Der Mittelpunkt der Lebensinteressen iSd § 2 Abs.8 FLAG befindet sich in dem Staat, zu dem die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., Wien, vertreten durch Mag. Dr. Vera M. Weld, Rechtsanwalt, 1010 Wien, Am Graben 12/2, vom 15. Mai 2007 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 6/7/15, vom 16. April 2007 betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe für R.D. F. ab Mai 2007 und für R.D. J. ab April 2007 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Am 12. März 2007 brachte Frau Bw. (Bw.), p. Staatsbürgerin, einen Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für die beiden Kinder (Enkelkinder) R.D. J., geb. xx, pr. Staatsbürger, und R.D. F., geb. xxx, pr. Staatsbürger, ein. Die Bw. hat laut Behördenabfrage seit 05.08.1997 ihren Hauptwohnsitz in Österreich. Die Kinder sind mit Ihren Hauptwohnsitz seit 22.08. 2001 bei der Großmutter gemeldet. Sie besuchen in Österreich die Schule.
Die Kinder haben in Österreich bis 22.02.2008 bzw. 02.01.2008 eine Aufenthaltsbewilligung als Schüler.
Das Finanzamt wies den Antrag auf Familienbeihilfe für
R.D. F. , geb. xxx, ab Mai 2007
R.D. J. , geb. xx, ab April 2007
mit Bescheid vom 16. April 2007 ab.
Begründend wurde ausgeführt, dass für Kinder, die nicht österreichische StaatsbürgerInnen sind, gemäß § 3 Abs.2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtsmäßig in Österreich aufhalten.
Die Enkelkinder J. und F. würden sich nicht nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten (sie hätten eine Aufenthaltserlaubnis für Schulzwecke erteilt bekommen), weshalb gemäß obgenannter Bestimmung kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestünde.
Die Bw. brachte gegen den Abweisungsbescheid, mit dem der Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für F. R.D. ab Mai 2007 und für J. R.D. ab April 2007 abgewiesen worden war, Berufung ein.
Begründend wurde ausgeführt, dass entgegen der Ansicht der erstinstanzlichen Behörde in der Bescheidbegründung sich die Enkelkinder der Bw., F. und J. R.D. gemäß § 8 Abs.1 Z 5 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) rechtmäßig in Österreich aufhalten würden.
Für die beiden bestehe eine aufrechte Aufenthaltserlaubnis für Schulzwecke. Eine solche stelle eine "Aufenthaltsbewilligung" für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (§§ 58 bis 69 und 72 NAG) dar, nämlich eine Aufenthaltsbewilligung für Schüler gemäß § 63 NAG. Die erstinstanzliche Behörde habe sich somit über den klaren Gesetzeswortlaut hinweggesetzt, zumal F. und J. R.D. ordentliche Schüler einer Öffentlichen Schule seien (§ 63 Abs.1 Z 1 NAG).
Das Finanzamt erließ eine abweisende Berufungsvorentscheidung mit folgender Begründung:
"Gemäß § 3 Abs.2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), rechtmäßig in Österreich aufhalten. Gemäß § 2 Abs.8 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 haben Personen, die sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland einen Wohnsitz haben, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet haben und sich die Kinder ständig im Bundesgebiet aufhalten. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Für ausländische Studierende/Schüler in Österreich mit einer Aufenthaltsbewilligung für Ausbildungszwecke gemäß § 8 NAG besteht kein österreichischer Familienbeihilfenanspruch, da sich diese Personen nur für Ausbildungszwecke vorübergehend in Österreich aufhalten. Es war daher wie im Spruch zu entscheiden."
In dem gegen die Berufungsvorentscheidung eingebrachten Vorlageantrag führte die Bw. aus, dass zu Unrecht und entgegen der Aktenlage das Finanzamt davon ausgegangen sei, dass die Antragstellerin bzw. die Kinder F. und J. R.D. auch im Ausland einen Wohnsitz hätten. § 2 Abs.8 FLAG sei daher nicht anwendbar.
Auf Ersuchen des UFS legte die Bw. ihrer Aufenthaltsbewilligung, den Niederlassungsnachweis und die Aufenthaltsbewilligungen der Kinder, Aufenthaltserlaubnis Ausbildung, § 7 Abs.4 Z 1 FRG, vor.
Über die Berufung wurde erwogen:
Folgender Sachverhalt wurde als erwiesen angenommen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:
Die Bw., p. Staatsbürgerin, stellte im März 2007 den Antrag auf Familienbeihilfe für ihre zwei Enkelkinder mit pr. Staatsbürgerschaft. Die Bw. hielt sich auf Grund eines Niederlassungsnachweises in Österreich auf. Die zwei Enkelkinder hielten sich in Österreich auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung als Schüler gem. § 7 Abs. 4 Z 1 FRG auf. Die Bw. und die beiden Enkelkinder hatten einen gemeinsamen Wohnsitz in Österreich.
Strittig ist, ob der Bw. die Familienbeihilfe für ihre zwei Enkelkinder, die einen Aufenthaltstitel als Schüler hatten, ab Mai 2007 bzw. ab April 2007 zusteht.
Gemäß § 2 Abs.1 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) haben Personen unter in dieser Bestimmung näher ausgeführten Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder.
§ 2 Abs.8 FLAG lautet: Personen haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.
Weiters sind die einschränkenden Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 (kurz FLAG) in der nach dem Fremdenrechtspaket 2005 (BGBl. I Nr. 100/2005) gültigen Fassung zu beachten, die lauten: § 3 Abs. 1 FLAG: Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.
§ 3 Abs. 2 FLAG: Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten.
Die erläuternden Bemerkungen (EB) zur Regierungsvorlage GP XXII RV 952 bestimmen, dass geregelt werden soll, dass Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, einschließlich Staatenloser, dann Anspruch auf die Familienbeihilfe haben, wenn sie zur Niederlassung in Österreich berechtigt sind (§§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes). Das gilt auch für deren nicht österreichische Kinder (§§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes).
Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe für haushaltszugehörige, minderjährige und volljährige in Berufsausbildung befindliche Kinder (§ 2 Abs. 1 FLAG), wenn sie selbst auch den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben (§ 2 Abs. 8 letzter Satz FLAG 1967)
In dem Erkenntnis vom 20. Jänner 2010, Zl 2007/13/0129 hat der VwGH Folgendes ausgeführt: Zu dem Aufenthalt zu Studienzwecken, der von Anfang an als begrenzt zu betrachten sei, hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass der Umstand einer bloß befristeten Aufenthaltsberechtigung unerheblich ist (vgl. etwa VwGH vom 12. 10.2009, 2009/16/0298, VwGH vom 5.11.2009, 2009/16/0215 und 2009/16/0239, sowie VwGH vom 17.12. 2009, 2009/16/0221 und 2009/16/0258). Bei der Antwort auf die im vorliegenden Beschwerdefall allein interessierende Frage nach dem Mittelpunkt der Lebensinteressen iSd § 2 Abs.8 FLAG kommt es nicht darauf an, ob der Aufenthalt im Bundesgebiet ein ständiger Aufenthalt ist. Der Umstand, dass ein Aufenthalt zu Studienzwecken begrenzt ist, steht der Beurteilung, der Mittelpunkt der Lebensinteressen liege am Ort des Studiums, entgegen der Ansicht des beschwerdeführenden Finanzamtes nicht entgegen (VwGH 28.10.2009, 2008/15/0325) (VwGH 20.01.2010, 2007/13/0129).
Die beiden Enkelkinder hatten einen Aufenthaltstitel Ausbildung gemäß § 7 Abs.4 Z 1 FrG. § 81 Abs.2 NAG regelt, die Weitergeltung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen ua. Aufenthaltserlaubnis Ausbildung § 7 Abs,4 Z 1 FrG.
Ein Aufenthaltstitel wird gemäß § 8 Abs.1 Z 5 NAG als eine "Aufenthaltsbewilligung" für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (§§ 58 bis 69 und 72) mit der Möglichkeit, anschließend eine Niederlassungsbewilligung zu erlangen, sofern dies in diesem Bundesgesetz vorgesehen ist, erteilt.
Die "Aufenthaltsbewilligung - Schüler" basiert auf § 64 NAG (§ 7 Abs.4 Z 1 FrG) wonach Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende unter gesetzlich geregelten Voraussetzungen ausgestellt werden kann.
Prinzipiell steht einem ausländischen Schüler wegen im Regelfall nur vorübergehendem Aufenthalt und somit mangelnder Anbindung an Österreich die Familienbeihilfe nicht zu.
Aus der Tatsache, dass ein Aufenthalt zu Ausbildungszwecken erfolgt, kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass keine Anbindung an Österreich bestehe und den Bezug von Familienbeihilfe ausgeschlossen wird. Die Frage des notwendigen Inlandsbezuges ist richtigerweise anhand der Prüfung des Mittelpunktes der Lebensinteressen des Anspruchsberechtigten sowie des ständigen Aufenthalts des Kindes zu beurteilen.
Eine Person hat den Mittelpunkt der Lebensinteressen in dem Staat, zu welchem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Unter persönlichen sind dabei all jene Beziehungen zu verstehen, die jemand aus in seiner Person liegenden Gründen, auf Grund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, mit anderen Worten nach allen Umständen, die den eigentlichen Sinn des Lebens ausmachen, an ein bestimmtes Land binden, während den wirtschaftlichen Beziehungen nur eine weitergehenden Zwecken dienende Funktion zukommt (vgl. VwGH 25.2.1970, 1001/69).
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die stärkste persönliche Beziehung eines Menschen im Regelfall zu dem Ort besteht, an dem er regelmäßig mit seiner Familie lebt, dass also der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer verheirateten Person regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrer Familie zu finden sein wird. Diese Annahme setzt im Regelfall voraus, dass ein gemeinsamer Haushalt geführt wird und keine Umstände vorliegen, die ausschlaggebende und stärkere Bindungen zu einem anderen Ort bewirken (VwGH 30.1.1990, 89/14/0054 u.a.).
Die Enkelkinder leben laut Behördenabfrage mit ihrer Großmutter seit 22.08 2001 in einem gemeinsamen Haushalt in Österreich.
Laut der beim Finanzamt nachgereichten "Bewilligung der Annahme an Kindesstatt" vom 04.11.2008 (Bezirksgericht Fünfhaus) betreffend den mj. J. R.D. lebt die leibliche Mutter in P., der Vater ist 1997 verstorben. Die leiblichen Mutter war mit der Adoption ihres Kindes einverstanden. Ein Familienwohnsitz in P. ist nicht vorhanden.
Der UFS ist der Auffassung, dass eine Anbindung an P. nicht besteht, jedoch eine starke persönliche Beziehung beider Kinder, die seit 2001 bei der Großmutter in Österreich leben, zu Österreich vorhanden ist.
Sowohl die Bw. wie auch die beiden Enkelkinder hielten sich nach § 8 NAG rechtmäßig in Österreich auf. Die Kinder gingen in Österreich in die Schule. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen der beiden Enkelkinder liegt in Österreich, wo sie mit ihrer Großmutter seit 2001 in einem gemeinsamen Haushalt leben.
Der Berufung war daher stattzugeben.
Wien, am 2. März 2010
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, FLAG, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 3 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise: | VwGH 28.10.2009, 2008/15/0325 |