VfGH V99/2015

VfGHV99/201528.6.2017

Keine Gesetzwidrigkeit des in den RL-BA 1977 enthaltenen Provisionsverbotes für die Tätigkeit von Rechtsanwälten; kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Erwerbs(ausübungs)freiheit

Normen

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
RAO §16 Abs1, §37
RL-BA 1977 §5, §51
RL-BA 2015 §59 Abs3
DSt 1990 §1 Abs1
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2017:V99.2015

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Antrag begehrt der Oberste Gerichtshof, §51 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters ("RL-BA 1977") als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters ("RL-BA 1977"), kundgemacht im Anwaltsblatt 1977/12, Seite 476 ff. (§5 idF der Novelle vom 29. Jänner 1993, §50 und §51 idF der Novelle vom 17. September 1999), lauten wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"§5

Der Rechtsanwalt darf als Dienstnehmer ein Dienstverhältnis, dessen Gegenstand auch Tätigkeiten umfaßt, die zu den befugten Aufgaben des Rechtsanwaltes gehören, nur mit einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwaltsgesellschaft eingehen oder aufrecht erhalten, und dies auch nur dann, wenn für ihn die Erfüllung der Grundsätze rechtsanwaltlichen Berufs- und Standesrechtes sichergestellt ist.

 

Der Rechtsanwalt darf an einem Unternehmen weder beteiligt sein, noch in diesem tätig werden oder ihm in anderer Art angehören, wenn dadurch Ehre und Ansehen des Standes verletzt werden, insbesondere durch den Gegenstand des Unternehmens oder dessen tatsächlich ausgeübte geschäftliche Tätigkeit.

 

Der Rechtsanwalt unterliegt bei jeder beruflichen Tätigkeit, auch dann, wenn er nicht die Rechtsanwaltschaft ausübt, dem rechtsanwaltlichen Berufs- und Standesrecht.

 

[…]

 

§50

(1) Der Rechtsanwalt darf sein Honorar – auch ein Pauschalhonorar – frei vereinbaren (§16 Abs1 RAO; §2 RATG).

 

(2) Bei Übernahme eines neuen Auftrages wird dem Rechtsanwalt empfohlen, seinen Auftraggeber über die Berechnungsgrundlage für die Honorierung sowie die Berechtigung zur Zwischenabrechnung (§52 Abs1 RL-BA) zu informieren.

 

(3) Wird für eine bestimmte Tätigkeit des Rechtsanwaltes ein Pauschalhonorar vereinbart, so soll dieses unter Bedachtnahme auf die zu erbringende Leistung und das Interesse der Partei bemessen werden.

 

(4) Der Rechtsanwalt darf für seine Tätigkeit bei Führung entsprechender Aufzeichnungen ein Zeithonorar vereinbaren und dieses nach tatsächlichem Zeitaufwand in Rechnung stellen.

 

§51

Dem Rechtsanwalt ist es ausnahmslos untersagt, für seine Tätigkeit einen Maklerlohn (Provision) zu vereinbaren oder entgegenzunehmen."

 

2. Die relevanten Bestimmungen der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes ("RL-BA 2015"), kundgemacht im Anwaltsblatt 2015/11, Seite 599 ff., sowie auf der Homepage des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages am 28. September 2015, lauten:

"Honorar

 

§15. (1) Der Rechtsanwalt darf sein Honorar – auch ein Pauschalhonorar oder ein Erfolgshonorar – frei vereinbaren (§16 Abs1 RAO; §2 RATG).

 

(2) Bei Übernahme eines neuen Auftrages hat der Rechtsanwalt seinen Auftraggeber über die Berechnungsgrundlage für die Honorierung sowie die Berechtigung zur Zwischenabrechnung zu informieren.

 

(3) – (4) […]

 

[…]

 

Inkrafttreten, Übergangsbestimmungen

 

§59. (1) Diese Richtlinien treten mit 1. Jänner 2016 in Kraft.

 

(2) Mit Inkrafttreten dieser Richtlinie treten die Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters (RL-BA 1977) sowie die Richtlinie für die Ausbildung von Rechtsanwaltsanwärtern (Ausbildungsrichtlinie – RL-RAA) in der zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung außer Kraft, dies mit Maßgabe des Abs3 und 4.

 

(3) Für Sachverhalte bis einschließlich 31. Dezember 2015 gelten weiterhin die Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters (RL-BA 1977) in der zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung.

 

(4) – (5) […]"

 

3. Die maßgeblichen Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung ("RAO"), RGBl. 96/1868, idF BGBl I 159/2013 (§16) bzw. BGBl I 141/2009 (§37) lauten wie folgt:

"§16. (1) Der Rechtsanwalt kann sein Honorar mit der Partei frei vereinbaren. Er ist jedoch nicht berechtigt, eine ihm anvertraute Streitsache ganz oder teilweise an sich zu lösen.

 

(2) – (5) […]

 

[…]

 

§37. (1) Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag kann Richtlinien erlassen

1. zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs;

1a. […]

2. zur Überwachung der Pflichten des Rechtsanwalts und des Rechtsanwaltsanwärters;

2a. – 3

4. zu den Kriterien für die Ermittlung des angemessenen Honorars;

5. – 7. […]

 

(2) Die vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag erlassenen Richtlinien sind im Internet auf der Homepage des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (http://www.rechtsanwaelte.at ) dauerhaft bereitzustellen."

 

III. Verfahrensgang, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag des Obersten Gerichtshofes als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter liegt ein Verfahren über eine Berufung des Kammeranwalts der Rechtsanwaltskammer Wien gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 24. Februar 2012 zugrunde, in dem der Disziplinarbeschuldigte vom Vorwurf der Provisionsnahmen freigesprochen wurde.

In diesem Verfahren hatte der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien festgestellt, dass der Disziplinarbeschuldigte als Masseverwalter tätig sei und anderen Masseverwaltern – über eine GmbH, die über eine aufrechte Gewerbeberechtigung für Immobilientreuhänder, eingeschränkt auf Immobilienmakler, verfüge – Unterstützung bei der Vermarktung von Liegenschaften aus Konkursmassen anbiete. Hiebei trenne der Disziplinarbeschuldigte seine Tätigkeiten als Rechtsanwalt von jener als Geschäftsführer der genannten GmbH. Ein (marktüblicher) Provisionsanspruch werde ausschließlich gegenüber dem späteren Käufer – und nicht gegenüber dem beauftragenden Masseverwalter – geltend gemacht. Die anwaltliche Betreuung des Abschlusses und die Durchführung des Kaufvertrages besorgten die Masseverwalter in der Regel selbst.

Nach Auffassung des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien habe der Disziplinarbeschuldigte durch dieses Verhalten weder gegen §21g RAO oder §5 Abs1 und 2 RL-BA 1977 noch gegen das Provisionsverbot des §51 RL-BA 1977 (iVm §5 Abs3 RL-BA 1977) verstoßen. Begründend führte der Disziplinarrat hiezu unter anderem aus, dass §51 RL-BA 1977 der Vereinbarung bzw. Entgegennahme einer Maklerprovision für nichtanwaltliche Tätigkeiten im Rahmen einer Gesellschaft, die nichtanwaltliche Tätigkeiten ausübe, nicht entgegenstehe, wäre ein derartiges Verbot doch keinesfalls gesetzlich gedeckt.

In seiner gegen das Erkenntnis vom 24. Februar 2012 gerichteten Berufung vertritt der Kammeranwalt der Rechtsanwaltskammer Wien die Rechtsauffassung, der Disziplinarbeschuldigte habe durch das festgestellte Verhalten gegen das Provisionsverbot gemäß §51 RL-BA 1977 verstoßen. Aus dieser Bestimmung sei – in Verbindung mit §5 Abs3 RL-BA 1977 – ein absolutes Verbot für Rechtsanwälte abzuleiten, Provisionen jeglicher Art zu vereinbaren, und zwar auch dann, wenn eine im Alleineigentum des Rechtsanwalts stehende "Spezialgesellschaft" zwischengeschaltet sei.

2. Der Oberste Gerichtshof legt die Bedenken, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof veranlasst haben, wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Die Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters (RL-BA) sind im Rahmen der Selbstverwaltung vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag erlassene Verordnungen. Das generelle Recht zur Erlassung dieser Richtlinien findet sich in §37 Abs1 Z1 und 2 RAO:

 

'§37. (1) Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag kann Richtlinien erlassen

1. zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs;

1a. …

2. zur Überwachung der Pflichten des Rechtsanwalts und des Rechtsanwaltsanwärters;

…'

 

Ausgehend davon legt §5 Satz 3 RL-BA (im Allgemeinen Teil der RL-BA unter 'Artikel I — der Rechtsanwalt und sein Beruf') fest:

 

'Der Rechtsanwalt unterliegt bei jeder beruflichen Tätigkeit, auch dann, wenn er nicht die Rechtsanwaltschaft ausübt, dem rechtsanwaltlichen Berufs- und Standesrecht.'

 

Auf dieser Grundlage heißt es in §51 RL-BA (im Besonderen Teil der RL-BA unter 'Artikel IX — Honorar'):

 

'Dem Rechtsanwalt ist es ausnahmslos untersagt, für seine Tätigkeit einen Maklerlohn (Provision) zu vereinbaren oder entgegenzunehmen.'

 

Demnach statuiert §51 RL-BA ein Provisionsverbot für jede berufliche Tätigkeit jeder Person, die Rechtsanwalt ist, selbst dann, wenn sie gar nicht die Rechtsanwaltschaft ausübt (vgl §5 Satz 3 RL-BA).

 

Für den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag bestand keine gesetzliche Grundlage dafür, im Verordnungsweg (§51 RL-BA) derart in die Erwerbsfreiheit der Rechtsanwälte einzugreifen (zur Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung Engelhart, AnwBl 2012, 362 [365]). Es gibt keine gesetzliche Norm, welche unmittelbar oder mittelbar generell dem Rechtsanwalt die Vereinbarung oder Entgegennahme eines Maklerlohns (Provision) verbietet.

 

Die gesetzliche Regelung für das Honorar des Rechtsanwalts findet sich in §16 Abs1 RAO. Dessen erster Satz lautet: 'Der Rechtsanwalt kann sein Honorar mit der Partei frei vereinbaren.' Er ist hiebei lediglich nicht berechtigt, 'eine ihm anvertraute Streitsache ganz oder teilweise an sich zu lösen' (Satz 2 leg cit). Die im Einzelfall durchaus vorzunehmende Prüfung, ob etwa infolge einer Interessenkollision gegen §9 RAO verstoßen wird, rechtfertigt nicht das generelle gänzliche Verbot eines Maklerlohns (Provision) für alle denkbaren und auch unbedenklichen Fälle (Engelhart aa0 367).

 

Das in §51 RL-BA im Verordnungsweg an Rechtsanwälte gerichtete Verbot, für die berufliche Tätigkeit (zufolge §5 Satz 3 RL-BA auch dann, wenn dabei nicht die Rechtsanwaltschaft ausgeübt wird), einen Maklerlohn (eine Provision) zu vereinbaren oder entgegenzunehmen, widerspricht demnach der gesetzlichen Regelung des §16 Abs1 Satz 1 RAO. Daran ändert der Umstand nichts, dass im Einzelfall die Beschränkungen und Verpflichtungen der §§879, 1009 ABGB (iVm §16 Abs1 Satz 2 RAO) zutreffendenfalls zu beachten sind (Engelhart aa0 367).

 

Für den in der Literatur geäußerten Vorschlag, §51 RL-BA 'durch Auslegung dahin zu reduzieren, dass durch die Vereinbarung oder Entgegennahme einer Provision keine Berufspflichten verletzt und Ehre und Ansehen des Standes nicht gefährdet werden dürfen' (Engelhart aa0 367), sieht der Oberste Gerichtshof keine Grundlage. Denn die angefochtene Bestimmung steht in bemerkenswertem Gegensatz zu einem Verbot wie in §5 Satz 2 RL-BA, das gezielt auf Fälle eingeschränkt ist, in denen bei Zuwiderhandeln Ehre und Ansehen des Standes verletzt werden. Eine derartige Einschränkung ist §51 RL-BA iVm §5 Satz 3 RL-BA gerade nicht zu entnehmen."

 

3. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag gab durch seine am 3. August 2015 erstattete Äußerung bekannt, dass im Frühjahr 2014 eine Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der RL-BA 1977 eingesetzt worden sei. In der am 26. September 2015 zu beschließenden Neufassung sei die Bestimmung des §51 RL-BA 1977 bereits aufgehoben.

4. Der Disziplinarbeschuldigte erstattete am 28. August 2015 eine Äußerung, in der er sich den Bedenken des Obersten Gerichtshofes anschließt.

5. Mit Schriftsatz vom 4. Jänner 2016 regte der Disziplinarbeschuldigte eine Rückziehung der Berufung beim Kammeranwalt der Rechtsanwaltskammer Wien an. Begründend führte der Disziplinarbeschuldigte hiezu aus, dass ein freisprechendes Erkenntnis nicht mehr mit Berufung bekämpft werden müsse, wenn "jemand 'nur' gegen eine verfassungswidrige Norm verstoßen hat". Ferner seien die RL-BA 1977 außer Kraft getreten und existiere nach der geltenden Fassung kein Provisionsverbot mehr, womit eine Bestrafung im Hinblick auf §§1 und 61 StGB ausscheide.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Da die Vorgaben der RL-BA 1977 gemäß §59 Abs3 RL-BA 2015 für bis einschließlich 31. Dezember 2015 verwirklichte Sachverhalte weiterhin anwendbar sind, erscheint es offenkundig, dass das antragstellende Gericht §51 RL-BA 1977 im Hinblick auf die Frage, ob das bekämpfte Disziplinarerkenntnis in rechtmäßiger Weise ergangen ist, anzuwenden hat.

1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

Der Antrag ist nicht begründet.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl. VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Oberste Gerichtshof führt in seinem Antrag aus, §51 RL-BA 1977 statuiere in Zusammenschau mit §5 dritter Satz RL-BA 1977 ein generelles Provisionsverbot für jede berufliche Tätigkeit von Rechtsanwälten, das auch dann zur Anwendung komme, wenn die Rechtsanwaltschaft gar nicht ausgeübt werde. Ein derartiger Eingriff in die Erwerbsfreiheit im Verordnungsweg entbehre einer gesetzlichen Grundlage, ermögliche §16 Abs1 RAO doch eine freie Honorarvereinbarung.

2.3. Nach der ständigen Judikatur zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG (s. zB VfSlg 10.179/1984, 12.921/1991, 15.038/1997, 15.700/1999, 16.120/2001, 16.734/2002 und 17.932/2006) sind gesetzliche, die Erwerbs(ausübungs)freiheit beschränkende Regelungen auf Grund des diesem Grundrecht angefügten Gesetzesvorbehaltes nur dann zulässig, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen sind. Für Verordnungen, die auf Grundlage eines im Schutzbereich des Grundrechts erlassenen Gesetzes ergangen sind, gilt sinngemäß dasselbe (VfSlg 19.033/2010). Sie sind gesetzlos, wenn sie bei verfassungskonformer, die Schranken der Erwerbs(ausübungs)freiheit wahrender Auslegung der Verordnungsermächtigung keine gesetzliche Deckung finden (VfSlg 17.960/2006, 19.624/2012).

Auch Regelungen, die die Berufsausübung beschränken, sind auf ihre Übereinstimmung mit der verfassungsgesetzlich verbürgten Freiheit der Erwerbsbetätigung zu prüfen und müssen dementsprechend durch ein öffentliches Interesse bestimmt und auch sonst sachlich gerechtfertigt sein. Das bedeutet, dass Ausübungsregeln bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig sein müssen. Es steht dem Normsetzer jedoch bei Regelung der Berufsausübung ein größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum offen als bei Regelungen, die den Zugang zu einem Beruf (den Erwerbsantritt) beschränken, weil und insoweit durch solche die Ausübung einer Erwerbstätigkeit regelnden Vorschriften der Eingriff in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre weniger gravierend ist, als durch Vorschriften, die den Zugang zum Beruf überhaupt behindern (s. etwa VfSlg 13.704/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.024/2000 und 16.734/2002).

2.4. Die Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes werden zum einen durch die Verordnungsermächtigung des §37 RAO gesetzlich determiniert, darüber hinaus aber insbesondere auch durch die Bestimmungen des II. Abschnittes der Rechtsanwaltsordnung ("Rechte und Pflichten der Rechtsanwälte") sowie durch §1 Abs1 DSt 1990 (VfSlg 16.265/2001).

§37 Abs1 RAO ermächtigt den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag zur Erlassung von Richtlinien im Hinblick auf bestimmte Regelungsgegenstände, unter anderem über die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes (§37 Abs1 Z1 RAO) sowie zu den "Kriterien für die Ermittlung des angemessenen Honorars" (§37 Abs1 Z4 RAO). Der Verfassungsgerichtshof hat bereits festgestellt, dass in diesen Standesrichtlinien auch das außerberufliche Verhalten eines Rechtsanwaltes geregelt werden darf. Dies ergibt sich aus der – verfassungsrechtlich unbedenklichen – Bestimmung des §1 Abs1 DSt 1990, wonach ein Rechtsanwalt nicht nur dann ein Disziplinarvergehen begeht, wenn er schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt, sondern auch dann, wenn er inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Verhalten die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt (VfSlg 16.265/2001).

Vor diesem Hintergrund geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass sich das in §51 RL-BA 1977 enthaltene Verbot, für die Tätigkeit des Rechtsanwaltes einen Maklerlohn (Provision) zu vereinbaren oder entgegenzunehmen, auf die Ermächtigung des §37 RAO stützen kann. Daran vermag auch die Bestimmung des §16 Abs1 RAO nichts zu ändern, der zufolge der Rechtsanwalt sein Honorar mit der Partei grundsätzlich frei vereinbaren kann, solange er nicht eine ihm anvertraute Streitsache ganz oder teilweise an sich löst.

Dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber kommt bei derartigen Regelungen ein großer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Es kann dem Verordnungsgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er mit der in §51 RL-BA 1977 enthaltenen Regelung unter anderem das Ziel verfolgt, Interessenkollisionen zwischen der eigentlichen Tätigkeit des Rechtsanwaltes und einer sonstigen Tätigkeit, wie zB der Tätigkeit als Makler, zu unterbinden.

2.5. In diesem Sinn stellt das von §51 RL-BA 1977 statuierte – bloß die Ausübung und nicht den Antritt des Erwerbes betreffende – Provisionsverbot nach der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Erwerbs(ausübungs)freiheit dar (vgl. auch das Erkenntnis VfSlg 9537/1982, in dem der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen §52 RL-BA 1977 idF vom 14. Dezember 1977 – die wortgleiche Vorgängerbestimmung zum gegenständlichen §51 RL-BA 1977 – erkennen konnte; ebenso das Erkenntnis VfSlg 18.541/2008, in dem der Verfassungsgerichtshof das Verbot eines Erfolgshonorars nicht als Verstoß gegen die Erwerbsfreiheit wertete; schließlich auch VfSlg 18.542/2008; OGH 17.12.2008, 3 Ob 197/08d).

V. Ergebnis

1. Die vom Obersten Gerichtshof ob der Gesetzmäßigkeit von §51 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters ("RL-BA 1977") erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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