BFG RV/5101273/2020

BFGRV/5101273/202015.1.2021

Familienbeihilfe (Differenzzahlung) nach Wochengeldbezug bei Nichtausübung eines ruhend gemeldeten Gewerbes

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2021:RV.5101273.2020

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***1***, ***2***, über die Beschwerde vom 14. August 2019 gegen den Bescheid des Finanzamtes ***3*** (nunmehr Finanzamt Österreich) vom 6. August 2019 betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung einer Ausgleichszahlung für das Kind ***Name_Kind***, geb. ***xx.xx.2019***, für den Zeitraum ab Mai 2019, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

 

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

1. In ihrem Antrag auf Gewährung einer Differenzzahlung vom 28.1.2019 beantragte die Beschwerdeführerin (BF) eine Differenzzahlung für das Kind ***Name_Kind*** ab Jänner 2019. In der Beilage zum Antrag befanden sich:
- Geburtsurkunde von ***Name_Kind***
- Heiratsurkunde
- Bestätigung der Stadt ***Ort1*** vom 16.1.2019 über den Aufenthalt von BF, Kind und Kindesvater in ***Ort1***
- Gewerberegisterauszug der Bezirkshauptmannschaft vom 20.11.2012
- Transaktionsbestätigungen vom 23.1.2019 über Zahlungen vom 26.3.2018, 31.5.2018 und 27.11.2018 an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVS)
- Werkvertrag vom 10.10.2017 über die Betreuung (Betreuungsfall) von ***Z***,
- Werkvertrag vom 9.12.2017 über die Betreuung (Pflegefall) von ***Z***
- Werkvertrag vom 6.3.2018 über die Betreuung von ***Y***
- Honorarabrechnung an Frau ***Y*** für den Zeitraum 1.5. bis 15.5.2018 und 29.5. bis 12.6.
- Werkvertrag vom 8.5.2018 über die Betreuung von ***X***
- Honorarabrechnung an Frau ***X*** für den Zeitraum 27.6. bis 10.7.2018
- Formular E 411 vorausgefüllt mit persönlichen Daten
- Formular E 401 vorausgefüllt mit persönlichen Daten

2. Am 9.4.2019 langte von der BF eine Bestätigung der SVS vom 2.4.2019 über den Bezug von Wochengeld im Zeitraum 29.8.2018 bis 1.4.2019 ein.

Die am 8.7.2019 bestätigten Formulare E 401 und E 411 langten beim Finanzamt am 10.7.2019 ein. Darin wurden der gemeinsame Wohnsitz von BF, Kind und Kindesvater in der Slowakei sowie von 1.1.2019 bis laufend eine berufliche Tätigkeit des Kindesvaters in der Slowakei und der Bezug von slowakischen Familienleistungen (24,34 Euro monatlich) bescheinigt.

Für den Zeitraum Jänner bis April 2019 wurde die Ausgleichszahlung für ***Name_Kind*** aufgrund des Wochengeldbezuges nach der Geburt gewährt.

3. Mit Bescheid vom 6.8.2019 wurde der Antrag auf Ausgleichszahlung für ***Name_Kind*** für den Zeitraum ab Mai 2019 abgewiesen, da im Abweisungszeitraum die selbständige Beschäftigung nicht tatsächlich ausgeübt worden sei.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 12.8.2019, in welcher um eine neuerliche Überprüfung ersucht wurde, da die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt worden seien. Angeschlossen waren ein neuerlicher Antrag auf Gewährung einer Ausgleichszahlung ab Mai 2019 sowie ein Mitwirkungsersuchen der SVS an die BF vom 7.8.2019 betreffend deren Antrag auf Kinderbetreuungsgeld.

5. Am 28.10.2019 übermittelte die BF eine Wochengeldbestätigung der SVS vom 22.10.2019 für den Zeitraum 29.8.2018 bis 1.4.2019 sowie eine Bestätigung vom 23.10.2019 über den Bezug einer Unterstützungsleistung von 10.8.2019 bis 31.12.2019 (Anm.: richtig vermutlich 10.8.2018 bis 31.12.2018) und von Krankengeld bis 7.1.2019.

6. Am 22.11.2019 übermittelte die BF ein Schreiben mit dem Ersuchen um baldige Erledigung und folgenden Beilagen:
- Mitwirkungsersuchen der SVS an die BF vom 13.11.2019 betreffend deren Antrag auf Kinderbetreuungsgeld
- Anzeige der Ruhendmeldung des Gewerbes Personenbetreuung mit 8.1.2019 vom 28.1.2019
- Gewerberegisterauszug der Bezirkshauptmannschaft vom 20.11.2012
- Bestätigung der Nichtbetriebsmeldung von der Wirtschaftskammer vom 1.2.2019
- Schreiben der SVS vom 9.10.2018 wonach die Krankmeldungen vom 10.8.2018 und 27.8.2018 verspätet am 2.10.2018 eingelangt seien, weshalb eine Leistungsauszahlung ab 13.8.2018 nicht erfolgen könne
- Krankengeldbestätigung der SVS vom 23.10.2019
- Wochengeldbestätigungen der SVS vom 22.10.2019 und vom 25.10.2019.

7. Mit Auskunftsersuchen vom 7.11.2019 wurde die SVS um Beantwortung von Fragen zum Gewerbe und zu den Krankmeldungen der BF befragt.

Die SVS teilte am 6.12.2019 mit, dass von der BF von 10.8.2018 bis 7.1.2019 ein Krankenstand gemeldet worden sei. Das Krankengeld sei aufgrund einer verspäteten Meldung von 29.8.2018 bis 7.1.2019 ausbezahlt worden. Zusätzlich sei von 13.8.2018 bis 30.12.2018 eine Unterstützungsleistung ausbezahlt worden.

8. Am 16.1.2020 langte per Fax eine Vollmacht ein, worin die BF Frau ***W*** zur Kommunikation mit dem Finanzamt bevollmächtigte.

Da es sich bei der bevollmächtigten Person laut Google-Recherche um eine Dolmetscherin handelt ergingen am 20.1.2020 eine Mitteilung sowie ein Bescheid über die Ablehnung als geschäftsmäßige Parteienvertreterin an die BF bzw. die von ihr Bevollmächtigte.

9. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 20.1.2020 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen, da in der Zeit von 11.7.2018 (letzte Honorarabrechnung) bis zur Krankmeldung bzw. Krankengeldbezug keine tatsächliche Tätigkeit in Österreich ausgeübt worden sei.

10. Der Vorlageantrag vom 14.2.2020 wurde von Frau Mag. ***V*** (Steuerberaterin) in Auftrag der BF eingebracht. Beigelegt waren ein Antrag auf Kindergeld in der Slowakei vom 15.2.2019, Bestätigungen über den Bezug des slowakischen Kindergeldes für 2019 bis laufend, Auszüge aus dem Gewerberegister zum Stichtag 18.10.2017 und 11.2.2020 und die Wochengeldbestätigung der SVS vom 25.10.2019.

Mit Ergänzungsersuchen vom 21.7.2020 wurde die BF aufgefordert die Vollmacht von Frau Mag. ***V*** vorzulegen und bekanntzugeben inwieweit sie noch über eine Versicherung in Österreich verfüge.

Am 5.8.2020 langte per Fax ein Schreiben ein, wonach die Steuerberaterin Frau Mag. ***V*** "mit Zustellvollmacht bevollmächtigt" sei, die BF "in der Rechtssache zu vertreten". Angeschlossen war zudem ein unleserliches Schreiben der SVS aus dem Jahr 2019.

Nach telefonischer Aufforderung durch das Finanzamt legte die Vertreterin mit E-Mail vom 12.8.2020 die Vollmacht sowie eine lesbare Version des SVS-Schreibens betreffend "Ausnahme von der Pflichtversicherung" vom 7.2.2019 vor. Darin war ausgeführt, dass die BF mit 1.1.2019 von der Pflichtversicherung ausgenommen und für die Dauer der Unterbrechung der selbständigen Erwerbstätigkeit während des Mutterschutzes weiterhin krankenversichert sei. Nach dem Ende des Mutterschutzes liege nur bei Bezug von Kinderbetreuungsgeld durch die BF weiterhin Krankenversicherungsschutz vor.

11. Am 25.9.2020 erging ein Auskunftsersuchen des Finanzamtes an die SVS, in welchem um Bekanntgabe ersucht wurde ob bzw. in welcher Form die BF seit dem 2.4.2019 in Österreich versichert gewesen sei.

Mit Schreiben vom 22.10.2020 gab sie SVS an, dass für die BF lediglich bis 1.4.2019 ein Versicherungsschutz aufgrund des Wochengeldbezuges vorgelegen habe. Ab 2.4.2019 liege kein Versicherungsschutz der BF in Österreich mehr vor.

12. Am 11.11.2020 legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor, beantragte die Abweisung und nahm wie folgt Stellung:

"Die BF, ihr Gatte und die minderjährige Tochter sind slowakische Staatsbürger und haben ihren gemeinsamen Hauptwohnsitz und ständigen Aufenthalt in der Slowakei.
Die BF war in Österreich als Personenbetreuerin tätig. Die Berechtigung der BF zur Ausübung des freien Gewerbes der Personenbetreuung ist am 20.11.2012 entstanden. Die Gewerbeberechtigung war bis zur Geburt des Kindes (7.1.2019) in vollem Umfang aufrecht. Die Ruhendmeldung des Gewerbes der Personenbetreuung mit 8.1.2019 erfolgte mit Anzeige vom 28.1.2019.

Die BF unterlag insoweit als gewerblich selbständig Erwerbstätige der Pflichtversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) und hatte somit Sozialversicherungsbeiträge an die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVS) zu leisten. Laut Versicherungsdatenauszug vom 20.7.2020 war die BF von 1.11.2015 bis 30.6.2016 und von 12.10.2017 bis 31.1.2019 bei der SVS pflichtversichert.
Ab 11.7.2018 wurde die Personenbetreuung von der BF nicht mehr aktiv ausgeübt. Von 11.7.2018 bis 25.7.2018 war die BF zwei Wochen zu Hause (üblicher Heimurlaub). Von 10.8.2018 bis 7.1.2019 befand sich die BF im Krankenstand, wobei sie von 10.8.2018 bis 30.1.2018 die Unterstützungsleistung bei lang andauernder Krankheit von der SVS bezog.

Das Kind wurde am 7.1.2019 geboren. Die SVS bestätigte am 2.4.2019 den Bezug von Wochengeld durch die BF im Zeitraum vom 29.8.2018 bis 1.4.2019.

Der Ehegatte der BF ist in der Slowakei beschäftigt und bezieht als leiblicher Vater in der Slowakei für die Tochter Kindergeld in Höhe von 24,34 Euro monatlich.

Betreffend den Bezug von Wochengeld fingiert Art. 11 Abs. 2 VO 883/2004 das Vorliegen einer selbständigen Erwerbstätigkeit. Die BF unterlag somit im Zeitraum vom 29.8.2018 bis 1.4.2019 den österreichischen Rechtsvorschriften, weshalb der BF für den Zeitraum Jänner bis April 2019 (Geburt der Tochter am 7.1.2019, Ende Wochengeldbezug 1.4.2019) am 6.8.2019 eine Ausgleichszahlung gewährt wurde.
Die Nichtausübung eines angemeldeten Gewerbes in den ersten 48 Monaten nach der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung stellt grundsätzlich eine der selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation iSd Art. 11 Abs. 3 lit. a sowie des Art. 68 iVm Art. 1 lit. b VO 883/2004 dar. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass keine Abmeldung des Gewerbes erfolgt und während dieses Zeitraumes nach der Maßgabe der österreichischen Rechtsvorschriften zumindest eine Teilversicherung (z.B. in der Pensionsversicherung; vgl. § 3 Abs. 3 Z. 4 GSVG) vorliegt (vgl. BFG 17.6.2019, RV/5101466/2018).

Mit Meldung vom 28.1.2019 hat die BF das Gewerbe ab 8.1.2019 ruhend gemeldet. Eine Bestätigung des Nichtbetriebes ab 8.1.2019 der Wirtschaftskammer Wien vom 1.2.2019 liegt vor.
Mit Schreiben vom 7.2.2019 bestätigte die SVS der BF eine "Ausnahme von der Pflichtversicherung" ab 1.1.2019 und teilte mit, dass die BF für die Dauer der Unterbrechung der selbständigen Erwerbstätigkeit nur während des Mutterschutzes weiterhin krankenversichert sei. Ein Krankenversicherungsschutz nach dem Ende des Mutterschutzes liege demnach nur im Falle des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld vor.

Der AJ-WEB-Auskunft vom 20.7.2020 ist keine Meldung über einen Bezug von österreichischem Kinderbetreuungsgeld durch die BF zu entnehmen. Weitere Unterlagen iZm mit einer sonstigen vorliegenden (Teil-)Versicherung in Österreich (z.B. Antrag, Einzahlungsbelege) wurden seitens der BF nicht vorgelegt. Und auch die Auskunft der SVS vom 22.10.2020 bestätigt, dass ab 2.4.2019 kein Versicherungsschutz der BF in Österreich mehr gegeben ist.

Die Voraussetzungen für eine der selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation liegen somit aufgrund der fehlenden (Teil-)Versicherung nicht vor. Nach Ansicht des Finanzamtes besteht daher ab Mai 2019 kein Anspruch auf Familienleistungen in Österreich, weshalb die Abweisung der Beschwerde beantragt wird."

13. Mit Auskunftsersuchen vom 04.12.2020 forderte das Bundesfinanzgericht die SVS zur Stellungnahme bezüglich des Vorliegens einer Teilversicherung der BF in der Pensionsversicherung auf.

14. Mit Schreiben vom 22.12.2020 teilte die SVS Folgendes mit:
"Frau ***BF*** hat ihre Gewerbeberechtigung auf Personenbetreuung per 8.1.2019 ruhend gemeldet. Die Pflichtversicherung in der GSVG-Pensions- und Krankenversicherung endete daher mit 31.1.2019.
Aufgrund des Wochengeldbezuges bestand dann noch bis 1.4.2019 in der GSVG-Krankenversicherung ein Leistungsanspruch.
Da danach das Gewerbe nicht wieder aufgenommen wurde, konnte bis dato auch keine Pflichtversicherung mehr festgestellt werden."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Auf der Grundlage des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

Die BF, ihr Ehegatte und ihre minderjährige Tochter sind slowakische Staatsbürger und haben ihren gemeinsamen Hauptwohnsitz und ständigen Aufenthalt in der Slowakei.

Der Ehegatte der BF ist in der Slowakei beschäftigt und bezieht als leiblicher Vater in der Slowakei für die Tochter Kindergeld in Höhe von 24,34 Euro monatlich.

Die BF betrieb in Österreich das freie Gewerbe der Personenbetreuung.
Sie verfügte seit 20.11.2012 über eine entsprechende Gewerbeberechtigung.

Die Gewerbeberechtigung war bis zur Geburt des Kindes am ***xx.xx.2019*** in vollem Umfang aufrecht.

Ab 11.7.2018 wurde die Personenbetreuung von der BF nicht mehr aktiv ausgeübt. Von 11.7.2018 bis 25.7.2018 war die BF zwei Wochen zu Hause (üblicher Heimurlaub). Von 10.8.2018 bis 7.1.2019 befand sich die BF im Krankenstand, wobei sie von 10.8.2018 bis 30.1.2018 die Unterstützungsleistung bei lang andauernder Krankheit von der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) bezog.

Am 28.1.2019 erfolgte die Ruhendmeldung des Gewerbes der Personenbetreuung mit 8.1.2019.

Die BF war von 01.11.2015 bis 30.6.2016 und von 12.10.2017 bis 31.1.2019 bei der SVS pflichtversichert.

Das Kind der BF wurde am 7.1.2019 geboren.

Die BF bezog Wochengeld im Zeitraum vom 29.8.2018 bis 1.4.2019.

Ab dem 02.04.2019 liegt nach Auskunft der SVS kein Versicherungsschutz mehr vor.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei. Ausgehend von den Ermittlungsergebnissen sieht das Bundesfinanzgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend geklärt an. Es liegen in sachverhaltsmäßiger Hinsicht keine begründeten Zweifel vor, die durch weitere Ermittlungen zu verfolgen wären, zumal auch die Verfahrensparteien keine solchen begründeten Zweifel darlegten, dass weitere Erhebungen erforderlich und zweckmäßig erscheinen.

 

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

3.1.1. Rechtslage

Gemäß § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Anspruch auf Familienbeihilfe für ein in § 2 Abs 1 FLAG 1967 genanntes Kind hat nach § 2 Abs 2 leg cit die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört.

Gemäß § 2 Abs 8 FLAG 1967 haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben gemäß § 3 Abs 1 FLAG 1967 nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl I Nr 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten. Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 3 Abs 2 leg cit für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Gemäß § 5 Abs 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

Liegt ein Sachverhalt vor, der zwei oder mehr Mitgliedstaaten der Europäischen Union berührt, ist die Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl EU Nr L 166 vom 30. April 2004 in der durch ABl EU Nr L 200 vom 7. Juni 2004 berichtigten Fassung (im Folgenden: VO 883/2004 ) anzuwenden.

Art 2 VO 883/2004 ("Persönlicher Geltungsbereich") lautet:

"(1) Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

 

(2) (…)"

Gem Art 3 Abs 1 lit j VO 883/2004 umfasst der sachliche Geltungsbereich der VO ua alle Rechtsvorschriften, die den Zweig der sozialen Sicherheit "Familienleistungen" betreffen. Der Begriff Familienleistungen wird in Art 1 lit z VO 883/2004 definiert als "alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I."

Da die Beschwerdeführerin slowakische Staatsbürgerin und damit Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist, im Streitzeitraum einen Wohnort in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hatte, und die Familienbeihilfe als Familienleistung iSd Art 3 Abs 1 lit j VO 883/2004 qualifiziert, gilt die VO 883/2004 für sie sowie für ihre Familienangehörigen.

Art 7 VO 883/2004 ("Aufhebung der Wohnortklauseln") lautet:

"Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."

Demzufolge finden die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen des § 2 Abs 1 FLAG 1967, welche für den Familienbeihilfenbezug auf den Wohnort im Bundesgebiet abstellt, des § 2 Abs 8 FLAG 1967, welche auf den wesentlich durch den Wohnort bestimmten Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet abstellt, und des § 5 Abs 3 FLAG 1967, das einen vom Wohnort abhängigen Ausschluss der Familienbeihilfe bei ständigem Aufenthalt des Kindes im Ausland vorsieht, gem Art 7 VO 883/2004 insoweit keine Anwendung.

Art 4 VO 883/2004 ("Gleichbehandlung") lautet:

"Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates."

Demnach finden die durch den Anwendungsvorrang dieser Bestimmung verdrängten Bestimmungen des § 3 Abs 1 und 2 FLAG 1967 mit besonderen Voraussetzungen für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, auf die Beschwerdeführerin und ihre Familienangehörigen keine Anwendung.

Von den unter Kapitel 8 ("Familienleistungen") der VO 883/2004 angeführten Bestimmungen (Art 67 ff leg cit) sind im beschwerdegegenständlichen Fall die Art 67 und 68 leg cit maßgebend.

Art 67 VO 883/2004 ("Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen") lautet:
"Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. (…)"

Art 68 VO 883/2004 ("Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen") lautet:
"(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge:
an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:
i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;
ii) (...);
iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

(3) (...)"

Einer Anwendung der Art 67 und 68 VO 883/2004 vorgeschaltet ist zunächst die Prüfung, welcher Rechtsordnung die betreffende Person nach der Maßgabe der Art 11 ff VO 883/2004 unterliegt.

Art 11 VO 883/2004 lautet:

"(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

b) (…)

c) (…)

d) (…)

e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.

(4) (…)"

Demnach ist im beschwerdegegenständlichen Fall zunächst zu prüfen, ob bzw für welche Zeiträume gem Art 11 Abs 3 lit a VO 883/2004 eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit vorliegt, die zur Anwendbarkeit des österreichischen Rechts führt. Liegt eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit nicht vor, sind gem Art 11 Abs 3 lit e VO 883/2004 - unter der Prämisse, dass die Spezialbestimmungen der lit b bis d nicht zur Anwendung gelangen - die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates (hier: Slowakei) anwendbar.

Gem Art 1 VO 883/2004 "bezeichnet der Ausdruck:

a) ,Beschäftigung' jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;

b) ,selbstständige Erwerbstätigkeit' jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;"

 

3.1.2. Rechtliche Beurteilung

Wohnmitgliedstaat gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der BF, ihres Ehemannes und ihres Kindes ist unbestritten die Slowakei.

Strittig ist im beschwerdegegenständlichen Fall, ob bei der BF im Zeitraum ab Mai 2019 (nach Ende des Wochengeldbezugs anlässlich der Geburt ihrer Tochter) eine der Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation vorlag, die gemäß Art 68 Abs 2 iVm Art 68 Abs 1 lit b sublit i VO 889/2004 im nachrangig zuständigen Staat Österreich zu einem Anspruch auf die Differenzzahlung zwischen der niedrigeren slowakischen und der höheren österreichischen Familienbeihilfe führt.

Die VO 883/2004 definiert den Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit als "jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt" (Art 1 lit b leg cit).

Daneben fingiert Art 11 Abs 2 VO 883/2004 unter den dort genannten Umständen das Vorliegen einer Beschäftigung bzw selbstständigen Erwerbstätigkeit, wenn infolge der Beschäftigung bzw selbständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung bezogen wird. Diese Fiktion bewirkt, dass auch während des kurzfristigen Bezuges von Geldleistungen der sozialen Sicherheit bei vorübergehender Einstellung der Tätigkeit (zB Krankengeld) weiterhin von einer Ausübung der Tätigkeit auszugehen ist.

Während die Bestimmung des Art 11 Abs 2 VO 883/2004 nach der Rsp des OGH einen Kernbereich des unionsrechtlichen Begriffs "Beschäftigung" bzw "selbstständige Erwerbstätigkeit" darstellt und somit der Bezug von Leistungen, die unter diese Bestimmung zu subsumieren sind, unabhängig vom nationalen Recht des jeweiligen Mitgliedstaates als Ausübung einer Beschäftigung bzw selbstständigen Erwerbstätigkeit zu werten ist, ist im Übrigen zur Präzisierung der Begriffsdefinition auf die nationalen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit zurückzugreifen (vgl OGH 24.3.2015, 10 Ob S 117/14z; OGH 10.10.2017, 10 Ob S 51/17y).

Einheitliche europarechtliche Begriffsbestimmungen existieren somit - außerhalb des Anwendungsbereichs des Art 11 Abs 2 VO 883/2004 - in Bezug auf die in Rede stehende, der Ausübung einer Tätigkeit gleichgestellte Situation nicht. Die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: die Verwaltungskommission) hat allerdings mit Beschluss eine weitere Konkretisierung des in Art 68 VO 883/2004 verwendeten Begriffs "Beschäftigung" bzw "selbständige Erwerbstätigkeit" vorgenommen (Beschluss Nr F1 vom 12. Juni 2009 zur Auslegung des Artikels 68 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Prioritätsregeln beim Zusammentreffen von Familienleistungen [2010/C 106/04] , ABl EU Nr C 106 vom 24. April 2010; im Folgenden: Beschluss Nr F1). Dies vor dem Hintergrund, dass nach den Rechtsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten die Zeiten des Ruhens oder der Unterbrechung der tatsächlichen Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit (zB wegen Urlaubs, Arbeitslosigkeit etc) zum Teil unterschiedlich behandelt werden (vgl Erwägungsgrund 2 zum Beschluss Nr F1).

Nach Z 1 des Beschlusses Nr F1 gelten für die Zwecke des Art 68 VO 883/2004 "Ansprüche auf Familienleistungen insbesondere dann als ,durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst', wenn sie erworben wurden
a) aufgrund einer tatsächlichen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit oder auch
b) während Zeiten einer vorübergehenden Unterbrechung einer solchen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit
i) wegen Krankheit, Mutterschaft, Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Arbeitslosigkeit, solange Arbeitsentgelt oder andere Leistungen als Renten in Zusammenhang mit diesen Versicherungsfällen zu zahlen sind, oder
ii) durch bezahlten Urlaub, Streik oder Aussperrung oder
iii) durch unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung, solange dieser Urlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist. "

Zwar bezieht sich der Beschluss Nr F1 auf die Prioritätsregeln des Art 68 VO 883/2004 , da die Prioritätsregeln aber an den anzuwendenden Rechtsvorschriften anknüpfen, ist nach der im Schrifttum vertretenen Ansicht davon auszugehen, dass der Begriff "Beschäftigung" bzw "selbstständige Erwerbstätigkeit" des Art 11 VO 883/2004 jenem des Art 68 VO 883/2004 entsprechend zu interpretieren ist (vgl Felten in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [59. Lfg] Art 68 VO 883/2004 Rn 6 mwH). Vor diesem Hintergrund ist der Beschluss Nr F1 maßgebend für die Begriffsdefinitionen in Art 1 lit a und lit b VO 883/2004 im Allgemeinen - unabhängig davon, ob die Begriffsdefinition im konkreten Fall für die Auslegung des Art 11 VO 883/2004 oder des Art 68 VO 883/2004 von Bedeutung ist.

Für den beschwerdegegenständlichen Fall ist wesentlich, dass der Beschluss Nr F1 "unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung, solange dieser Urlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist", während Zeiten einer vorübergehenden Unterbrechung einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit der tatsächlichen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichsetzt. Offen bleibt damit jedoch, inwieweit ein solcher unbezahlter Urlaub nach den einschlägigen (nationalen) Rechtsvorschriften einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt sein muss.

Diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH besteht bisher nur zur Vorgängerverordnung zur VO 883/2004 . Für den Anwendungsbereich der Vorgängerverordnung (EWG) 1408/71 war die Frage, ob der betroffene Mitgliedstaat für die Gewährung von Familienleistungen weiterhin zuständig bleibt und diese Leistungen als durch eine Beschäftigung ausgelöst gelten, in dem Beschluss der Verwaltungskommission Nr 207 vom 7.4.2006, ABl 2006, L 175/83, näher geregelt. Danach galt unter anderem ein unbezahlter Urlaub zum Zweck der Kindererziehung als "Ausübung der Erwerbstätigkeit", solange dieser Erziehungsurlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt war.

Der EuGH verwies in seiner Entscheidung vom 10.3.2011 in der Rechtssache C-516/09, Borger, auf seine frühere Rechtsprechung (EuGH 7.6.2005, C-543/03, Dodl und Oberhollenzer), wonach eine Person - trotz des Ruhens des Arbeitnehmerstatus wegen eines unbezahlten Urlaubes im Anschluss an die Geburt eines Kindes und für die Erziehung dieses Kindes - dann Arbeitnehmereigenschaft iSd VO (EWG) 1408/71 besitze, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art 1 lit a dieser VO genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom aufrechten Bestehen eines Arbeitsverhältnisses.

Nach der von Rief (Zuständigkeit für Familienleistungen - aktuelle EuGH-Judikatur und die neue Rechtslage, DRdA 2011, 480 [484]) vertretenen Ansicht sei die zur VO (EWG) 1408/71 ergangene EuGH-Rechtsprechung auch auf die VO 883/2004 zu übertragen, da sich die allgemeinen Zuständigkeitsregelungen in Art 13 Abs 2 lit a und f der VO (EWG) 1408/71 inhaltlich kaum von jenen in Art 11 Abs 3 lit a und e der VO 883/2004 unterscheiden würden.

Auch die Verwaltungskommission nimmt in Erwägungsgrund 5 zum Beschluss Nr F1 Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rs C-543/03, Dodl und Oberhollenzer und konstatiert: "Ein solcher unbezahlter Urlaub [gemeint: unbezahlter Urlaub im Anschluss an die Geburt eines Kindes für die Erziehung dieses Kindes] muss daher auch als Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit gemäß Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gelten. In diesem Zusammenhang bekräftigte der Gerichtshof, dass diese Vorschriften nur so lange anwendbar sind, wie die betreffende Person als Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Sinne des Artikels 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gilt; dieser Begriffsbestimmung gemäß muss die betreffende Person in zumindest einem Zweig der sozialen Sicherheit versichert sein. Personen in unbezahltem Urlaub, die von keinem System der sozialen Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats mehr erfasst werden, sind dadurch ausgeschlossen."

 

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass zumindest eine Teilversicherung während Zeiten einer Karenz nach dem MSchG oder VKG erforderlich ist, damit iSd Art Art 1 lit b VO 883/2004 eine einer Beschäftigung gleichgestellte Situation vorliegt, die iVm Art 11 leg cit zu einer Anwendung der österreichischen Rechtsvorschriften führt (vgl auch OGH 24.3.2015, 10 Ob S 117/14z).

Nichts anderes kann in einem Fall gelten, in dem ein Gewerbe anlässlich der Geburt eines Kindes nicht mehr aktiv ausgeübt wird, sofern keine Abmeldung des Gewerbes erfolgt (vgl in diesem Zusammenhang auch ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 16 zum Kinderbetreuungsgeld, wonach Zeiten der einer Karenz nach MSchG und VKG vergleichbaren Situation der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt sind, "etwa die einer Selbständigen oder Gewerbetreibenden, die ihr Gewerbe anlässlich der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung ruhend meldet [nicht jedoch abmeldet] ").

Im gegenständlichen Fall unterlag die Beschwerdeführerin bis April 2019 den Rechtsvorschriften Österreichs und erhielt eine Differenzzahlung, da betreffend den Bezug von Wochengeld in Art 11 Abs 2 VO 883/2004 das Vorliegen einer selbstständigen Erwerbstätigkeit aufgrund des Beziehens einer Geldleistung fingiert wird (vgl auch Beschluss Nr F1 Z 1 lit b sublit i).

Es ist nun unter folgenden Prämissen zu prüfen, ob auch ab Mai 2019 eine der Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation vorlag:
Ab 11.7.2018 wurde die Personenbetreuung von der BF nicht mehr aktiv ausgeübt.
Von 11.7.2018 bis 25.7.2018 war die BF zwei Wochen zu Hause (üblicher Heimurlaub). Von 10.8.2018 bis 7.1.2019 befand sich die BF im Krankenstand.
Von 29.8.2018 bis 1.4.2019 bezog sie Wochengeld.
Aufgrund der Mitteilung der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen steht fest, dass die BF nach dem 31.01.2019 von der Pflichtversicherung in der GSVG-Pensions- und Krankenversicherung ausgenommen war.
Bis 01.04.2019 bestand noch ein Leistungsanspruch in der Krankenversicherung aufgrund des Wochengeldbezuges.
Ab Mai 2019 war die BF also von keinem Zweig des österreichischen Systems der sozialen Sicherheit im Sinne der bereits zitierten Rechtsprechung des EuGH mehr erfasst.

Da ab Mai 2019 keine Teilversicherung nachgewiesen wurde, liegt keine einer selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation iSd Art Art 1 lit b VO 883/2004 vor, die iVm Art 11 leg cit zu einer Anwendung der österreichischen Rechtsvorschriften führen würde.

Kann nicht an eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit angeknüpft werden, so ist gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. e VO 883/2004 der Wohnsitzmitgliedstaat zuständig.

Die BF unterliegt somit im Zeitraum ab Mai 2019 den slowakischen Rechtsvorschriften, sodass ausschließlich die Slowakische Republik für die Gewährung von Familienleistungen zuständig ist.
Aus den dargestellten Erwägungen war die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.

 

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt nicht vor zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Nichtausübung eines angemeldeten (ruhenden) Gewerbes in den ersten 48 Monaten nach der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung als eine der selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation im Sinne des Art. 11 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit Art. 1 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 anzusehen ist. Deshalb war gemäß § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Innsbruck, am 15. Jänner 2021

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, FLAG

betroffene Normen:

§ 3 GSVG, Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 560/1978
§ 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 5 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 2 VO 883/2004 , ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1
Art. 4 VO 883/2004 , ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1
Art. 67 VO 883/2004 , ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1
Art. 68 VO 883/2004 , ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1
Art. 11 VO 883/2004 , ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1
Art. 1 VO 883/2004 , ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1
Art. 3 VO 883/2004 , ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1

Verweise:

OGH 24.03.2015, 10 Ob S 117/14z
OGH 10.10.2017, 10 Ob S 51/17y
EuGH 07.06.2005, C-543/03
BFG 17.06.2019, RV/5101466/2018

Stichworte