VfGH E4420/2020

VfGHE4420/202030.6.2022

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall

Normen

B-VG Art144 / Anlassfall
ABGB §144 , §145
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2022:E4420.2020

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerdeführerin lebt seit 4. April 2018 in einer eingetragenen Partnerschaft. Ihre Partnerin brachte am 18. Dezember 2019 ein – nicht im Wege der medizinisch unterstützten Fortpflanzung gezeugtes – Kind zur Welt.

Mit Bescheid vom 10. Februar 2020 wies der Magistrat der Stadt Wien den Antrag auf Eintragung der Beschwerdeführerin als Elternteil in das Zentrale Personenstandsregister gemäß §11 Abs1 Personenstandsgesetz 2013 in Verbindung mit §144 Abs2 und 3 sowie §145 Abs1 ABGB mit der Begründung ab, die Beschwerdeführerin sei zwar zum Zeitpunkt der Geburt in aufrechter eingetragener Partnerschaft mit der Mutter des Kindes gestanden, ein Nachweis darüber, dass bei der Mutter eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung im Sinne des §2 Fortpflanzungsmedizingesetz durchgeführt wurde, sei aber nicht erbracht worden.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom 22. Oktober 2020 ab. Auf Grund des als erwiesen angenommenen Sachverhaltes, wonach im Sinne des §144 Abs2 ABGB an der Mutter innerhalb von nicht mehr als 300 und nicht weniger als 180 Tagen vor der Geburt eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung nicht durchgeführt wurde, sei der belangten Behörde zuzustimmen, dass die Beschwerdeführerin im Sinne des §144 Abs2 ABGB nicht Elternteil und daher auch nicht als Elternteil in das Personenstandsregister eintragungsfähig sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art14 iVm Art8 EMRK sowie nach Art7 B‑VG und Art2 StGG sowie in Rechten wegen Anwendung als verfassungswidrig erachteter Bestimmungen in §144 ABGB behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend bringt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass ihr trotz aufrechter eingetragener Partnerschaft die Elternschaft kraft Gesetzes deswegen verwehrt sei, weil an der Mutter des Kindes im maßgeblichen Zeitpunkt keine medizinisch unterstützte Fortpflanzung durchgeführt worden sei. Ein Mann, der mit der Mutter im Zeitpunkt der Geburt des Kindes verheiratet sei, gelte demgegenüber gemäß §144 Abs1 Z1 ABGB ex lege als Vater, unabhängig davon, ob er das Kind gezeugt habe oder eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung durchgeführt worden sei.

2. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B‑VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §144 sowie des zweiten Satzes und der Wortfolge "mit den nötigen Nachweisen " in §145 Abs1 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie, JGS 946/1811, idF BGBl I 35/2015 ein. Mit Erkenntnis vom 30. Juni 2022, G230/2021, hob er diese Regelungen als verfassungswidrig auf.

3. Die Beschwerde ist begründet.

Das Verwaltungsgericht Wien hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.

Die Beschwerdeführerin wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Stichworte