ASVG §44 Abs1 Z18
ASVG §76b Abs5a
ASVG §77 Abs8
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
ASVG §18b
ASVG §44 Abs1 Z18
ASVG §76b Abs5a
ASVG §77 Abs8
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W229.2105681.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Elisabeth WUTZL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 19.12.2014, HVBA-XXXX, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013 iVm. §§ 18b, 44 Abs. 1 Z 18, 76b Abs. 5a und 77 Abs. 8 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. 189/1955 idF BGBl. I Nr. 2/2015 stattgegeben und der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung ab 30.10.2013 anerkannt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin stellte am 30.10.2014 bei der Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) ab 30.10.2013 für Zeiten der Pflege ihres Vaters. Auf Bl. 3, Punkt 4.1 des Antrages führte die Beschwerdeführerin an, dass sie selbstständig als Landwirtin tätig sei und ihre Arbeitszeit von Montag bis Sonntag ca. 50 Stunden betrage.
2. Die Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19.12.2014 ab. Begründend führt die Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, aus, dass die Berechtigung zur Selbstversicherung gemäß § 18b ASVG nicht gegeben sei, weil keine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft der Beschwerdeführerin für die Pflege eines nahen Angehörigen vorliege.
3. Mit Schreiben vom 13.01.2015, bei der Pensionsversicherungsanstalt eingegangen am 16.01.2015, erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid rechtzeitig Beschwerde. Begründend führte die Beschwerdeführerin darin im Wesentlichen aus, dass der vorgebrachte Ablehnungsgrund bloß eine Standardformulierung und keine auf den Antrag abgestimmte Begründung der Ablehnung enthalte. Weiters führe sie eine Landwirtschaft und habe nicht nur ihren Vater, sondern auch zwei weitere Personen zu pflegen. Der Pflegeaufwand schränke ihre Tätigkeit in der Landwirtschaft immens ein und stehe die Entschädigung durch die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung durch die Pflege von XXXX in keiner Relation zu dem eigentlichen Gesamtaufwand, den sie trage.
4. Mit Schreiben vom 17.02.2015 forderte die Pensionsversicherungsanstalt die Beschwerdeführerin auf, einen detaillierten Tagesablauf nachzureichen.
5. Mit Schreiben vom 06.03.2015 übermittelte die Beschwerdeführerin eine detaillierte Aufzeichnung ihrer Arbeitszeiten wie folgt:
"Mo bis So.:
Ca. 5.30. - ca. 8.00 Stallarbeit
Ca. 8.00 - 9.30 Betreuungszeit: XXXX aufstehen helfen, anziehen, Mund und Körperpflege, WC; Frühstück vorbereiten und beim Essen helfen. Ich frühstücke ebenfalls. Im Anschluss abräumen.
Ca. 9.30 - ca. 11.00 Tätigkeiten im Haus (Waschen, Bügeln, Putzen, Lebensmitteleinkäufe, Haus in Ordnung halten ...) für alle im Haushalt lebenden.
Ca.- 11.00 - ca. 12.00 Essen kochen für die drei älteren Personen und mich
Ca. 12.00 - ca. 13.00 Betreuungszeit: Beim Mittagessen helfen und selbst Mittag essen, Tabletten eingeben, zusammenräumen, XXXX nach dem Essen in Bett legen (Mittagsschlaf).
Ca. 13.00 - ca. 15.00 Hofarbeit
Ca. 15.00 bis ca. 17.00 Betreuungszeit: XXXX aufstehen helfen, anziehen, WC, mit ihm angeordnete Bewegungstherapie machen. Jause vorbereiten (schneiden), XXXX zum Tisch bringen, Tabletten geben, Jausnen, Jause wegräumen;
Ca. 17.00 - ca. 19.30 Stallarbeit
Ca. 19.30 - ca. 20.00 XXXX aufs WC, ins Bett bringen.
Als ich noch niemanden zu pflegen hatte, arbeitete ich 9 h pro Tag, aber dies rein in der Landwirtschaft (von ca. 6.30 bis 18.30 Uhr, inkl. Pausen). Durch die Pflegetätigkeit stehe ich früher auf und arbeite länger, um alles irgendwie zu schaffen und trotzdem für meine Eltern ausreichend da zu sein. Daher ist auch dieses "[Ü]berwiegen der Pflegetätigkeit" schwierig darzustellen.
Ich hoffe mit dieser Aufzeichnung wird ersichtlich, dass die Betreuung von XXXX einen wesentlichen Teil meines Arbeitstages einnimmt. Wie bereits mitgeteilt leben aber noch 2 weitere pflegebedürftige Personen in meinem Haushalt, d.h. für diese übernehme ich ebenfalls alle notwendigen Aufgaben wie Besorgungen machen, kochen, putzen, Körperpflege etc.
Ich habe in den obigen Angaben nur meinen Vater XXXX als zu pflegende Person dargestellt. Es sind alles ungefähre Zeiten, da nicht alle Tage die gleiche körperliche und psychische Konstitution vorliegt, dauert es mal mehr oder weniger lange. (...)"
6. Mit Schreiben vom 03.04.2015 legte die Pensionsversicherungsanstalt die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor.
In der Beschwerdevorlage führte die Pensionsversicherungsanstalt nach Wiedergabe des Sachverhalts sowie der gesetzlichen Grundlagen unter Punkt III. aus, im vorliegenden Fall sei entscheidungswesentlich, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin bei der Pflege des Angehörigen erheblich beansprucht werde. Im Erhebungsverfahren sei daher zu überprüfen gewesen, in welchem zeitlichen Ausmaß die Beschwerdeführerin neben der Pflegetätigkeit ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit als Landwirtin nachgeht. Gemäß den Angaben der Beschwerdeführerin entfallen auf die Stall- und Hofarbeit täglich rund 7 Arbeitsstunden. Dies entspreche einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 49 Stunden in der Landwirtschaft. Verglichen mit anderen unselbständigen Beschäftigungsverhältnissen sei dieser Zeitaufwand jedenfalls einer Vollzeitbeschäftigung gleichzusetzen. Im Umkehrschluss sei daher jedenfalls nicht davon auszugehen, dass die Pflege des nahen Angehörigen die Beschwerdeführerin erheblich beanspruche. Aus diesem Grunde sei die Selbstversicherung der Beschwerdeführerin in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines nahen Angehörigen mit dem bekämpften Bescheid vom 19.12.2014 zu Recht abgelehnt worden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die in XXXX wohnhafte Beschwerdeführerin, stellte am 30.10.2014 einen Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG ab 30.10.2013 für Zeiten der Pflege ihres Vaters XXXX, geboren am XXXX. Dieser bezieht seit 01.02.2013 Pflegegeld der Pflegestufe 3 (mit Bescheid vom 19.06.2015 auf die Pflegestufe 4 erhöht) und wird in häuslicher Umgebung von der Beschwerdeführerin gepflegt.
Die Beschwerdeführerin arbeitet sieben Stunden täglich in der Landwirtschaft.
Die Beschwerdeführerin leistet Pflegetätigkeiten für ihren Vater in einem beträchtlichen Zeitausmaß, sie übernimmt täglich Pflegeleistungen in der Zeit von 8.00 - 9.30, von 12.00 - 13.00 und von 15.00 - 17.00 sowie von 19.30 - 20.00 und wendet für die Pflege ihres nahen Angehörigen ca. fünf Std täglich auf. Erfasst sind dabei Pflegetätigkeiten wie die regelmäßige Zubereitung von Mahlzeiten, Hilfeleistungen beim Aufstehen, Anziehen sowie bei der täglichen Mund- und Körperpflege, Hilfeleistungen am WC, die Durchführung einer Bewegungstherapie sowie die Verabreichung von Medikamenten. Bei der zeitlichen Aufschlüsselung sind auch Pflegetätigkeiten mitumfasst, wie die Zubereitung von Mahlzeiten, die weiteren Pflegepersonen zugutekommen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den Verwaltungsakten, insbesondere aus den Angaben der Beschwerdeführerin anlässlich der Antragstellung sowie im Rahmen des Beschwerdeverfahrens. Bei der Feststellung des Pflegeaufwandes verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass dabei zum Teil Pflegeleistungen genannt sind, die gleichzeitig auch anderen von ihr zu pflegenden Personen zugutekommen. Jedoch erachtet das Bundesverwaltungsgericht die vorgenommene Aufschlüsselung des Pflegeaufwandes für jenen nahen Angehörigen, für den der Antrag gestellt wurde, als hinreichend.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (BGBl. I Nr. 51/2012) wurde mit 01.01.2014 (Art. 151 Abs. 51 Z 6 BV-G) das Bundesverwaltungsgericht (Art. 129 B-VG) eingerichtet.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 414 Abs. 1 ASVG kann gegen Bescheide der Versicherungsträger oder des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz oder des Bundesministers für Gesundheit in Verwaltungssachen und wegen Verletzung ihrer (seiner) Entscheidungspflicht in Verwaltungssachen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden. Folglich ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. In Ermangelung einer Antragstellung gemäß § 414 Abs. 2 ASVG liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
3.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.3. § 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang fest und beschränkt diesen insoweit, als das Verwaltungsgericht (bei Bescheidbeschwerden) prinzipiell (Ausnahme: Unzuständigkeit der Behörde) an das Beschwerdevorbringen gebunden ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], Anm. 1 zu § 27 VwGVG). Konkret normiert die zitierte Bestimmung: "Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen."
Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG. Die vorliegend relevanten Abs. 1 und 2 dieser Bestimmung lauten wie folgt:
"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist."
Gegenständlich steht der maßgebliche Sachverhalt im Sinne von § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG fest (vgl. Punkt II.2.); das Bundesverwaltungsgericht hat folglich in der Sache selbst zu entscheiden.
3.4. Die im vorliegenden Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 idgF, lauten:
Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger
§ 18b. (1) Personen, die einen nahen Angehörigen oder eine nahe Angehörige mit Anspruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 nach § 5 des Bundespflegegeldgesetzes oder nach den Bestimmungen der Landespflegegeldgesetze unter erheblicher Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während des Zeitraumes dieser Pflegetätigkeit ihren Wohnsitz im Inland haben, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Je Pflegefall kann nur eine Person selbstversichert sein. Die Pflege in häuslicher Umgebung wird durch einen zeitweiligen stationären Pflegeaufenthalt der pflegebedürftigen Person nicht unterbrochen.
(1a) (...)
(2) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den die pflegende Person wählt, frühestens mit dem ersten Tag des Monats, in dem die Pflege aufgenommen wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der dem Tag der Antragstellung folgt.
(3) - (6) (...).
Beiträge zur Pflichtversicherung auf Grund des Arbeitsverdienstes (Erwerbseinkommens)
Allgemeine Beitragsgrundlage, Entgelt
§ 44. (1) Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) ist für Pflichtversicherte, sofern im folgenden nichts anderes bestimmt wird, der im Beitragszeitraum gebührende auf Cent gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt:
1. (...)
18. bei den nach § 8 Abs. 1 Z 2 lit. g pflichtversicherten Erziehenden 1 694,39 €;
Beitragsgrundlage für Selbstversicherte
§ 76b. (1) (...)
(5a) Monatliche Beitragsgrundlage für die Selbstversicherten nach § 18a und nach § 18b ist der Betrag nach § 44 Abs. 1 Z 18. Überschneiden sich Zeiten einer solchen Selbstversicherung mit anderen Beitragszeiten nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz, so ist die Beitragsgrundlage für die Selbstversicherten nach § 18a und nach § 18b so festzusetzen, dass sie zusammen mit den übrigen Beitragsgrundlagen die jeweils geltende monatliche Höchstbeitragsgrundlage (§ 70 Abs. 1 letzter Satz) nicht übersteigt.
(6) (...).
Ausmaß und Entrichtung
§ 77. (1) (...)
(8) Für die nach § 18b Selbstversicherten sind die Beiträge zur Gänze aus Mitteln des Bundes zu tragen.
3.5. Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
3.5.1. Das Begehren der Beschwerdeführerin ist darauf gerichtet, ihren Anspruch auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres Vaters ab dem von ihr beantragten Zeitpunkt anzuerkennen.
3.5.2. Anspruch auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines nahen Angehörigen haben gemäß § 18b ASVG Personen, die (1) einen nahen Angehörigen oder eine nahe Angehörige mit (2) Anspruch auf Pflegegeld zumindest in der Höhe der Stufe 3 nach § 5 des Bundespflegegeldgesetzes oder nach den Bestimmungen der Landespflegegeldgesetze unter (3) erheblicher Beanspruchung der Arbeitskraft (4) in häuslicher Umgebung von der antragstellenden Person pflegt, solange sie (5) während des Zeitraumes dieser Pflegetätigkeit ihren Wohnsitz im Inland haben.
Die belangte Behörde ging vorliegend davon aus, dass der Tatbestand der Pflege unter erheblicher Beanspruchung der Arbeitskraft der Beschwerdeführerin nicht erfüllt ist.
3.5.3. Die Beschwerdeführerin wendet sich in ihrer Beschwerde gegen diese Sichtweise der belangten Behörde. Aus folgenden Gründen ist ihr Recht zu geben:
3.5.3.1. Vorauszuschicken ist, dass die Selbstversicherung nach § 18b ASVG auch neben einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit bestehen kann, da sie lediglich eine "erhebliche" Beanspruchung der Arbeitskraft voraussetzt (vgl. RV 1111 BlgNR 22. GP , 4, sowie VwGH vom 22.02.2012, Zl. 2011/08/0050). Der selbstständige Betrieb einer Landwirtschaft, wie er im vorliegenden Fall von der Beschwerdeführerin geführt wird, schließt die Selbstversicherung gemäß § 18b ASVG damit jedenfalls nicht aus.
3.5.3.2. Zur Frage, wann eine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft vorliegt, ist darauf hinzuweisen, dass sich eine gesetzliche Definition weder in Form einer demonstrativen Aufzählung, anhand derer Ableitungen getätigt werden könnten, oder einer definitorischen Vermutung, wie sie etwa in § 18a Abs. 3 ASVG enthalten ist, findet.
Eine gewisse Konkretisierung der Frage der erheblichen Beanspruchung der Arbeitskraft lässt sich jedoch dadurch erzielen, dass die Regelung des § 18b ASVG als Tatbestandsvoraussetzung die Pflegestufe 3 der zu pflegenden Person voraussetzt. Dies entspricht einem Aufwand von mehr als 120 Stunden im Monat (und damit im Schnitt von ca. 30 Stunden pro Woche). Da dies angesichts des regelmäßigen Höchtsausmaßes der wöchentlichen Arbeitszeit schon mehr als erheblich wäre, wird der auf den Antragsteller entfallende Anteil am stundenmäßigen Ausmaß an Pflegeleistung auch deutlich darunter liegen können (vgl. Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil (Hrsg.), Der SV-Komm § 18b ASVG Rz. 7). Als weiteres Näherungskriterium für die Beurteilung des Vorliegens einer erheblichen Beanspruchung der Arbeitsleistung dient gewiss auch die Anzahl der Wochenstunden, welche neben der Pflegetätigkeit in einer Pflichtversicherung unterliegenden Beschäftigung geleistet werden.
Wenn die Pensionsversicherungsanstalt allerdings, wie sich im vorliegenden Fall zwar nicht explizit aus der Bescheidbegründung wohl aber aus den Aufzeichnungen im Verwaltungsakt ergibt, für die Beurteilung der Erheblichkeit der Beanspruchung der Arbeitskraft allein auf das Ausmaß der wöchentlichen Arbeitszeit im Rahmen einer der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit abstellt, so greift dies nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu kurz. Vielmehr wäre für die Beurteilung der Beanspruchung der Arbeitskraft auch - und darauf deutet wie dargestellt die Tatbestandsvoraussetzung des Bezugs von Pflegegeld der Stufe 3 hin - das Ausmaß der Pflegeleistung in den Blick zu nehmen. Zudem kommt dem Ausmaß der Reduktion der Arbeitszeit im Rahmen einer der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit wohl bloß Indizwirkung zu und sind dabei die Umstände des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen. Dass die Reduktion des Beschäftigungsausmaßes bloß ein Indiz für die Beanspruchung der Arbeitskraft darstellt, ergibt sich ua. aus dem Umstand, dass eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nicht voraussetzt, dass vor ihrer Inanspruchnahme eine der Pflichtversicherung unterliegende Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde. Mit anderen Worten können somit auch Personen, die in keinem Beschäftigungsverhältnis stehen, diese Form der freiwilligen Selbstversicherung in Anspruch nehmen, sodass ein Abstellen auf eine mögliche Reduktion eines Beschäftigungsverhältnisses in diesen Fällen nicht zum Tragen kommt (vgl. RV 1111 BlgNR 22. GP , 4, wo darauf hingewiesen, dass eine Pflegeperson, um die begünstigende Weiterversicherung [gemeint: jene gemäß § 17 ASVG] beanspruchen zu können, unmittelbar vor Aufnahme der Pflege der Versichertengemeinschaft als pflichtversicherte Person angehört haben muss; die begünstigende Selbstversicherung [gemeint: jene gemäß § 18a ASVG] ist wiederum auf die Pflege von behinderten Kindern eingeschränkt. Demnach soll mit der vorgeschlagenen Selbstversicherung eine "Lücke" geschlossen werden). Zudem nimmt der Wortlaut der Regelung selbständig Erwerbstätige vom Anwendungsbereich nicht aus. Schließlich ist in Treffen zu führen, dass gemäß § 76 Abs. 5a ASVG im Falles des Überschneidens von Zeiten einer Selbstversicherung nach § 18b ASVG mit anderen Beitragszeiten nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz, die Beitragsgrundlage für die Selbstversicherten nach § 18a und nach § 18b so festzusetzen ist, dass sie zusammen mit den übrigen Beitragsgrundlagen die jeweils geltende monatliche Höchstbeitragsgrundlage (§ 70 Abs. 1 letzter Satz) nicht übersteigt.
Bei der Bewertung der Reduktion des Beschäftigungsausmaßes im Rahmen einer der Pflichtversicherung unterliegenden Tätigkeit wird aufgrund unterschiedlicher Dispositionsmöglichkeiten somit im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen sein, ob eine solche vor Inanspruchnahme der Selbstversicherung überhaupt bestanden hat und ob diese im Rahmen einer unselbständigen oder einer selbständigen Tätigkeit - etwa dem Betrieb einer Landwirtschaft - ausgeübt wird.
3.5.3.3. Im vorliegenden Fall wendet die Beschwerdeführerin für die Betreuung des nahen Angehörigen ca. fünf Stunden täglich auf, während sie ihrer selbständigen Tätigkeit als Landwirtin im Ausmaß sieben Stunden täglich nachgeht. Insoweit in den Feststellungen angeführt und in der Beweiswürdigung darauf Bezug genommen wurde, dass in der Aufschlüsselung der Pflegeleistungen enthalten sind, die zum Teil auch anderen Pflegepersonen zugutekommen, wie insb. Zubereitung von Mahlzeiten, erachtet es das erkennende Gericht für zulässig, Pflegeleistungen, die mehreren Personen gleichzeitig zukommen, einmalig einer zu pflegenden Person zuzurechnen (vgl. Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 18b ASVG Rz. 9, wonach eine mehrfache begünstigte Selbstversicherung wegen der Pflege mehrerer Personen an der Unmöglichkeit einer dauernden und mehrfachen "erheblichen Beanspruchung der Arbeitskraft" scheitern wird).
Wenn die wöchentliche Arbeitszeit der Beschwerdeführerin als Landwirtin im Vergleich zu einer unselbständig Erwerbstätigen nach wie vor hoch ist, so ist einerseits anzumerken, dass die Beschwerdeführerin vorbringt, bereits eine Reduktion ihrer täglichen Arbeitsstunden um zwei Stunden täglich vorgenommen zu haben. Bei der Beurteilung des konkreten Einzelfalles ist zudem der Umstand zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine selbstständige Landwirtin handelt. Aus der selbständigen Tätigkeit als Landwirtin resultiert, dass die Beschwerdeführerin an sich - anders als dies bei unselbständig Erwerbstätigen in der Regel der Fall ist - keine festen Arbeitszeiten hat und in ihren Dispositionen flexibler ist als ein unselbständig Erwerbstätiger. Zudem wird das Arbeitsausmaß, das wöchentlich in die Landwirtschaft investiert wird, variieren. Der Umstand, dass in einem landwirtschaftlichen Betrieb die Tätigkeit regelmäßig in der Nähe des bäuerlichen Wohnhauses stattfindet und somit Anfahrtszeiten zur Arbeitsstätte wegfallen, begünstigt, dass die Arbeitszeit in geringerem Ausmaß und unter Umständen - abhängig vom Einzelfall - auch gar nicht reduziert werden muss. Gleichzeitig ermöglicht dies, auf unmittelbaren Pflegebedarf zu reagieren und erleichtert dies somit die Vereinbarkeit der beruflichen Tätigkeit mit jener der Pflege des nahen Angehörigen. Zudem ist es der Beschwerdeführerin aufgrund der von ihr geleisteten Pflegetätigkeit nicht möglich, ein zusätzliches Einkommen etwa über bäuerliche Nebentätigkeiten zu erwirtschaften. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen sowie des Umstandes, dass der Reduktion des Stundenausmaßes für die Frage der Beurteilung der erheblichen Beanspruchung (in Rahmen einer Erwerbstätigkeit) bloße Indizwirkung zukommt, ist im vorliegenden Fall, in dem die Beschwerdeführerin eine Reduktion ihrer wöchentlichen Arbeitszeit vorgebracht hat, in Zusammenschau mit den Angaben betreffend das nicht unbeträchtliche Ausmaß der Pflegeleistung davon auszugehen, dass sie die Pflege des nahen Angehörigen unter erheblicher Beanspruchung ihrer Arbeitskraft vornimmt.
Da auch die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen - wie in den Feststellungen ersichtlich - erfüllt sind - so handelt es sich bei der zu pflegenden Person (Vater) um einen nahen Angehörigen (vgl. den Angehörigenbegriff des § 127 Abs. 7b ASVG), der im beantragten Zeitraum Pflegegeld in der Höhe der Stufe 3 erhält und der in häuslicher Umgebung gepflegt wurde und hatte die Beschwerdeführerin im fraglichen Zeitraum ihren Wohnsitz im Inland - ist die Beschwerdeführerin zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b berechtigt.
3.5.3.4. Gemäß § 18b Abs. 2 ASVG beginnt die Selbstversicherung mit dem Zeitpunkt, den die pflegende Person wählt, frühestens jedoch mit dem ersten Tag des Monats, in dem die Pflege aufgenommen wird. Die Beschwerdeführerin beantragte am 30.10.2014 die Anerkennung des Rechts auf Selbstversicherung ab dem 30.10.2013. Da seit diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 18b Abs. 1 ASVG erfüllt sind, ist der Anspruch auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung mit Wirkung ab 30.10.2013 anzuerkennen.
3.6. Von einer mündlichen Verhandlung nimmt das Bundesverwaltungsgericht Abstand. Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 67d Rz 17 und 29, mwH). Das Bundesverwaltungsgericht erachtet die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG im gegenständlichen Verfahren für nicht erforderlich, da der Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus der Aktenlage geklärt erscheint.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitliche beantwortet wird.
Die Revision ist im gegenständlichen Fall gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, da die vorliegende Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Der Frage, wann eine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des § 18b ASVG vorliegt, kommt eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (vgl. VwGH 24.02.2015, Ro 2014/05/0097). Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne der Bestimmung des § 18b ASVG gegeben ist, liegt bislang keine gefestigte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
