VfGH E1688/2015

VfGHE1688/20152.3.2016

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung des Antrags eines in Liechtenstein als Rechtsanwalt zugelassenen österreichischen Staatsbürgers mit Eignungsprüfung zur Berufsausübung in Österreich auf Zulassung zur Notariatsergänzungsprüfung; gleichheitskonforme Auslegung der Bestimmungen über die wechselseitige Anrechenbarkeit der Berufsprüfungen der Rechtsberufe im Sinne einer Anrechnung auch einer erfolgreich abgelegten Eignungsprüfung nach dem EIRAG geboten

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Ausbildungs- und Berufsprüfungs-AnrechnungsG §9, §10
EIRAG §24, §25, §27
RAO §1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2016:E1688.2015

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein österreichischer Staatsbürger, schloss im Jahr 1998 das Studium der Rechtswissenschaften an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck mit dem akademischen Grad "Magister der Rechtswissenschaften" ab. Am 13. November 2001 legte er vor der Prüfungskommission für Rechtsanwälte des Fürstentums Liechtenstein erfolgreich die Rechtsanwaltsprüfung ab. Am 24. Jänner 2005 bestand er vor der Rechtsanwaltsprüfungskommission beim Oberlandesgericht Innsbruck die Eignungsprüfung gemäß §27 des Europäischen Rechtsanwaltsgesetzes (EuRAG, nunmehr EIRAG), BGBl 27/2000, mit sehr gutem Erfolg.

Mit Schriftsatz vom 25. August 2014 beantragte der Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht Innsbruck die Zulassung zur Ablegung der (mündlichen) Notariatsergänzungsprüfung und begehrte unter einem nach §10 Abs1 des Ausbildungs- und Berufsprüfungs-Anrechnungsgesetzes (ABAG) die Anrechnung der vor der Rechtsanwaltsprüfungskommission bestandenen Berufseignungsprüfung als Rechtsanwaltsprüfung. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Präses der Ausbildungsprüfungskommission wies mit Bescheid vom 11. September 2014 die Zulassung des Beschwerdeführers zur Notariats-ergänzungsprüfung gemäß §10 ABAG ab, weil die nach §27 EIRAG abgelegte Eignungsprüfung nicht mit der Rechtsanwaltsprüfung nach dem Rechtsanwaltsprüfungsgesetz (RAPG) gleichzusetzen sei.

2. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 2. Juli 2015 gemäß §28 Abs2 VwGVG iVm §10 ABAG abgewiesen (Spruchpunkt A) und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art133 Abs4 B‑VG für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B).

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht – der belangten Behörde folgend – die Entwicklung der einschlägigen Normen ins Treffen, die zeige, dass der historische Gesetzgeber eine Gleichstellung der Eignungsprüfung nach §27 EIRAG mit der Rechtsanwaltsprüfung nach dem RAPG nicht vorgesehen habe. Es könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber diesen Fall "schlicht nicht bedacht habe", zumal die Erlassung des EWR-Rechtsanwaltsgesetzes 1992, mit dem die Möglichkeit der Ablegung einer Ergänzungsprüfung eingeführt wurde, im später erlassenen Berufsprüfungsanrechnungsgesetz keinen Niederschlag gefunden habe. Die Eignungsprüfung nach §27 EIRAG sei auf Grund der zu absolvierenden (weniger umfangreichen) Prüfungsfächer nicht als inhaltlich gleichwertig mit der Rechtsanwaltsprüfung nach dem RAPG zu qualifizieren, zumal Prüfungswerber nach den Gesetzesmaterialien mit der Eignungsprüfung nicht der gleichen Prüfung unterworfen werden dürften, die für den Erwerb der Rechtsanwaltschaft auf Grund innerstaatlicher Ausbildung erforderlich sei (unter Verweis auf die Erläut. zur RV 777 BlgNR 18. GP , 10).

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers habe die belangte Behörde den einschlägigen Bestimmungen des ABAG auch keinen unionsrechtswidrigen Inhalt beigemessen: Durch Ablegung der Notariats(ergänzungs)prüfung werde nämlich nicht bloß eine Zusatzqualifikation erworben, sondern die Berechtigung zur Ausübung des – von der Rechtsanwaltschaft zu unterscheidenden – Berufes des Notars erlangt. Die Richtlinie 98/5/EG zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als jenem, in dem die Qualifikation erworben wurde, strebe lediglich eine "Integration des Rechtsanwalts in den Berufsstand des Aufnahmestaats" an (Erwägungsgrund 2). Vor diesem Hintergrund sei eine Gleichstellung der beiden Prüfungen unionsrechtlich nicht geboten.

Letztlich sei zu berücksichtigen, dass Notare in Österreich im Rahmen ihrer Tätigkeit nach §1 Notariatsordnung (NO) in Ausübung öffentlicher Gewalt tätig seien, weshalb die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Bestimmungen über die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit auf Grund des Ausnahmetatbestandes des Art51 AEUV nicht zur Anwendung gelangten.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B‑VG, Art2 StGG) sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B‑VG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird. Zudem behauptet der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes (EuGH 28.4.1977, Rs. 71/76, Thieffry, Slg. 1977, 765; 13.11.2003, Rs. C-313/01 , Morgenbesser, Slg. 2003, I-13467; 24.5.2011, Rs. C-53/08 , Kommission gegen Österreich, Slg. 2011, I-04309) einen Verstoß gegen die durch Art49 AEUV gewährleistete Niederlassungsfreiheit und gegen die in Art56 AEUV garantierte Dienstleistungsfreiheit.

Das Bundesverwaltungsgericht habe der Bestimmung des §9 ABAG insoweit einen unionsrechtswidrigen Inhalt unterstellt, als es nur die Rechtsanwaltsprüfung nach dem RAPG als eine (wechselseitig anrechenbare) Berufsprüfung anerkenne, die zur Ablegung der Ergänzungsprüfung nach §10 ABAG berechtige, während es die Eignungsprüfung nach §27 EIRAG als hiefür nicht ausreichend qualifiziere. Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung der Richtlinie 98/5/EG führe zu einer Verzerrung des Wettbewerbs zu Lasten des Beschwerdeführers und hindere ihn daran, eine am Markt gefragte Zusatzqualifikation zu erwerben. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch seine Vorlagepflicht nach Art267 AEUV verletzt, indem es die auslegungsbedürftige Frage, inwieweit die Zulassung zur Ergänzungsprüfung zur Ablegung der Notariatsprüfung vom Ziel der Integration des Rechtsanwalts in den Berufsstand des Aufnahmestaates der Richtlinie 98/5/EG erfasst sei, nicht zur Vorabentscheidung vorgelegt habe.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Anrechenbarkeit von Ausbildungen und die wechselseitige Anrechenbarkeit der Berufsprüfungen der Rechtsberufe (Ausbildungs- und Berufsprüfungs-Anrechnungsgesetz –ABAG), BGBl 523/1987 idF BGBl I 190/2013, lauten:

"2. Abschnitt

Wechselseitige Anrechenbarkeit der Berufsprüfungen der Rechtsberufe

§9. Die Notariats-, die Rechtsanwalts- und die Richteramtsprüfung sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen wechselseitig anrechenbar.

§10. (1) Wer eine der im §9 genannten Berufsprüfungen nach den im Zeitpunkt der Ablegung geltenden Bestimmungen bestanden hat und eine andere dieser Prüfungen ablegen will, kann im Antrag auf Zulassung zu dieser Prüfung verlangen, daß die bereits bestandene Berufsprüfung angerechnet werde. In diesem Fall ist nur noch eine mündliche Ergänzungsprüfung über die im §12 angeführten Gegenstände abzulegen.

[…]

§11. (1) Für die Zulassung zu einer Ergänzungsprüfung gemäß §10 gelten sinngemäß die Bestimmungen über die Zulassung zu der betreffenden Berufsprüfung beziehungsweise gegebenenfalls zu deren erster Teilprüfung, ausgenommen jene über das Ausmaß der praktischen Verwendung sowie über die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen.

(2) Für die Zulassung zur Ergänzungsprüfung ist nicht erforderlich, daß der Prüfungswerber Notariatskandidat, Rechtsanwaltsanwärter oder Richteramtsanwärter ist. In diesem Fall richtet sich die örtliche Zuständigkeit zur Entscheidung über die Zulassung zur Ergänzungsprüfung nach dem Wohnsitz des Prüfungswerbers.

(3) Dem Antrag auf Zulassung zur Ergänzungsprüfung sind das Zeugnis über die bestandene andere Berufsprüfung, der Staatsbürgerschaftsnachweis sowie der Beleg über die Einzahlung der Prüfungsgebühr beizuschließen.

§12. Gegenstand der Ergänzungsprüfung sind für einen Prüfungswerber,

1. der die Notariatsprüfung bestanden hat und die Rechtsanwaltsprüfung ablegen will:

a) (aufgehoben durch BGBl I Nr 159/2013);

b) Falllösung im Rahmen der Rechtsberatung, Rechtsdurchsetzung und Rechtsverteidigung im Bereich des österreichischen Strafrechts sowie Verteidigung und Vertretung vor österreichischen Strafgerichten (§20 Z3 RAPG);

c) Vertretung im Anwendungsbereich des österreichischen Strafvollzugsgesetzes (§20 Z4 RAPG);

d) Falllösung im Rahmen der Rechtsberatung, Rechtsdurchsetzung und Rechtsverteidigung im Bereich des österreichischen Immaterialgüterrechts sowie Vertretung im Verfahren über den gewerblichen Rechtsschutz (§20 Z5 RAPG);

e) Vertretung im österreichischen Insolvenzverfahren (§20 Z6 RAPG);

f) Berufs- und Standesrecht der Rechtsanwälte sowie Kostenrecht (§20 Z10 RAPG);

2. der die Rechtsanwaltsprüfung bestanden hat und die Notariatsprüfung ablegen will:

a) Falllösung im Rahmen der Tätigkeit des Notars als Gerichtskommissär (§20 Abs1 Z1 NPG);

b) Falllösung im Bereich des notariellen Beurkundungsrechts (§20 Abs1 Z3 NPG);

c) Berufs- und Standesrecht der Notare (§20 Abs1 Z6 NPG);

d) Vorschriften über die Amtsführung der Notare sowie Tarifrecht (§20 Abs2 Z7 NPG);

3. der die Notariats- oder die Rechtsanwaltsprüfung bestanden hat und die Richteramtsprüfung ablegen will:

a) Verfassung und innere Einrichtung der Gerichte einschließlich der wichtigsten Bestimmungen der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (§16 Abs4 Z5 RStDG);

b) Dienstrecht der Richter und Staatsanwälte unter Berücksichtigung der Grundzüge des Dienstrechts der anderen Bundesbediensteten (§16 Abs4 Z7 RStDG);

c) Verfahrensleitung und Verhandlungsführung durch den Richter einschließlich der Gestaltung richterlicher Entscheidungen und Verfügungen, die Besorgung der Aufgaben der Staatsanwaltschaft, die Zusammenarbeit und Koordination zwischen Justiz- und Exekutivorganen sowie Opferschutzeinrichtungen und Interventionsstellen sowie die Gewaltprävention und das Gewaltschutzrecht (§16 Abs4 Z8 RStDG);

d) für einen Prüfungswerber, der die Notariatsprüfung bestanden hat, zusätzlich Strafverfahrensrecht im Bereich des schöffen- und geschworenengerichtlichen Verfahrens und Strafvollzugsrecht.

4. der die Richteramtsprüfung bestanden hat und die Notariatsprüfung ablegen will:

a) Falllösung im Bereich des notariellen Beurkundungsrechts (§20 Abs1 Z3 NPG);

b) Berufs- und Standesrecht der Notare (§20 Abs1 Z6 NPG);

c) Falllösung im Rahmen der Rechtsberatung und Vertretung vor österreichischen Verwaltungsbehörden einschließlich der Vertretung vor den österreichischen Gerichten des öffentlichen Rechts (§20 Abs1 Z7 NPG);

d) Falllösung und Vertretung im österreichischen Abgabenrecht einschließlich des Finanzstrafverfahrens (§20 Abs2 Z5 NPG);

e) Maßnahmen zur Verhinderung von Geldwäscherei (§165 StGB) oder Terrorismusfinanzierung (§278d StGB) im Notariat (§20 Abs2 Z6 NPG);

f) Vorschriften über die Amtsführung der Notare sowie Tarifrecht (§20 Abs2 Z7 NPG);

g) Pflichten des Notars als Unternehmer und Dienstgeber (§20 Abs2 Z8 NPG);

5. der die Richteramtsprüfung bestanden hat und die Rechtsanwaltsprüfung ablegen will:

a) Falllösung im Rahmen der Rechtsberatung, Rechtsdurchsetzung und Rechtsverteidigung im Bereich des österreichischen öffentlichen Rechts sowie Vertretung im Verwaltungsverfahren einschließlich der Vertretung vor den österreichischen Gerichten des öffentlichen Rechts und internationalen Gerichtshöfen (§20 Z7 RAPG);

b) Falllösung und Vertretung im österreichischen Abgabenrecht einschließlich des Finanzstrafverfahrens (§20 Z8 RAPG);

c) Vertragsgestaltung und Urkundenverfassung (§20 Z9 RAPG);

d) Berufs- und Standesrecht der Rechtsanwälte, Pflichten als Unternehmer und Dienstgeber Maßnahmen zur Verhinderung von Geldwäscherei (§165 StGB) oder Terrorismusfinanzierung (§278d StGB) sowie Kostenrecht (§20 Z10 RAPG).

[…]

§14. (1) Die Ergänzungsprüfung ist vor dem für die betreffende Berufsprüfung zuständigen Prüfungssenat abzulegen. Der §11 Abs2 gilt sinngemäß.

(2) Die Ergänzungsprüfung darf nur einmal wiederholt werden. Im übrigen sind auf sie die für die betreffende Berufsprüfung geltenden Bestimmungen mit Ausnahme solcher über die Ablegung in Teilprüfungen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Vergütungen und Gebühren für die Prüfung.

§15. Wurde die Ergänzungsprüfung bestanden, so gilt auch die betreffende Berufsprüfung als bestanden."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie die Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch international tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Österreich (EIRAG), BGBl 27/2000 idF BGBl I 68/2008, lauten:

"1. Teil

Anwendungsbereich

§1. Dieses Bundesgesetz regelt in seinem 2., 3. und 4. Teil die Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs und die Niederlassung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die berechtigt sind, als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt unter einer der in der Anlage zu diesem Bundesgesetz angeführten Bezeichnungen beruflich tätig zu sein (europäische Rechtsanwälte).

(2) Dieses Bundesgesetz regelt in seinem 5. Teil die Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (BGBl Nr 1/1995) sind und der Berufsorganisation dieses Mitgliedstaats angehören und in diesem Staat (Heimatstaat) zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs berechtigt sind (international tätige Rechtsanwälte).

[…]

3. Hauptstück

Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte nach Ablegung einer Eignungsprüfung Voraussetzungen

§24. (1) Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die einen Ausbildungsnachweis erlangt haben, aus dem hervorgeht, dass der Inhaber über die beruflichen Voraussetzungen verfügt, die für den unmittelbaren Zugang zu einem in der Anlage zu diesem Bundesgesetz angeführten Beruf erforderlich sind, sind auf Antrag in die Liste der Rechtsanwälte (§1 Abs1 der Rechtsanwaltsordnung) einzutragen, wenn sie mit Erfolg eine Eignungsprüfung abgelegt haben.

(2) Ausbildungsnachweise im Sinn des Abs1 sind Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstige Befähigungsnachweise im Sinn der Richtlinie 2005/36/EG . Ein Ausbildungsnachweis auf Grund einer Ausbildung, die nicht überwiegend in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum stattgefunden hat, berechtigt zur Niederlassung im Sinn des Abs1, wenn der Inhaber einen in der Anlage zu diesem Bundesgesetz angeführten Beruf tatsächlich und rechtmäßig mindestens drei Jahre ausgeübt hat und dies vom Mitgliedstaat der Europäischen Union oder vom Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum bescheinigt wird, der den Ausbildungsnachweis ausgestellt oder anerkannt hat.

Zweck der Eignungsprüfung

§25. Die Eignungsprüfung ist eine ausschließlich die beruflichen Kenntnisse des Bewerbers betreffende staatliche Prüfung, mit der seine Fähigkeit, den Beruf eines Rechtsanwalts in Österreich auszuüben, beurteilt werden soll. Die Eignungsprüfung muß dem Umstand Rechnung tragen, dass der Bewerber in einem Staat, der Mitglied der Europäischen Union oder Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, über eine berufliche Qualifikation zur Ausübung eines Anwaltsberufs verfügt.

[…]

Zulassung zur Eignungsprüfung

§27. Über die Zulassung zur Eignungsprüfung entscheidet auf Antrag des Bewerbers der Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission im Einvernehmen mit der Rechtsanwaltskammer am Sitz des Oberlandesgerichts spätestens vier Monate nach Vorlage der vollständigen Unterlagen durch den Bewerber. Der Antrag auf Zulassung zur Prüfung kann auch bei der Rechtsanwaltskammer eingebracht werden. Diese hat den Antrag mit sämtlichen vorgelegten Unterlagen umgehend an die zuständige Rechtsanwaltsprüfungskommission weiterzuleiten.

[…]

Sinngemäße Anwendung des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes

§34. Im Übrigen ist auf die Eignungsprüfung das Rechtsanwaltsprüfungsgesetz sinngemäß anzuwenden.

Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte

§35. (1) Nach erfolgreicher Ablegung der Eignungsprüfung hat der Bewerber, wenn er sich zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich niederlassen will, beim Ausschuss der Rechtsanwaltskammer, in deren Sprengel er seinen Kanzleisitz nimmt, die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte (§1 Abs1 der Rechtsanwaltsordnung) zu erwirken. Für die Entscheidung des Ausschusses und die Rechtsmittelbefugnis des Bewerbers gelten die §§5 und 5a der Rechtsanwaltsordnung."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. §9 ABAG bestimmt, dass die Notariats-, die Rechtsanwalts- und die Richteramtsprüfung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen wechselseitig anrechenbar sind. Wer eine der im §9 ABAG genannten Berufsprüfungen nach den im Zeitpunkt der Ablegung geltenden Bestimmungen bestanden hat und eine andere dieser Prüfungen ablegen will, kann im Antrag auf Zulassung zu dieser Prüfung verlangen, dass die bereits bestandene Berufsprüfung angerechnet wird. In diesem Fall ist gemäß §10 Abs1 ABAG nur noch eine mündliche Ergänzungsprüfung über die in §12 ABAG angeführten Gegenstände abzulegen. Wie eine nach §27 EIRAG abgelegte Eignungsprüfung zu beurteilen ist, ist im ABAG nicht ausdrücklich geregelt.

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht im angefochtenen Erkenntnis zusammengefasst davon aus, dass allein die mit Erfolg bestandene Rechtsanwaltsprüfung nach dem RAPG eine wechselseitig anrechenbare Berufsprüfung iSd §9 ABAG darstelle, die zur Zulassung zur mündlichen Ergänzungsprüfung für die Notariats- bzw. Richteramtsprüfung über die in §12 ABAG angeführten Gegenstände berechtige, nicht hingegen die vom Beschwerdeführer absolvierte Eignungsprüfung nach den §§24 ff. EIRAG.

Damit unterstellt das Bundesverwaltungsgericht dem Ausbildungs- und Berufsprüfungs-Anrechnungsgesetz, insbesondere dessen §§9 und 10 Abs1, aber einen verfassungswidrigen Inhalt:

4. Die Vorschriften der RAO, des ABAG und des EIRAG sind nämlich – verfassungskonform verstanden – nicht isoliert, sondern in einer Gesamtbetrachtung auszulegen.

4.1. Voraussetzung der Ernennung zum Rechtsanwalt ist nach den Vorschriften der RAO – neben der österreichischen Staatsbürgerschaft, dem Abschluss eines Studiums des österreichischen Rechts und der praktischen Verwendung in der gesetzlichen Art und Dauer (§1 Abs2 lita, c und d RAO) – die mit Erfolg abgelegte Rechtsanwaltsprüfung (lite). Wo und in welcher Art und Weise die Rechtsanwaltsprüfung abzulegen ist, wird im RAPG geregelt (vgl. §4 RAO).Danach soll die Rechtsanwaltsprüfung gemäß §1 RAPG die für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse des Prüfungswerbers, im Besonderen seine Gewandtheit bei der Einleitung und Besorgung der einem Rechtsanwalt übertragenen öffentlichen und privaten Angelegenheiten sowie seine Eignung zur Abfassung von Rechtsurkunden und Rechtsgutachten sowie zum geordneten schriftlichen und mündlichen Vortrag einer Rechts- und Sachlage nachweisen. Bei Vorliegen der sonstigen im Gesetz normierten Erfordernisse (§1 Abs2 RAO) berechtigt die erfolgreiche Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte und damit zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft (§§5 und 5a RAO).

4.2. Mit dem EIRAG (vormals EuRAG) wurde die Richtlinie 98/5/EG zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufes in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (ABl. 1998, L 77, 36), umgesetzt (vgl. RV 59 BlgNR 21. GP , 13). Gemäß §18 EIRAG können europäische Rechtsanwälte die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte nach dreijähriger effektiver und regelmäßiger Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt in Österreich auf dem Gebiet des österreichischen Rechts, einschließlich des Unionsrechts, beantragen. Alternativ dazu sieht §24 EIRAG die Möglichkeit vor, die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte nach Ablegung einer Eignungsprüfung zu erlangen (VfSlg 19.537/2011).

Die Eignungsprüfung ist gemäß §25 EIRAG eine ausschließlich die beruflichen Kenntnisse des Bewerbers betreffende staatliche Prüfung, mit der seine Fähigkeit, den Beruf eines Rechtsanwalts in Österreich auszuüben, beurteilt wird, wobei dem Umstand Rechnung getragen werden muss, dass der Bewerber in einem Staat, der Mitglied der Europäischen Union oder Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, über eine berufliche Qualifikation zur Ausübung eines Anwaltsberufs verfügt. Nach erfolgreicher Ablegung der Eignungsprüfung hat der Bewerber, wenn er sich zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich niederlassen will, beim Ausschuss der Rechtsanwaltskammer, in deren Sprengel er seinen Kanzleisitz nimmt, die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte unter Nachweis aller gesetzlichen Voraussetzungen zu erwirken (§35 EIRAG).

4.3. Diesen (alternativen) Weg hat der im Fürstentum Liechtenstein als Rechtsanwalt zugelassene österreichische Beschwerdeführer beschritten und mit Ablegung der Eignungsprüfung eine der Voraussetzungen für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte nach §1 Abs1 RAO, nämlich die mit Erfolg zurückgelegte Rechtsanwaltsprüfung (§1 Abs2 lite RAO), erbracht (vgl. VfSlg 18.414/2008, wonach sich der persönliche Anwendungsbereich des EIRAG auch auf österreichische Staatsbürger erstreckt).

5. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.537/2011 festgehalten hat, sind die Unterschiede in den Voraussetzungen für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich nach der RAO einerseits und nach dem EIRAG andererseits (fünfjährige praktische Verwendung und Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung nach der RAO; dreijährige Tätigkeit als niedergelassener Anwalt oder Ablegung der Eignungsprüfung nach dem EIRAG) auf Grund der Verschiedenartigkeit der von den einschlägigen Regelungsinhalten angesprochenen Personenkreise grundsätzlich sachlich gerechtfertigt.

5.1. Für die unterschiedliche Behandlung von Personen, die ihre Berufsqualifikation als Rechtsanwalt jeweils – wenn auch in verschiedener Art und Weise (Rechtsanwaltsprüfung nach der RAO bzw. dem RAPG einerseits, Eignungsprüfung nach dem EIRAG andererseits) – nachgewiesen haben, in Bezug auf die Zulassung zur Notariatsergänzungsprüfung nach dem ABAG findet sich indes keine sachliche Rechtfertigung: Die erfolgreiche Ablegung der Eignungsprüfung nach §27 EIRAG substituiert die erfolgreiche Absolvierung der Rechtsanwaltsprüfung nach dem RAPG, berechtigt wie diese bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungenzur Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte und damit zur (uneingeschränkten) Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich. Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes spielt bei Auslegung des §9 ABAG iVm §10 ABAG die Gleichwertigkeit der konkreten Inhalte der Berufsberechtigungsprüfungen keine entscheidende Rolle, ausschlaggebend ist vielmehr allein die Gleichwertigkeit der mit der erfolgreichen Ablegung der in Rede stehenden Prüfungen verbundenen Berechtigung zur Berufsausübung.

5.2. Der Gesetzgeber normiert in §9 ABAG den Grundsatz der wechselseitigen Anrechenbarkeit der Berufsprüfungen der Rechtsberufe und sieht vor, dass die Notariats-, die Rechtsanwalts- und die Richteramtsprüfung wechselseitig anrechenbarsind.§10 Abs1 ABAG regelt, dass derjenige, der eine der in §9 ABAG genannten Berufsprüfungen (nach den im Zeitpunkt der Ablegung geltenden Bestimmungen) bestanden hat und eine andere dieser Prüfungen ablegen will, im Antrag auf Zulassung zu dieser Prüfung verlangen kann, dass die bereits bestandene Prüfung angerechnet werde. §10 Abs1 ABAG ist – gleichheitskonform – so zu verstehen, dass nicht nur die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung nach dem RAPG, sondern auch die bestandene staatliche Eignungsprüfung nach dem EIRAG erfasst wird, die gemäß §25 EIRAG der beruflichen Qualifikation des Bewerbers zur Ausübung des Anwaltsberufes Rechnung trägt. Eine andere Auslegung hätte einen dem Gesetz nicht zusinnbaren Wertungswiderspruch innerhalb der Gruppe der zur (uneingeschränkten) Ausübung des Rechtsanwaltsberufes Berechtigten zur Folge, womit eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gleichartiger Sachverhalte gegeben wäre.

5.3. Die gebotene verfassungskonforme Interpretation ergibt daher, dass auch die erfolgreich abgelegte Eignungsprüfung nach §27 EIRAG eine wechselseitig anrechenbare Berufsprüfung iSd §9 ABAG darstellt, die zur Zulassung zur Ergänzungsprüfung nach §10 Abs1 ABAG berechtigt.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr in der Höhe von € 240,– enthalten.

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