BVwG L521 2131503-1

BVwGL521 2131503-16.6.2017

AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs5

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:L521.2131503.1.00

 

Spruch:

L521 2131503-1/19E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, 1170 Wien, Ottakringer Straße 54/4/Top 2, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2016, Zl. 1080945101-151001873, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21.03.2017 zu Recht:

 

A)

 

Der Beschwerde wird Folge gegeben, Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Fortsetzung des Verfahrens als Familienverfahren unter einem mit dem Verfahren der Mutter XXXX , geb. XXXX , Zl. 1007909907-160071706, aufgetragen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die Beschwerdeführerin ist das nachgeborene Kind von XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX . Die Eltern der Beschwerdeführerin sind Staatsangehörige des Irak und halten sich derzeit aufgrund befristeter Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

 

2. Der Vater der Beschwerdeführerin, XXXX , stellte als gesetzlicher Vertreter der Beschwerdeführerin am 04.08.2015 für dieses einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte darin vor, dass die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen habe und sich der Antrag ausschließlich auf die Gründe des Vaters bzw. der Mutter beziehen würde.

 

3. Mit Verfahrensanordnung vom 28.01.2016 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (!) beigegeben.

 

4. Am 30.05.2016 fertigte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aktuelle Datenbankauszüge betreffend die Beschwerdeführerin und ihre Mutter XXXX an, woraus unter anderem hervorgeht, dass die Mutter der Beschwerdeführerin am zuletzt am 14.01.2016 einen (neuerlichen ) Antrag auf internationalen Schutz stellte.

 

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2016 (in der im Verwaltungsakt aufliegenden Urschrift des Bescheides erkennbar irrtümlich auf den "15.06.2015" datiert) wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß §§ 8 Abs. 1 und 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 18.03.2018 erteilt (Spruchpunkt III).

 

Begründend führte die belangte Behörde nach den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin aus, ihr Vater habe für diese keine asylrelevante Verfolgung namhaft gemacht und keine eigenen Fluchtgründe angegeben. Der am 04.08.2015 eingebrachte Antrag beziehe sich auf den Aufenthaltsstatus der Mutter der Beschwerdeführerin.

 

Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Herkunftsstaat begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen habe oder eine derartige Verfolgung zukünftig zu befürchten sei.

 

6. Gegen Spruchpunkt I des der Mutter als gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin am 17.06.2016 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführerin fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

 

In dieser wird erkennbar inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz Folge zu geben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.

 

In der Sache bringt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, sie gehöre der Volksgruppe der Jeziden an und sei deshalb im Irak der maßgeblichen Gefahr einer individuellen Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt. Die belangte Behörde habe es diesbezüglich verabsäumt, die Rückkehrsituation im Lichte aktueller länderkundlicher Informationen zu prüfen.

 

7. Die Beschwerdevorlage langte am 01.08.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

 

8. Am 21.03.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein der Beschwerdeführerin und seiner Rechtsvertretung sowie eines Dolmetschers für die kurdische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin einerseits Gelegenheit gegeben, die Gründe der Antragstellung umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche der Beschwerdeführerin ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. Außerdem wurde der Vater der Beschwerdeführerin als Zeuge einvernommen.

 

9. Infolge der Abwesenheit der belangten Behörde bei der am 21.03.2017 durchgeführten mündlichen Verhandlung richtete das Bundesverwaltungsgericht an diese am 03.04.2017 eine Anfrage zum Stand des Asylverfahrens der Vian Haji HAYDER, geb. 01.01.1992, welche am 05.2017 beantwortet wurde.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Die Beschwerdeführerin führt den im Spruch angegebenen Namen und wurde am 28.07.2015 in Wien geboren. Sie lebt mit ihren Eltern XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX , in 1170 Wien, XXXX . Die Eltern der Beschwerdeführerin sind Staatsangehörige des Irak und halten sich derzeit aufgrund befristeter Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Beschwerdeführerin ist Angehörige der kurdischen Volksgruppe. Die Eltern der Beschwerdeführerin bekennen sich zur jezidischen Glaubensgemeinschaft.

 

1.2. Der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2016 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr gemäß eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 18.03.2018 erteilt.

 

1.3. Die Mutter der Beschwerdeführerin, XXXX , geb. XXXX , stellte am 14.01.2016 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadtpolizeikommandos Simmering einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz und brachte im Rahmen der Erstbefragung begründend im Wesentlichen vor, dass Angehörige der jezidischen Glaubensgemeinschaft im Irak verfolgt würden und ihre Heimatregion derzeit von den Milizen des Islamischen Staates faktisch beherrscht würde.

 

Das diesbezügliche Asylverfahren wird vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Zahl 1007909907-160071706 geführt, ist noch nicht abgeschlossen und es ist in diesem Verfahren auch noch keine Einvernahme der Antragstellerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erfolgt. Aufgrund eines dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterlaufenen Irrtumes wurde dieses Asylverfahren seit dem 15.04.2016 in der elektronischen integrierten Fremdenadministration als abgeschlossenes Verfahren geführt, obwohl eine Erledigung tatsächlich nicht erfolgt ist.

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt sowie des Inhaltes der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde, ferner durch Vernehmung der Eltern der Beschwerdeführerin in der vor dem erkennenden Gericht am 21.03.2017 durchgeführten mündlichen Verhandlung, Einsichtnahme in die die Eltern der Beschwerdeführerin betreffenden Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und schließlich durch Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin.

 

2.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts der belangten Behörde.

 

Die Identität, Volksgruppenzugehörigkeit und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin und ihrer Eltern sowie deren Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte ergeben sich einerseits aus den in Vorlage gebrachten unbedenklichen Urkunden (Geburtsurkunde des Magistrats der Stadt Wien, Meldezettel), den die Eltern der Beschwerdeführerin betreffenden Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und insbesondere den in deren Asylverfahren getroffenen Entscheidungen.

 

Dass die Mutter der Beschwerdeführerin, XXXX , am 14.01.2016 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadtpolizeikommandos Simmering einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte, ergibt sich eindeutig aus dem diesbezüglichen (physischen) Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur Zahl 1007909907-160071706, welcher vom Bundesverwaltungsgericht im Original beigeschafft und eingesehen wurde. Aus eben diesem Akt ergibt sich ferner, dass im genannten Asylverfahren noch keine Einvernahme der Antragstellerin XXXX erfolgte und bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine Erledigung ihres Antrages vom 14.01.2016 erfolgte. Seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde dies in der Stellungnahme vom 05.04.2017 bekräftig, zumal in dieser Stellungnahme die Weiterführung des Asylverfahrens zur Zahl 1007909907-160071706 zugesagt wird und entgegenstehende Datenbankeintragungen als Irrtum bezeichnet werden.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichts entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

 

Bei einer Aufhebung eines Bescheids gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs. 5 VwGVG handelt es sich um eine materielle Erledigung in Form eines Erkenntnisses (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, § 28 VwGVG, Anm. 17; vgl. auch VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162), die von einer Erledigung in Beschlussform nach § 28 Abs. 3 2. Satz und Abs. 4 VwGVG zu unterscheiden ist.

 

3.2. § 34 Abs. 1 und 4 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 lauten:

 

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von 1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

 

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder 3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

 

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

 

Asylwerber ist gemäß § 2 Abs. 1 Z. 14 AsylG 2005 ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

3.2. Nach den erläuternden Bemerkungen zu § 34 AsylG 2005 sind die Asylverfahren einer Familie "unter einem" zu führen, wobei jeder Antrag auf internationalen Schutz gesondert zu prüfen ist. Jener Schutzumfang, der das stärkste Recht gewährt, ist auf alle Familienmitglieder anzuwenden. Das gemeinsame Führen der Verfahren hat den Vorteil, dass möglichst zeitgleich über die Berechtigungen, die Österreich einer Familie gewährt, abgesprochen wird. Diese Vereinfachung und Straffung der Verfahren wird auch im Berufungsverfahren (nunmehr: Beschwerdeverfahren) fortgesetzt (RV 952 BlgNR 22. GP , 54).

 

3.3. Die Beschwerdeführerin ist die minderjährige Tochter von XXXX , geb. XXXX , und damit deren Familienangehörige im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005.

 

XXXX ihrerseits stellte am 14.01.2016 – sohin Monate vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides – vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadtpolizeikommandos Simmering einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Sie ist folglich seither gemäß § 2 Abs. 1 Z. 14 AsylG 2005 Asylwerberin.

 

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 wäre die belangte Behörde demnach verpflichtet gewesen, die Anträge der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter auf internationalen Schutz unter einem zu führen und nach Maßgabe des § 34 AsylG 2005 auch einer – wiewohl in getrennten Bescheiden zum Ausdruck zu bringenden – gemeinsamen Entscheidung zu unterziehen. Dies hat die belangte Behörde rechtsirrig unterlassen.

 

Der vom Verfassungsgerichtshof (unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 09.04.2008, Zl. 2008/19/0205) im Erkenntnis vom 18.09.2015, E 1174/2014, geäußerten Anschauung folgend hat das Bundesverwaltungsgericht demnach den angefochtene Bescheid in seinem angefochtenen Spruchpunkt I. aufzuheben und der belangten Behörde die Durchführung eines Familienverfahrens mit der Mutter der Beschwerdeführerin aufzutragen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die zitierte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes soweit ersichtlich vereinzelt geblieben ist und § 34 Abs. 5 AsylG 2005 für das Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht lediglich die sinngemäße Anwendung des § 34 5 AsylG 2005 anordnet, ohne einen greifbaren Lösungsansatz für die hier gegenständliche Rechtsfrage zu präsentieren. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes ist indes der vom Verfassungsgerichtshof vorgezeichnete Weg alternativlos und entspricht auch der ratio legis der Vereinfachung und Straffung der Verfahren. Eine gesonderte Weiterführung des hier gegenständlichen Verfahrens würde einerseits dazu führen, dass Verfahrensschritte doppelt ausgeführt würden und die belangte Behörde letztlich in der vollen Kognitionsbefugnis hinsichtlich des bei ihr anhängigen Asylverfahrens faktisch eingeschränkt wäre. Im gegenständlichen Fall hätte die belangte Behörde die Verfahren zudem leicht verbinden können, da die neuerliche Antragstellung seitens der Mutter schon Monate vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides erfolgte und die Verbindung der Verfahren offenbar lediglich infolge der in der Stellungnahme vom 05.04.2017 zugestandenen eigenen Nachlässigkeit der belangten Behörde erfolgte.

 

Das Bundesverwaltungsgericht seinerseits hat keine verfahrensrechtliche Möglichkeit, das hier anhängige Verfahren bis zur Beendigung des Asylverfahrens die Mutter der Beschwerdeführerin betreffend zu unterbrechen oder auszusetzen. Dazu tritt der sogleich unter Punkt 3.3. zu erörternde Umstand, dass sich die belangte Behörde im gegenständlichen Fall rechtsirrig überhaupt nicht mit den für die Beschwerdeführerin vorgebrachten Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen auseinandergesetzt hat, sodass das Bundesverwaltungsgericht überhaupt erstmalig eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages der Beschwerdeführerin vorzunehmen hätte. Die vom Verfassungsgerichthof im Erkenntnis vom 18.09.2015, E 1174/2014, geäußerten Rechtsansicht – welche vom Gesetzgeber bislang auch nicht zum Anlass einer Korrektur der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen genommen wurde – ist schließlich eindeutig und hat das Bundesverwaltungsgericht dieser zu folgen, um das gegenständliche Erkenntnis nicht mit Verfassungswidrigkeit zu belasten.

 

Das Bundesverwaltungsgericht weist klarstellend darauf hin, dass die Aufhebung von Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides nicht auf der verfahrensrechtlichen Grundlage des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG erfolgt, weil die Behörde in der vorliegenden Fallkonstellation nicht notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat, sondern in Gestalt einer Sachentscheidung, zumal dem Bundesverwaltungsgericht ausweislich der vorstehend dargelegten Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes keine Kompetenz zur gesonderten Weiterführung des als Familienverfahren zu führenden Asylverfahrens der Beschwerdeführerin zukommt.

 

3.3. Darüber hinaus erweist sich der angefochtene Bescheid auch in seiner Begründung im Hinblick auf den angefochtenen Spruchpunkt I. als verfehlt.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unabhängig von der konkreten Formulierung jeder Antrag eines Familienangehörigen in erster Linie auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gerichtet. Es sind daher für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn solche – nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren – nicht hervorkommen, ist dem Antragsteller jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (VwGH 21.10.2010, Zl. 2007/01/0164; 24.03.2015, Ra 2014/19/0063).

 

Die belangte Behörde übersieht aus den im Rahmen der Beweiswürdigung erörterten Gründen zunächst, dass die Mutter der Beschwerdeführerin XXXX (erneut) Asylwerberin ist. Ferner vertritt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unzutreffend die Auffassung, dass der Vater der Beschwerdeführerin am 04.08.2015 einen Antrag im Familienverfahren eingebracht habe, wonach für die Beschwerdeführerin "derselbe Schutz wie für ihre Mutter beantragt werde" (Seite 3 des angefochtenen Bescheides). Eine derartige Einschränkung kann jedoch dem verfahrenseinleitenden Antrag nicht entnommen werden, zumal dort festgehalten ist, dass sich der Antrag auf die Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen des Vaters bzw. der Mutter beziehen würde (AS 1). Die vorzitierte Feststellung ist demnach aktenwirdig.

 

Ausgehend davon ist der belangten Behörde anzulasten, dass diese die Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen des Vaters bzw. der Mutter nicht einmal erhoben, geschweige denn sich damit auseinandergesetzt hat. Gerade im Gefolge der neuerlichen Antragstellung der Mutter XXXX wurden Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen in Bezug auf die Volksgruppenzugehörigkeit bzw. Religionszugehörigkeit substantiiert vorgebracht. Die belangte Behörde wäre demnach verpflichtet gewesen, eine mögliche Rückkehrgefährdung der Beschwerdeführerin inhaltlich zu prüfen, anstatt sich mit Hinweis zu begnügen, dass der Asylantrag der Beschwerdeführerin "ausschließlich der Aufrechterhaltung des Familienverbandes zu Ihrer Mutter" diene. Der angefochtene Bescheid kann auch aus diesem Grund keinen Bestand haben und erweist sich aus diesem Grund die gewählte Vorgehensweise im Kontext des § 34 AsylG 2005 auch als zweckmäßig.

 

Der guten Ordnung halber weist das Bundesverwaltungsgericht außerdem darauf hin, dass für die Entscheidung in der Sache jedenfalls länderkundliche Feststellungen zur Lage der Jeziden im Irak zu treffen sind, welche wiederum auf aktuellen länderkundlichen Berichten zu basieren haben.

 

Zu B)

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil zwar einschlägige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur hier gegenständlichen Rechtsfrage vorliegt, aus der bislang ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs jedoch keine auf den gegenständlichen Sachverhalt übertragbare Rechtsprechung vorliegt. Das zitierte Erkenntnis vom 09.04.2008, Zl. 2008/19/0205, bezog sich auf eine andere gelagerte Konstellation, zumal der seinerzeit belangte Unabhängige Bundesasylsenat zwei bei ihm gleichzeitig anhängige Berufungsverfahren von Familienangehörigen nicht unter einem entschieden hatte. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes liegt somit eine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

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