VfGH E29/2014

VfGHE29/201412.3.2015

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses hins der Verhängung der Schubhaft und Anhaltung wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung; im Übrigen Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Normen

B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
BFA-VG §22a Abs1, Abs2, Abs3
FremdenpolizeiG 2005 §76
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
BFA-VG §22a Abs1, Abs2, Abs3
FremdenpolizeiG 2005 §76

 

Spruch:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt I des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte III, IV und V des angefochtenen Erkenntnisses wendet, zurückgewiesen.

3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt und Beschwerde

1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Guinea-Bissau, stellte als unbegleiteter Minderjähriger am 10. Juli 2013 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 25. September 2013 gemäß §5 Abs1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 4/2008, zurück und wies ihn gemäß §10 Abs1 Z1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 38/2011, aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien aus; die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Entscheidung vom 14. Oktober 2013 ab. Diese Entscheidung hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 16. Juni 2014, U2470/2013-21, auf.

2. Am 4. Jänner 2014 verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien mit Mandatsbescheid gemäß §76 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012, (in der Folge: FPG) die Schubhaft.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gemäß §76 Abs1 FPG iVm §22a Abs1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I 87/2012, idF BGBl I 68/2013, (in der Folge: BFA-VG) ab (Spruchpunkt I). Weiters stellte das Bundesverwaltungsgericht gemäß §22a Abs3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen (Spruchpunkt II), wies den Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Ersatz der Verfahrenskosten zurück (Spruchpunkt III) und erklärte die Revision hinsichtlich der Spruchpunkte I und II für nicht zulässig und hinsichtlich des Spruchpunkts III für zulässig (Spruchpunkte IV und V).

4. In der dagegen gemäß Art144 B‑VG erhobenen Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit, auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art47 GRC) sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes.

II. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12. März 2015, G151/2014 ua., §22a Abs1 und 2 BFA-VG idF BGBl I 68/2013 als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

Soweit mit Spruchpunkt I des angefochtenen Erkenntnisses die Beschwerde gemäß §76 Abs1 FPG iVm §22a Abs1 BFA-VG abgewiesen wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht eine als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.

Spruchpunkt I des angefochtenen Erkenntnisses ist daher aufzuheben.

1. Im Hinblick auf die Spruchpunkte III, IV und V ist die Beschwerde zurückzuweisen:

1.1. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist die Beschwerdelegitimation nach Art144 Abs1 B‑VG nur dann gegeben, wenn durch das bekämpfte Erkenntnis irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann (vgl. etwa VfSlg 17.840/2006, 18.442/2008). Die Zulässigkeit der Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts setzt daher ein Interesse des Beschwerdeführers an der Beseitigung des angefochtenen Erkenntnisses voraus. Ein solches Interesse ist nur gegeben, wenn der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis beschwert ist. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Beurteilung durch den Beschwerdeführer, sondern darauf an, ob bei Anlegung eines objektiven Maßstabes gesagt werden kann, dass das angefochtene Erkenntnis die Rechtsposition des Beschwerdeführers zu dessen Nachteil verändert (vgl. VfSlg 12.452/1990, 13.433/1993 und 14.413/1996).

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in Spruchpunkt III des angefochtenen Erkenntnisses den Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Ersatz der Verfahrenskosten zurückgewiesen hat, kann der Beschwerdeführer durch diesen Ausspruch nicht in seinen Rechten verletzt sein. Es mangelt ihm daher insoweit an der Beschwer und damit an der Legitimation zur Beschwerdeführung.

1.2. Gemäß §88a Abs2 Z1 VfGG ist eine Beschwerde gegen Aussprüche gemäß §25a Abs1 VwGG, ob die Revision gemäß Art133 Abs4 B‑VG zulässig ist, nicht zulässig. Soweit sich die Beschwerde daher gegen den in den Spruchpunkten IV und V jeweils getroffenen Ausspruch der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der Revision richtet, ist sie auch insoweit zurückzuweisen.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B‑VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht zu Recht davon ausging, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen, insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Verfassungswidrigkeit des §22a Abs3 BFA-VG behauptet wird, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund des Erkenntnisses vom 12. März 2015, G151/2014 ua., die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 VfGG abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl. VfSlg 16.760/2002). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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