwerde wird hinsichtlich der sonstigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige aus Nigeria, brachte am 12.04.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich ein.
Nach Durchführung zweier Einvernahmen und der Beauftragung zweier psychologischer Gutachten und eines Gutachtens zur Altersfeststellung wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung am 23.08.2019 Beschwerde erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:
Die unbescholtene Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Nigerias, ihre Identität steht allerdings nicht fest. Sie gab ein falsches Geburtsdatum an, es steht aber jedenfalls fest, dass sie spätestens am XXXX2018 die Volljährigkeit erreicht hat.
Die Beschwerdeführerin stammt aus Isoko, Delta State und gehört zum Volk der Isoko. Sie hat keine Familie, die sie im Fall einer Rückkehr unterstützen würde. Sie verfügt über eine rudimentäre Schulbildung und keine Berufsausbildung bzw. -erfahrung.
Die Beschwerdeführerin verließ Nigeria im November 2016 und hielt sich einige Monate in Libyen auf, ehe sie im März 2017 Italien erreichte. Am 12.04.2017 stellte sie in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Beschwerdeführerin leidet an einer andauernden Persönlichkeitsveränderung (in Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung) und einer mittelgradigen depressiven Episode und bedarf einer Behandlung (in Form einer Psychotherapie bzw. gegebenenfalls einer medikamentösen Unterstützung).
Die Beschwerdeführerin wird in Nigeria nicht verfolgt. Allerdings wurde sie als Minderjährige Opfer sexueller Gewalt und würde sie bei einer Rückkehr nach Nigeria in eine existentielle Notlage geraten.
1.2. Zur allgemeinen Situation in Nigeria
Hinsichtlich der Lage in Nigeria ist auf Basis des aktuellen "Länderinformationsblattes der Staatendokumentation" (Stand: 12.04.2019) festzustellen:
1.2.1. Sicherheitslage
Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 10.12.2018). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 10.12.2018; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten, (EASO 11.2018a; vgl. AA 10.12.2018), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Die 2017 deutlich angespannte Lage im Südosten des Landes ("Biafra") hat sich mit dem Eingriff des Militärs und der mutmaßlichen Flucht des Anführers der stärksten separatistischen Gruppe IPOB derzeit wieder beruhigt (AA 10.12.2018).
In den nordöstlichen Bundesstaaten Adamawa, Borno, Gombe und Yobe kommt es häufig zu Selbstmordanschlägen (BMEIA 12.4.2019). Außenministerien warnen vor Reisen dorthin sowie in den Bundesstaat Bauchi (BMEIA 12.4.2019; vgl. AA 12.4.2019; UKFCO 12.4.2019). Vom deutschen Auswärtige Amt wird darüber hinaus von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten (AA 12.4.2019).
Zu Entführungen und Raubüberfällen kommt es im Nigerdelta und einigen nördlichen Bundesstaaten. Betroffen sind: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Bayelsa, Cross River, Delta, Ebonyi, Enugu, Imo, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kogi, Nasarawa, Plateau, Rivers und Zamfara. Für die erwähnten nordöstlichen und nördlichen Bundesstaaten sowie jenen im Nigerdelta gelegenen gilt seitens des österreichischen Außenministeriums eine partielle Reisewarnung; Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) in den übrigen Landesteilen (BMEIA 12.4.2019).
Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in die Bundesstaaten Kaduna (insbesondere Süd- Kaduna), Plateau, Nasarawa, Benue, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insbesondere die Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom ab (AA 12.4.2019). Das britische Außenministerium warnt (neben den oben erwähnten nördlichen Staaten) vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zum Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers (UKFCO 29.11.2018).
In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist dauern diese Auseinandersetzungen nur wenige Tage und sind auf einzelne Orte bzw. einzelne Stadtteile begrenzt. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das Sokoto (Nordteil) und Plateau (Südteil) sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen (AA 12.4.2019).
In der Zeitspanne April 2018 bis April 2019 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch
Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.333), Zamfara (1.116), Kaduna (662), Benue (412), Adamawa (402), Plateau (391). Folgende
Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (2), Kebbi (3) und Osun (8) (CFR 2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_6, Zugriff 12.4.2019
- BMEIA - Österreichisches Außenministerium (12.4.2019):
Reiseinformationen - Nigeria, https:// www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/nigeria/ , Zugriff 12.4.2019
- CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/ nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019
- EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf , Zugriff 12.4.2019
- UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (12.4.2019): Foreign Travel Advice - Nigeria - summary, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 12.4.2019
1.2.2. Frauen
Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 10.12.2018), kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 13.3.2019). Frauen werden in der patriarchalischen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt, v.a. dort, wo traditionelle Regeln gelten. So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen. Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwenzeremonien über sich ergehen lassen (z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt). Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 10.12.2018). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden (BS 2018).
Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen kaum eine Rolle. Jene mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz, z.B. eine Richterin beim Obersten Gerichtshof und die Finanzministerin (BS 2018).
Rechtlich ist keine Vorschrift vorhanden, die gleiche Bezahlung für Frauen und Männer für gleichwertige Tätigkeiten festschreibt. Es gibt auch kein Diskriminierungsverbot bei der Einstellung von Angestellten. Im formalen Sektor bleiben Frauen unterrepräsentiert, während sie in der informellen Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielen (Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Märkte, Handel) (USDOS 13.3.2019).
Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sexueller, körperlicher, psychologischer und sozioökonomischer Gewalt sowie mit schädlichen traditionellen Praktiken. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, Genitalverstümmelung (FGM/C) usw. Straftatbestände dar. Opfer haben Anspruch auf umfassende medizinische, psychologische, soziale und rechtliche Unterstützung. Mit Stand März 2018 ist das Gesetz erst im Federal Capital Territory (FCT) und den Bundesstaaten Anambra, Ebonyi und Oyo gültig, in anderen Bundesstaaten erst, sobald es dort verabschiedet wird (USDOS 13.3.2019).
Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert, die Polizei schreitet oft nicht ein. In ländlichen Gebieten zögern Polizei und Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht übersteigt (USDOS 13.3.2019).
Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Einige Bundesstaaten, hauptsächlich im Süden gelegene, haben Gesetze, die geschlechtsspezifische Gewalt verbieten oder versuchen bestimmte Rechte zu schützen. Für häusliche Gewalt sieht das VAPP eine Haftstrafe von maximal drei Jahren, eine Geldstrafe von höchstens 200.000 Naira oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 20.4.2018).
Vergewaltigung steht unter Strafe. Gemäß dem VAPP beträgt das Strafmaß zwischen zwölf Jahren und lebenslänglicher Haft. Es sieht auch ein öffentliches Register von verurteilten Sexualstraftätern vor. Auf lokaler Ebene sollen Schutzbeamte ernannt werden, die sich mit Gerichten koordinieren und dafür sorgen sollen, dass die Opfer relevante Unterstützung bekommen. Das Gesetz enthält auch eine Bestimmung, welche Gerichte dazu ermächtigt, Vergewaltigungsopfern eine angemessene Entschädigung zuzusprechen. Vergewaltigungen bleiben aber weit verbreitet. Aus einer Studie geht hervor, dass der erste sexuelle Kontakt bei drei von zehn Mädchen im Alter von 10 bis 19 Jahren eine Vergewaltigung war (USDOS 13.3.2019).
Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 FGM/C auf nationaler Ebene (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 10.12.2018; GIZ 4.2019b), dieses Gesetz ist aber bisher nur in einzelnen Bundesstaaten umgesetzt worden (AA 10.12.2018), nach anderen Angaben gilt es bis dato nur im Federal Capital Territory. 13 andere Bundesstaaten haben ähnliche Gesetze verabschiedet (EASO 11.2018b). Die Regierung unternahm im Jahr 2018 keine Anstrengungen, FGM/C zu unterbinden (USDOS 13.3.2019). Andererseits wird mit unterschiedlichen Aufklärungskampagnen versucht, einen Bewusstseinswandel einzuleiten. Bei der Verbreitung gibt es erhebliche regionale Unterschiede. In einigen - meist ländlichen - Regionen im Südwesten und in der Region Süd-Süd ist die Praxis weit verbreitet, im Norden eher weniger (AA 10.12.2018). Während im Jahr 2013 der Anteil beschnittener Mädchen und Frauen noch bei 24,8 Prozent lag, waren es 2017 nur noch 18,4 Prozent (EASO 11.2018b).
Für Opfer von FGM/C bzw. für Frauen und Mädchen, die von FGM/C bedroht sind, gibt es Schutz und/oder Unterstützung durch staatliche Stellen und NGOs (UKHO 2.2017). Frauen, die von FGM/ C bedroht sind und die nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich dem Schutz des Staates anzuvertrauen, können auf sichere Weise in einen anderen Teil Nigerias übersiedeln, wo es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie von ihren Familienangehörigen aufgespürt werden. Frauen, welche diese Wahl treffen, können sich am neuen Wohnort dem Schutz von Frauen-NGOs anvertrauen (UKHO 12.2013; vgl. UKHO 2.2017).
Die Hauptaufgaben der Bundesbehörde NAPTIP (National Agency for the Prohibition of Trafficking in Person) sind Bekämpfung des Menschenhandels, Verfolgung der Täter im Bereich Menschenhandel und Schutzmaßnahmen für Opfer (temporäre Unterkunft, Beratung, Rehabilitierung, Reintegration und Zugang zur Justiz). Obwohl die Behörde im Jahr 2017 deutlich höhere Geldmittel als im Vorjahr erhielt, verfügt sie über zu geringe Ressourcen (EASO 2.2019). Oba Ewuare, König von Benin (Bundesstaat Edo) hat am 9.3.2018 alle Opfern des Menschenhandels auferlegten Flüche für nichtig erklärt, und im Gegenzug jene, welche die Flüche ausgesprochen haben, ihrerseits mit einem Fluch belegt. Bei der Zeremonie waren Priester und traditionelle Heiler sowie Vertreter von NAPTIP eingeladen (Vanguard 10.3.2018; vgl. Iroko 21.3.2018). Üblicherweise sollen Opfer von Menschenhandel durch die auferlegten Flüche dazu gezwungen werden, die Namen der Täter nicht preiszugeben. NAPTIP geht davon aus, dass nunmehr die Strafverfolgung in solchen Fällen erleichtert wird (Vanguard 10.3.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427393/488302_en.pdf , Zugriff 19.11.2018
- EASO - European Asylum Support Office (11.2018b): Country of Origin Information Report - Nigeria - Targeting of individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EASO_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf , Zugriff 11.4.2019, S129ff
- EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance:
Nigeria,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf , Zugriff 12.4.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 10.4.2019
- Iroko - Assoziazione onlus (21.3.2018): Oba of Benin (Edo State) revokes curses on victims of trafficking, http://www.associazioneiroko.org/slide-en/oba-of-benin-edo-state-revokes-curses-onvictims-of-trafficking/ , Zugriff 12.4.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
- UKHO - United Kingdom Home Office (12.2013): Operational Guidance Note - Nigeria,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1387367781_nigeria-ogn.pdf , Zugriff 19.11.2018
- UKHO - United Kingdom Home Office (2.2017): Country Policy and Information Note Nigeria: Female Genital Mutilation (FGM), https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/595458/CPIN_-
_NGA_-_FGM_-_v_1_0.pdf, Zugriff 19.11.2018
- USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html , Zugriff 20.3.2019
- Vanguard (10.3.2019): "Our gods will destroy you"; Oba of Benin curse human traffickers,
https://www.vanguardngr.com/2018/03/gods-will-destroy-oba-benin-curse-human-traffickers/ , Zugriff 12.4.2019
1.2.3. (Alleinstehende) Frauen: interne Relokation, Rückkehr, Menschenhandel
Für alleinstehende Rückkehrerinnen ist keine generelle Aussage möglich. Nigeria verfügt über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich um die Rehabilitierung und psychologische Betreuung rückgeführter Frauen annehmen und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianische Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EU-Staaten bei der Reintegration, ist Rückführungspartner für Drittstaaten und leistet u.a. Integrationshilfe (ÖB 10.2018). Die Agentur ist außerdem für die Bekämpfung des Menschenschmuggels zuständig, hat seit ihrer Gründung 2003 359 Verurteilungen von Schleppern erreicht sowie bis heute mehr als 13.000 Opfern von Menschenhandel geholfen (AA 10.12.2018). NAPTIP ist eine zentrale Anlaufstelle für Rückkehrerinnen und bietet unter anderem mehrmonatige Rehabilitierung (psychologische Betreuung) und Berufstraining für ehemalige Zwangsprostituierte an (ÖB 10.2018).
Es gibt viele Frauengruppen, welche die Interessen von Frauen vertreten, praktische Hilfe und Zuflucht anbieten (UKHO 8.2016a). Vom Office of the Special Adviser to the President on Relations with Civil Society erhielt die österreichische Botschaft eine Liste mit 203 auf Seriosität/Bonität geprüften NGOs, die sich um Rehabilitierung, Fortbildung und medizinische Betreuung/Versorgung sämtlicher Bevölkerungsgruppen des Staates bemühen. Darin werden regionale bzw. das ganze Staatsgebiet umfassende Organisationen aufgelistet, die sich um Witwen, Vollwaisen, minderjährige Mütter, alleinstehende Frauen, Albinos, HIV-Positive, Ex- Häftlinge, Häftlinge, Prostituierte, Alphabetisierung, FGM oder Opfer häuslicher Gewalt bemühen. Diese Organisationen betreiben Wohn- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen, Waisen sowie körperlich und geistig Behinderte. Zusätzlich unterstützen Gattinnen der Gouverneure eigene "pet projects". Die bekannteste Vertreterin ist Dr. Amina Titi Atiku Abubakar, Gründerin und Vorsitzende der NGO WOTCLEF, die es bis zur Akkreditierung durch die UN gebracht hat und zahlreiche Projekte im Frauenbereich unterstützt (ÖB 10.2018).
Im traditionell konservativen Norden, aber auch in anderen Landesteilen, sind alleinstehende Frauen oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt und können diesem häufig nur durch Umzug in eine Stadt entgehen, in der weder Familienangehörige noch Freunde der Familie leben. Im liberaleren Südwesten des Landes - und dort vor allem in den Städten - werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert (AA 10.12.2018). Die Verfassung und Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit vor und Berichten zufolge treten Frauen aus dem ganzen Land kurze oder lange Reisen alleine an. Die Bewegungsfreiheit der Frauen aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt. Im Allgemeinen ist eine interne Relokation insbesondere für alleinstehende und kinderlose Frauen nicht übermäßig hart - z.B. im Falle der Flucht vor einer lokalen Bedrohung, die von ihrer Familie oder nicht-staatlichen Akteuren ausgeht (UKHO 8.2016a).
Eine Auswahl spezifischer Hilfsorganisationen für Frauen:
African Women Empowerment Guild (AWEG): 29, Airport Road, Benin
City, Edo State Tel.: 08023514832, 08023060147, Email:
info@awegng.org (AWEG o.d.a). Die AWEG ist eine ausschließlich weibliche nicht profitorientierte NGO. Zielgruppe sind Frauen und Jugendliche. Spezielle Programme zielen darauf ab, Frauen beim Erwerb von Fähigkeiten im Bildungsbereich sowie im sozialen, ökonomischen und politischen Bereich zu unterstützen. AWEG führt Studien zu geschlechtsspezifischer Gewalt durch (AWEG o.D.b).
Women Aid Collective (WACOL), No 9 Matthias Ilo Avenue, New Haven Extension by Akanu Ibia Airport Flyover, Enugu State. Tel:
+234-8095757590, +234-9091333000, Email: wacolnig@gmail.com , wacolnig@yahoo.com , wacolenugu@wacolnigeria.org . WACOL ist eine Wohltätigkeitsorganisation und bietet verschiedene Unterstützung an:
Schulungen, Forschung, Rechtsberatung, Unterkunft, kostenloser Rechts- und Finanzbeistand, Lösung familieninterner Konfliktsituationen, Informationen und Bücherdienste (WACOL o.D.).
Women Advocates Research and Documentation Center (WARDC), 9b James Oluleye Crescent (Harmony Enclave), off Adeniyi Jones by Koko bus stop, Ikeja, Lagos State, (+234) 818 005 6401, Email:
womenadvocate@yahoo.com (WARDC o.d.a). WARDC ist eine Frauenrechts-NGO für weibliche Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt und anderer Menschenrechtsverletzungen. Ca. sechs Frauen pro Woche werden diesbezüglich in rechtlicher und sozialer Hinsicht beraten (WARDC o.d.b.).
Womens Health and Equal Rights Initiative (WHER), Adresse nicht online verfügbar, +234 818 645 7675, Email: wher@whernigeria.org (WHER o.d.a): WHER ist eine NGO zur Unterstützung von Frauen, die Angehörige einer sexuellen Minderheit sind (WHER o.d.b).
The Women's Consortium of Nigeria (WOCON): 13 Okesuna Street, Off Igbosere Road, Lagos, Nigeria, Tel: +234 8033188767, +234 8037190133, +234 8033347896, Email:
wocon95@yahoo.com , info@womenconsortiumofnigeria.org (WOCON o.D.a). WOCON ist eine gemeinnützige NGO, die sich der Durchsetzung der Frauenrechte und der Erzielung von Gleichheit, persönlicher Entwicklung und Frieden widmet. Ziel ist die Aufklärung bezüglich Menschenhandel und der Kampf gegen den Menschenhandel (WOCON o.D.b).
Women's Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA): 19, Monrovia Street, Off Aminu Kano Way, Wuse II Abuja, Tel.:
08188699961, 08172125692, 07063807887, Email: Wrapa399@gmail.com , wrapa399@yahoo.com . WRAPA ist eine Organisation, die bundesweit für Frauenrechte eintritt. Aktivitäten umfassen kostenfreie Rechtsberatung, Ausbildung, Mobilisation, Sensibilisierung und Meinungsbildung bezüglich rechtlicher Reformen. Jede Frau, die in irgendeiner Form einen Eingriff in ihre Rechte bzw. eine Diskriminierung erlitten hat, kann in den Genuss der Unterstützung von WRAPA kommen (WRAPA, o.D.).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.a): AWEG - Contact Information, http://www.awegng.org/contactus.htm , Zugriff 19.11.2018
- AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.b): AWEG - About Us, http://www.awegng.org/aboutus.htm , Zugriff 19.11.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427393/488302_en.pdf , Zugriff 19.11.2018
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
- UKHO - United Kingdom Home Office (8.2016a): Country Information and Guidance Nigeria: Women fearing gender-based harm or violence, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/595734/CIG_-
_Nigeria_-_Women.pdf, Zugriff 13.11.2018
- WACOL - Women Aid Collective (o.D.): Homepage, https://wacolnigeria.org/ , Zugriff 19.11.2018
- WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.a):
WARDC - Contact us, http://wardcnigeria.org/contact-us/ , Zugriff 21.12.2018
- WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.b):
WARDC - About us, http://wardcnigeria.org/what-we-do/ , Zugriff 21.12.2018
- WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.a): WHER - Contact, https://whernigeria.org/contact/ , Zugriff 21.12.2018
- WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.b): WHER - About us, https://whernigeria.org/about/ , Zugriff 21.12.2018
- WOCON - Women's Consortium of Nigeria (o.D.a): WOCON - Contact, http://womenconsortiumofnigeria.org/?q=content/contact , Zugriff 19.11.2018
- WOCON - Women's Consortium of Nigeria (o.D.b): WOCON - About us, http://womenconsortiumofnigeria.org/?q=about-us , Zugriff 19.11.2018
- WRAPA - Women's Rights Advancement and Protection Alternative (o.D.): FAQ, https://wrapanigeria.org/faq/ , Zugriff 19.11.2018
1.2.4. Grundversorgung
Die nigerianische Wirtschaft hat sich 2017 allmählich aus der schlimmsten Rezession seit 25 Jahren erholt, das BIP ist um 0,55 Prozent gestiegen. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich die nigerianische Wirtschaft seit Ende 2017 allmählich wieder erholt, unter anderem eine Steigerung der Erdölförderleistung, die Erholung des Erdölpreises und eine verbesserte Leistung von Landwirtschaft und Dienstleistungssektor (GIZ 4.2019c).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 10.12.2018). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei-, und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat - gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 4.2019c). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 10.12.2018). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 4.2019c).
Über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt, in ländlichen Gebieten über 90 Prozent (AA 9 .2018c). Der Agrarsektor wird durch die Regierung Buhari stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 4.2019c; vgl. AA 9 .2018c). Auch die Mais- und Reisproduktion wurde dadurch kräftig ausgeweitet. Dabei ist das Potenzial der nigerianischen Landwirtschaft bei Weitem nicht ausgeschöpft (AA 9 .2018c) und das Land ist nicht autark, sondern auf Importe - v.a. von Reis - angewiesen (ÖB 10.2018; vgl. AA 9 .2018c). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt aus Subsistenzbetrieben (AA 9 .2018c). Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt (ÖB 10.2018).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2018; vgl. GIZ 4.2019b). Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut (BS 2018; vgl. ÖB 10.2018), fast 50 Prozent unter der Armutsgrenze (GIZ 4.2019b).
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei Jugendlichen wird sie auf über 20 Prozent geschätzt (GIZ 4.2019b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden (ÖB 10.2018). Der Staat und die Bundesstaaten haben damit begonnen, Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit umzusetzen. Die Resultate sind dürftig (BS 2018). Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 4.2019b).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2018). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2018). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2018).
Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Nur eine geringe Anzahl von Nigerianern (2016 ca. fünf Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2018).
Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 4.2019c).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für "peppersoup", "garri" oder "pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch "mini-farming" eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als "bushmeat" gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun "grasscutter" (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als "bushmeat" gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und "grasscutter" finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- AA - Auswärtiges Amt (9.2018c): Nigeria - Wirtschaft,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205790 , Zugriff 22.11.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427393/488302_en.pdf , Zugriff 19.11.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 10.4.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019c): Nigeria - Wirtschaft Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 11.4.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
1.2.5. Medizinische Versorgung
Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden (GIZ 4.2019b). Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 4.2019b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 4.2019b; vgl. ÖB 10.2018). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den großen Städten findet man jedoch einige Privatkliniken mit besserem Standard (AA 12.4.2019). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor (AA 10.12.2018).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 10.12.2018). Krankenhäuser sind bezüglich Ausstattung, Qualifikation des Personals und Hygiene nur in städtischen Zentren vereinzelt mit europäischem Standard vergleichbar. In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2018).
In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 10.12.2018).
Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2018). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 2.2019). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 109 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten. Die Prozentsätze der Unterernährung (Global Acute Malnutrition) liegen in den nördlichen Staaten konstant über der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen mehr als 1,3 Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2018).
Psychische bzw. psychiatrische Erkrankungen werden in der großen Mehrheit der Bevölkerung immer noch als spiritueller Natur entspringend angesehen. Dementsprechend werden die entsprechenden Patienten besonders im ländlichen Bereich spirituellen Heilern zugeführt. Betreut werden sie in der Regel in der Familie, wenn vorhanden. Viele psychisch Kranke leben auf der Straße, in abgelegenen Regionen werden als gefährlich angesehene Personen in den Dörfern auch gelegentlich noch angekettet. Für die stationäre Unterbringung gibt es in ganz Nigeria acht staatliche psychiatrische Kliniken, die einen Langzeitbereich haben, außerdem sind zahlreiche psychisch Langzeitkranke in gesonderten Bereichen in Gefängnissen untergebracht. Im Wesentlichen findet dort eine reine Verwahrung unter ausgesprochen ärmlichen Bedingungen statt (WPA o.D.). Es existiert also kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 10.12.2018).
Insgesamt gibt es für die inzwischen annähernd 200 Millionen Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Laut anderen Angaben gibt es psychiatrische Abteilungen in 15 Universitätskliniken, acht staatlichen psychiatrischen Spitälern und sechs Allgemeinen Spitälern sowie 15 psychiatrischen Privatkrankenhäusern (WPA o.D.). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 10.12.2018).
Nigeria verfügt über 110 registrierte Psychiater (WPA o.D.); nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen "aufbewahrt". Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 10.12.2018). Nur weniger als sieben Millionen der 180 Millionen Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).
Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 4.2019b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 10.12.2018). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, sofern vorhanden (ÖB 10.2018). Eine basale Versorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019).
Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 10.12.2018). In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 10.12.2018). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2018).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 10.12.2018). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2018).
Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 4.2019b). Gerade im ländlichen Bereich werden "herbalists" und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_6, Zugriff 12.4.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 10.4.2019
- Punch (22.12.2017): NHIS: Health insurance still elusive for many Nigerians,
https://punchng.com/nhis-health-insurance-still-elusive-for-many-nigerians/ , Zugriff 3.4.2019
- VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme
- VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme
- WPA - World Psychiatric Association (o.D.): Association of Psychiatrists in Nigeria (APN), http:// www.wpanet.org/detail.php?section_id=5content_id=238 , Zugriff 3.4.2019
1.2.6. Rückkehr
Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Der pauschale Hinweis eines Asylwerbers auf die allgemein herrschende Situation in Nigeria reicht nicht aus, um eine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK darzustellen. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2018).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 10.12.2018). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations im Rahmen von FRONTEX als "lead nation" (ÖB 10.2018). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 10.12.2018).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 10.12.2018). Die Erfahrungen seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2018). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 10.12.2018) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2018) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 10.12.2018; vgl. ÖB 10.2018). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2018).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im "Decree 33" nicht zu befürchten (AA 10.12.2018). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets "overstay" angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2018).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen hat im Herbst 2018 in Lagos das Migrationsberatungszentrum der GIZ seinen Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 10.12.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
1.3. Zum Menschenhandel in Nigeria
Der organisierte Menschenhandel bleibt eines der dringlichsten menschenrechtlichen Probleme in Nigeria. Nigeria ist eine Drehscheibe des Menschenhandels und eines der fünf größten Herkunftsländer von Opfern des Menschenhandels in der EU (Quelle: Auswärtiges Amt). Aus keinem anderen Drittstaat kommen derart viele Opfer von Menschenhandel nach Europa (Quelle: EASO, Country Guidance). Allerdings findet innerhalb der Grenzen Nigerias noch ein viel umfangreicherer Handel mit Menschen, unter anderem zu Zwecken der Prostitution, statt; häufig stellt dieser interne Menschenhandel den ersten Schritt zum grenzüberschreitenden Menschenhandel dar (Quelle: EASO Sexhandel).
Nigerianische Mädchen und Frauen sind somit Opfer von Menschenhandel innerhalb Nigerias und nach Europa, vor allem aber nach Italien, Spanien, Österreich und Russland (Quelle: US DoS Report).
Menschenhändler haben im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 ihre Aktivitäten verstärkt. Sie missbrauchen häufig das Asylsystem, insbesondere um den Aufenthalt und eine Mobilität in der EU zu ermöglichen. IOM berichtet von einem Anstieg von nigerianischen Frauen, die über Libyen in die EU reisen; bei 80% könne davon ausgegangen werden, dass sie Opfer sexueller Ausbeutung werden (Quelle: EASO, Targeting).
Profile der Opfer von Menschenhandel
Die meisten Opfer von Menschenhandel stammen aus Edo State, insbesondere Benin City und nahegelegenen Dörfern, und gehören zur Volksgruppe Edo/Bini (Quellen: EASO Country Guidance und EASO, Sexhandel). Ein schwacher wirtschaftlicher Hintergrund, eine geringe Bildung, ein geringes Alter, Kinderlosigkeit und schwierige familiäre Verhältnisse können das Risiko erhöhen, Opfer von Menschenhandel zu werden (Quelle: EASO, Targeting).
Methoden und Netzwerke der Menschenhändler
Nach Angaben von Europol bestehen nigerianische Menschenhändlerbanden häufig aus Zellen. Auf diese Weise können sie sehr effizient arbeiten, denn sie agieren unabhängig, können sich aber auf ein umfangreiches Netz persönlicher Kontakte stützen. Frauen (Madams) spielen in diesen Gruppen eine sehr wichtige Rolle und überwachen den Prozess des Menschenhandels von der Rekrutierung bis zur Ausbeutung sehr genau. Typischerweise haben die Madams zuvor als Prostituierte gearbeitet, teilweise auch als Opfer von Menschenhandel, und sich dann bis zur Rolle einer Madam, welche oftmals den Menschenhändlerorganisationen vorsteht, hochgearbeitet.
Madams sind sowohl in Nigeria wie im Zielland anzutreffen (Quelle: EASO, Sexhandel).
Die Menschenhändler geben teilweise vor, Arbeitsstellen in Europa vermitteln zu können, etwa als Friseurin oder Kindermädchen. Dennoch ist vielen Mädchen bewusst, dass sie in Europa der Prostitution nachgehen werden; zugleich sehen sich viele etwa aufgrund ihrer Rolle als älteste Tochter faktisch gezwungen, zum Einkommen der Familie beizutragen. Einige Opfer nehmen selbst Kontakt zu den Menschenhändlern auf, in der Hoffnung die Armut der Familie auf diesem Weg beenden zu können (Quelle: EASO, Targeting). Es wurde in den nigerianischen Medien immer mehr über diese Thematik und auch über von Europa abgeschobene Frauen berichtet, daher "weiß jeder, was läuft" (Quelle: EASO, Sexhandel). Viele der Frauen werden aber, selbst wenn ihnen bereits vor Abreise bewusst ist, dass sie der Prostitution nachgehen werden müssen, über die tatsächlichen Verdienstmöglichkeiten, die Arbeitsbedingungen und die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes getäuscht (Quelle: EASO, Sexhandel).
Teil des Modus Operandi der Menschenhändler ist insbesondere die Verwendung traditoneller Riten, die in Nigeria "Juju" genannt werden. Nach Informationen der Nigerian National Agency for Prohibition of Traffic in Persons (NAPTIP) unterziehen sich rund 90% der Mädchen und Frauen, die nach Europa gebracht werden, einer solchen Behandlung (zitiiert nach UK Home Office). Diese Zeremonie findet bei einem religiösen Schrein statt, um den Vertrag zwischen den Menschenhändlern und dem (späteren) Opfer zu besiegeln. Der dort geleistete Schwur dürfe nicht gebrochen werden, sonst würde es zu Unglück, Krankheit oder Schlimmerem führen (Quelle: EASO, Targeting). Mit dem Schwur sollen die Opfer davon abgehalten werden, die Identität der Schleuser oder sonstige Einzelheiten zu offenbaren. Ein Juju-Schwur wirkt als eine Art psychologische Kontrolle, da die Angst vor den Folgen eines Bruchs des Schwurs, also vor der Bestrafung durch die Götter, extrem groß ist. Allerdings glauben nicht alle Frauen an die Macht von Juju (EASO, Sexhandel). Am 9. März 2018 wurde vom Oba (König) von Benin ein Fluch gegen alle Menschenhändler und jene Priester, die sie mit Juju-Schwuren unterstützen, verhängt und erklärt, dass alle Schwüre ungültig seien (Quelle: EASO, Targeting).
Versprochen wird eine Reise nach Europa für 50.000 bis 70.000 Naira (etwa 250 Euro), nach der Ankunft in Europa werden die Schulden dann mit 50.000 bis 70.000 Euro angegeben und wird gefordert, die Summe durch Prostitution zu verdienen (Quelle: EASO, Targeting).
In einigen Fällen unterstützen die Familien der Opfer die Menschenhändler, da sie sich dadurch einen finanziellen Vorteil erhoffen. Frauen und Mädchen werden daher von ihrer Familie teilweise darin bestärkt, das Land zu verlassen (Quelle: EASO, Country Guidance).
Die vorherrschende und gängige Route dürfte es sein, die Opfer innerhalb Nigerias in Kleinbussen zu befördern (über den Bundesstaat Kano), dann über die Grenze zum Niger im Auto, zu Fuß oder auf dem Motorrad und im LKW bis nach Agadez. Ab Agadez begeben sich die Frauen auf eine gefährliche Reise durch die Sahara Richtung Libyen (meist Zuwarah, Sabha oder Tripolis). Von dort werden die Opfer auf Booten über das Meer nach Italien oder Malta gebracht. Eine andere Route führt nach Spanien. Im Verlauf dieser Reise über Land werden die Frauen von einem "Verbindungshaus" (auch als "Ghetto" bezeichnet) zum nächsten entlang der Route befördert, dort eingesperrt und in Dörfern und Städten entlang der Route regelmäßig sexuell ausgebeutet (EASO, Sexhandel).
Staatlicher Schutz
Die Gesetzgebung in Bezug auf Menschenhandel hat sich in Nigeria stark verbessert (Quelle: US DoS Report) und es gibt sowohl Initiativen zur Prävention wie auch einen verstärkten Fokus auf die Verfolgung der Täter. Dennoch ist die Umsetzung in einigen Landesteilen mangelhaft; eine effektive Umsetzung der Gesetze wird durch unzureichende Ressourcen und Kompetenzkonflikte zwischen Zentral- und Bundesstaaten behindert (Quelle: EASO, Country Guidance). Der besonders betroffene Bundesstaat Edo State hat 2018 ein Gesetz gegen den Menschenhandel verabschiedet, das höhere Strafen für Schleuser vorsieht (Quelle: Auswärtiges Amt). Der Gouverneur des Edo State hat zudem eine "Edo State Task Force" ins Leben gerufen, um den Menschenhandel nach Europa zu bekämpfen (Quelle: US DoS Report).
Gefahren für den Fall einer Rückkehr nach Nigeria
Die wenigsten Opfer von Menschenhandel kehren freiwillig nach Nigeria zurück, obwohl ihnen dies die Möglichkeit bieten würde, sich für ein Programm der unterstützten freiwilligen Rückkehr von IOM zu entscheiden. Die meisten abgeschobenen Frauen werden daher bei ihrer Rückkehr von den Behörden nicht als Opfer von Menschenhandel identifiziert (EASO, Sexhandel).
Dennoch kann auch für Nigeria nicht festgestellt werden, dass Frauen und Mädchen generell dem Risiko unterliegen, Opfer von Frauenhandel zu werden. Es kann ebenfalls nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Opfer von Frauenhandel, das nach Nigeria zurückkehrt, automatisch einer Verfolgung der Menschenhändler unterliegt, welche sie ursprünglich nach Europa verbracht hatten. Dies ist abhängig von der individuellen Situation (UK Home Office). Zu berücksichtigen sind die Höhe der noch offenen "Schulden", ob das Opfer gegen die Täter ausgesagt hat, die Kenntnisse der Täter über die Familie des Opfers, Alter, Familienstand, finanzielle Mittel, soziales Netzwerk, die Involvierung der Familie in den
Menschenhandel, ... (Quelle: EASO, Country Guidance)
Manche Opfer von Menschenhandel fürchten eine Vergeltung durch die Menschenhändler oder "Madams", insbesondere wenn es noch offene "Schulden" gibt. Die Gefahr einer möglichen Vergeltung liegt eher in einem "Re-Trafficking" denn in körperlicher Gewalt. Allerdings gibt es auch vereinzelte Beispiele von Entführungen, körperlicher Gewalt, Einschüchterung, Brandlegung oder der Tötung von Familienmitgliedern. Einige Opfer von Menschenhandel weigern sich auch, gegen die Täter auszusagen aus Angst vor Rache. Viele Opfer von Menschenhandel finden sich in einer Menschenhandelssituation wieder; einige aus eigenem Willen, andere werden durch Menschenhändler dazu gezwungen oder durch ihre Familie dazu gedrängt (Quelle: EASO, Country Guidance). Oftmals unterscheiden sich die Gründe dafür, dass sich die Mädchen und Frauen erneut in die Hände von Menschenhändlern begeben, nicht von jenen, die sie zum ersten Mal veranlasst haben, Nigeria zu verlassen (Quelle: ACCORD).
Das Risiko für ein Re-Trafficking steigt insbesondere, wenn die "Schulden" noch nicht bezahlt sind oder die Frauen ohne Vermögen nach Nigeria zurückkehren. Die Mitglieder der Volksgruppe Edo akzeptieren Prostitution generell nicht; wenn Frauen mit einem gewissen Wohlstand aus Europa zurückkehren, müssen sie dennoch nicht verbergen, woher das Geld stammt (Quelle: EASO, Sexhandel). Die Gefahr einer sozialen Stigmatisierung ist dagegen besonders hoch, wenn die Frauen oder Mädchen ohne Erspartes oder mit gesundheitlichen Problemen zurückkehren (Quelle: EASO, Country Guidance). Auch wenn einige in ein unterstützendes Familienumfeld zurückkehren, wird einigen Mädchen und Frauen bei ihrer Rückkehr von ihren Familien vorgeworfen, dass sie keinen Reichtum erwirtschaftet haben; dies kann in Misshandlung, Diskriminierung und dem Druck, sich erneut auf den Weg nach Europa zu begeben, münden (HRW, Trafficking).
Manche, aber nicht alle Frauen bekommen im Fall einer erzwungenen Rückkehr bei offenen "Schulden" Probleme mit den Menschenhändlern. NAPTIP (siehe unten) kann sie dabei unterstützen, rechtlich gegen die Menschenhändler vorzugehen, doch hängt dies von der Bereitschaft der Opfer zur Aussage bei der Polizei ab.
In den großen Städten des Südens ist es für alleinstehende Frauen einfacher sich eine Existenz aufzubauen als im Norden. Frauen mit einer höheren Bildung haben bessere Voraussetzungen (Quelle: EASO, KeySocioEconomic). Insgesamt berichten allerdings die meisten Opfer von Menschenhandel, darunter auch jene, die anfangs von NGO¿s unterstützt wurden, dass sie kaum in der Lage sind, sich (und ggf ihre Familie) zu ernähren (HRW, Trafficking).
NAPTIP und NGOs
Die National Agency for Prohibiton of Trafficking in Persons (NAPTIP) ist die zentrale staatliche Agentur im Kampf gegen Menschenhandel. In den letzten Jahren wurden die Ressourcen stark erhöht, doch sind die Mittel noch immer nicht ausreichend (Quelle: US DoS Report). Aktuell sind mehr als 1000 Mitarbeiter bei NAPTIP beschäftigt (UK Home Office). NAPTIP hat seit ihrer Gründung 2003 359 Verurteilungen von Schleppern erreicht (Quelle: Auswärtiges Amt; Stand 11.09.2018) sowie nach eigenen Angaben seit 2012 bis heute 13.007 Opfern von Menschenhandel assistiert (Quelle: Auswärtiges Amt). Anderen Berichten zufolge wurde 5000 Opfern von Menschenhandel durch NAPTIP geholfen (Quelle: EASO, Actors).
NAPTIP bietet auch Unterstützung für Opfer von Menschenhandel an.; dies reicht von Schutzzentren, Beratung, Zugang zum Rechtssystem bis zur Unterstützung bei der Reintegration (Quelle: EASO, Actors). Neben dem Hauptquartier in Abuja gibt es neun Zentren, die das gesamte Staatsgebiet abdecken sollen: Lagos, Benin, Enugu, Uyo, Sokoto, Kano, Maiduguri, Osogbo and Makurdi. In all diesen Zentren gibt es "transit shelters", in welchen über 300 Opfer von Menschenhandel bis zu sechs Wochen untergebracht und medizinisch und psychologisch betreut werden (Quelle: US DoS Report). Daneben bekommen die Opfer von Menschenhandel auch berufliche Ausbildungen (Quelle: EASO, KeySocioEconomic). Auch wenn NAPTIP sich nur um Opfer von Menschenhandel kümmern sollte, werden auch immer andere Verbrechensopfer an die Behörde verwiesen, was die Kapazitäten verringert (Quelle: EASO, KeySocioEconomic). Allerdings gibt es keine klaren Vorgaben, wer den Schutz von NAPTIP erhält (HRW, Trafficking).
Sollte eine längere Betreuung notwendig sein, werden die Mädchen und Frauen an NGOs vermittelt (2017 war das etwa bei 302 Opfern der Fall - Quelle: US DoS Report). So führt etwa das Frauenministerium zwei Schutzzentren, welche Opfer von Menschenhandel von NAPTIP zugewiesen bekommen; daneben gibt es in Bakhita Village, Lagos (The African Network Against Human Trafficking - ANAHT), in Benin City (The Nigerian Conference of Women Religious), in Abuja (The Women Trafficking and Child Labour Eradication Foundation - WOTCLEF) und in Jos, Plateau State (Grace Gardens) Schutzzentren (Quelle: EASO, KeySocioEconomic). Es gibt einige NGO¿s, die im Kampf gegen Menschenhandel aktiv sind; diese sind in der Dachorganisation "Network of Civil Society Organization Against Child Trafficking, Abuse and Labour" (NACTAL) vereint (Quelle: EASO, KeySocioEconomic).
Quellen:
* "ACCORD" - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum
Research and Documentation: Nigeria: COI Compilation on Human Trafficking, Dezember 2017
https://www.ecoi.net/en/file/local/1423730/1226_1517931786_accord-coi-compilation-nigeria-december-2017.pdf (Zugriff am 26. August 2019)
* "EASO Country Guidance" - European Asylum Support Office: Country Guidance: Nigeria; Guidance note and common analysis, Februar 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
* "Auswärtiges Amt" (Deutschland): AA-Bericht Nigeria, 10. Dezember 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1456143/4598_1547113065_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-bundesrepublik-nigeria-stand-oktober-2018-10-12-2018.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
* "EASO, Actors" - European Asylum Support Office: Nigeria; Actors of Protection, November 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2001364/2018_EASO_COI_Nigeria_ActorsofProtection.pdf (Zugriff am 29. März 2019).
* "US DoS Report" - US Department of State, Trafficking in Persons Report 2018, https://www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/2018/ (Zugriff am 02. April 2019).
* "UK Home Office" - United Kingdom Home Office, Country Policy and Information Note - Nigeria: Trafficking of women, November 2016, https://www.refworld.org/docid/5833112f4.html (Zugriff am 02. April 2019).
* "EASO, Sexhandel" - European Asylum Support Office: Nigeria:
Sexhandel mit Frauen, Oktober 2015.
* "EASO, KeySocioEconomic" - European Asylum Support Office:
Nigeria; Key socio-economic indicators, November 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001365/2018_EASO_COI_Nigeria_KeySocioEconomic.pdf (Zugriff am 29. März 2019).
* "EASO, Targeting" - European Asylum Support Office: Nigeria; Targeting of individuals, November 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EASO_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf (Zugriff am 29. März 2019).
* Human Rights Watch, "You Pray for Death" - Trafficking of Women and Girls in Nigeria, August 2019, https://www.hrw.org/sites/default/files/report_pdf/nigeria0819.pdf (Zugriff am 08. September 2019).
2. Beweiswürdigung:
Zentrales Beweismittel des gegenständlichen Verfahrens sind das Protokoll der Erstbefragung vom 12.04.2017, das Protokoll der Einvernahme durch das BFA am 18.12.2018 sowie am 14.03.2019 und die medizinischen Befunde bzw. Gutachten. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.
2.1. Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Da die Beschwerdeführerin den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht ihre Identität nicht zweifelsfrei fest. Zudem hatte die Beschwerdeführerin ein Geburtsjahr (2001) angegeben, das laut medizinischem Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung vom XXXX2017 nicht mit ihrem tatsächlichen Lebensalter vereinbar ist. Die Beschwerdeführerin wurde laut diesem Gutachten spätestens am XXXX2018 volljährig. Das BFA legte mit Verfahrensanordnung vom 29.05.2017 das im Spruch genannte Geburtsdatum fest.
Aus einem EURODAC-Treffer ergibt sich, dass sich die Beschwerdeführerin am 05.03.2017 in Lampedusa, Italien aufgehalten hat.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus einer Abfrage im Strafregister der Republik Österreich vom 02.09.2019.
Die Beschwerdeführerin erklärte gleichbleibend in allen Einvernahmen, dass sie, abgesehen von ihrer Tante, von der sie aber misshandelt worden war, keine Familie in Nigeria habe. Sie habe auch keinen Kontakt zu Freunden. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass die Beschwerdeführerin über kein tragfähiges soziales oder familiäres Netzwerk verfügt.
Gleichbleibend gab sie auch an, nur einige Jahre die Schule besucht zu haben; gegen eine Berufserfahrung spricht zudem ihr jugendliches Alter beim Verlassen Nigerias.
2.3. Zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin:
Der gesundheitliche Zustand der Beschwerdeführerin ergibt sich aus den folgenden Befunden:
* Befund einer Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe vom 17.05.2018 (Empfohlen wurde bei Zustand nach sexuellem Missbrauch bei der Flucht eine Psychotherapie)
* Befund der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie vom 03.10.2018 (Verdacht auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung; eine psychotherapeutische Behandlung sei dringend indiziert; ein Zwang zum Erzählen berge das Risiko einer Retraumatisierung in sich)
* Bestätigung der Beratungsstelle "Frauen gegen Vergewaltigung" vom 25.09.2018, dass die Beschwerdeführerin an einem Beratungsgespräch teilgenommen habe (die Beratung habe abgebrochen werden müssen, da es der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesen sei, über ihre Erlebnisse zu berichten)
* Ärztliche Bestätigung eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 17.12.2018 (Hinweis darauf, dass eine Einvernahme der Beschwerdeführerin zu ihrer Überlastung führen würde)
* Befundbericht der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie vom 18.02.2019 (Die durchgeführten psychodiagnostischen Untersuchungen würden den klinischen Eindruck einer stark ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung und einer ausgeprägten ängstlichen und depressiven Symptomatik bestätigen.)
* Psychologische Stellungnahme des psychologischen Dienstes des Landes XXXX vom 25.02.2019 (Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung; eine lückenlose Wiedergabe der traumatischen Ereignisse sei ihr nicht möglich, wenn sie auch in der psychischen Verfassung sei, eine Einvernahme zu absolvieren)
Darüber hinaus veranlasste das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Erstellung zweier Gutachten:
* In einem von der belangten Behörde beauftragten Gutachten einer allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen aus dem Bereich der Psychologie vom 25.01.2019 wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin die Kooperation verweigern und keine Fragen beantworten würde. Sie stehe der Untersuchungssituation feindlich gegenüber und leide an Anpassungsstörungen mit beeinträchtigten affektiven Qualitäten (F43.23). Aus neuropsychologischer Sicht sei sie einvernahme- und handlungsfähig.
* In einem weiteren von der belangten Behörde beauftragten Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen aus dem Bereich der Psychologie vom 02.07.2019 wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin an einer andauernden Persönlichkeitsveränderung (F62; nach einer posttraumatischen Belastungsstörung im Vorfeld) und einer gegenwärtig zumindest mittleren depressiven Episode leide. Es hätten sich keine Tendenzen zur Aggravation (und damit zur Simulation) gezeigt. Eine psychotherapeutische Behandlung sei notwendig und sollte eine psychopharmakologische Unterstützung (Trittico und Antidepressiva) geprüft werden. Rein kognitiv wäre die Beschwerdeführerin einvernahme- und handlungsfähig, doch würden Stresssituationen ein Traumaerleben bewirken und könnte so das Ergebnis der Einvernahme zum aktuellen Zeitpunkt "korrumpiert" werden.
In einer Stellungnahme der gesetzlichen Vertretung vom 28.03.2019 wurde darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin neben Buscopan (wegen starker Menstruationsbeschwerden) Panprabene, Mirtabene und Trittico nehmen würde.
In einer Zusammenschau der Befunde und Gutachten kommt das Bundesverwaltungsgericht zum - letztlich von beiden Parteien unbestritten gebliebenem - Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin an einer andauernden Persönlichkeitsveränderung (F62; nach einer posttraumatischen Belastungsstörung im Vorfeld) und einer gegenwärtig zumindest mittleren depressiven Episode leidet und einer Behandlung (in Form einer Psychotherapie bzw. gegebenenfalls einer medikamentösen Unterstützung) bedarf.
2.4. Zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:
In der Erstbefragung am 12.04.2017 erklärte die Beschwerdeführerin, dass ihre Familie von einem Verwandten vergiftet worden sei und sie dann bei einer Tante aufgewachsen sei. Ihre Tante habe sie dann zu einer Ehe zwingen wollen, doch habe sich die Beschwerdeführerin verweigert und das Haus verlassen müssen. Sie sei dann zu ihrem Lehrer gegangen und habe sich in ihn verliebt, sei dann aber von einer Nachbarin entdeckt worden, welche die Polizei gerufen habe. Sie fürchte sich vor den Verwandten ihres Vaters und der Polizei.
Die Beschwerdeführerin wurde für den 18.12.2018 zu einer Einvernahme bei der belangten Behörde geladen, doch wurde aufgrund ihres problematischen psychischen Zustandes um eine Verschiebung des Termins ersucht. Vorgelegt wurde anderem ein Befund der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie vom 03.10.2018, wonach ein Zwang zum Erzählen das Risiko einer Retraumatisierung in sich berge. Die niederschriftliche Einvernahme wurde dennoch wie geplant am 18.12.2019, im Beisein einer Vertrauensperson der Beschwerdeführerin, durchgeführt. Die Beschwerdeführerin gab an, auf ihrer Reise vergewaltigt worden zu sein; sie konnte kaum Angaben dazu machen, seit wann sie bei ihrer Tante gelebt habe, wo genau sie gelebt habe, etc. Die Einvernahme wurde abgebrochen. Unter Hinweis auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin und Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsmeldung wurde von der (zu diesem Zeitpunkt aufrechten) gesetzlichen Vertretung mitgeteilt, dass es der Beschwerdeführerin nicht möglich sei, am 05.02.2019 zum Einvernahmetermin zu erscheinen. Am 14.03.2019 konnte eine weitere niederschriftliche Einvernahme beim BFA durchgeführt werden; neben einer Vertrauensperson war auch die gesetzliche Vertreterin anwesend. Die Beschwerdeführerin erklärte, viel zu traurig zu sein, um darüber sprechen zu können, was ihr passiert sei; sie habe noch niemandem davon erzählt. Sie meinte, dass einige Angaben in der Erstbefragung nicht stimmen würden; tatsächlich habe sie das Haus ihrer Tante im Alter von 14 Jahren verlassen, weil sie niemanden heiraten wollte. Sie habe dann bei einer Frau gelebt, die sie sexuell missbraucht habe. Sie sei dann von einem Mann, der sie auch sexuell missbraucht habe, abgeholt worden, der sie an einen anderen Mann übergeben habe; dann sei sie außer Landes gebracht worden. In Libyen sei sie dann mehrmals vergewaltigt worden und im Gefängnis gewesen. Die Frage, ob sie Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel geworden sei, verneinte sie.
Die belangte Behörde kam im angefochtenen Bescheid zum Ergebnis, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft sei, da sich ihre Angaben in der Erstbefragung mit jenen in den Einvernahmen durch das BFA widersprechen würden. Aus keinem der Gutachten lasse sich ableiten, dass es der Beschwerdeführerin nicht möglich sei, homogene Angaben zu tätigen. Da die Fluchtgeschichte nicht glaubwürdig sei, sei es auch nicht glaubwürdig, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um ein Opfer von Menschenhandel handle.
Der belangten Behörde ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedenfalls darin zuzustimmen, dass die Beschwerdeführerin im Verfahren keine konkrete Bedrohung ihrer Person im Falle einer Rückkehr nach Nigeria glaubhaft gemacht hat. In der Erstbefragung hatte sie davon gesprochen sich vor den Verwandten ihres Vaters zu fürchten, die ihre Familie getötet hätten. Nachdem sie von aber keinerlei konkreten Bedrohungen gegen ihre Person gesprochen hatte und gegenüber dem BFA angegeben hatte, sie habe nur von ihrer Tante gehört, dass die Verwandten ihre Familie aus Neid getötet hätten und nachdem sie schließlich selbst - zumindest bis zum Alter von 14 Jahren - bei der Tante und somit ihren Angaben nach bei der Schwester ihres Vaters gelebt hatte, erscheint es nicht plausibel, dass ihr von dieser Seite Verfolgung droht.
Daneben hatte sie in der Erstbefragung gemeint, dass sie sich vor der Polizei fürchte. Dem BFA ist zuzustimmen, dass es in Bezug auf das Vorbringen rund um die Person, bei der sie die letzten Monate vor der Ausreise verbracht hatte, und damit auch rund um die angebliche Verfolgung durch die Polizei Widersprüche und Unstimmigkeiten gibt. Das BFA bezog sich auf Abweichungen zwischen Erstbefragung und späterer Einvernahme (in der Erstbefragung war die Rede von einem Lehrer, zu dem sie geflüchtet sei und mit dem sie eine sexuelle Beziehung gehabt habe, weil sie in ihn verliebt gewesen sei, während in der Einvernahme durch das BFA von einer Frau gesprochen wurde, die sie gegen ihren Willen sexuell missbraucht habe; zudem meinte sie in der Erstbefragung, sie sei aus Furcht vor der Polizei weggerannt, während sie dem BFA erklärte, dass sie von einem Mann abgeholt worden sei). Doch auch wenn man berücksichtigt, dass die Erstbefragung nicht der genauen Erörterung der Fluchtgründe dient und dass die Beschwerdeführerin selbst bei der Einvernahme am 14.03.2019 auf diese, wie sie erklärte, falschen Punkte im Protokoll der Erstbefragung verwies und wenn man daher diese Abweichungen nicht berücksichtigt, sondern nur von dem Vorbringen ausgeht, welches sie gegenüber dem BFA erstattete, ist der belangten Behörde in ihren Ausführungen im angefochtenen Bescheid dahingehend zu folgen, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung entspricht. Die Beschwerdeführerin konnte kaum Angaben zur Frau, bei der sie nach dem Verlassen des Hauses ihrer Tante Unterkunft genommen habe, machen, sie kannte etwa nicht deren Namen oder deren Wohnort bzw. wusste sie nicht, wie lange sie sich dort aufgehalten hätte. Wie vom BFA dargelegt, erscheint es auch vollkommen unplausibel, dass diese Frau, die sie sexuell missbraucht haben soll und dabei vom Nachbarn entdeckt worden sein soll, die Beschwerdeführerin aus dem Haus gebracht haben soll, um sie vor einer Verfolgung durch die Polizei zu schützen, während sie selbst dort verblieben sei. Das Bundesverwaltungsgericht schließt keineswegs aus, dass die Beschwerdeführerin bereits in Nigeria Opfer sexueller Gewalt geworden war, doch haben sich die Ereignisse offenbar nicht in der von ihr geschilderten Form zugetragen und kann daher jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass sie von der Polizei (aufgrund einer ihr unterstellten homosexuellen Orientierung) gesucht werden würde.
In der Beschwerde war der Feststellung der belangten Behörde, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft sei, mit dem Verweis auf die der Beschwerdeführerin diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung entgegengetreten worden. Das BFA wies zu Recht darauf hin, dass allen Befunden und Gutachten zu entnehmen war, dass die Beschwerdeführerin generell einvernahmefähig ist. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass von ärztlicher Seite festgestellt wurde, dass es ihr aber fällt bzw. ihr unmöglich ist, gewisse Fragen zu beantworten. Dies kann aber etwa nicht erklären, warum die Frau, welche die Beschwerdeführerin missbraucht haben soll und dabei entdeckt worden sein soll, nach den Angaben der Beschwerdeführerin nur diese und nicht sich selbst in Sicherheit gebracht habe.
Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich bei einer sexuellen Interaktion mit einer Frau von einem Nachbarn entdeckt worden wäre und dieser dann die Polizei informiert hätte, wäre daraus für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass die nigerianische Polizei die Beschwerdeführerin aktiv suchen und in weiterer Folge finden und wegen Homosexualität verhaften würde. Die Beschwerdeführerin brachte nie vor, selbst homosexuell zu sein, daher müsste sie ihre sexuelle Orientierung im Falle einer Rückkehr nach Nigeria auch nicht verbergen. Selbst wenn man daher dem Vorbringen der Beschwerdeführerin folgt, ergibt sich aus den von ihr geschilderten Geschehnissen zwar, dass sie als Kind Opfer von Misshandlung und sexuellem Missbrauch war, nicht aber, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Nigeria in der Gefahr wäre, konkret verfolgt zu werden.
Soweit die Beschwerdeführerin immer wieder erwähnte, dass ihre Tante sie zu einer Ehe hatte überreden wollen und sie deswegen das Haus verlassen hatte, ist daraus keine Bedrohung ersichtlich, hat ihre Tante sie doch deswegen in weiterer Folge nicht gesucht oder weiterhin versucht, sie dazu zu zwingen.
Zudem wurde erstmals in einer Stellungnahme der gesetzlichen Vertretung vom 28.03.2019 erklärt, dass die Beschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel sei, was von der Beschwerdeführerin selbst allerdings in der Einvernahme durch das BFA am 14.03.2019 verneint worden war.
Vorgelegt wurde im Verfahren auch ein Schreiben der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels (LEFÖ-IBF) vom 14.12.2018, betitelt als "Expertise der spezialisierten Opferschutzeinrichtung LEFÖ-IBF/Stellungnahme im Asylverfahren". Darin wird darauf hingewiesen, dass von den Mitarbeitern des SOS Kinderdorfes, in dem die Beschwerdeführerin untergebracht ist, bereits im April 2018 wegen des Verdachts des Menschenhandels Kontakt mit LEFÖ aufgenommen worden war. Die Beschwerdeführerin sei allerdings kaum in der Lage gewesen, von ihren traumatischen Erfahrungen zu berichten, da sie immer wieder von ihren Emotionen überwältigt worden sei. Sie sei nicht in der Lage zu erzählen, was mit ihr auf dem Weg nach Österreich passiert sei und sei eine eventuelle Gefährdung in Nigeria schwer einschätzbar. Ein Verdacht auf Menschenhandel lasse sich aufgrund der wenigen vorliegenden Informationen nicht endgültig ausschließen.
Dem schließt sich das Bundesverwaltungsgericht an; während das BFA im angefochtenen Bescheid feststellt, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin als Ganzes nicht glaubhaft ist und daher auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie ein Opfer von Frauenhandel sei, weswegen die Stellungnahme der gesetzlichen Vertreterin vom 28.03.2019 unbeachtlich sei, ist es aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes im Falle nigerianischer Mädchen und Frauen im Asylverfahren unabdingbar, einen Verdacht auf Menschenhandel näher zu untersuchen. Laut Aussagen von IOM Italien im Jahr 2016 ist bei etwa 80% der nigerianischen Frauen, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, davon auszugehen, dass sie Opfer von Menschenhandel sind. Die Beschwerdeführerin blieb in ihren diesbezüglichen Angaben sehr vage, sprach nur davon, dass ein Mann sie an einen anderen Mann übergeben habe und sie nichts selbst für die Reise bezahlt habe. In Libyen sei sie mehrmals interniert und vergewaltigt worden. Eine eindeutige Feststellung, dass die Beschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel wurde, kann auf dieser Basis nicht getroffen werden und war es offenbar auch der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels nicht möglich, genauere Aussagen zu bekommen; auch die Interventionsstelle geht nicht weiter, als Frauenhandel im Falle der Beschwerdeführerin nicht auszuschließen.
Auch bei Opfern von Frauenhandel ist die zentrale Frage (in Bezug auf die Gewährung von Asyl), ob sie im Falle einer Rückkehr Verfolgung zu befürchten hätten. Eine solche konkrete Verfolgung ihrer Person wurde von der Beschwerdeführerin aber zu keinem Zeitpunkt vorgebracht: Während sie in der Erstbefragung eine mögliche Verfolgung durch ihre Verwandten und die Polizei angab, meinte sie dann in der Einvernahme durch das BFA nur mehr, dass sie sich davor fürchte, verhaftet zu werden wegen einer ihr unterstellten Homosexualität. Zu keinem Zeitpunkt wies sie jemals darauf hin, dass sie durch die Frau, bei der sie nach dem Verlassen des Hauses ihrer Tante geblieben war oder durch einen der Männer, die für ihre Reise nach Libyen sorgten, eine Verfolgung zu befürchten hätte. Es ergibt sich aus ihren Aussagen weder die Gefahr einer möglichen Vergeltung durch die Menschenhändler noch einer erneuten Verbringung durch Menschenhändler. Eine konkrete Verfolgung ihrer Person in Nigeria wurde daher nicht glaubhaft gemacht.
Dass die Beschwerdeführerin Opfer von sexueller Gewalt geworden ist, ergibt sich aus ihren diesbezüglich gleichbleibenden Aussagen, den verschiedenen ärztlichen und psychologischen Befunden und Gutachten sowie dem Umstand, dass sowohl in Nigeria wie auch in Libyen sexuelle Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung steht. Die Beschwerdeführerin hatte wiederholt auch von Vergewaltigungen während ihres Gefängnisaufenthaltes in Libyen berichtet. Das Bundesverwaltungsgericht hält es - in Übereinstimmung mit aktuellen Berichten (vgl. etwa Spiegel-Bericht vom 25.03.2019: "Es ist eine traurige Gewissheit, dass so ziemlich jede Frau, die durch Libyen nach Europa flüchten will, Opfer sexueller Gewalt wird.", abrufbar unter
Zugriff am 25.06.2019) - für durchaus wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin auf ihrer Reise nach Europa Opfer von sexueller Gewalt wurde und dies auch zu einer Traumatisierung beigetragen hat. Daraus ergibt sich aber keine Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr nach Nigeria.
Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht zur Feststellung, dass die Beschwerdeführerin Opfer sexueller Gewalt wurde, dass ihr in Nigeria aber keine konkrete Verfolgung droht.
2.5. Zu einer Rückkehrgefährdung der Beschwerdeführerin:
Es wurde bereits festgestellt, dass die Beschwerdeführerin in Libyen Opfer sexueller Gewalt wurde. Selbst wenn die Beschwerdeführerin Opfer eines Menschenhandelsnetzwerkes gewesen sein sollte, wurde eine konkrete Verfolgung (etwa in Form von Vergeltungsmaßnahmen durch das Menschenhandelsnetzwerk) nicht vorgebracht.
Die Beschwerdeführerin ist allerdings als besonders vulnerabel anzusehen, da sie bereits als Minderjährige Opfer sexueller Gewalt geworden ist. Auch wenn die Details ihres Lebens in Nigeria vor der Ausreise nicht klar greifbar sind, ergeben sich aus den Befunden und Gutachten deutliche Hinweise auf einen bereits in Nigeria vorgenommenen sexuellen Missbrauch (wobei nochmals darauf hingewiesen wird, dass laut dem vom BFA beauftragten Gutachten vom 02.07.2019 von keiner Simulation auszugehen ist). Die Beschwerdeführerin wurde daher wohl zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens und dies als Kind Opfer verschiedener sexueller Gewalt. Daraus resultiert im Fall der Beschwerdeführerin keine konkrete Verfolgung ihrer Person, allerdings eine besondere Vulnerabilität, welche ihr den Aufbau einer eigenständigen Existenz in Nigeria erschweren würde. Zudem gab sie stets an, dass sie Waise sei und keinen Kontakt mehr zu ihrer Tante, die sie ebenfalls misshandelt habe, mehr habe. Darüber hinaus litt die Beschwerdeführerin an einer schwerwiegenden posttraumatischen Belastungsstörung, die sich nun zu einer andauernden Persönlichkeitsveränderung entwickelt hat; zudem liegt eine depressive Episode vor.
Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin, die über keine Berufserfahrung verfügt, nicht in der Lage sein wird, sich eine eigene Existenz zu sichern. Unterstützung durch Familie oder ein sonstiges Netzwerk kann sie nicht erwarten, eine Unterstützung durch NAPTIP oder eine NGO wäre zeitlich befristet.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass die Beschwerdeführerin in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Eine Minderjährigkeit ist zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr gegeben. Dennoch steht fest, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine junge Erwachsene handelt, die als Minderjährige sexuelle Gewalt erfahren musste. Sie leidet an psychischen Problemen und kann von einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgegangen werden, wenn sie nach Nigeria zurückkehren würde, da sie in Nigeria kein starkes familiäres Netzwerk aufzuweisen hat. Erschwerend kommt hinzu, dass alleinstehende Frauen, die nach Nigeria zurückkehren, unter einer Stigmatisierung leiden (was auch eine Reintegration in einen weiteren Familienverband, sofern es einen solchen geben sollte, erschweren würde).
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass - wie im angefochtenen Bescheid aufgezeigt wurde - psychische Probleme, darunter auch posttraumatische Belastungsstörungen, in Nigeria behandelbar sind; allerdings wäre es der Beschwerdeführerin kaum möglich, sich selbst eine Behandlung in Nigeria zu finanzieren, da von einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit auszugehen sein wird. Zudem ist allen Befunden und Gutachten zu entnehmen, dass bereits das Erzählen über die vergangenen Ereignisse zu einer Retraumatisierung führen kann; dies wäre auch für den Fall einer erzwungenen Abschiebung nach Nigeria zu erwarten, was wiederum negative Auswirkungen auf ihre Erwerbsfähigkeit hätte.
Aufgrund der fehlenden sozialen und familiären Einbettung, des psychisch stark beeinträchtigten Zustandes der Beschwerdeführerin sowie dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin über keine Berufsausbildung verfügt, und im jugendlichen Alter Opfer sexueller Gewalt wurde, ist davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage wäre, eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen. Es ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes wahrscheinlich, dass es ihr nicht möglich wäre, sich das Existenzminimum zu sichern und dass sie in eine existentielle Notlage geraten würden.
2.6. Zu den Länderfeststellungen:
Den Feststellungen des Länderinformationsblattes wurde nicht entgegengetreten.
In der schriftlichen Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 28.03.2019 und im Beschwerdeschriftsatz wurde auf die COI Compilation on Human Trafficking zu Nigeria vom Dezember 2017 von ACCORD, auf den EASO Bericht, Sexhandel mit Frauen und auf einen Artikel von Human Rights Watch, UK gets it wrong on human trafficking in Nigeria vom 04.07.2019 hingewiesen. Alle Quellen wurden im gegenständlichen Erkenntnis berücksichtigt. Im Artikel wurde auf den geplanten Bericht von Human Rights Watch zu Menschenhandel in Nigeria Bezug genommen; dieser Bericht ("You pray for death" - Trafficking of Women and Girls in Nigeria) vom 27.08.2019 wurde ebenfalls berücksichtigt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführerin wegen einer ihr unterstellten homosexuellen Orientierung, aus Furcht vor einer Zwangsheirat und wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Opfer von systematisch organisiertem Frauenhandel asylrelevante Verfolgung drohe.
Wie bereits dargelegt wurde, ist nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich bei einer erzwungenen sexuellen Interaktion mit einer Frau entdeckt worden wäre und deswegen von der Polizei gesucht würde. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt jedenfalls keine Gefahr, dass sie bei einer Rückkehr von den Sicherheitsbehörden deswegen verhaftet werden würde. Eine Verfolgung durch ihre Tante ist ebenfalls nicht glaubhaft, wurde der Druck zu einer Eheschließung doch nur ausgeübt, solange die Beschwerdeführerin sich bei ihr zu Hause aufhielt. Dass ihre Tante sie suchen würde, um sie zu einer Ehe zu zwingen, wurde von der Beschwerdeführerin selbst nie vorgebracht.
Die Beschwerdeführerin selbst hatte verneint, Opfer von Menschenhandel zu sein; in der schriftlichen Stellungnahme vom 28.03.2019 und im Beschwerdeschriftsatz wurde dies allerdings vorgebracht.
Unter "Menschenhandel" ist im Sinne des Art. 2 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie 2011/36/EU (Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels) "die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über die andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung" zu verstehen.
Ausbeutung im Sinne der genannten Richtlinie umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung sowie Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen (einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme). Ausbeutung liegt vor, sobald eine Person genötigt wird (unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, Entführung, Betrug, Täuschung usw.), wobei es keine Rolle spielt, dass das Opfer seine Zustimmung gegeben hat.
Im Sinne des Art. 3 lit. a des Palermo-Protokolls ("Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels" zum UN-"Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität")
a) bezeichnet der Ausdruck "Menschenhandel" die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen;
b) ist die Einwilligung eines Opfers des Menschenhandels in die unter Buchstabe a genannte beabsichtigte Ausbeutung unerheblich, wenn eines der unter Buchstabe a genannten Mittel angewendet wurde;
c) gilt die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme eines Kindes zum Zweck der Ausbeutung auch dann als Menschenhandel, wenn dabei keines der unter Buchstabe a genannten Mittel angewendet wurde;
d) bezeichnet der Ausdruck "Kind" Personen unter achtzehn Jahren.
Nigeria ist, wie bereits festgestellt wurde, eine Drehscheibe des internationalen Frauenhandels. Im gegenständlichen Fall kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel ist. Allerdings gelang es der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft zu machen, dass sie nach einer Rückkehr wieder Opfer von Menschenhandel werden würde bzw. irgendwelche Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten hätte.
Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat Nigeria keine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen ist.
3.2. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, 200/01/0443).
Das BFA hatte den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass es der Beschwerdeführerin als erwachsenen jungen Frau zugemutet werden könne, auch ohne Berufserfahrung für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, so könne sie etwa ihre mittlerweile erworbenen Deutschkenntnisse im Tourismusbereich einsetzen. Zudem gehe die belangte Behörde davon aus, dass sie überverwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Nigeria verfügen würde. Das BFA unterlässt es aber darzulegen, wie es zur Annahme kommt, dass die Beschwerdeführerin über ein familiäres Netzwerk verfügt und übersieht zudem, dass viele Frauen, die nach Nigeria zurückkehren, von ihren Familien diskriminiert und stigmatisiert werden (vgl. dazu Punkt 1.3.). Dass alleinstehende Frauen in Nigeria besonderen Schwierigkeiten gegenüberstehen, ergibt sich schon aus den wiedergegebenen Länderfeststellungen (siehe dazu auch VwGH, 07.03.2019, 2018/21/0141).
Auch wenn grundsätzlich für alleinstehende Frauen bei einer Rückkehr nach Nigeria trotz aller Schwierigkeiten die Möglichkeit besteht, Unterkunft und Arbeit zu erlangen und es sohin real möglich ist, eine Existenz zu begründen und die eigenen Grundbedürfnisse zu befriedigen, sind gegenständlich aber derart exzeptionelle Umstände gegeben, dass im Falle einer Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Nigeria die reale Gefahr besteht, dass es ihr nicht möglich ist, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen. Die Beschwerdeführerin leidet an psychischen Problemen, die ihre Erwerbsfähigkeit einschränken. Es erscheint glaubhaft, dass sie nicht auf familiäre Unterstützung zurückgreifen kann. Aufgrund der geringen beruflichen Qualifikationen und der wiederholten Erfahrung sexueller Gewalt ist davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage wäre, eine Anstellung zu finden, die ihr eine existenzielle Grundlage sichert. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, wie die Beschwerdeführerin sich eine, wenn auch bescheidene, Existenz sichern können sollte.
Die Gewährung eines Status nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 setzt voraus, dass die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine Verletzung des Art. 3 EMRK aufgezeigt wird (vgl. zuletzt VwGH, 21.05.2019, Ro 2019/19/0006). Eine solche reale Gefahr besteht im Falle einer Rückkehr für die Beschwerdeführerin für das gesamte Staatsgebiet Nigerias.
Ausschlussgründe im Sinne des § 9 AsylG 2005 liegen nicht vor. Der Beschwerdeführerin ist daher der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 zu erteilen.
3.3. Zur Aufhebung der Rückkehrentscheidung und der Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.
Da im gegenständlichen Fall der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, liegen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung einschließlich Fristsetzung für die freiwillige Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat nicht (mehr) vor.
Daher waren die vom BFA in den Spruchpunkten III. bis VI. des angefochtenen Bescheides angeordnete "Nichterteilung" eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria und die Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 28 Abs. 2 iVm. § 27 VwGVG ersatzlos aufzuheben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Im Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit der Verhandlungspflicht des Bundesverwaltungsgerichts auseinandergesetzt und folgende Kriterien entwickelt:
* Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen.
* Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen.
* In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG 2014 festgelegte Neuerungsverbot verstößt.
Im vorliegenden Beschwerdefall ist aus dem Akteninhalt des Verwaltungsaktes die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar. Es hat sich auch in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit der Beschwerdeführerin zu erörtern.
Im gegenständlichen Fall ist zudem zu berücksichtigen, dass zwar von einer generellen Einvernahmefähigkeit der Beschwerdeführerin ausgegangen wird, dass aus ärztlicher und psychologischer Sicht (vgl. dazu Befund der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie vom 03.10.2018 (ein forciertes Erzählen berge das Risiko einer Retraumatisierung in sich); Ärztliche Bestätigung eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 17.12.2018 (Hinweis darauf, dass eine Einvernahme der Beschwerdeführerin zu ihrer Überlastung führen würde); Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen aus dem Bereich der Psychologie vom 02.07.2019 (aktuell würden Stresssiuationen ein Traumaerleben bewirken) aber von einer Konfrontation der Beschwerdeführerin mit den traumatischen Ereignissen abgeraten wird. Das Bundesverwaltungsgericht sieht daher davon ab, die Beschwerdeführerin das bereits dem BFA Berichtete wiederholen zu lassen. Wie bereits dargelegt wurde, würde sich, auch wenn die Beschwerdeführerin das Gericht davon überzeugen könnte, dass sie tatsächlich mit einer Frau bei einer sexuellen Handlung beobachtet worden wäre, nichts am Ausgang des Verfahrens ändern, da die Behörden in Nigeria Homosexualität nicht derart systematisch verfolgen, dass eine Person Jahre nach einem derartigen singulärem Vorfall Verfolgung durch die Behörden zu befürchten hätte. Es besteht daher keine Notwendigkeit, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Die oben angeführten Voraussetzungen für den Entfall der mündlichen Verhandlung lagen sohin vor.
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