UFS RV/1864-W/08

UFSRV/1864-W/088.7.2008

Keine Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO bei neuen Erkenntnissen des Abgabepflichtigen in Bezug auf die rechtliche Beurteilung des ihm bekannten Sachverhaltes

 

Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2008/13/0179 eingebracht. Einstellung des Verfahrens mit Beschluss vom 11.11.2008 wegen Nichtbefolgung eines Mängelbehebungsauftrages. Mit Beschluss vom 25.2.2009 wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben.

Entscheidungstext

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., 0000 Wien, A-Str., vertreten durch Dr. X. Y., XXXX Wien, B-Straße YYYYYY, vom 20. Jänner 2006 gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg, vertreten durch Ing., Mag. (F.H.) Martin König, vom 20. Dezember 2005 betreffend Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 BAO betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2000 bis 2004 entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.

Entscheidungsgründe

Der Bw. ist ein Pensionist.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2005 beantragte Dr. Rebekka Stern als steuerliche Vertreterin des Bw. die Wiederaufnahme der Verfahren gem. § 303 BAO hinsichtlich der Einkommensteuer für die Jahre 2000 bis 2004 und die Abänderung der rechtskräftigen Einkommensteuerbescheide unter steuermindernder Berücksichtigung der Pflegeheimkosten von € 14.520,03 für das Jahr 2000, € 14.540,35 für das Jahr 2001, € 15.024,30 für das Jahr 2002, € 15.190,06 für das Jahr 2003 und € 15.400,06 für das Jahr 2004 mit der Begründung, der Bw. habe nachweislich Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund im Zuge einer steuerlichen Beratung am 5. Dezember 2005 erhalten. Der Bw. lebe seit Mai 1999 in einem Pflegeheim, sei Inhaber einer Amtsbescheinigung nach dem Opferfürsorgegesetz und habe nach dem Behindertengesetz eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 Prozent.

Gemäß § 34 in Verbindung mit § 35 EStG würden behinderte Steuerpflichtige Pflegeheimkosten ohne Selbstbehalt als außergewöhnliche Belastung steuerlich geltend machen können.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2005 wies das Finanzamt das obige Ansuchen vom 15. Dezember 2005 betreffend "Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO der Veranlagungsjahre 2000 bis 2004" nach Zitierung des § 303 Abs. 1 lit. b BAO mit folgender Begründung ab:

Eine neue rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes sei keine Tatsache, gleichgültig, ob die neuen Beurteilungskriterien durch eine Änderung der Verwaltungspraxis oder der Rechtsprechung oder nach früherer Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage gewonnen werden; die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des vorhanden gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung, gleichgültig, durch welche Umstände veranlasst, würden sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege einer Wiederaufnahme beseitigen lassen (VwGH 11. Februar 1988, 86/16/0192, 17. September 1990, 90/15/0118, 11. Mai 1993, 93/14/0021, 11. Juli 1995, 95/13/0153, 19. November 1998, 96/15/0148, 26. Juli 2000, 95/14/0094).

Mit der Berufung gegen den obigen Bescheid behauptete die steuerliche Vertreterin nach Wiedergabe des Texts des § 303 Abs. 1 lit. b BAO, der Antrag erfülle kumulativ diese gesetzlichen Erfordernisse, und brachte u. a. vor:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien Tatsachen im Sinn des § 303 BAO ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände; also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt "hätten". Dass der Bw. im Betrachtungszeitraum in einem Senioren- und Pflegeheim lebe, sei ein tatsächlicher Umstand und "hätte" bei entsprechender Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt.

Desweiteren führe der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung aus, dass die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offen gelegt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig, durch welche Umstände veranlasst - sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen lassen würden.

Nachdem der zur Wiederaufnahme beantragte Sachverhalt im Erstverfahren nicht offen gelegt gewesen sei, sei der in der Begründung des abweisenden Bescheides zitierte Hinweis des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. oben), dass sich die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung des offen gelegt gewesenen Sachverhaltes nicht im Wege der Wiederaufnahme beseitigen lassen, im Anlassfall nicht zutreffend.

Es handle sich also um neu hervorgekommene Tatsachen im Sinn des § 303 Abs. 1 lit b BAO, um tatsächliche Umstände, die bereits vor Abschluss des Erstverfahrens bestanden haben, aber erst nach dessen rechtskräftigen Abschluss der Abgabenbehörde zur Kenntnis gelangt seien.

Ein Wiederaufnahmegrund gem. § 303 Abs. 1 lit. b BAO sei gegeben, da alle nachfolgenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen würden: ein Rechtsmittel sei nicht mehr zulässig; Tatsachen seien neu hervorgekommen, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden seien (und dies ohne grobes Verschulden der Partei); die Kenntnis dieser Umstände "hätte" zu einem anders lautenden Bescheid geführt; die Frist für den Wiederaufnahmeantrag sei innerhalb von drei Monaten ab Kenntnisnahme.

Unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 1 lit. b BAO seien gleichzeitig auch die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO gegeben: a) sei in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen neu hervorkommen; b) der Sachverhalt sei der Abgabenbehörde nicht bekannt gewesen; c) der Sachverhalt "hätte" einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt; d) die Änderung sei nicht geringfügig, sondern wesentlich.

Mit Schreiben vom 30. Jänner 2006 ersuchte das Finanzamt um Ergänzung der Berufung in folgenden Punkten:

"Die Kosten der Unterbringung in einem Alters- und Pflegeheim stellen nur dann außergewöhnliche Belastungen dar, wenn die Unterbringung durch eine besondere Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit veranlasst ist. Von einer besonderen Pflege- oder Betreuungsbedürtigkeit kann bei Anspruch auf das Pflegegeld ab der Pflegestufe 1 ausgegangen werden. Das Vorliegen einer Erwerbsminderung im Sinne des § 35 EStG für sich allein reicht nicht aus.

1. Bestätigung vom Pflegeheim, aus dem der Betreuungs- bzw. Pflegebedarf (in Stunden) hervorgeht (für die Jahre 2000 - 2004!),

2. Um welche Art von Behinderung handelt es sich ?"

Mit Schreiben vom 1. März 2006, dem Bestätigungen der Pflegeheimkosten für die Kalenderjahre 2000 bis 2004 beigelegt waren, teilte die steuerliche Vertreterin dem Finanzamt zur Anfrage nach der Behinderung des Bw. mit, der Mandant sei während des Krieges zweimal verletzt worden. Einmal durch eine Handgranate, von welcher er noch Splitter in sich trage; eine weitere Verletzung infolge eines Brustdurchschusses. Aufgrund seines Herzleidens habe er unter anderem auch Gehprobleme.

Nach der Trennung von seiner Gattin habe sich der Bw. im Mai 1999 die Unterbringung in einem Senioren- und Pflegeheim sichern müssen, damit seine Betreuung gewährleistet gewesen sei.

Der Bw. habe Anspruch auf Pflegegeld, habe diesen Anspruch jedoch nie geltend gemacht.

Mit der abweisenden Berufungsvorentscheidung vom 9. März 2006 hielt das Finanzamt dem Bw. vor:

Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens sei gem. § 303 Abs. 1, letzter Satz BAO nur dann stattzugeben, wenn die Wiederaufnahme einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt "hätte". Im gegenständlichen Fall seien Pflegeheimkosten beantragt worden. Die Kosten der Unterbringung in einem Alters- und Pflegeheim würden nur dann außergewöhnliche Belastungen darstellen, wenn die Unterbringung durch eine besondere Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit veranlasst sei. Von einer besonderen Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit könne bei Anspruch auf das Pflegegeld ab der Pflegestufe 1 ausgegangen werden. Das Vorliegen einer Erwerbsminderung im Sinn des § 35 EStG für sich allein reiche nicht aus.

Vom Finanzamt sei daher eine Bestätigung vom Pflegeheim abverlangt worden, aus dem der Betreuungs- und Pflegebedarf hervorgehe. Um einen eventuellen Pflegegeldanspruch zu dokumentieren, "wäre eine stundenweise Aufgliederung vorteilhaft gewesen." Den nachgereichten Bestätigungen der Senioren-Wohnanlage sei lediglich ein Beherbergungs- und Verpflegungsaufwand zu entnehmen. Kosten für einen "besonderen" Betreuungs- bzw. Pflegeaufwand seien offensichtlich nicht entstanden.

Nur die Behauptung, der Bw. habe Anspruch auf Pflegegeld, reiche angesichts der obigen Ausführungen nicht für eine Nachweisführung aus.

Mit dem Vorlageantrag vom 21. April 2006 führte die steuerliche Vertreterin ins Treffen:

Die Interpretierung von steuerrechtlichen Bestimmungen durch die gesetzesvollziehende Behörde schaffe zwei Klassen von behinderten Steuerpflichtigen. Jene Behinderte, deren zwangsläufige Mehraufwendungen aus ihrer Behinderung steuerlich anerkannt würden, und solche Behinderte, deren zwangsläufige Mehraufwendungen steuerlich nicht anerkannt würden. Durch die Rechtsansicht der Behörde werde ein Teil der behinderten Steuerpflichtigen begünstigt, der andere Teil der behinderten Steuerpflichtigen diskriminiert.

Eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Anerkennung von Mehraufwendungen von behinderten Steuerpflichtigen, nämlich solchen Behinderten mit und jene ohne Pflegegeldbezug sei in der Absicht des Gesetzgebers weder gelegen gewesen, noch gelegen. Dies lasse sich den diesbezüglichen Steuerbestimmungen auch klar entnehmen. Der Gesetzgeber nehme grundsätzlich eine Trennung der Steuerbestimmungen für behinderte und sonstige Steuerpflichtige vor. Zu einer Gleichstellung komme es dort, wo gleiche bzw. vergleichbare Verhältnisse vorliegen würden.

Würden sich aufgrund einer körperlichen Behinderung Mehraufwendungen wie Heimaufenthaltskosten ergeben, so seien diese gem. § 35 Abs. 5 EStG 1988 steuerlich abzugsfähig. Würden sich für bislang nicht behinderte Menschen aufgrund von Krankheit oder Unfall Mehraufwendungen wie Heimaufenthaltskosten ergeben, so seien diese gem. § 34 EStG nur dann außergewöhnliche Belastungen, wenn ein Anspruch auf Pflegegeld ab der Pflegestufe 1 bestehe (da bei der Pflegestufe 1 von einer Erwerbsminderung von 25 % ausgegangen werde, werde von der Finanzbehörde der Nachweis der Behinderung nicht eingefordert).

Aus der Textierung "wenn ein Anspruch auf Pflegegeld ab der Pflegestufe 1 besteht" lasse sich ohne Zweifel entnehmen, dass der Anspruch nicht notwendigerweise geltend gemacht werden müsse; ansonsten "müsste es "bei Bezug von Pflegegeld ab der Pflegestufe 1" lauten". Ein Blick in die Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz mache deutlich, dass die Pflegestufe 1 allen Antragstellern zuerkannt werde, die nicht mehr in der Lage seien, einen eigenen Haushalt zu führen (Herbeischaffung von Nahrungsmittel und Bedarfsgüter des täglichen Lebens, Zubereitung von Mahlzeiten, Reinigung der Wohnung; Waschen der Wäsche). Nachdem der Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 1 für jedermann relativ leicht feststellbar sei, erübrige sich die Durchsetzung dieses Anspruchs als Voraussetzung für die Anerkennung der Heimkosten als außergewöhnliche Belastung.

Mit dem vom Senioren- und Pflegeheim in Rechnung gestellten Beherbergungs- und Verpflegungsaufwand werde exakt jener Mehraufwand verrechnet, der den "Kosten für einen besonderen Betreuungs- bzw. Pflegeaufwand der Pflegestufe 1" entspreche, also jene Aufwendungen, die anfallen, wenn jemand nicht mehr in der Lage sei, einen eigenen Haushalt zu führen. Aus der Klientenerfahrung der steuerlichen Vertreterin könne sie bestätigen, dass alle Pflegegeldbezieher der Stufe 1 vom Pflegeheim ausschließlich Beherbergungs- und Verpflegungsleistungen beziehen würden.

Es sei darauf hinzuweisen, dass der Sinn des Pflegegeldes darin bestehe, Menschen, die die täglichen Erfordernisse des Lebens nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen, den daraus resultierenden Mehraufwand in Form eines Beitrags pauschal abzugelten, um ihnen ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu ermöglichen (vgl. BPGG).

Der Bw., der aufgrund seiner Behinderung für die täglichen Erfordernisse des Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sei und die daraus resultierenden Mehraufwendungen selbst getragen habe, werde nun von der Steuerbehörde schlechter gestellt, als jene Steuerpflichtigen, die dieselben fremden Hilfeleistungen beziehen und zusätzlich eine staatliche Finanzierungshilfe in Form des Pflegegeldes erhalten würden.

Eine derartige steuerliche Bevorzugung bzw. steuerliche Schlechterstellung von Mehraufwendungen aufgrund einer Behinderung sei nicht im Sinn des Gesetzgebers. Durch die steuerlichen Gesetzesbestimmungen werde eine Gleichbehandlung des dargestellten Sachverhalts herbeigeführt.

Da der Bw. die steuerlichen Voraussetzungen gem. § 35 EStG für die Anerkennung der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen erfülle, werde beantragt, "die Abweisung der Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2000 bis 2004 aufzuheben, das Verfahren wiederaufzunehmen und die Einkommensteuer für 2000 bis 2004 unter Berücksichtigung der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen zu veranlagen".

Über die Berufung wurde erwogen:

§ 303 Abs. 1 lit. b BAO zufolge ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist, Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Gemäß § 303 Abs. 2 BAO ist der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß Abs. 1 binnen einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, bei der Abgabenbehörde einzubringen, die im abgeschlossenen Verfahren den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. November 2007, 2006/13/0107, sind Tatsachen im Sinne des § 303 BAO ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - sind keine Tatsachen. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offen gelegt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlasst - lassen sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23. April 1998, 95/15/0108). Eine Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist daher dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können (siehe etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Juli 2006, 2003/15/0016).

Aus folgenden Gründen war die gegenständliche Berufung als unbegründet abzuweisen:

Amtsbekannt ist der Bestand einer Seniorenwohnanlage an der Adresse 0000 Wien, A-Str.. Kenntnis davon, dass der Bw. seinen Wohnsitz an der dortigen Adresse im Jahr 2000 hatte, hatte die Abgabenbehörde erste Instanz schon vor Erlassung des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides 2000, weil die beim Finanzamt am 29. Jänner 2001 eingelangte Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2000 die Angabe der Wohnsitzadresse (=Zustelladresse) "0000 Wien, A-Str." ausgewiesen hatte.

Mit der nachfolgenden Tabelle werden die von der Verwaltung der Seniorenanlage dem Finanzamt bestätigten Kosten für die Jahre 2000 bis 2004 dargestellt:

 

2000

2001

2002

2003

2004

Beherbergung und Verpflegung

S 199.800 € 14.520,03

S 199.800 € 14.520,03

€ 14.891,30

€ 15.190,06

€ 15.400,06

Bereich "Betreutes Wohnen"

 

S 279,61 € 20,32

€ 133,00

  

Die von einem Pensionisten für seine Unterbringung in einem Pensionistenheim zu tragenden Aufwendung können so lange keine außergewöhnliche Belastung sein, als mit ihnen nicht auch besondere Aufwendungen abzudecken sind, die durch Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit verursacht werden (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Mai 2003, 97/14/0102). Insofern war das Vorliegen einer neuen Tatsache im Sinn des § 303 BAO zu verneinen, wenn mit den für das Finanzamt bestimmten Schreiben der Verwaltung der in Rede stehenden Seniorenwohnanlage vom 13. Dezember 2005 an Kosten bloß solche für Beherbergung und Verpflegung von € 14.520,03 (ATS 199.800) für das Jahr 2000, € 15.190,06 für das Jahr 2003 und € 15.400,06 für das Jahr 2004 bestätigt wurden.

Von einem Unverschulden der Partei bei der Erlassung der in Rechtskraft erwachsenen Bescheide für die Jahre 2000 bis 2004 (und damit einer Stattgabe des Antrags auf Wiederaufnahme gem. § 303 Abs.1 lit. b BAO) konnte keine Rede sein, weil dem Bw. auch die Kosten im Bereich "Betreutes Wohnen" von € 20,32 im Jahr 2001 und € 133 im Jahr 2002 vorgeschrieben worden waren und daher bekannt gewesen waren. Damit wäre es ihm möglich gewesen, die von ihm finanzierten Betreuungskosten als außergewöhnliche Belastungen im entsprechenden Jahr geltend zu machen.

Die Kenntnis des Bw. von der Geltendmachung von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen bewies die Tatsache, dass der Bw. die Pauschale wegen Behinderung (60 %) in der Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2000 beansprucht und den Besitz einer Amtsbescheinigung im Sinn des § 105 EStG 1988 angezeigt hatte, ohne zum damaligen Zeitpunkt offiziell rechtsfreundlich vertreten gewesen zu sein.

Als Folge der Abgabenerklärungen für die Jahre 2000 bis 2004 wurden dem Bw. mit den [in Rechtskraft erwachsenen] Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2000 und 2001 der Freibetrag wegen eigener Behinderung (§ 35 (3) EStG 1988) von S 4.020 ebenso wie der Freibetrag gem. § 105 EStG 1988 von S 10.920 jeweils als außergewöhnliche Belastung zugesprochen.

Mit den rechtskräftigen Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2002 bis 2004 zog das Finanzamt sowohl den Freibetrag wegen eigener Behinderung (§ 35 (3) EStG 1988 von € 294, als auch den Freibetrag gem. § 105 EStG 1988 von € 801 jeweils als außergewöhnliche Belastung vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.

§ 35 EStG 1988 lautet:

"(1)

Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen

 

-

Durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,

 

-

....

 

und erhält weder der Steuerpflichtige, noch ... eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3)

zu.

(2)

Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

 

1.

in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

 

2.

in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für eine Einschätzung bestehen, nach den §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957.

 

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

 

-

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen bei Kriegsbeschädigten, Personen, die Präsenz- oder Ausbildungsdienst leisten oder geleistet haben, Opfern von Verbrechen und Invaliden nach dem Behinderteneinstellungsgesetz.

 

-

Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

 

-

Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

 

-

Das Gesundheitsamt (im Bereich der Stadt Wien der Amtsarzt des jeweiligen Bezirkspolizeikommissariates) oder das örtlich zuständige Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen durch Ausstellung eines Behindertenpasses (§ 40 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes) in allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art."

Gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 wurde bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 55 % bis 64 % ein Freibetrag von S 4.020 (in den Jahren 2000 und 2001) bzw. € 294,00 (in den Jahren 2002 bis 2004) gewährt.

Absatz 5 der letztzitierten Norm lautet: "Anstelle des Freibetrages können auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6)".

§ 105 EStG 1988 zufolge war den Inhabern von Amtsbescheinigungen und Opferausweisen ein besonderer Freibetrag von 10.920 S (in den Jahren 2000 und 2001)/ € 801 (in den Jahren 2002 bis 2004) jährlich bei Berechnung der Einkommensteuer (Lohnsteuer) abzuziehen.

Aus dem Antrag der steuerlichen Vertreterin in der Berufung auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich der Einkommensteuer für die Jahre 2000 bis 2004 ebenso wie aus dem Vorwurf im Vorlageantrag, zwei Klassen von behinderten Steuerpflichtigen als Folge der Interpretation von steuerrechtlichen Bestimmungen durch die gesetzesvollziehende Behörde zu schaffen, war für den Bw. im gegenständlichen Berufungsverfahren nichts zu gewinnen, weil die Verfügung der Wiederaufnahme eines jeden Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO im Ermessen der Abgabenbehörde erste Instanz und nicht des Unabhängigen Finanzsenats liegt. Die Prüfung der Verfassungskonformität von Gesetzen fällt in den Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichtshofs.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am 8. Juli 2008

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 35 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988

Schlagworte:

Altersheim

Stichworte