VfGH E552/2016 ua

VfGHE552/2016 ua14.10.2016

Keine Bedenken gegen die Dornbirner Bettelverbots-Verordnung betreffend ein Verbot des stillen Bettelns während der Abhaltung von bestimmten Märkten; kein Verstoß gegen die - verfassungsrechtlich unbedenkliche - landesgesetzliche Ermächtigung zur Erlassung eines solchen Bettelverbotes wegen Vorliegens eines die Benützung eines öffentlichen Ortes durch andere Personen erschwerenden, spezifischen Missstandes

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art118 Abs6
EMRK Art6, Art10
Vlbg Landes-SicherheitsG §7 Abs3
Dornbirner BettelverbotsV vom 12.11.2016

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2016:E552.2016

 

Spruch:

Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angefochtenen Erkenntnisse weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerden und Vorverfahren

1. Mit Erkenntnissen des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg wurden die gegen die Beschwerdeführerinnen ergangenen Strafbescheide der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn mit näherer Maßgabe bestätigt. Den Beschwerdeführerinnen wurde wegen Verstoßes gegen die Verordnung der Stadt Dornbirn, beschlossen von der Stadtvertretung der Stadt Dornbirn am 12. November 2015, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 13. November 2015 bis zum 21. Dezember 2015, in Kraft getreten am 14. November 2015, (im Folgenden: Dornbirner Bettelverbots-VO) jeweils eine Geldstrafe auferlegt, weil sie entgegen der Verordnung während der Marktzeiten auf Marktplätzen in Dornbirn gebettelt haben.

2. Zur Erstbeschwerdeführerin:

2.1. Im Erkenntnis gegen die Erstbeschwerdeführerin führt das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg aus, dass die Erstbeschwerdeführerin am 11. Dezember 2015 um 16:40 Uhr an einem näher bezeichneten Ort in Dornbirn während der Abhaltung des Christkindlemarktes von 27. November 2015 bis 23. Dezember 2015 von 13.00 Uhr bis 20:00 Uhr gebettelt habe, obwohl dies gemäß der Dornbirner Bettelverbots-VO an dem bezeichneten Ort verboten sei. Dadurch habe sie die ihr zur Last gelegte Verwaltungsübertretung tatbestandsmäßig verwirklicht.

Zur Dornbirner Bettelverbots-VO führt das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg aus, dass ihm "keinerlei Bedenken betreffend die Gesetzmäßigkeit der in Rede stehenden Verordnung der Stadtvertretung der Stadt Dornbirn bezüglich der Verfügung eines Bettelverbotes während der Abhaltung des Christkindlemarktes – entgegen dem diesbezüglichem Beschwerdevorbringen – entstanden [sind]. Mit der Erlassung dieser Verordnung soll insbesondere gewährleistet werden, dass der Besuch des Christkindlemarktes, somit die Benützung eines öffentlichen Ortes durch andere Personen[,] ungestört ermöglicht wird."

Die verhängte Geldstrafe iHv € 100,– bestätigte das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg u.a. deshalb, weil "Schutzzweck der übertretenen Bestimmung […] die Hintanhaltung des durch das Betteln hervorgerufenen, das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Missstandes beim Besuch eines stark frequentierten Weihnachtsmarktes [ist]. Diesem Schutzzweck hat die Beschuldigte im konkreten Fall nicht unerheblich zuwidergehandelt. Die Beschuldigte war in Kenntnis des bestehenden Bettelverbotes, da sie bereits am 18.11.2015 über das Bettelverbot in Kenntnis gesetzt worden ist. Als Verschuldensform ist daher von Vorsatz auszugehen."

2.2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin, in der die Verletzung im Recht auf Gleichheit und im Recht auf ein faires Verfahren sowie in Rechten wegen Anwendung einer gesetz- bzw. verfassungswidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Zur behaupteten Rechtswidrigkeit der Dornbirner Bettelverbots-VO führt die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen aus, dass die Verordnung in das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung eingreife, da sie das grundrechtlich geschützte "stille Betteln" verbiete. Eine Rechtfertigung nach Art10 Abs2 EMRK für diesen Eingriff liege nicht vor. Dazu wird u.a. ausgeführt:

"Die von der beschuldigten Person ausgeübte Form der Bettelei, still, passiv, demütig, ist keine in besonderem Maße das Gemeinschaftsleben störende Handlung, selbst wenn diese von einer Vielzahl von Personen gleichzeitig ausgeübt wird. Sollte es tatsächlich durch die Anwesenheit zB einer bettelnden Person an einer Engstelle zu einer problematischen Situation kommen, kann diese mit den bereits vorhandenen Mitteln des Verwaltungsrechtes (zB der Marktordnung) oder des Verwaltungsstrafrechtes bei Zuwiderhandeln entgegengesteuert werden, ohne dass ein solch massiver Eingriff in Artikel 10 EMRK durch eine Verordnung der Stadt Dornbirn erforderlich wäre.

 

Es ist auch festzuhalten, dass die Bettler-Verordnung der Stadt Dornbirn vom 12.11.2015 fast die gesamte Innenstadt und 'ganz zufällig' alle wesentlichen Einkaufsmöglichkeiten in der Innenstadt auf einer Fläche von etwa 130.000 m² umfasst. Es ist dies eine Fläche, die weit mehr als nur die tatsächliche Marktzone umfasst (die in der Verordnung genannten Märkte finden in der Regel auf einem kleinen Teil der Marktstraße auf einer Fläche von etwa 1.300 m² statt, also auf etwa 1/100 der in der Bettler-Verordnung ausgewiesenen Fläche).

[…]

Die Bettler-Verordnung der Stadt Dornbirn mit einer temporären Bettelverbotszone von 130.000 m² schießt daher weit über das notwendige Ziel hinaus, sofern es tatsächlich notwendig sein sollte, an bestimmten neuralgischen Punkten einen Missstand zu beseitigen, der durch eine Häufung von bettelnden Personen gemäß §7 Abs3 Landes-Sicherheitsgesetz entstehen sollte (wozu es auch bis heute keinerlei Untersuchungen gibt und auch keine öffentliche Diskussion, dass tatsächlich ein solcher Missstand nach §7 Abs3 Landes-Sicherheitsgesetz jemals vorlag oder vorliegt). Die Verordnung der Stadt Dornbirn vom 12.11.2015 wurde daher lediglich zum Schein auf §7 Abs3 Landes-Sicherheitsgesetz gestützt. In Wirklichkeit geht es um den Schutz von wirtschaftlichen Interessen einer kleinen Zahl von Personen um Geschäfte zu machen und einiger Besucher der Dornbirner Innenstadt, um ihnen das Gesicht der Armut zu 'ersparen'. Die Verordnung ist somit ohne ausreichende gesetzliche Grundlage von der Dornbirner Stadtvertretung erlassen worden und kann zur Einschränkung des verfassungsmäßig zu gewährleistenden Rechtes aus Art10 EMRK nicht einmal ansatzweise als Rechtfertigung dienen.

 

Der Österreichische Verfassungsgerichtshof hat auch in [VfSlg 19.622/2012] richtigerweise und konsequent in der Anwendung von Art10 EMRK klargestellt, dass eine Störung der öffentlichen Ordnung – sieht man etwa von einer Situation ab, in der die Anzahl der Bettler die Benützung des öffentlichen Orts derart erschwert, dass ein Missstand vorliegt – von der bloßen Anwesenheit einzelner Menschen an öffentlichen Orten, die um finanzielle Unterstützung werben, ohne qualifizierte, etwa aufdringliche oder aggressive Verhaltensweisen an den Tag zu legen, nicht ausgehen kann.

 

Eine solche große Anzahl von bettelnden Armutsmigranten sind jedoch in ganz Dornbirn in der Vergangenheit niemals aufgetreten, dass dieser Umstand tatsächlich eingetreten ist, dass die Benützung des öffentlichen Orts derart erschwert, dass ein Missstand vorliegt. […]"

 

Zudem verstoße die Dornbirner Bettelverbots-VO gegen den Gleichheitsgrundsatz. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.622/2012 ausgesprochen habe, sei ein ausnahmsloses Verbot des stillen Bettelns an öffentlichen Orten unsachlich, da der Gesetzgeber an öffentlichen Orten eine Reihe anderer Nutzungsformen toleriere. Da die Dornbirner Bettelverbots-VO "Armutsmigranten selbst das stille, passive und demütige Betteln vollständig untersagt", hingegen andere Personen die Marktplätze für das Sammeln von Spenden, für öffentliche Veranstaltungen, zur Verteilung von Informationsmaterial oder für den Verkauf von Zeitschriften benützen dürfen, verstoße die Verordnung, selbst wenn eine ausreichende Rechtfertigung nach Art10 EMRK vorliegen sollte oder konstruiert werden könnte, jedenfalls gegen den Gleichheitsgrundsatz.

3. Zur Zweitbeschwerdeführerin:

3.1. In den beiden Erkenntnissen gegen die Zweitbeschwerdeführerin führt das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg aus, dass die Zeitbeschwerdeführerin am 9. Dezember 2015 um 13:25 Uhr und am 28. November 2015 um 14:43 Uhr bzw. um 12:49 Uhr an näher bezeichneten Orten in Dornbirn während der Abhaltung des Christkindlemarktes von 27. November 2015 bis 23. Dezember 2015 von 13:00 Uhr bis 20:00 Uhr bzw. des Wochenmarktes mittwochs und samstags von 6:30 Uhr bis 14:00 Uhr gebettelt habe, obwohl dies gemäß der Dornbirner Bettelverbots-VO an den bezeichneten Orten verboten sei. Dadurch habe sie die ihr zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen tatbestandsmäßig verwirklicht.

Da sich die Ausführungen des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg zur Dornbirner Bettelverbots-VO und zu den verhängten Strafen (hier: dreimal € 100,–) mit den Ausführungen unter Punkt 2.1. decken, wird insoweit darauf verwiesen.

3.2. Gegen diese Erkenntnisse richten sich die beiden vorliegenden, auf Art144 B‑VG gestützten, bis auf die Ausführungen zum Sachverhalt identen Beschwerden der Zweitbeschwerdeführerin, in denen die (nicht eigens ausgeführte) Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse beantragt wird.

In den Beschwerden wird vorgebracht, dass die Dornbirner Bettelverbots-VO gesetzwidrig sei, und zwar im Wesentlichen aus folgenden Gründen:

"Die Gesetzwidrigkeit ergibt sich zunächst schon daraus, dass der Inhalt der Verordnung über die Ermächtigungsnorm des Landesgesetzgebers hinausgeht. Während nämlich §7 Abs3 Landes-Sicherheitsgesetz die Gemeinden dazu ermächtigt, auch ein nicht nach §7 Abs1 leg cit verbotenes Betteln zu untersagen, wird mit der gegenständlichen Verordnung 'auch ein nicht unter §7 Abs2 Landes-Sicherheitsgesetz fallendes Betteln verboten'. Für die Erlassung eines solchen Verbotes findet sich aber keine landesgesetzliche Ermächtigung. Die Verordnung der Stadt Dornbirn erweist sich schon deshalb als gesetzwidrig.

[…]

Es ist der Verordnung nicht zu entnehmen, wie ein tatsächlich abgehaltener Markt als einer der Unterfälle der Verordnung zu bestimmen ist. So wird in der Verordnung beispielsweise nicht festgehalten, dass während der Marktzeiten mit öffentlichem Aushang das Bettelverbot kundgemacht werden muss. Es bleibt aufgrund der Verordnung mangels näherer Definition offen, wann es sich bei einem stattfindenden Markt, der im im Lageplan ausgewiesenen Gebiet stattfindet, um einen Wochen-, Kunsthandwerks-, Martini-, Christkindle- oder Gelegenheitsmarkt handelt. Je nach Qualifizierung der Art des Marktes sind unterschiedliche Verbotszeiträume normiert. […]

 

Hinzu kommt beispielweise, dass aus der Verordnung nicht ersichtlich ist, ob unter den genannten Gelegenheitsmärkten sämtliche andere stattfindende Märkte umfasst sind. […]

 

Im Übrigen erweist sich die Verordnung auch als unverhältnismäßig hinsichtlich ihrer räumlichen Ausdehnung, da der in der Verordnung genannte beiliegende Lageplan nicht nur das Marktgebiet umfasst, sondern auch sämtliche umliegenden Straßenzüge, die sich zum Teil bis in erhebliche Entfernung vom Marktplatz erstrecken. Es ist nicht anzunehmen, dass eine Person, die ohnehin nicht im Marktgebiet bettelt, einen das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Missstand darstellt, wenn der Schutzzweck der Verordnung die ungestörte Abhaltung der Märkte ist."

 

Ebenso wenig liegen nach Ansicht der Zweitbeschwerdeführerin die Voraussetzungen vor, die §7 Abs3 des Gesetzes über Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei (im Folgenden: Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz, s. Punkt II.1.) für die Erlassung eines allgemeinen Bettelverbotes für einen bestimmten Bereich vorsehe:

"Es war durch die in Dornbirn befindlichen oder der dort zu erwartenden bettelnden Personen nicht zu befürchten, dass die Benützung des öffentlichen Ortes durch nicht bettelnde Personen erschwert würde. So haben in der Stadt Dornbirn, die derzeit ca. 48.000 Einwohner zählt, zum Zeitpunkt der Erlassung der verfahrensgegenständlichen Verordnung insgesamt nie mehr als circa 12 Personen gleichzeitig gebettelt. Diese geringe Anzahl ist nicht dazu geeignet, die Benützung eines öffentlichen Ortes zu erschweren. Außerdem haben die örtlichen Verhältnisse kumulativ solcherart zu sein, dass sie zu der Befürchtung, dass die Benützung des öffentlichen Ortes durch andere Personen erschwert wird, beitragen. Es handelt sich jedoch beim Marktplatz in Dornbirn, der das Zentrum des Bettelverbotsbereichs ausmacht, um eine Fußgängerzone[,] in der ausreichend Platz für bettelnde und andere Personen besteht. Die örtlichen Verhältnisse tragen also nicht dazu bei, dass eine Benützungseinschränkung zu befürchten ist."

 

Zudem erweise sich auch die landesgesetzliche Ermächtigungsnorm des §7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz als verfassungswidrig, weil die dort geregelten Voraussetzungen für die Erlassung eines Bettelverbotes weder unentbehrlich iSd Art10 Abs2 EMRK noch sachlich gerechtfertigt iSd Art7 B‑VG seien, zumal nach VfSlg 19.662/2012 Betteln in den Schutzbereich des Art10 EMRK falle, womit es schwer vorstellbar sei, dass ein gehäuftes Auftreten von bettelnden Personen an öffentlichen Orten einen Missstand darstellen könnte.

4. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn und das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg haben die Bezug habenden Akten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

5. Die Stadtvertretung der Stadt Dornbirn hat auf Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes die auf die Dornbirner Bettelverbots-VO Bezug habenden Akten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der sie den Beschwerdebehauptungen im Wesentlichen Folgendes entgegenhält:

"Die Verordnung der Stadtvertretung der Stadt Dornbirn vom 12.11.2015 verbietet das Betteln nicht 'jedermann ausnahmslos'. Der zeitliche und räumliche Geltungsbereich sind beschränkt auf die in der Verordnung genannten Marktzeiten und das im Lageplan, welcher einen Bestandteil der Verordnung bildet, gekennzeichnete Gebiet. ln der übrigen Zeit ist das stille Betteln im gesamten Stadtgebiet erlaubt.

 

Die Erlassung eines zeitweisen Bettelverbotes in Teilen der Stadt war notwendig, um einen in der Stadt Dornbirn bestehenden, durch die massive Zunahme des Bettelns verursachten Missstand zu beseitigen. Die Grundlagen für die Erlassung der Verordnung sind dem Verwaltungsakt, insbesondere dem 'Amtsbericht an die Stadtvertretung zur Erlassung eines sektoralen und temporären Bettelverbots gemäß §7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz' vom 30. Oktober 2015 […] sowie den Auszügen aus den Tagesrapporten der Stadtpolizei Dornbirn […] und den beispielhaft angeschlossenen Dokumenten über Beschwerden aus der Bevölkerung […] zu entnehmen.

 

Ein Vergleich des Bettelns mit den von beiden Beschwerdeführerinnen angesprochenen Spendensammlungen durch gemeinnützige Organisationen auf öffentlichen Plätzen ist nicht zulässig. ln Dornbirn sind solche Aktionen, so sie auf Gemeindestraßen stattfinden, klaren Regeln unterworfen. Die Stadt Dornbirn erteilt im Einzelfall auf Grundlage einer privatrechtlichen Zustimmung zum (über den Gemeingebrauch hinausgehenden) Sondergebrauch einer öffentlichen Straße gemäß §5 Vbg. Straßengesetz eine Erlaubnis unter Auflagen (z. B. Zuteilung von fixen Standorten, Verbot der Belästigung von Passanten, zeitliche Beschränkung, limitierte Anzahl von Personen udgl.). Ähnliches gilt auch für die Abhaltung von Veranstaltungen, wo das Veranstaltungsgesetz gilt, für Versammlungen sowie die Nutzung des öffentlichen Raumes durch Gastgewerbebetriebe. ln der Regel führen daher solche Aktionen nicht zu einer Störung der öffentlichen Ordnung. Sollte dies fallweise dennoch vorkommen, wird dagegen vorgegangen und u. U. eine erteilte Erlaubnis widerrufen.

[…]

Die Erfahrungen der letzten beiden Jahre seit der Aufhebung des absoluten Bettelverbots zeigen, dass das Bettelwesen in der Stadt Dornbirn erhebliche Störungen der öffentlichen Ordnung verursacht. Entgegen dem Vorbringen [der Erstbeschwerdeführerin] hat sich die Stadtvertretung sehr wohl und sehr eingehend mit der Frage der öffentlichen Ordnung befasst und dazu viele Fakten erhoben. Daraus ergibt sich, dass insbesondere die mit der Erlaubtheit des stillen Betteln[s] zu den Marktzeiten verursachten Begleiterscheinung[en] einen für das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Missstand darstellen, der durch das Gesetz nicht hinreichend bekämpft wird. Dieser Missstand wird im Verwaltungsakt im erwähnten Amtsbericht und der angeschlossenen Dokumentation der Stadtpolizei der Stadt Dornbirn auch anhand von zahlreichen konkreten, im Detail beschriebenen Umständen und Beispielen aufgezeigt. Für das gegenständliche Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof haben Mitarbeiter der Stadtpolizei aus sämtlichen Tages- und Nacht-Rapporten aus 2015 sowie 2016 bis inkl. März alle dokumentierten Vorfälle und Beschwerden in Verbindung mit dem Betteln, in denen die Stadtpolizei tätig war, chronologisch in Tabellenform erfasst. Diese Tabellen werden dem Verwaltungsakt angeschlossen […].

 

Bei der Erlassung der Verordnung wurde eine lnteressensabwägung dahingehend vorgenommen, als das Recht auf Meinungsfreiheit der bettelnden Personen dem Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Sicherheit und Bewegungsfreiheit bzw. ungestörten Gemeingebrauch von öffentlichen Orten und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegenübergestellt wurde. Dabei wurde ein erhebliches Ungleichgewicht zu Lasten dieser öffentlichen Interessen festgestellt, das nach einem Ausgleich verlangte. Mit der Erlassung des zeitweisen Bettelverbots auf einem festgelegten Gebiet soll dieser Ausgleich geschaffen werden.

 

Zu den Marktzeiten hat sich durch das Bettelverbot die Situation in der Stadt spürbar entspannt; die Beschwerden sind zurückgegangen. Die Verordnung ist daher verhältnismäßig – sie war eine notwendige und auch geeignete Maßnahme, dem Missstand zu begegnen.

 

Zur Festlegung des Verbotsbereichs ist festzuhalten, dass dieser über das eigentliche Marktgebiet hinaus außerdem die Zugänge zum Markt umfasst, wo nach den Beobachtungen der Stadtpolizei viele Bettelstandorte sind […].

 

Die Stadt Dornbirn hat bereits im Sommer 2015 eigens einen mehrsprachigen lnformationsfolder mit Piktogrammen mit dem Titel 'Unsere wichtigsten Regeln für Bettler' […] herausgegeben, der den bettelnden Personen im Zuge der Ermahnung und Belehrung jeweils ausgehändigt wird. Das Bettelverbot zu den Marktzeiten für die Innenstadt wurde am 12.11.2015 von der Stadtvertretung beschlossen und am darauffolgenden Tag kundgemacht. Zeitgleich mit der Erlassung des Bettelverbotes wurde zum lnformationsfolder ein Zusatzblatt, ebenfalls mehrsprachig und mit Piktogrammen, aufgelegt und gedruckt […]. ln den ersten beiden Wochen nach der Kundmachung der Verordnung haben Stadtpolizei und Bundespolizei die Betroffenen über die neue Rechtsvorschrift informiert und dabei das erwähnte Zusatzblatt zum Folder verteilt. Die ersten Anzeigen wurden erst am 28.11.2015 gegenüber Bettlern, die davor ermahnt wurden, erstattet."

 

Abschließend hält die Stadtvertretung der Stadt Dornbirn fest:

"Insgesamt führt eine Erlaubnis des stillen Bettelns in Dornbirn zu den Marktzeiten aufgrund der Attraktivität und guten Verdienstmöglichkeiten zu einem übermäßig starken Zuzug von bettelnden Personen. Damit ist eine Vielzahl von unerwünschten Begleiterscheinung[en] verbunden, die in ihrer Gesamtheit einen für das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Missstand darstellen. Die Erlassung der Verordnung vom 12.11.2015, die das Betteln zeitweise innerhalb eines bestimmten Gebietes verbietet, war als Maßnahme zur Verbesserung der Situation notwendig. Somit ist die Verordnung auch gesetzmäßig."

 

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Das Gesetz über Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei (hier: Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz), LGBl 1/1987 idF LGBl 121/2015, regelt im dritten Abschnitt die "Bettelei" in den §§7, 8 und 9 (jeweils idF LGBl 61/2013 und §7 Abs1 idF LGBl 121/2015).

Diese Bestimmungen lauten:

"§7

Bettelverbot

(1) Es ist verboten, an öffentlichen Orten oder im Umherziehen von Haus zu Haus oder von Wohnung zu Wohnung wie folgt zu betteln:

a) in aufdringlicher oder aggressiver Weise, wie durch Anfassen, unaufgefordertes Begleiten, Nachgehen oder Beschimpfen;

b) unter Mitführung einer unmündigen minderjährigen Person;

c) als Beteiligter einer organisierten Gruppe.

(2) Weiters ist es verboten, a) eine Person zum Betteln in einer organisierten Gruppe zu veranlassen oder sonst das Betteln durch eine Gruppe zu organisieren oder

b) – soweit dies nicht bereits von der lita erfasst ist – eine unmündige minderjährige Person zum Betteln zu veranlassen.

(3) Die Gemeindevertretung kann durch Verordnung auch ein nicht nach Abs1 verbotenes Betteln an bestimmten öffentlichen Orten untersagen, wenn aufgrund der dort zu erwartenden Anzahl an bettelnden Personen und der örtlichen Verhältnisse zu befürchten ist, dass die Benützung des öffentlichen Orts durch andere Personen erschwert wird, oder durch solches Betteln sonst ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand bereits besteht oder unmittelbar zu erwarten ist.

 

§8

Bewilligungspflichtiges Betteln

(1) Ein nicht bereits nach §7 verbotenes Betteln ist nur mit Bewilligung der Behörde gestattet, sofern es im Umherziehen von Haus zu Haus oder von Wohnung zu Wohnung erfolgt.

(2) Die Bewilligung nach Abs1 kann nur an eine Person erteilt werden, die

a) das 18. Lebensjahr vollendet hat,

b) glaubhaft macht, dass sie nicht in einer Art und Weise bettelt, die nach §7 Abs1 verboten ist, und

c) in den letzten fünf Jahren nicht wegen eines Verstoßes gegen eine Bestimmung dieses Abschnittes bestraft worden ist.

(3) Die Bewilligung ist befristet, mit Auflagen und Bedingungen, einschließlich örtlicher und zeitlicher Beschränkungen, zu erteilen, soweit dies zur Vermeidung von unzumutbaren Belästigungen erforderlich ist. In der Bewilligung ist auch festzulegen, dass sich der Bewilligungsinhaber beim Betteln auf Verlangen auszuweisen hat.

(4) Die Behörde hat die Bewilligung mit Bescheid zu widerrufen, wenn eine Voraussetzung für ihre Erteilung nicht oder nicht mehr vorliegt. (5) Die Bezirkshauptmannschaften sind verpflichtet, der Behörde auf Verlangen die Daten über eine Bestrafung wegen einer Übertretung im Sinne des Abs2 litc zu übermitteln oder ihr eine entsprechende automationsunterstützte Abfrage zu ermöglichen, soweit diese Daten für die Überprüfung, ob die Voraussetzung nach Abs2 litc erfüllt ist, erforderlich sind.

(5) Die Bezirkshauptmannschaften sind verpflichtet, der Behörde auf Verlangen die Daten über eine Bestrafung wegen einer Übertretung im Sinne des Abs2 litc zu übermitteln oder ihr eine entsprechende automationsunterstützte Abfrage zu ermöglichen, soweit diese Daten für die Überprüfung, ob die Voraussetzung nach Abs2 litc erfüllt ist, erforderlich sind.

(6) Alle Amtshandlungen und schriftlichen Ausfertigungen in Vollziehung der Abs1 bis 5 sind von den durch landesrechtliche Vorschriften vorgesehenen Verwaltungsabgaben und Gebühren befreit.

 

§9

Wegweisung

Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben von der Festnahme gemäß §35 Z3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 abzusehen, wenn die Fortsetzung oder Wiederholung einer Übertretung nach §7 durch Wegweisung der betreffenden Person vom öffentlichen Ort verhindert werden kann."

 

§15 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz enthält Strafbestimmungen und lautet auszugsweise wie folgt:

 

"§15

Strafbestimmungen

(1) Eine Übertretung begeht, wer

a) bis c) […]

d) dem §7 Abs1 oder einer gemäß §7 Abs3 erlassenen Verordnung zuwiderhandelt oder ohne Bewilligung gemäß §8 Abs1 bettelt oder in einer Bewilligung gemäß §8 Abs3 enthaltene Auflagen nicht erfüllt,

e) dem §7 Abs2 zuwiderhandelt,

f) […].

(2) Von der Bezirkshauptmannschaft sind Übertretungen nach

a) Abs1 lita, d und f mit einer Geldstrafe bis 700 Euro,

b) […],

c) Abs1 lite mit einer Geldstrafe bis 10.000 Euro zu bestrafen.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Geld- und Sachleistungen, die unter Verstoß gegen §7 oder §8 erworben wurden, können unabhängig von einer Bestrafung nach Abs1 für verfallen erklärt werden."

 

2. Die Verordnung der Stadt Dornbirn, beschlossen von der Stadtvertretung der Stadt Dornbirn am 12. November 2015, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 13. November 2015 bis zum 21. Dezember 2015, in Kraft getreten am 14. November 2015 (hier: Dornbirner Bettelverbots-VO) lautet:

"Verordnung

Aufgrund des Beschlusses der Stadtvertretung der Stadt Dornbirn vom 12.11.2015 wird gemäß §7 Abs3 Landes-Sicherheitsgesetz, LGBl Nr 61/2013, verordnet:

 

Im Gebiet, das im beiliegenden Lageplan, der einen integrierten Bestandteil dieses Beschlusses bildet, ausgewiesen wird, ist während der Abhaltung

 der Wochenmärkte in der Zeit von 6:30 bis 14:00 Uhr

 der Kunsthandwerksmärkte in der Zeit von 7:00 bis 19:00 Uhr

 des Martinimarktes in der Zeit von 8:00 bis 21:00 Uhr

 des Christkindlemarktes in der Zeit von 13:00 bis 20:00 Uhr

 von Gelegenheitsmärkten jeweils zu den bewilligten Marktzeiten

auch ein nicht unter §7 Abs2 Landes-Sicherheitsgesetz fallendes Betteln verboten.

 

Diese Verordnung tritt an dem auf die Kundmachung folgenden Tag in Kraft.

 

Die Bürgermeisterin:

Dipl.-Vw. Andrea Kaufmann"

 

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen – zulässigen – Beschwerden erwogen:

Die Beschwerden sind nicht begründet.

1. Bedenken gegen die den angefochtenen Entscheidungen zugrunde liegenden Rechtsvorschriften sind – aus Sicht der Beschwerdefälle – nicht entstanden:

1.1. Die Zweitbeschwerdeführerin bringt zunächst vor, dass §7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz verfassungswidrig sei, weil die dort geregelten Voraussetzungen eines Bettelverbotes weder sachlich gerechtfertigt iSd Art7 B‑VG noch unentbehrlich iSd Art10 Abs2 EMRK seien.

1.1.1. §7 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz verbietet in Abs1 bestimmte Formen des Bettelns, nämlich aufdringliches und aggressives Betteln, Betteln unter Mitführen einer unmündigen Person und Betteln als Beteiligter einer organisierten Gruppe. In Abs2 leg. cit. wird das Veranlassen oder das Organisieren bestimmter Bettelformen verboten.

§7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz trifft die Regelung, dass auch ein nicht nach Abs1 des §7 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz verbotenes Betteln an bestimmten öffentlichen Orten durch Verordnung der Gemeindevertretung verboten werden darf, und zwar dann, wenn auf Grund der an diesen Orten zu erwartenden Anzahl an bettelnden Personen und der örtlichen Verhältnisse zu befürchten ist, dass die Benützung des öffentlichen Ortes durch andere Personen erschwert wird oder durch solches Betteln sonst ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand bereits besteht oder unmittelbar zu erwarten ist. Damit wird die Gemeindevertretung ermächtigt, ein über das landesgesetzliche Verbot hinausgehendes Bettelverbot zu erlassen. Auch ein Verbot des sogenannten "stillen Bettelns" darf sie in Entsprechung dieser Regelung erlassen. Stilles Betteln ist das Bitten anderer Menschen um finanzielle Hilfe, in unaufdringlicher und nicht aggressiver Weise oder überhaupt "still", nur durch schriftlichen ("Taferl") oder symbolischen ("Hut") Hinweis an einem öffentlichen Ort (VfSlg 19.662/2012).

1.1.2. Ein Verbot des stillen Bettelns begegnet nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes jedoch gewissen Schranken. Gemäß VfSlg 19.662/2012 verstößt ein ausnahmsloses Verbot des stillen Bettelns gegen die Freiheit der Meinungsäußerung und gegen den Gleichheitsgrundsatz. Denn stilles Betteln an öffentlichen Orten ausnahmslos zu verbieten, sei in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig bzw. es sei sachlich nicht zu rechtfertigen, bestimmte Menschen davon auszugrenzen, öffentliche Orte wie andere Personen zu ihrem selbstgewählten Zweck zu nutzen. Denn, so der Verfassungsgerichtshof weiter, "[e]ine Störung der öffentlichen Ordnung kann – sieht man etwa von einer Situation ab, in der die Anzahl der Bettler die Benützung des öffentlichen Ortes derart erschwert, dass ein Missstand vorliegt – von der bloßen Anwesenheit einzelner Menschen an öffentlichen Orten, die um finanzielle Unterstützung werben, ohne qualifizierte, etwa aufdringliche oder aggressive Verhaltensweisen an den Tag zu legen, nicht ausgehen". Der Verfassungsgerichtshof kommt in diesem Erkenntnis zum Ergebnis, dass Bettler, die "in unaufdringlicher und nicht aggressiver Weise verbal um Hilfe […] bitten", und so "an die Solidarität und finanzielle Hilfsbereitschaft anderer" appellieren, von ihrem Recht auf Kommunikationsfreiheit, das gemäß Art10 Abs1 EMRK geschützt ist, Gebrauch machen. Schließlich tritt der Verfassungsgerichtshof dem Argument der Salzburger Landesregierung entgegen, das ausnahmslose Verbot des stillen Bettelns sei zur Aufrechterhaltung der Ordnung und dem Schutz der Rechte anderer gerechtfertigt. Er entscheidet vielmehr, dass ein ausnahmsloses Verbot der Bettelei in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig sei.

Dieser Entscheidung liegt demnach der Gedanke zugrunde, dass Bettelei (vorausgesetzt es handelt sich nicht um eine qualifizierte verpönte Form) jedenfalls insoweit erlaubt sein muss, als diese zur Überbrückung einer persönlichen Notlage durch Erbitten finanzieller Hilfe in einer Weise ausgeübt wird, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht gefährdet.

Weder reicht die bloße Befürchtung, die Armutsmigration erreiche Ausmaße, die lediglich künftig zu einem Missstand führen könnten, zur Normierung eines Verbotes des stillen Bettelns – gleichsam "auf Vorrat" – aus noch wäre die bloße Behauptung einzelner Gemeindebürger, ein solcher Missstand liege bereits vor, dafür ausreichend. Vielmehr muss sich ein Missstand bereits manifest ankündigen (vgl. VfSlg 6556/1971 zu Art118 Abs6 B‑VG "von mit Sicherheit zu erwartenden Mißständen").

1.1.3. Die landesgesetzliche Ermächtigung in §7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz sieht daher vor, dass die Gemeinden ein Bettelverbot an bestimmten öffentlichen Orten erlassen dürfen, wenn "aufgrund der dort zu erwartenden Anzahl an bettelnden Personen und der örtlichen Verhältnisse zu befürchten ist, dass die Benützung des öffentlichen Orts durch andere Personen erschwert wird, oder durch solches Betteln sonst ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand bereits besteht oder unmittelbar zu erwarten ist". §7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz stellt damit – im Einklang mit VfSlg 19.662/2012 – auf einen schon bestehenden oder unmittelbar bevorstehenden Missstand ab. Da sich die Bettelei zwar stets nur in einer Gemeinde iS des Art118 Abs6 B‑VG als Missstand manifestieren kann, jedoch das Verbot des stillen Bettelns in einer Gemeinde sich in Form der Verlagerung der Bettelei auf andere Gemeinden auswirken könnte, ist es unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, dass es der Landesgesetzgeber – hier durch die Ermächtigung in Abs3 leg. cit. – den Gemeinden ausnahmsweise ermöglicht, auch stilles Betteln als in Betracht kommenden Missstand rechtlich einzuordnen, indem er sie zu einem Verbot des stillen Bettelns ermächtigt, wenn dafür unter den besonderen Umständen der spezifischen örtlichen Gegebenheiten ein öffentliches Interesse besteht.

1.1.4. §7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz nennt in Anlehnung an VfSlg 19.662/2012 den Fall, dass wegen der zu erwartenden Anzahl stiller Bettler und der örtlichen Verhältnisse anderen Personen ein ungehindertes Benützen eines öffentlichen Ortes im Sinne eines Missstandes nicht mehr gewährleistet ist (s. auch die RV, 75. Blg. Vbg. LT, 29. GP, 10). Der Landesgesetzgeber geht sichtlich im Sinne des verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmens dabei davon aus, dass die "Erschwernis" der Benützung des öffentlichen Raumes einer gewissen Erheblichkeit iS eines Missstandes bedarf (vgl. die Formulierung "sonst ein […] störender Missstand […] besteht oder […] zu erwarten ist"). Die Anwendung des §7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz setzt freilich voraus, dass die verfassungsrechtlichen Grenzen eingehalten werden.

1.2. Die Stadtvertretung der Stadt Dornbirn (vgl. §33 Abs1 Gesetz über die Organisation der Gemeindeverwaltung) hat von der Ermächtigung des §7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz Gebrauch gemacht und am 12. November 2015 während der Abhaltung von bestimmten Märkten (Wochen-, Martini-, Christkindlemarkt, Kunsthandwerks- und Gelegenheitsmärkte) in einem in einem der Verordnung beiliegenden Lageplan ausgewiesenen Gebiet auch das stille Betteln verboten.

Dass die Verordnung Abs2 des §7 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetzes nennt und nicht Abs1 leg. cit., wie es §7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz vorsieht – ein weiterer Vorwurf der Zweitbeschwerdeführerin –, schadet nicht. Denn es handelt sich hiebei offenkundig um ein Vergreifen des Verordnungsgebers im Ausdruck, zumal §7 Abs2 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz an die in §7 Abs1 leg. cit. verbotenen Bettelformen anknüpft und weitere Verbote vorsieht.

1.2.1. Damit die Dornbirner Bettelverbots-VO als Durchführungsverordnung ihrer gesetzlichen Grundlage entspricht, muss – wie oben gezeigt – ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand vorliegen. Zur Auslegung des Begriffes "Missstand" kann auf Grund der dem Art118 Abs6 B‑VG ähnlichen gesetzlichen Textierung die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art118 Abs6 B‑VG herangezogen werden. Demnach muss es sich um einen spezifischen "Übelstand" handeln, der das örtliche Zusammenleben stört (vgl. VfGH 9.12.2015, E50/2015 ua.; VfSlg 11.753/1988 und 18.305/2007). Es muss jedenfalls eine gewisse Schwelle der Störung überschritten sein, die über ein bloß unerwünschtes oder unangenehm empfundenes Verhalten hinausgeht (vgl. VfSlg 18.305/2007), so etwa dass die Anzahl der Bettler an einem öffentlichen Ort derart überhand nimmt, dass die bestimmungsgemäße Benützung des öffentlichen Ortes durch andere Personen derart erschwert wird, dass ein Missstand vorliegt (VfSlg 19.662/2012). Ein solcher Missstand muss von der Gemeinde jeweils ermittelt und nachgewiesen werden (vgl. zu ortspolizeilichen Verordnungen VfSlg 18.305/2007 und zu Durchführungsverordnungen VfSlg 17.161/2004).

1.2.2. Den für die Erlassung des Verbots stillen Bettelns notwendigen Missstand kann die Stadtvertretung der Stadt Dornbirn belegen:

1.2.3. Im Amtsbericht der städtischen Abteilung für Recht und öffentliche Sicherheit an die Stadtvertretung der Stadt Dornbirn zur Erlassung eines sektoralen und temporären Bettelverbotes vom 30. Oktober 2015 wird die Situation wie folgt zusammengefasst:

"Die […] Anzahl der Bettler am Marktgelände führt während der Märkte dazu, dass die Benützung des öffentlichen Ortes durch andere Personen erschwert wird, weil Durchgänge und Zugänge zu Marktständen und Geschäften durch am Boden sitzende oder stehende oder durch das Marktgelände ziehende bettelnde Personen behindert werden. Marktfahrer beklagen sich über bettelnde Personen, die sich vor Marktstände setzen oder stellen und so den Zugang für die Kunden behindern. Auch die Ladetätigkeiten zu Beginn und Ende des Marktes werden dadurch erschwert."

 

Der Bericht dokumentiert – in einer für den Verfassungsgerichtshof für die Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung notwendigen nachvollziehbaren Weise – einen spezifischen Missstand an Marktplätzen durch bettelnde Personen, der durch das Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz nicht hinreichend abgewehrt werden kann. Es wird belegt, dass auf Grund der spezifischen örtlichen Gegebenheiten, von denen der Verordnungsgeber ausgeht, durch bettelnde Personen die bestimmungsgemäße Benützung dieser öffentlichen Orte, an denen zu den Marktzeiten nachweislich dichtes Gedränge herrscht, derart erschwert wird, dass ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand vorliegt. Der Bericht macht weiters deutlich, dass ein Freihalten der Zu- und Abgänge zu bzw. von den einzelnen Marktplätzen wegen der dort bettelnden Personen nicht möglich ist. Damit ist auch die Festlegung der Verbotszone – entgegen den Beschwerdevorbringen – nicht zu beanstanden. Das Verbot des Bettelns ist zur spezifischen Nutzung dieser öffentlichen Orte als Marktplätze örtlich beschränkt und zeitlich begrenzt, indem es sich nur auf das Marktumfeld bezieht und im Wesentlichen nur solange dauert wie der Marktbetrieb selbst. Außerhalb dieses zeitlichen Verbotes ist Betteln auch an diesen öffentlichen Plätzen weiterhin erlaubt. Die Dornbirner Bettelverbots-VO erweist sich demnach nicht als unsachlich.

1.2.4. Dass die Dornbirner Bettelverbots-VO geeignet ist, diesen Missstand hintanzuhalten, zeigt schon die Äußerung der Stadtvertretung der Stadt Dornbirn, wonach sich durch die Erlassung der Dornbirner Bettelverbots-VO die Situation zu den Marktzeiten in der Stadt Dornbirn "spürbar entspannt" habe.

1.2.5. Auch ist durch den der Dornbirner Bettelverbots-VO beiliegenden Lageplan, der Bestandteil der Verordnung ist, die Verbotszone klar festgelegt. Die Märkte, auf denen das Betteln verboten ist, müssen sich alle innerhalb dieser Zone befinden, um ein Zuwiderhandeln als Verwaltungsübertretung zu bestrafen.

1.2.6. Einem weiteren Vorwurf der Erstbeschwerdeführerin, nämlich dass andere Nutzungsformen wie etwa das Sammeln von Spenden durch gemeinnützige Organisationen auf öffentlichen Plätzen erlaubt ist, ist entgegenzuhalten, dass von diesen Nutzungen keine Störung des örtlichen Gemeinschaftslebens ausgeht. Solche Aktionen sind – wie die Äußerung der Stadtvertretung der Stadt Dornbirn darlegt – klaren Regelungen unterworfen.

1.3. Die Dornbirner Bettelverbots-VO entspricht der landesgesetzlichen Ermächtigung des §7 Abs3 Vbg. Landes-Sicherheitsgesetz.

2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass das Verwaltungsgericht diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnten die Beschwerdeführerinnen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn das Verwaltungsgericht Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Ein derartiger Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Vorarlberg nicht unterlaufen. Die gerügten mangelnden Ermittlungen für die Bemessung der konkret verhängten Strafe können nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes sein. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung dieser Frage nicht anzustellen.

3. Ebenso wenig wurde durch die gerügte Rechtsverletzung das Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK verletzt.

IV. Ergebnis

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerinnen in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurden.

2. Die Beschwerden sind daher abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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