Wirkungen der Wiederaufnahme gem. § 303 und der Änderung gem. § 295 BAO, wenn sich nachträglich herausstellt, dass ein F-Bescheid nicht ergangen ist.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat durch den Vorsitzenden Dr. Ralf Schatzl und die weiteren Mitglieder Mag. Erich Schwaiger, Mag. Gottfried Warter und Fr. Ingrid Landauer über die Berufung der Bw., Adresse*1, vertreten durch Dr. Wilhelm Rumerstorfer, 5020 Salzburg, Wäschergasse 28, vom 29. Juni 2007 gegen den Bescheid des Finanzamtes Salzburg-Stadt, vertreten durch HR Dr. Susanne Fischer, vom 27. Juni 2007 betreffend Einkommensteuer 1995 nach der am 27. Februar 2008 in 5026 Salzburg-Aigen, Aignerstraße 10, durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung entschieden:
Der Hinweis "Änderung gem. § 295 (1) BAO zu Bescheid vom 04.04.1997" wird aus dem Bescheid des Finanzamtes entfernt. Ansonsten bleibt der angefochtene Bescheid unverändert.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin (kurz Bw.) bekämpft einen Einkommensteuerbescheid, der den Verfahrenstitel des § 295 Abs. 1 BAO nennt.
Chronologie
Aus dem vorgelegten Steuerakt ergibt sich der folgende chronologische Ablauf:
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| 06.03.1997 | ESt-Erklärung 1995 (Beteiligung X*GmbH*u*Mitges nicht erwähnt) |
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| 04.04.1997 | ESt-Bescheid 1995 |
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| 13.03.2000 | Mitteilung Beteiligung X*GmbH*u*Mitges (datiert mit 3.6.96; Verlust ATS 96,00) |
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| 25.01.2005 | Mitteilung Beteiligung X*GmbH*u*Mitges (Gewinn ATS 172.055,00) |
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| 24.02.2005 | ESt-Bescheid § 295 BAO |
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| 08.03.2005 | Antrag § 212a BAO dazu |
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| 10.01.2007 | Mitteilung, dass bisher bei X*GmbH*u*Mitges nur F-Nichtbescheide (RV/0067-G/06) |
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| 15.01.2007 | WA-Antrag |
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| 28.03.2007 | Mitteilung Beteiligung X*GmbH*u*Mitges (Gewinn ATS 172.055,00) |
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| 26.06.2007 | Stattgabe WA-Antrag+ Aufhebung ESt-Bescheid vom 24.2.2005 |
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| 27.06.2007 | ESt-Bescheid § 295 BAO |
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| 29.06.2007 | Berufung gegen § 295 vom 27.6.2007 |
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| 13.07.2007 | BVE (Abweisung) |
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| 23.07.2007 | Vorlageantrag |
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Die Bw. war 1995 an der stillen Gesellschaft "X*GmbH*u*Mitges" beteiligt. Mit 24. Februar 2005 erließ das Finanzamt aufgrund der Mitteilung des Finanzamtes Graz-Stadt, dass an die dortige Gesellschaft mit 25. Jänner 2005 ein neuer Feststellungsbescheid erlassen worden sei, einen auf § 295 BAO gestützten Einkommensteuerbescheid, mit dem es den Erstbescheid vom 4. April 1997 änderte. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Nachdem der Unabhängige Finanzsenat rechtskräftig entschieden hatte, dass dem zitierten Feststellungsbescheid keine Bescheidqualität zugekommen sei (UFS 6.11.2006, RV/0067-G/06), brachte die Bw. einen auf diese Tatsache gestützten und mit 10. Jänner 2007 datierten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO ein. Sie formulierte:
Die beantragte Wiederaufnahme betrifft nachfolgenden Bescheid: gem. § 295 abgeänderter Einkommensteuerbescheid 1995 ausgestellt am 24.2.2005 Bescheidausstellung durch Abgabenbehörde 1. Instanz
Als einzigen Grund für die Wiederaufnahme nannte die Bw. die Tatsache, dass die bisherige Änderung gem. § 295 BAO auf Basis eines "Nichtbescheides" erfolgte und damit nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprach. Dass die Höhe der angesetzten Einkünfte falsch sei, wurde nicht behauptet.
In der Zwischenzeit teilte das Finanzamt Graz-Stadt per Email vom 19. April 2007 mit, dass es mit 28. März 2007 einen Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte der X*GmbH*u*Mitges, mit dem die Einkünfte der Bw. - wie schon im letzten "Nichtbescheid" - mit ATS 172.055,00 (EUR 12.503,72) festgestellt worden seien, erlassen habe.
Das Finanzamt Salzburg-Stadt gab in der Folge dem Wiederaufnahmeantrag mit Bescheid vom 26. Juni 2007 statt und hob den "Einkommensteuerbescheid 1995 vom 24.2.2005" auf. Der Wiederaufnahmebescheid erwuchs in der Zwischenzeit in Rechtskraft.
Mit 27. Juni 2007 erließ das Finanzamt Salzburg-Stadt einen Einkommensteuerbescheid, der inhaltlich völlig identisch mit dem gerade erst aufgehobenen Bescheid vom 24. Februar 2005 ist. Er ist mit folgenden Worten überschrieben:
"Einkommensteuerbescheid 1995 Änderung gem. § 295 (1) BAO zu Bescheid vom 04.04.1997"
Dieser "neue" Sachbescheid unterscheidet sich vom aufgehobenen Bescheid nur dadurch, dass die Änderung gem. § 295 BAO in der Begründung des Bescheides nun auf die Feststellungen des Finanzamt Graz-Stadt vom 28. März 2007 und nicht mehr auf die Feststellungen vom 25. Jänner 2005 gestützt wurde. Dieser Bescheid wurde mit Berufung vom 29. Juni 2007 bekämpft. Die Berufung wurde damit begründet, dass die Einkommensteuer gem. § 209 Abs. 3 BAO seit 1. Jänner 2006 verjährt sei. Es liege kein Tatbestand des § 209a BAO vor, da es sich nicht um eine Abgabe handle, die von der Erledigung einer Berufung abhängig gewesen sei. Der Feststellungsbescheid vom 28. März 2007 sei nicht aufgrund eines Rechtsmittels ergangen, womit auch der abgeleitete Einkommensteuerbescheid nicht indirekt infolge einer Berufung ergangen sei. In der Berufung beantragte die Bw. die Entscheidung durch den gesamten Berufungssenat und die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 13. Juli 2007 ab. Es führte aus, dass die Verjährung deshalb nicht eingetreten sei, weil dem genannten Feststellungsbescheid ein Antrag, nämlich eine Erklärung der Einkünfte von Personengesellschaften 1995 vom 27. März 1997 samt Beilage, zugrunde liege, mit dem die Zuerkennung von Verlustanteilen an die unechten stillen Gesellschafter beantragt werde.
Im Vorlageantrag vom 23. Juli 2007 wiederholte die Bw. ihre Ausführungen und erklärte ergänzend: Die Nachzahlung auf Ebene des Einkommensteuerbescheides resultiere ausschließlich daraus, dass nicht erklärungsgemäß festgesetzt worden sei. Sie widersprach der Ansicht des Finanzamtes, die Festsetzung der Einkommensteuer sei von der Erledigung eines Antrages abhängig gewesen. Sämtliche Kommentarmeinungen wie auch das Bundesministerium für Finanzen (BMF) würden eine Erklärung nur dann als "Antrag" qualifizieren, wenn er zu einer Gutschrift führe, was im gegenständlichen Fall nicht vorliege. Durch den Klammerausdruck (§ 85) solle klargestellt werden, dass unter den in Abgabenvorschriften vorgesehenen Anträgen alle jene zu verstehen sind, die zur Geltendmachung von Rechten oder im Rahmen zu Erfüllung von Verpflichtungen gestellt werden. Darüber hinaus seien auch im Fall der Qualifizierung der Feststellungserklärung als Antrag die Voraussetzungen des § 209a BAO dennoch nicht gegeben, weil der Feststellungsbescheid von der Feststellungserklärung abweiche.
Die Berufung wurde mit 27. Juli 2007 an den Unabhängigen Finanzsenat vorgelegt. Die am 27. Februar 2008 durchgeführte mündliche Verhandlung vor dem gesamten Berufungssenat ergab im wesentlichen folgendes Ergebnis:
Der steuerliche Vertreter der Bw. wies ergänzend darauf hin, dass gegen den Feststellungsbescheid 1995 zur X*GmbH*u*Mitges (vom 28. März 2007) wiederum Berufung eingebracht worden sei, die an den Unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorgelegt wurde (Zl. RV/0387-G/07).
Es wurde bestritten, dass die Erklärung über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte der X*GmbH*u*Mitges als Antrag im Sinn des § 209a Abs. 2 BAO zu qualifizieren sei. Diese Ansicht des Finanzamtes stehe im Widerspruch zu Literatur sowie der Fachmeinung des BMF (Schärf, Steuerindex 2004, Anhang 148 - Auskunft des BMF vom 9.9.2004; Ritz, BAO3, § 209a RZ 6 ff; Ellinger-Iro-Kramer-Sutter-Urtz, § 209a BAO Anm 11). Der Normzweck des § 209a Abs. 2 BAO sei nur ein Schutz der Partei vor Rechtsnachteilen, die durch eine nicht unverzügliche Erledigung durch die Finanzbehörden eintreten würden. Pflichteingaben würden darin nur in eingeschränktem Umfang, nämlich bei Gutschriften als Anträge im Sinn des § 209a Abs. 2 BAO gewertet werden können.
Zur Frage der Bescheidqualität des nunmehr in Berufung befindlichen Feststellungsbescheides 1995 gab der steuerliche Vertreter an, dass er dies auf Grund seines derzeitigen Wissensstandes nicht beurteilen könne. Er vertrete nur die Gesellschafterin Bw. und nicht das Unternehmen selbst. Es sei bis dato keine Mitteilung der Vertreterin der X*GmbH*u*Mitges erfolgt, dass dieser Bescheid formell problematisch sein könnte. Er legte eine Kopie des Vorlageberichtes des zuständigen Finanzamts vor, aus dem die Thematisierung der Bescheidadressierung hervorgeht. Auch die Amtsbeauftragte sah sich auf Grund des derzeitigen Wissensstandes außer Stande zur Beurteilung der Frage der Bescheidqualität.
Auf Befragung erklärte der steuerliche Vertreter, die Beteiligung der Bw. an der X*GmbH*u*Mitges sei unstrittig. Strittig sei jedoch die Höhe der Einkünfte, da es sich in diesem Fall um eine nicht erklärungsgemäße Veranlagung bei der X*GmbH*u*Mitges handle.
Über die Berufung wurde erwogen:
Die Verjährungsfrist beträgt bei der Einkommensteuer fünf Jahre (§ 207 Abs. 2 BAO) und beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist (§ 208 Abs. 1 BAO). Das Recht auf Festsetzung einer Abgabe verjährt spätestens zehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (§ 209 Abs. 3 BAO). Der Abgabenanspruch entsteht bei der Einkommensteuer für die zu veranlagende Abgabe mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird (§ 4 Abs. 2 lit. a Z 2 BAO), im konkreten Fall deshalb mit Ablauf des Jahres 1995. Die absolute Verjährung tritt deshalb mit Ablauf des Jahres 2005 ein.
Ausnahmsweise ist die Festsetzung auch noch nach Ablauf der Verjährungsfrist zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 209a BAO gegeben sind, der lautet:
(2) Hängt eine Abgabenfestsetzung unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Berufung oder eines in Abgabenvorschriften vorgesehenen Antrages (§ 85) ab, so steht der Abgabenfestsetzung der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Berufung oder der Antrag vor diesem Zeitpunkt, wenn ein Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 Abs. 1 vor Ablauf der Jahresfrist des § 302 Abs. 1 oder wenn ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens rechtzeitig im Sinn des § 304 eingebracht wurde.
(3) Sofern nicht Abs. 1 oder 2 anzuwenden ist, darf in einem an die Stelle eines früheren Bescheides tretenden Abgabenbescheid, soweit für einen Teil der festzusetzenden Abgabe bereits Verjährung eingetreten ist, vom früheren Bescheid nicht abgewichen werden.
Für den konkreten Fall bedeutet das, dass ein vor dem Ablauf der Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides (§ 304 lit. b BAO) eingebrachter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 Abs. 1 BAO) die bereits eingetretene absolute Verjährung außer Kraft setzt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Wiederaufnahme von Amts wegen ausgeschlossen ist und es der Abgabepflichtige selbst in der Hand hat, ob er dies durch seinen Antrag bewirken will. Tut er das, so gelten die allgemeinen Regeln. Das bedeutet, dass die Wiederaufnahme iSd § 303 BAO in einem zweistufigen Verfahren mit zwei voneinander getrennten Bescheiden zu erfolgen hat. Mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid ist unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden (§ 307 Abs. 1 BAO).
- Dabei haben nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die (neue) Sachentscheidung jede für sich Bescheidqualität und ist jeder dieser Bescheide für sich einer Berufung zugänglich und für sich rechtskraftfähig (vgl. VwGH 25.10.1995, 93/15/0119).
- Erfolgt die Bewilligung der Wiederaufnahme zulässigerweise nach Eintritt der Verjährung, so ist auch die neue Sachentscheidung trotz Eintritts der Verjährung zulässig (Ritz, BAO3, § 304 Tz 8).
Im konkreten Fall ist evident, dass der Wiederaufnahmeantrag jedenfalls vor dem Ablauf der Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren bis dahin abschließenden Bescheides vom 24. Februar 2005 gestellt wurde und damit rechtzeitig war.
Unstrittig ist weiter, dass der Bescheid über die Stattgabe dieses Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 1995 vom 26. Juni 2007 und die damit verbundene Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 1995 vom 24. Februar 2005 in Rechtskraft erwachsen sind. Ob diese Wiederaufnahme rechtmäßig war, ist der Beurteilung durch den Unabhängigen Finanzsenat deshalb entzogen.
Diese Wiederaufnahme des Verfahrens öffnet den Weg, die bisher durch Bescheid erledigte Rechtssache in einem neuerlichen Verfahren sachlich zu prüfen (Stoll, BAO-Kommentar, 2911). War die Wiederaufnahme trotz Ablauf der absoluten Verjährungsfrist zulässig, was nicht in Frage gestellt wurde, so muss auch die Festsetzung der Abgabe mit dem aufgrund der Wiederaufnahme zu erlassenden Sachbescheid zulässig sein. Den Argumenten der Bw. konnte deshalb kein Erfolg beschieden sein.
Im nach Wiederaufnahme des Verfahrens erlassenen Sachbescheid sind Änderungen nicht nur hinsichtlich der von Wiederaufnahmegründen berührten Bescheidelemente zulässig, sondern auch Änderungen in den von den Wiederaufnahmegründen nicht berührten Bescheidelementen (Ritz, BAO3, § 307, Rz 5; VwGH 28.5.1997, 94/13/0032). Dabei ist die Abgabenbehörde nicht an eine im früheren Verfahren vertretene Rechtsauffassung gebunden, sondern hat die nunmehr als richtig erkannte ihrem Bescheid zu Grunde zu legen (Ellinger-Iro-Kramer-Sutter-Urtz, BAO, § 307 Anm. 6). Es existiert damit kein Neuerungsverbot und keine Teilrechtskraft. Die Änderungen dürfen und müssen (§ 114 BAO) in alle Richtungen durchgeführt werden, wobei selbst die Abgabenbehörde zweiter Instanz in Punkten Änderungen vornehmen kann, die nicht angefochten wurden (vgl. etwa VwGH 20.11.1989, 88/14/0230). Dabei sind auch Tatsachen zu beachten, die isoliert betrachtet eine Wiederaufnahme nicht gerechtfertigt hätten.
Richtet sich die Berufung nur gegen den Sachbescheid, hat die Berufungsbehörde die Wiederaufnahme nicht zu prüfen (VwGH 3.12.1986, 85/13/0162). Es steht in einem solchen Fall außer Frage, dass der neue Sachbescheid zu erlassen ist, was nur dann unterbleiben dürfte, wenn in dieser "Sache" kein weiterer Bescheid ergehen dürfte. Einer zusätzlichen verfahrensrechtlichen Grundlage und einer weiteren Prüfung im Sachbescheid bedarf es deshalb nicht (vgl. etwa VwGH 30.11.1971, 904/71). Sache in diesem Sinne ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des durch die Wiederaufnahme aus dem Rechtsbestand beseitigten Bescheides gebildet hat (vgl. VwGH 18.9.2000, 98/17/0206 zu § 289 BAO). Bei Abgabenbescheiden ist dies die Erfassung eines bestimmten Abgabenschuldverhältnisses (VwGH 30.7.1992, 90/17/0333 zur LAO Krnt 1983). Auf den konkreten Fall umgelegt ist die Sache somit die Festsetzung der Einkommensteuer für das Kalenderjahr 1995.
Damit unterscheidet sich die Wiederaufnahme des Verfahrens wesentlich von dem der Änderung eines Bescheides gem. § 295 BAO, das nur einstufig ausgebildet ist und über die in einem einzigen Sachbescheid abzusprechen ist. Die Abänderung des Erstbescheides wäre in diesem Fall nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 295 BAO tatsächlich vorliegen würden. Der neue Sachbescheid, der den durch ihn ersetzten Erstbescheid ex lege zur Gänze aus seinem Bestand entfernt und zugleich wiederum über die Sache abspricht, darf nämlich nach dieser Norm nur dann ergehen, wenn tatsächlich die Feststellung einer vom "Altbescheid" abweichenden Grundlagen durchgeführt wurde. Fehlt diese, verbietet das eine weitere Prüfung durch die Abgabenbehörde 2. Instanz und wäre der Bescheid durch sie ersatzlos aufzuheben, wodurch der Erstbescheid wieder aufleben würde. Das gilt etwa dann, wenn der Bescheid betreffend die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für das Streitjahre ins Leere gegangen ist (VwGH 24.11.1998, 93/14/0203).
Im Falle der Berufung gegen gem. § 295 BAO erlassene Bescheide ist die Frage der Existenz eines rechtswirksamen Feststellungsbescheides eine von der Berufungsbehörde zu entscheidenden Sache, die als conditio sine qua non einen Teil der Prüfung des Sachbescheides bildet.
Durch die rechtskräftige Wiederaufnahme des Verfahrens kommt es nicht zum Wiederaufleben vorher in der Sache (Einkommensteuer 1995) ergangener Bescheide. Die ersatzlose Aufhebung des das Verfahren bisher abschließenden Sachbescheides ist deshalb nur dann zulässig, wenn in der Sache (Einkommensteuer 1995) überhaupt kein Bescheid hätte ergehen dürfte. In allen anderen Fällen ist die Berufung aber dadurch zu erledigen, dass in der Sache selbst entschieden wird.
Da die Bw. neben ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ohne Zweifel Einkünfte bezogen hat, die den Gesamtbetrag von ATS 10.000,00 (EUR 726,73) überschritten, liegen die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung iSd § 41 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 idgF vor (zur Bindungswirkung des Feststellungsbescheides siehe unten). Damit war im konkreten Fall aber jedenfalls ein Bescheid zu erlassen, der über die Einkommensteuer 1995 abspricht. Eine ersatzlose Aufhebung kam nicht in Betracht.
Nach der ständigen Rechtssprechung des VwGH ist es Aufgabe der Berufungsbehörde, in der Sache zu entscheiden, das heißt, neuerlich und zwar so zu entscheiden, als ob die Sache erstmals nach den für diese geltenden materiell-rechtlichen Bestimmungen unter Beachtung der Verfahrensgrundsätze behandelt würde (Reformation). Die Berufungsbehörde ist demnach nicht nur berechtigt sondern auch verpflichtet, ihre Entscheidung (gegenüber der Vorentscheidung) originär neu zu gestalten. Das Ergebnis ihrer Entscheidung kann von dem der vorangehenden Bescheide abweichen und ist stets gedanklich neu zu entwickeln. Jede Anfechtung eines Bescheides, auch eine bloß partielle, führt deshalb dazu, dass die Rechtsmittelbehörde einen neuen "rechtsrichtigen" Bescheid zu erstellen hat. Die Berufungsentscheidung tritt mit ihrer Erlassung an die Stelle des erstinstanzlichen Bescheides. Der zweitinstanzliche Abgabenbescheid hat dabei gem. § 192 BAO die Feststellungen jener Feststellungsbescheide zugrunde zu legen, die zum Zeitpunkt der Erlassung des zweitinstanzlichen Abgabenbescheides dem Rechtsbestand angehören (vgl. etwa VwGH 23.11.2004, 2001/15/0143), selbst wenn sie nicht rechtskräftig sind. Die Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit dieser Feststellung verbietet § 252 Abs. 1 BAO.
Nachdem die ersten Feststellungsbescheide aufgrund formeller Gründe ins Leere gingen, wurde in der Zwischenzeit neuerlich ein Bescheid erlassen, mit dem über die Feststellung der Einkünfte 1995 der X*GmbH*u*Mitges gem. § 188 BAO abgesprochen wurde und der der Bw. neuerlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb von EUR 12.503,72 zuwies. Die rechtliche Wirksamkeit dieser Erledigung wurde durch die Verfahrensparteien nicht in Frage gestellt. Der nunmehrige Feststellungsbescheid wurde mit Berufung bekämpft, die derzeit beim Unabhängigen Finanzsenat anhängig ist (RV/0387-G/07). Aufgrund der ab 27. Juni 2006 in Geltung befindlichen Bestimmung des § 191 Abs. 5 BAO ist bezüglich dessen Wirksamkeit nicht mit der die Bw. betreffenden Unwirksamkeit des Feststellungsbescheides - wie sie 2006 festgestellt wurde (UFS 6.11.2006, RV/0067-G/06) - zu rechnen. Auch das im Vorlagebericht angedeutete Problem der Adressierung dürfte rechtskonform gelöst worden sein, da die 14-seitige Bescheidbeilage als Teil des Spruches offensichtlich alle ehemaligen Beteiligten anführt (siehe etwa Kotschnigg, SWK 31/2004 (S 890) Pkt. 2.1).
Aus dem oben zur Wirkung des § 192 iVm § 252 BAO Gesagten ergibt sich deshalb die Bindungswirkung für den Unabhängigen Finanzsenat. Der Bemessung der Einkommensteuer 1995 waren folglich die im Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte der X*GmbH*u*Mitges getroffenen Feststellungen zugrunde zu legen. Das führt zum Ansatz von Einkünften aus Gewerbebetrieb von ATS 172.055,00 bzw. EUR 12.503,72, womit auch die Voraussetzungen für die Pflichtveranlagung vorliegen (siehe oben). Der bekämpfte Bescheid hat deshalb in diesem Bereich unverändert zu bleiben.
Gem. § 198 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde die Abgaben durch Abgabenbescheide festzusetzen. Solche Bescheide haben die in §§ 93, 96 und 198 genannten Bestandteile zu enthalten. Es ist nicht erforderlich, die Rechtsgrundlagen im Spruch des Bescheides zu nennen. Selbst eine allfällige Berufung auf eine nicht zutreffende Rechtsgrundlage bzw. eine verfehlte Begründung macht einen Bescheid nicht rechtswidrig, sofern er mit der objektiven Rechtslage übereinstimmt (vgl. VwGH 24.8.2006, 2002/17/0164 und die dort zitierte Rechtsprechung und Literatur). Obwohl der Bw. dahingehend beizupflichten ist, dass der bekämpfte Bescheid nicht auf die Bestimmung des § 295 BAO gestützt werden durfte, handelt es sich beim bekämpften Bescheid um einen Bescheid iSd § 198 BAO, der die Sache Einkommensteuer 1995 bescheidmäßig abschließt. Da dieser Erstbescheid aufgrund des nach rechtskräftiger Durchführung der Wiederaufnahme "offenen" Verfahrens aber jedenfalls zu erlassen war, kommt dem Hinweis auf § 295 BAO keine Bedeutung zu. Der Hinweis war deshalb aus dem Bescheid zu entfernen, was aber ohne Auswirkung auf den (restlichen) Bescheidspruch bleibt.
Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass die Festsetzung der Einkommensteuer 1995 durch den bekämpften Bescheid nicht verjährt war, dass dabei das Ergebnis des Feststellungsbescheides vom 28. März 2007 zwingend zu berücksichtigen war und dass der bekämpfte Bescheid inhaltlich keiner weiteren Änderung bedurfte.
Aufgrund dieser Beurteilung war es entbehrlich, die Argumentation der Abgabenbehörde 1. Instanz, bei der Erklärung zur Feststellung der Einkünfte gem. § 188 BAO handle es sich um einen Antrag iSd § 209a BAO, einer näheren Untersuchung zu unterziehen.
Salzburg, am 27. Februar 2008
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 295 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Bescheidqualität, Sache |
Verweise: | VwGH 25.10.1995, 93/15/0119 |