VfGH V392/2020

VfGHV392/20201.10.2020

Verstoß des Betretungsverbots von nicht an Tankstellen angeschlossene Waschstraßen – im Gegensatz zur Zulässigkeit der Betretung von an Tankstellen angeschlossenen Waschstraßen – zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gegen den Gleichheitssatz; Betretungsverbot mangels aktenmäßiger Dokumentation der maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen im Verordnungserlassungsverfahren gesetzwidrig

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z3
COVID-19-MaßnahmenG §1
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 idF BGBl II 151/2020 §2 Abs1 Z12
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:V392.2020

 

Spruch:

I. 1. Das Wort "angeschlossene" in §2 Abs1 Z12 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19, BGBl II Nr 96/2020, idF BGBl II Nr 151/2020 war gesetzwidrig.

2. Die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

II. Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, der antragstellenden Partei zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

1. Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Partei, die Wortfolge "angeschlossene" in §2 Abs1 Z12 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (in der Folge: COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96), BGBl II 96/2020, idF BGBl II 151/2020 als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, BGBl II 96/2020, idF BGBl II 151/2020 lauten auszugsweise (das angefochtene Wort ist hervorgehoben):

"§1. Das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben ist untersagt.

 

§2. (1) §1 gilt nicht für folgende Bereiche:

[…]

12.Tankstellen und angeschlossene Waschstraßen […]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.1. Die antragstellende Partei betreibe österreichweit dreizehn Autowaschstraßen, welche nicht an Tankstellen angeschlossen seien. Sie sei unmittelbar und aktuell in ihrer Rechtssphäre betroffen, weil es ihr auf Grund der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 nicht möglich sei, ihre Waschstraßen zu betreiben. Diese seien nicht an Tankstellen angeschlossen und sohin nicht vom Ausnahmetatbestand des §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 erfasst. Ein Zuwiderhandeln gegen das Verbot und damit die Provokation eines Strafverfahrens sei ihr nicht zumutbar.

1.2. Indem §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 eine Ausnahme vom allgemeinen Betretungsverbot des §1 nur für Waschstraßen vorsehe, die an Tankstellen "angeschlossen" seien, verstoße die Regelung insbesondere gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Erwerbsfreiheit.

Die Regelung differenziere unsachlich zwischen Waschstraßen, die an Tankstellen angeschlossen sind, und Waschstraßen, die nicht an Tankstellen angeschlossen sind. Zumal alle Waschstraßen nach demselben Prinzip funktionieren würden, sei kein Grund ersichtlich, der die Ungleichbehandlung rechtfertige. Weiters würden gerade Waschstraßen auf Grund ihrer Funktion kein erhöhtes Gefährdungspotential in sich bergen, weil Kontakte zwischen den Waschstraßenkunden nahezu ausgeschlossen seien. Gerade bei Waschstraßen, die nicht an Tankstellen angeschlossen sind, sei eine Gefährdung durch Sozialkontakte noch viel geringer, weil ein Waschstraßenbesuch nicht mit anderen Erledigungen (wie Tanken oder Einkaufen im Tankstellenshop) verbunden werden könne. Dass lediglich an Tankstellen angeschlossene Waschstraßen öffnen dürften, führe dazu, dass eine geringere Anzahl geöffneter Waschstraßen derselben Nachfrage gegenüberstehe und es sohin zu konzentrierten Auftritten von Kunden an geöffneten Waschstraßen an Tankstellen kommen könne. Damit werde gerade das Ziel, Kontakte mit anderen Personen zum Schutz der Gesundheit zu vermeiden, konterkariert.

Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, was unter einer angeschlossenen Waschstraße zu verstehen sei. Die Verordnung sei zu unbestimmt und lasse offen, ob die Waschstraße von derselben Person betrieben werden, baulich zusammenhängen, sich lediglich auf demselben Grundstück befinden oder sonst in einem loseren Zusammenhang mit einer Tankstelle stehen müsse.

2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (in der Folge: BMSGPK) hat die Verwaltungsakten betreffend das Zustandekommen der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 151/2020 vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der er die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den im Antrag geäußerten Bedenken auszugsweise wie folgt entgegentritt (ohne Hervorhebungen im Original):

"[…] In der Sache:

 

[…] Die Antragstellerin ortet in der Beschränkung des §2 Abs1 Z12 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 auf Tankstellen und angeschlossene Waschstraßen eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber Waschstraßen, die nicht an Tankstellen angeschlossen sind.

 

[…] Die Beschränkung des §2 Abs1 Z12 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 auf Waschstraßen, die Tankstellen angeschlossen waren, ist vor dem Hintergrund der Entwicklungen der Rechtslage seit Erlassung der Stammfassung der Verordnung zu beurteilen: Aufgrund der epidemiologischen Situation und Risikobewertung […] war es zum Schutz der Gesundheit und des Lebens notwendig, flächendeckende Maßnahmen zur größtmöglichen Reduktion der sozialen Kontakte zu ergreifen. Vor diesem Hintergrund normierte die Verordnung BGBl II Nr 96/2020 weitreichende Betretungsverbote für Betriebsstätten von Waren- und Dienstleistungsunternehmen auf der Grundlage des §1 Covid‑19-Maßnahmengesetz. Gemäß §2 Abs1 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 waren vom allgemeinen Betretungsverbot Bereiche ausgenommen, die der Aufrechterhaltung der Grundversorgung dienen.

 

[…] Die gewählte Regelungstechnik eines zeitlich befristeten, umfassenden Verbots mit Ausnahmen gewährleistete unter dem Blickwinkel der Verhältnis-mäßigkeit (vgl §1 Covid-19-Maßnahmengesetz: 'soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist') eine kontinuierliche Überprüfung der Erforderlichkeit der Maßnahmen unter Berücksichtigung der epidemiologischen Entwicklungen und etwaiger neuer Erkenntnisse über die Krankheit: So wurde die Verordnung BGBl II Nr 96/2020 zunächst mit einer Woche befristet (§4 Abs3), mit der Verordnung BGBl II Nr 110/2020 wurde die Geltungsdauer unter Berücksichtigung des weiteren Infektionsanstiegs bis 13. April 2020 verlängert. Mit BGBl II Nr 151/2020 wurde die Befristung bis 30. 4. 2020 verlängert, wobei erste Lockerungen der Betretungsverbote (im Sinne weiterer Ausnahmen) mit 14. 4. 2020 erfolgten. Die jeweiligen Maßnahmen erfolgten unter ständiger Beobachtung der epidemiologischen Situation und ermöglichten eine stets angemessene, schrittweise Reaktion auf die tatsächlichen Verhältnisse. So konnte eine stete Abwägung der Gefahren für Leben und Gesundheit mit den entgegenstehenden Grundrechtspositionen vorgenommen werden, entsprechende Einschränkungen konnten auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert werden.

 

[…] Die Ausnahmen des §2 Abs1 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 trugen der Bedeutung der darin genannten Waren und Dienstleistungen für die Aufrechterhaltung der Grundversorgung Rechnung. Aus diesem Grund fanden sich auch Tankstellen in ihrer Eigenschaft als systemrelevante Betriebe in der taxativen Ausnahmeliste. Die Erweiterung der Ausnahmen für 'angeschlossene Waschstraßen' erfolgte durch BGBl II Nr 151/2020.

 

[…] Im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung BGBl II Nr 151/2020 erlaubte dabei die erforderliche Gefährdungsprognose noch keine weitreichende Erweiterung der Ausnahmen vom Betretungsverbot: Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) unterstützt die EU-Mitgliedstaaten bei ihrer Risikoeinschätzung und damit einhergehenden Maßnahmenplanung. Österreich berücksichtigt Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und der ECDC bei der Weiterentwicklung der Strategie zur Krisenbewältigung. In die Risikobewertung des ECDC fließen verschiedene zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbare inter-nationale Quellen mit ein; diese geben einen Überblick zum jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft hinsichtlich der Erforschung der Erkrankung als auch hinsichtlich der Optionen zur Maßnahmensetzung. Die Situation ist dabei eine dynamische und muss auf nationaler und internationaler Ebene ständig neu bewertet werden. Als Grundlage für politische Entscheidungen zur Maßnahmen-setzung fließen neben Empfehlungen der WHO und der ECDC die Einschätzungen und Erkenntnisse der nationalen Expertinnen und Experten sowie die jeweils aktuelle Datenlage und Prognosen mit ein. Im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung BGBl II 151/2020 war die ECDC Risikobewertung vom 8. 4. 2020 aufrecht […]. Diese ergab folgende Situation:

 

 Das Risiko einer schweren Erkrankung im Zusammenhang mit einer COVID‑19-Infektion für Menschen in der EU / im EWR und im Vereinigten Königreich wurde für die allgemeine Bevölkerung als moderat und für ältere Erwachsene und Personen mit definierten Risikofaktoren (Bluthochdruck, Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen, chronische respiratorische Erkrankungen, Übergewicht) als sehr hoch angesehen.

 Das Risiko des zunehmenden Auftretens einer 'Community Transmission' von COVID‑19 in der EU/EWR und UK wurde mit gesetzten Eindämmungsmaßnahmen als moderat, jedoch ohne Implementierung von Eindämmungsmaßnahmen als sehr hoch angesehen.

 Das Risiko einer Überlastung der Gesundheits- und Sozialsysteme in der EU/EWR und UK wurde mit gesetzten Eindämmungsmaßnahmen als hoch und ohne ausreichende Implementierung von Eindämmungsmaßnahmen als sehr hoch angesehen.

Die Implementierung von strengen Maßnahmen konnte in mehreren Ländern (darunter auch Österreich) beobachtet werden, was zu einer wesentlichen Reduktion der Transmission von Covid‑19 geführt hat. In der damaligen Situation sollte weiterhin ein starker Fokus auf konsequentes Testen, Überwachungsstrategien (inkl. Kontaktpersonennachverfolgung), allgemeine Maßnahmen in der Bevölkerung (physical distancing), Stärkung des Gesundheitssystems und Information der Öffentlichkeit sowie des Gesundheitspersonales gesetzt werden.

 

Des Weiteren wurde festgehalten, dass solch strenge Maßnahmen gravierende gesellschaftliche Auswirkungen (ökonomisch und sozial) mit sich bringen. Laut dem Rapid Risk Assessment vom 8. 4. 2020 hätte eine frühzeitige Lockerung der Maßnahmen eine anhaltende Übertragung zur Folge gehabt. Bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs sind gewisse Maßnahmen im Bereich physical distancing für mehrere Monate notwendig, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Etwaige Lockerungen müssten behutsam und evidenzbasiert geplant werden. Die Lockerung aller Maßnahmen wurde zum damaligen Zeitpunkt als zu früh eingestuft.

 

[…] Angesichts der weiterbestehenden Gefährdungslage galt es, die sozialen Kontakte zum Schutz der Gesundheit einerseits nach wie vor möglichst niedrig zu halten, andererseits einen Ausgleich mit den entgegenstehenden Grundrechten insbesondere der Erwerbsfreiheit zu schaffen.

 

[…] Bei der Verfolgung seiner Ziele kommt dem Normsetzer ein rechtspolitischer Spielraum zu. Im Rahmen der Verfolgung des Ziels der Verhinderung der Verbreitung von Covid‑19 liegt es insbesondere bei der schrittweisen 'Lockerung' der Betretungsverbote im Wertungsspielraum des Verordnungsgebers, ob entsprechende Beschränkungen in kürzeren Zeitintervallen, aber dafür in kleinerem Ausmaß oder in längeren Zeitabständen, aber dafür in größerem Ausmaß zurückgenommen werden. Mit den Novellen zur Verordnung wurden Lockerung in kleineren, dafür aber häufigeren Schritten gesetzt […]. Vor der dargelegten Ausgangssituation, dass die Reaktion auf COVID‑19 ein schrittweises, behutsames 'Lockern' der Betretungsverbote erforderte und nicht alle Betriebsstätten gleichzeitig wieder frequentiert werden können, muss dem BMSGPK aber auch ein gewisser Spielraum dahingehend zukommen, welche Schwerpunkte er dabei setzt.

 

[…] Der Schwerpunkt dieser Novelle galt den Betriebsstätten des Handels mit einer Kundenbereichsgröße von weniger als 400 m². Mit der Erweiterung des §2 Abs1 Z12 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 kam es hingegen zu keinen zusätzlichen Ausnahmetatbeständen. Es wurde lediglich bei den ohnehin bereits ausgenommenen Tankstellen zusätzlich möglich, angeschlossene Waschstraßen zu nutzen, um etwa Klarheit bezüglich der Reinigung systemrelevanter Fahrzeuge zu schaffen. Hauptkriterium des §2 Abs1 Z12 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 war somit der systemrelevante Betrieb der Tankstelle, nicht aber die Zusatzleistung der Reinigung. Da zu diesem Zeitpunkt die Mobilität aufgrund der Betretungsverbote der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 allgemein noch herabgesetzt war, war aus Sicht des BMSGPK auch nicht zu befürchten, dass es dabei zu einem unvertretbar hohen zusätzlichen Kundenzustrom kommt, den es aufzuteilen galt.

 

[…] Auch wenn das Ergebnis der Regelungen der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 und ihrer Novellen aus Sicht der Betroffenen nicht immer als befriedigend empfunden wurde, kann der Gleichheitssatz nach Ansicht des BMSGPK nicht dazu führen, dass das epidemiologisch erforderliche Ziel einer schrittweisen Lockerung unterlaufen wird. Die Regelungen der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 bewegen sich im Ergebnis innerhalb des auch im Rahmen des Gleichheitssatzes zugestandenen Wertungsspielraums des Verordnungsgebers.

 

[…] Die Antragsteller monieren auch eine Unbestimmtheit des Wortes 'angeschlossen' in §2 Abs1 Z12 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020. […]

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort 'angeschlossen' als Synonym für 'beteiligt/zugehörig' verwendet (vgl https://www.duden.de/rechtschreibung/angeschlossen ). Nach Ansicht des BMSGPK ergibt sich damit aus der Wortinterpretation, dass sich die Waschstraße auf demselben Betriebsgelände befinden, nicht aber unmittelbar baulich mit der Tankstelle verbunden sein muss. Das Erfordernis einer örtlichen Nähe in diesem Sinne legt vor dem Hintergrund des oben Gesagten auch eine teleologische Interpretation nahe, wonach mit §2 Abs1 Z12 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 außerhalb der ohnedies bestehenden Ausnahme für Tankstellen keine Anreize für zusätzliche soziale Kontakte geschaffen werden sollten. […]"

IV. Erwägungen

A. Der Antrag ist zulässig:

1. Mit ihrem auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Partei, das Wort "angeschlossene" in §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 151/2020 als gesetzwidrig aufzuheben. Im Zeitpunkt der Einbringung ihres Antrages beim Verfassungsgerichtshof, am 17. April 2020, stand §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 151/2020 in Kraft und ist auf Grund des §13 Abs2 Z1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 ergriffen wurden (COVID‑19-Lockerungsverordnung), BGBl II 197/2020, mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft getreten.

Die antragstellende Partei erachtet sich als Waschstraßenbetreiberin durch die mit der Verordnung BGBl II 151/2020 geänderte Ausnahmebestimmung in §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, die nunmehr "Tankstellen und angeschlossene Waschstraßen" vom allgemeinen Betretungsverbot des §1 dieser Verordnung ausnimmt, in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Erwerbsfreiheit, Schutz des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Ein anderer zumutbarer Weg, die Frage der Rechtswidrigkeit der bekämpften Bestimmung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, bestünde nicht, insbesondere sei es ihr nicht zumutbar, durch Verletzung eines gesetzlichen Verbotes ein (Verwaltungs‑)Strafverfahren zu provozieren.

2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Voraussetzung der Antragslegitimation ist daher, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt.

Ein unmittelbarer Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

3. Durch die mit der Verordnung BGBl II 151/2020 erfolgte Änderung des §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 von "Tankstellen" zu "Tankstellen und angeschlossene Waschstraßen" wird der antragstellenden Partei – anders als Betreibern von an Tankstellen angeschlossenen Waschstraßen – weiterhin, also über den Ablauf des 13. April 2020 hinaus, mit dem die Änderungen durch die Verordnung BGBl II 151/2020 in Kraft getreten sind, untersagt, dass Kunden ihre nicht an Tankstellen angeschlossenen Waschstraßen betreten dürfen. Dieses Verbot greift sohin unmittelbar in die Rechtssphäre der antragstellenden Partei ein. Im Hinblick darauf, dass §3 Abs2 Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (in der Folge: COVID‑19-Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020, Inhaber einer Betriebsstätte, die eine verbotene Betretung nicht untersagen, mit Verwaltungsstrafe bis zu € 30.000,– bedroht, steht der antragstellenden Partei auch kein anderer zumutbarer Weg offen, die behauptete Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

§2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 in der im Zeitpunkt der Antragstellung – richtigerweise – angefochtenen Fassung BGBl II 151/2020 und damit auch das angefochtene Wort in dieser Bestimmung ist mit Ablauf des 30. April 2020 und somit nach Antragstellung außer Kraft getreten. Dies schadet mit Blick auf die mit V411/2020 beginnende Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht (vgl VfGH 14.7.2020, V411/2020; 14.7.2020, G202/2020 ua).

4. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt dargelegt hat (siehe nur VfSlg 20.161/2017 mwN), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Die antragstellende Partei hegt Bedenken gegen das Wort "angeschlossene" in §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 und moniert insbesondere eine daraus resultierende Ungleichbehandlung und Gesetzwidrigkeit. Vor dem Hintergrund des Regelungszusammenhanges, in dem das angefochtene Wort und die sich daraus im Hinblick auf die antragstellende Partei ergebende gesetzliche Beschränkung steht, ist es im vorliegenden Fall nicht erforderlich, den gesamten Ausnahmetatbestand des §2 Abs1 Z12 bzw den allgemeinen Verbotstatbestand des §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 mitanzufechten. Denn die behauptete Rechtswidrigkeit liegt ausschließlich im Wort "angeschlossene" in §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 begründet, sodass es genügt, dieses Wort anzufechten.

5. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, ist der Antrag zulässig.

B. Der Antrag ist auch begründet:

1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2. §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 steht in folgendem normativen Zusammenhang:

2.1. Gemäß §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz, BGBl I 12/2020, idF BGBl I 23/2020 – in Kraft getreten am 5. April 2020 (siehe §4 Abs5 COVID‑19-Maßnahmengesetz) – kann der BMSGPK durch Verordnung unter anderem "das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen" untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten betreten werden dürfen.

Mit der auf §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz gestützten COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, BGBl II 96/2020, hat der BMSGPK mit Wirkung vom 16. März 2020 und zunächst befristet bis einschließlich 22. März 2020 (§4 Abs1 und Abs3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, idF BGBl II 96/2020) in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 unter anderem das Betreten des Kundenbereiches von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben untersagt. Dieses Betretungsverbot gilt zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben. Von diesem allgemeinen Betretungsverbot legt §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 in der Stammfassung, BGBl II 96/2020, Bereichsausnahmen im Wesentlichen für sogenannte systemrelevante Betriebe wie öffentliche Apotheken, den Lebensmittelhandel oder Tankstellen, Banken und Post fest (siehe im Einzelnen §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 in der genannten Fassung).

In der Folge hat der BMSGPK die COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 mehrmals abgeändert und sie – regelmäßig für kurze Zeiträume befristet (siehe §4 Abs3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 110/2020, der das Außerkrafttreten der Verordnung von 22. März 2020 auf 13. April 2020 verschiebt; mit §4 Abs1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 112/2020 wurde das Datum des Außerkrafttretens wiederum mit 13. April 2020 festgelegt; mit §5 Abs4 und 5 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 130/2020 wurde das Datum des Außerkrafttretens für die §§1 bis 3 erneut mit 13. April 2020 sowie für §4 mit 24. April 2020 festgesetzt) – weiterhin in Kraft belassen. Zuletzt hat der BMSGPK mit Verordnung BGBl II 151/2020, in Kraft getreten mit Ablauf des 13. April 2020 (§5 Abs6 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 151/2020), die COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 bis einschließlich 30. April 2020 in Kraft gesetzt (die letzten Änderungen der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 162/2020 änderten das Außerkrafttreten nicht). Mit der COVID‑19-Lockerungsverordnung, BGBl II 197/2020, hat der BMSGPK schließlich das Außerkrafttreten der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 mit Ablauf des 30. April 2020 angeordnet.

Mit der Verordnung BGBl II 151/2020 hat der BMSGPK in §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 weitere Ausnahmen vom allgemeinen Betretungsverbot gemäß §1 der Verordnung geschaffen, indem er die bestehenden Ausnahmen für Tankstellen in §2 Abs1 Z12 der Verordnung auf "Tankstellen und angeschlossene Waschstraßen" und für KFZ‑Werkstätten in Z21 auf "KFZ- und Fahrradwerkstätten" erweitert und dem §2 Abs1 der Verordnung weitere Ausnahmen in Z22 für "Baustoff‑, Eisen- und Holzhandel, Bau- und Gartenmärkte" sowie in Z23 für "Pfandleihanstalten und Handel mit Edelmetallen" angefügt hat. Zudem wurden allgemein vom Betretungsverbot von Betriebsstätten des Handels gemäß §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 durch einen in §2 neu eingefügten Absatz 4 sonstige Betriebsstätten des Handels ausgenommen, wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² beträgt. Diese weiteren Ausnahmen vom allgemeinen Betretungsverbot traten gemäß §5 Abs6 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 151/2020 mit Ablauf des 13. April 2020 in Kraft.

2.2. Für die Betriebsstätten der antragstellenden Partei galt also seit dem 16. März 2020 (Inkrafttreten der Stammfassung der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, BGBl II 96/2020) ein Betretungsverbot für Kunden. Mit der Verordnung BGBl II 151/2020 änderte sich die Rechtslage insoweit, als in §2 Abs1 Z12 der Verordnung an Tankstellen angeschlossene Waschstraßen vom allgemeinen Betretungsverbot des §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 ausgenommen wurden. Für die Betriebsstätten der antragstellenden Partei galt weiterhin – bis zum 30. April 2020 – das Betretungsverbot gemäß §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, weil ihre Betriebsstätten nicht an Tankstellen angeschlossen und sohin nicht vom Ausnahmetatbestand des §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 erfasst waren.

3. §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 hat seine Rechtsgrundlage jedenfalls in §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz. Diese Gesetzesbestimmung ermächtigt den BMSGPK beim Auftreten von COVID‑19 insbesondere dazu, durch Verordnung "das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten" (vgl demgegenüber §2 COVID‑19-Maßnahmengesetz) zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen zu untersagen, "soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten werden dürfen."

Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V411/2020, ausgesprochen, dass diese Verordnungsermächtigung den BMSGPK als verordnungserlassende Behörde in mehrfacher Hinsicht determiniert:

Aus dem Regelungszusammenhang insbesondere mit §2 COVID‑19-Maßnahmengesetz geht die grundsätzliche Zielsetzung des Gesetzgebers hervor, durch Betretungsverbote für Betriebsstätten die persönlichen Kontakte von Menschen einzudämmen, die damit verbunden sind, wenn Menschen die Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen aufsuchen. Damit gibt das Gesetz den Zweck der Betretungsverbote konkret vor. Weiters ordnet das Gesetz an, dass der Verordnungsgeber diese Betretungsverbote im Hinblick auf den Zweck der Maßnahme nach Art und Ausmaß differenziert auszugestalten hat, je nachdem, inwieweit er es in einer Gesamtabwägung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 für erforderlich hält, das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zu untersagen, oder deren Betreten unter bestimmte Voraussetzungen oder Auflagen zu stellen.

4. Damit überträgt der Gesetzgeber dem BMSGPK einen Einschätzungs- und Prognosespielraum, ob und wieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 auch erhebliche Grundrechtsbeschränkungen für erforderlich hält, womit der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Unternehmen, ihrer Arbeitnehmer und Kunden zu treffen hat. Der Verordnungsgeber muss also in Ansehung des Standes und der Ausbreitung von COVID‑19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit in Aussicht genommene Betretungsverbote oder Betretungsbeschränkungen von Betriebsstätten zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 geeignete (der Zielerreichung dienliche), erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellen.

Der Einschätzung- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers umfasst insoweit auch die zeitliche Dimension dahingehend, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen von der gesetzlichen Ermächtigung des §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz vorgesehen und auch gefordert ist.

Angesichts der damit inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers verpflichtet §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz vor dem Hintergrund des Art18 Abs2 B‑VG den Verordnungsgeber im einschlägigen Zusammenhang auch, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraums im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festhält, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen naturgemäß nicht überspannt werden, sie bestimmen sich maßgeblich danach, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu.

5. Die antragstellende Partei erachtet es insbesondere für gleichheits- und damit gesetzwidrig, dass durch die Änderung in §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 durch die Verordnung BGBl II 151/2020 zwar an Tankstellen angeschlossene Waschstraßen, nicht aber diejenigen der antragstellenden Partei vom Betretungsverbot ausgenommen werden, nur weil sie nicht im Bereich einer Tankstelle liegen. Mit diesem Bedenken ist die antragstellende Partei im Recht:

5.1. Dem BMSGPK steht, wie oben dargelegt, ein Einschätzungs- und Prognosespielraum bei der Evaluierung zu, welche Lockerungsschritte unter Berücksichtigung der epidemiologischen Entwicklungen er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 für erforderlich hält. Er kann daher auch eine schrittweise Lockerung im Lichte der epidemiologischen Entwicklungen vorsehen, wobei diese Entwicklungsschritte auch von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und, jedenfalls für entsprechend angemessen kurze Zeitperioden, auch gewisse Ungleichbehandlungen in Kauf nehmen können, um die tatsächliche Entwicklung beobachten zu können. Auch machen einzelne Härtefälle eine entsprechende Regelung nicht unsachlich.

Im vorliegenden Fall ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum der im Kontext der gesamten, mit der Verordnung BGBl II 151/2020 getroffenen Maßnahmen erfolgte Schritt, das Betretungsverbot für Waschstraßen zurückzunehmen, im Wege der vorliegenden Ungleichbehandlung erfolgen sollte. Wie im Verfahren unbestritten geblieben ist, unterscheiden sich an Tankstellen angeschlossene Waschstraßen im Hinblick auf die mit der Benützung einer Waschstraße verbundenen persönlichen Kontakte von Menschen typischerweise nicht von solchen, die an anderen Orten gelegen sind. Auch wenn der Verordnungsgeber das Waschen systemrelevanter Fahrzeuge vor Augen gehabt haben sollte, würde sich dieses nur auf eine größere Zahl von Waschstraßen verteilen.

Ein hinzunehmender Härtefall im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl nur VfSlg 19.031/2010, 19.763/2013, 20.138/2017) kann angesichts des gerade auch nicht an Tankstellen angeschlossene Waschstraßen regelnden Inhaltes des §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 von vorneherein nicht vorliegen.

5.2. Im vorliegenden Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof insbesondere auch zu prüfen, ob der BMSGPK den gesetzlichen Vorgaben bei Erlassung der angefochtenen Bestimmung in §2 Abs1 Z12 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 151/2020, dahingehend entsprochen hat, als er im Verordnungserlassungsverfahren festgehalten hat, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Dass es damit dafür, ob die angefochtene Verordnungsbestimmung mit den Zielsetzungen des §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz im Einklang steht, auch auf die Einhaltung bestimmter Anforderungen der aktenmäßigen Dokumentation im Verfahren der Verordnungserlassung ankommt, ist kein Selbstzweck. Auch in Situationen, die deswegen krisenhaft sind, weil für ihre Bewältigung entsprechende Routinen fehlen, und in denen der Verwaltung zur Abwehr der Gefahr gesetzlich erhebliche Spielräume eingeräumt sind, kommt solchen Anforderungen eine wichtige, die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns sichernde Funktion zu.

In dem – vom BMSGPK in den zu den Zahlen V350‑354/2020 geführten Verordnungsprüfungsverfahren vorgelegten und ausdrücklich auch für das vorliegende Verfahren für maßgeblich erklärten – Verordnungsakt finden sich nun aber zu der hier in Rede stehenden Regelung, mit Ausnahme des ins Auge gefassten Verordnungstextes, überhaupt keine Bezugnahmen. Entscheidungsgrundlagen, Unterlagen oder Hinweise, die die Umstände der zu erlassenden Regelung betreffen, fehlen im Verordnungsakt gänzlich. Es ist aus dem vorgelegten Verordnungsakt nicht ersichtlich, welche Umstände den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung, Waschstraßen ungleich zu behandeln, geleitet haben; dabei wiegt die Tatsache, dass diese Regelung intensiv in die Grundrechtssphäre der Betreiber von weiterhin mit einem Betretungsverbot belegten Waschstraßen eingreift, schwer.

6. Die angefochtene Verordnungsbestimmung ist daher gleichheitswidrig und verstößt aus den genannten Gründen gegen die gesetzlichen Vorgaben des §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz. Da sie bereits außer Kraft getreten ist, genügt es festzustellen, dass die Bestimmung gesetzwidrig war.

V. Ergebnis

1. §2 Abs1 Z12 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 ist durch §13 Abs2 Z1 der COVID‑19-Lockerungsverordnung, BGBl II 197/2020, mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft getreten. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher gemäß Art139 Abs4 B‑VG auf die Feststellung zu beschränken, dass das Wort "angeschlossene" in §2 Abs1 Z12 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19, BGBl II 96/2020, idF BGBl II 151/2020 gesetzwidrig war.

2. Der Ausspruch, dass das Wort "angeschlossene" in §2 Abs1 Z12 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 idF BGBl II 151/2020 nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art139 Abs6 zweiter Satz B‑VG.

3. Die Verpflichtung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B‑VG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §61a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

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