VfGH A38/2020

VfGHA38/202026.6.2020

Zurückweisung einer unionsrechtlichen Staatshaftungsklage gegen den Bund betreffend die – hier nicht unter den Versicherungsschutz fallende – berufliche Tätigkeit als Treuhänder mangels Darlegung eines offenkundigen Verstoßes des OGH gegen Unionsrecht

Normen

B-VG Art137 / sonstige Klagen
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:A38.2020

 

Spruch:

I. Die Klage wird zurückgewiesen.

II. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Begründung

I. Klage, Sachverhalt und Vorverfahren

1. Gestützt auf Art137 B‑VG iVm §§37 ff. VfGG begehrt die klagende Partei, die beklagte Partei Bund schuldig zu erkennen, der klagenden Partei binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution, den Betrag von € 1.146.702,03 samt 9,08 % Zinsen aus € 700.576,72 seit 28. Oktober 2015, aus € 266.650,28 seit 11. November 2015, aus € 139.265,71 seit 6. Jänner 2015, aus € 702,– seit 26. Jänner 2013, aus € 210,– seit 27. Juni 2013, aus € 210,– seit 23. August 2013, aus € 3.868,80 seit 21. Dezember 2013, aus € 120,– seit 2. Juni 2014, aus € 480,– seit 19. Februar 2015, aus € 60,– seit 21. Februar 2015, aus € 22.017,60 seit 7. Juli 2014, aus € 26.689,– seit 15. Jänner 2015, aus € 11.211,44 seit 29. Oktober 2015, aus € 17.955,41 seit 29. Oktober 2015, aus € 13.793,81 seit 12. November 2015, aus € 4.000,– seit 9. Juni 2015, aus € 10.560,– seit 7. Juli 2015, aus € 1.959,20 seit 30. Juli 2015 und aus € 3.960,– seit 10. Dezember 2015 und 4 % Zinseszinsen aus den Zinsen seit 8. April 2016 und den Betrag von € 30.041,16 samt 4 % Zinsen seit 22. März 2020 und den Betrag von € 128.984,79 samt 4 % Zinsen seit 13. März 2020, zu bezahlen sowie die verzeichneten Kosten dieses Rechtsstreites zu ersetzen.

Außerdem begehrt die klagende Partei die "Feststellung zur Schad- und Klagloshaltung" wie folgt: "Der beklagten Partei Bund gegenüber wird festgestellt, dass sie die klagende Partei [B.] und RA Dr. [J. B.] für alle Ansprüche, die [G. C.] gegen die klagende Partei [B.] und RA Dr. [J. B.] geltend macht, insbesondere für Ansprüche aus dem Feststellungsausspruch, Punkt 2 des Urteils des Handelsgerichts Wien vom 26.05.2014, 29 Cg 112/12h, und für die mit der Abwehr dieser Ansprüche verbundenen Kosten, bis zur Höhe des zwischen der klagenden Partei [B.] und der A[…] Versicherung AG bestehenden Vermögensschaden-Haftpflicht-Versicherungsvertrags zur Nummer […], schad- und klaglos zu halten habe."

2. In der Klage wird folgender Sachverhalt dargelegt:

3. Für ein Investitionsvorhaben hätte eine luxemburgische "société d'investissement à capital variable" (SICAV; eine rechtliche Struktur für den Betrieb eines Investmentfonds) durch ein in der Schweiz ansässiges Finanzinstitut von P. C. erworben werden sollen. Ein Investor (G. C.) habe sich am Erwerb der SICAV und damit am Investitionsvorhaben beteiligen wollen. Für den vom Investor übernommenen Kaufpreisanteil habe der Rechtsanwalt, der geschäftsführender Gesellschafter der klagenden Partei sei, als Treuhänder fungieren sollen, weshalb zwischen dem Investor ("Treugeber") und dem Rechtsanwalt eine Treuhandvereinbarung abgeschlossen worden sei.

Im Zuge der Abwicklungen des Investitionsvorhabens habe der Rechtsanwalt den ihm übergegebenen Treuhandbetrag an verschiedene Personen weitergeleitet. Das Investitionsvorhaben sei aber gescheitert und das Geld verloren gewesen, weshalb der Treugeber den Rechtsanwalt beim Handelsgericht Wien auf Rückzahlung des übertragenen Treuhandbetrages geklagt habe. Dem Klagebegehren des Treugebers sei im Wesentlichen stattgegeben worden.

Die klagende Partei habe den Schadensfall der A. Versicherung AG gemeldet, welche die Berufshaftpflichtversicherung für die klagende Partei und den mitversicherten Rechtsanwalt sei, und Deckung verlangt. Die A. Versicherung AG habe die Deckung abgelehnt, woraufhin die klagende Partei die A. Versicherung AG beim Handelsgericht Wien auf Deckung (auf Leistung und Feststellung) geklagt habe.

Sowohl das Handelsgericht Wien als auch das in der Folge angerufene Oberlandesgericht Wien hätten dem Klagebegehren nicht stattgegeben.

Die klagende Partei habe daraufhin eine außerordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof erhoben. Dieser habe die Revision zugelassen und mit Urteil vom 19. Februar 2020, 7 Ob 161/19f, im Ergebnis die Entscheidungen der Untergerichte bestätigt. Entgegen den Untergerichten habe der Oberste Gerichtshof aber festgehalten, dass die Tätigkeit als Treuhänder eine unter den Versicherungsschutz fallende berufliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes sei; eine Deckungspflicht der A. Versicherung AG liege aber dennoch nicht vor, weil der Rechtsanwalt wissentlich gegen seine Pflichten verstoßen habe.

4. In der vorliegenden Klage macht die klagende Partei – zusammengefasst – geltend, das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 19. Februar 2020, 7 Ob 161/19f, verstoße "massiv und offenkundig gegen Unionsgrundrechte", insbesondere gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art47 Abs1 GRC, gegen das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art47 Abs2 GRC, sowie gegen das Recht auf rechtliches Gehör, welches Art47 GRC ebenso umfasse. Indem der Oberste Gerichtshof – anders als die Untergerichte – Ausführungen zum "Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der Handlungsweise" mache, agiere der Oberste Gerichtshof als Tatsacheninstanz, ohne aber hiefür erforderliches rechtliches Gehör gewährt zu haben. Deshalb sei die "Klägerin in ihren Rechten erheblich – jedenfalls hinreichend qualifiziert – verletzt". Diese Rechtsverletzungen seien auch unmittelbar kausal für den Schaden der klagenden Partei, weil der Oberste Gerichtshof auf der Grundlage der "staatshaftungsbegründenden Fehlleistungen" die (Deckungs-)Klage abgewiesen habe.

5. Die beklagte Partei, vertreten durch die Finanzprokuratur, erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Klage beantragt und sowohl die Zulässigkeit der Klage als auch die Begründetheit des Klagebegehrens bestreitet: Der der Staatshaftungsklage zugrunde liegende Sachverhalt weise keinen grenzüberschreitenden Bezug auf und es sei im vorliegenden Fall ausschließlich innerstaatliches Recht anzuwenden. Mangels unmittelbarer Anwendung des Unionsrechtes fehle der Staatshaftungsklage die Zulässigkeitsvoraussetzung, weshalb die Staatshaftungsklage zurückzuweisen sei. Darüber hinaus liege die Voraussetzung des Kausalzusammenhanges zwischen Schaden und Rechtsverstoß im vorliegenden Fall nicht vor. Hätte der Oberste Gerichtshof eine mündliche Verhandlung durchgeführt bzw hätte der Oberste Gerichtshof die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Handelsgericht Wien zurückverwiesen, wären der Oberste Gerichtshof bzw das Handelsgericht Wien trotzdem zur Entscheidung gelangt, dass der Rechtsanwalt wissentlich gehandelt habe.

II. Zulässigkeit

1. Gemäß Art137 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Wie der Verfassungsgerichtshof zu seiner Zuständigkeit für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches ausgesprochen hat, ist es nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, – ähnlich einem Rechtsmittelgericht – die Richtigkeit der Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof ist nur zur Beurteilung berufen, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (vgl ua EuGH 30.9.2003, Rs. C‑224/01, Köbler, Slg. 2003, I‑10239) vorliegt (vgl VfSlg 17.095/2003, 17.214/2004, 19.361/2011; VfGH 5.12.2016, A8/2016).

Eine auf den Titel der Staatshaftung gestützte Klage nach Art137 B‑VG ist unter anderem nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht geltend gemacht wird, der im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig ist (VfSlg 19.361/2011, 19.428/2011; VfGH 23.11.2017, A8/2017). Wie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache Köbler (Rz 51 ff.) festhält, liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht durch ein nationales letztinstanzliches Gericht unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion und der berechtigten Belange der Rechtssicherheit insbesondere dann vor, wenn gegen eine klare und präzise Vorschrift verstoßen oder eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt wird (EuGH 30.9.2003, Rs C‑224/01, Köbler, Slg 2003, I‑10239 [Rz 51 ff.]; VfSlg 18.448/2008).

Die klagende Partei im Staatshaftungsverfahren hat daher nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes begründet darzulegen, dass eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist. Der behauptete Verstoß muss also der Art nach möglich sein. Lässt eine Klage dies jedoch vermissen oder werden lediglich Auslegungsfragen, wie etwa auf Grund einer Literaturmeinung und einer deswegen angenommenen Vorlagepflicht des letztinstanzlichen Gerichtes, aufgeworfen, wird dadurch dieser Anforderung nicht Genüge getan. Eine solche Klage ist unzulässig (VfGH 27.6.2017, A17/2016; 23.11.2017, A8/2017).

2. Die vorliegenden Klagebehauptungen vermögen eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches, abgeleitet aus einem rechtswidrigen Verhalten des Obersten Gerichtshofes, nicht zu begründen:

Die klagende Partei behauptet zwar einen die Staatshaftung auslösenden Verstoß des Obersten Gerichtshofes gegen das Unionsrecht, zeigt diesen Verstoß jedoch nicht nachvollziehbar auf. Es ist dem Verfassungsgerichtshof anhand des Klagevorbringens nicht erkennbar, in welcher Hinsicht die relevierte Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes betreffend das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der Handlungsweise unter Nichtbeachtung von oder im Widerspruch zu Unionsrecht erfolgte, zumal die klagende Partei nicht darlegt, ob und inwieweit ein (offenkundiger) Verstoß gegen Unionsrecht vorliegt.

3. Die vorliegende Klage ist daher wegen des Fehlens der erforderlichen Darlegung eines offenkundigen Verstoßes gegen Unionsrecht unzulässig.

III. Ergebnis

1. Die Klage ist zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Der beklagten Partei sind Kosten nicht zuzusprechen, weil es nach Lage des vorliegenden Falles zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig war, die Finanzprokuratur mit der Vertretung des Bundes zu betrauen (zB VfSlg 19.284/2011 mwN); sonstige ersatzfähige Kosten sind nicht angefallen.

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