BFG RV/5100324/2017

BFGRV/5100324/201730.5.2017

Sind nur die das Pflegegeld übersteigenden Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig?

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2017:RV.5100324.2017

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. R in der Beschwerdesache Verlassenschaft nach Ing. AB, St.Nr. 000/0000, Adresse, über die Beschwerde vom 14.7.2016 gegen den Einkommensteuerbescheid 2014 der belangten Behörde Finanzamt FA vom 6.7.2016 zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses:

Einkommensteuer 2014

 

 

Einkünfte aus Gewerbebetrieb

 

-4.453,70 €

Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit

 

 

Bezugsauszahlende Stelle

Steuerpflichtige Bezüge (245)

 

Pensionsversicherungsanstalt

25.467,12 €

 

A

946,46 €

 

 

 

26.413,58 €

Einkünfte aus V + V

 

2.268,50 €

 

Gesamtbetrag der Einkünfte

24.228,38 €

Sonderausgaben (§ 18 EStG 1988)

 

Viertel der Aufwendungen für Personenversicherungen, Wohnraumschaffung und –sanierung (Topf-Sonderausgaben)

-140,82 €

Zuwendungen gem. § 18 Abs. 1 Z 7 EStG 1988

-55,00 €

Kirchenbeitrag

-169,59 €

Außergewöhnliche Belastungen

 

Unregelmäßige Ausgaben für Hilfsmittel sowie Kosten der Heilbehandlung Antragsteller

-1.582,89 €

Unregelmäßige Ausgaben für Hilfsmittel sowie Kosten der Heilbehandlung (Ehe)Partner

-1.582,89 €

Tatsächliche Kosten aus der Behinderung des (Ehe)Partners

-6.277,17 €

Einkommen

14.420,02 €

Die Einkommensteuer gem. § 33 Abs.1 EStG 1988 beträgt:

 

(14.420,02 – 11.000,00) x 5.110,00 / 14.000,00

1.248,31 €

Steuer vor Abzug der Absetzbeträge

1.248,31 €

Pensionistenabsetzbetrag

0,00 €

Steuer nach Abzug der Absetzbeträge

1.248,31 €

Die Steuer für die sonstigen Bezüge beträgt:

 

0 % für die ersten 620,00

0,00 €

6 % für die restlichen 3.624,52

217,47 €

Einkommensteuer

1.465,78 €

Anrechenbare Lohnsteuer (260)

-5.503,36 €

Rundung gemäß § 39 Abs. 3 EStG 1988

0,42 €

Festgesetzte Einkommensteuer

-4.038,00 €

Berechnung der Abgabennachforderung/Abgabengutschrift

 

Festgesetzte Einkommensteuer

-4.038,00 €

Bisher festgesetzte Einkommensteuer (Abgabengutschrift)

-3460,00 €

Abgabengutschrift

-578,00 €

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf) beantragte in seiner Einkommensteuererklärung 2014 neben anderen, nicht in Streit stehenden Ausgaben tatsächliche Kosten auf Grund seiner Behinderung in Höhe von 1.619,71 € sowie Kosten auf Grund seiner Behinderung seiner Ehegattin in Höhe von 7.896,89 €. Beide Ehegatten bezogen Pflegegeld.

Das Finanzamt ersuchte den Bf, die beantragten tatsächlichen Kosten in Form einer detaillierten Aufstellung mit Angabe des gesundheitlichen Grundes für die Erwerbsminderung sowie unter Vorlage der gesamten Belege nachzuweisen. Eventuelle Vergütungen durch die Krankenkasse bzw. durch eine private Versicherung seien anzuführen. Bei stationären Aufenthalten (zB Krankenhaus oder Kur) sei von den beantragten Aufwendungen eine Haushaltsersparnis von 5,23 € pro Tag in Abzug zu bringen.

Die steuerliche Vertretung des Bf verwies in einer Eingabe vom 17.6.2016 darauf, dass die Kosten aus einer Krebserkrankung beider Ehegatten resultierten; die Gattin des Bf sei im Frühjahr 2016 an der Krankheit verstorben.

Das Finanzamt hielt in einem Vermerk fest, dass von den vorgelegten Belegen ein Ohrenspray (10,89 €) und eine Lesebrille (19,90 €) mit Selbstbehalt und Bodylotions (19,95 € + 20,90 €) sowie Traubenzucker (2,00 €) nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien. Die Gattin habe im Veranlagungsjahr Pflegegeld der Stufe 4 und anschließend der Stufe 5 bezogen; aus der Belegsammlung ergäben sich keine weiteren Auffälligkeiten.

Da die Krankheitskosten beim Bf durch das erhaltene Pflegegeld gedeckt seien, wirkten sich diese steuerlich nicht aus.

Die mit Selbstbehalt anzuerkennenden Kosten (30,79 €) und die nicht als außergewöhnliche Belastung anzuerkennenden Kosten (45,85 €) teilte das Finanzamt zur Hälfte auf den Bf und seine Gattin auf, weshalb die beantragten Kosten für die Ehegattin von 7.896,89 € auf 7.860,06 € vermindert wurden.  

Im Einkommensteuerbescheid 2014 vom 6.7.2016  anerkannte die Abgabenbehörde auf Grund der Behinderung der Ehegattin des Bf tatsächliche Kosten in Höhe von 7.860,06 €. Die den Bf betreffenden Kosten von 1.619,71 € blieben unberücksichtigt.

Laut Bescheidbegründung übersteige das dem Bf gewährte Pflegegeld die tatsächlichen Kosten, sodass diese nicht abgezogen werden könnten. Der Ohrenspray und die Lesebrille stünden nicht in direktem Zusammenhang mit der Pflegebedürftigkeit und würden deshalb unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes anerkannt. Bodylotions und Traubenzucker stellten keine außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 34 EStG 1988 dar.

In der gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten Beschwerde wandte der Bf durch seine steuerliche Vertretung im Wesentlichen ein, dass sich die Abgabenbehörde in ihrer Bescheidbegründung offensichtlich auf Rz 851 der LStR 2002 stütze. Dem sei zu entgegnen, dass das Pflegegeld nicht für den Sachaufwand bewilligt werde, sondern nur für die Pflege. Das Pflegegeld diene der Pflege durch Menschen und könne daher nur mit persönlichem Aufwand, etwa für eine Krankenschwester, verrechnet werden, niemals mit Sachaufwendungen (vgl. § 1 BPGG). Auf den Fachbeitrag von Dr. Doralt in RdW, Heft 7, 2014/473, 427, werde verwiesen.

Detto werde auf die Rechtsansicht der Volksanwaltschaft verwiesen: Diese teile die Ansicht, dass die Gegenverrechnung nicht gewünscht sein könne und sich auch nicht aus dem Gesetz ergebe. Beim Pflegegeld komme es ausschließlich auf das Ausmaß des zeitlichen Pflegebedarfs einer Person an. Dieser ergebe sich aus dem Stundenaufwand nach der Einstufungsverordnung. Eine Gegenverrechnung mit Sachaufwand sei nicht vorgesehen.

Im Weiteren wurde auch auf die Stellungnahme der Kammer der Wirtschaftstreuhänder vom 30.10.2014 an das BMF verwiesen (Stellungnahme zum Entwurf des 2. Lohnsteuerrichtlinien Wartungserlasses 2014).

Der Bf beantrage daher, die Kosten in Höhe von 1.619,71 € als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Im Fall der Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht werde ein Antrag auf Entscheidung durch den gesamten Senat sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.

In der Beschwerdevorentscheidung vom 7.9.2016 wurde zur Nichtanerkennung dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung begründend ausgeführt, dass Mehraufwendungen eines Steuerpflichtigen für eine eigene körperliche oder geistige Behinderung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien.

Die Verordnung BGBl. 303/1996 regle, ob Kosten für bestimmte Aufwendungen und Hilfsmittel um das Pflegegeld zu kürzen seien oder nicht. Gemäß § 1 Abs. 2 iVm § 4 dieser Verordnung seien Aufwendungen, die regelmäßig durch die Pflegebedürftigkeit verursacht seien, um pflegebedingte Geldleistungen zu kürzen.

Im Vorlageantrag verwies der Bf durch seine steuerliche Vertretung auf seine Beschwerde. Ein neues Sachvorbringen wurde nicht erstattet.

Mit Eingabe vom 22.5.2017 wurden die Anträge  auf Entscheidung durch den gesamten Senat sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen.

Rechtslage

Nach § 34 Abs. 1 EStG 1988 kann jeder unbeschränkt Steuerpflichtige beantragen, dass bei Ermittlung des Einkommens nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden. Die Belastung muss sowohl außergewöhnlich sein (Abs. 2) als auch zwangsläufig erwachsen (Abs. 3) und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).

Außergewöhnliche Belastungen können daher im Allgemeinen nur nach Abzug eines nach den Einkommens- und Familienverhältnissen berechneten Selbstbehaltes steuerlich berücksichtigt werden.

Nach § 34 Abs. 6 Teilstrich 5 und 6 EStG 1988 können nachstehende Aufwendungen ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:

-) Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5);

-) Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.

Nach Abs. 6 letzter Satz kann der Bundesminister für Finanzen mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.

Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen

und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe)Partner eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu (§ 35 Abs. 1 EStG 1988).

Die Höhe des Freibetrages gemäß § 35 Abs. 3 EStG bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Nach § 35 Abs. 5 EStG 1988 können an Stelle des Freibetrages auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6).

Nach § 35 Abs. 7 EStG 1988 kann der Bundesminister für Finanzen nach den Erfahrungen der Praxis im Verordnungsweg Durchschnittssätze für die Kosten bestimmter Krankheiten sowie körperlicher und geistiger Gebrechen festsetzen, die zu Behinderungen im Sinne des Abs. 3 führen.

Auf Grund der §§ 34 und 35 EStG 1988 erließ der Bundesminister für Finanzen die Verordnung über außergewöhnliche Belastungen, BGBl 303/1996 idF BGBl II 430/2010 (in der Folge kurz: VO).

Diese lautet auszugsweise:

§ 1 Abs. 1: Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen
- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
(…)
- ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-) Partners ( § 106 Abs. 3 EStG 1988), wenn dieser Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 von höchstens 6.000,00 € jährlich erzielt,
so sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

Nach Abs. 2 liegt eine Behinderung vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25 % beträgt.

Nach Abs. 3 sind die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 dieser Verordnung nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.

Nach § 4 sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Nicht regelmäßig anfallende Hilfsmittel und Kosten der Heilbehandlung stehen daher im nachgewiesenen Ausmaß neben einer pflegebedingten Geldleistung zu; ein Selbstbehalt ist nicht zu berücksichtigen, sofern diese Kosten mit der Behinderung in Zusammenhang stehen.

Hat ein Abgabepflichtiger Aufwendungen durch eine körperliche oder geistige Behinderung, für die ein Grad der Behinderung von mindestens 25 % festgestellt wurde, sind derartige Kosten ohne Kürzung des Pflegegeldes zu berücksichtigen.

Bei Zuerkennung von Pflegegeld ist nach der Verwaltungspraxis, sofern ein Behindertenpass (noch) nicht ausgestellt wurde, von einem mindestens 25%igen Grad der Behinderung auszugehen, sodass in diesen Fällen ein Nachweis nicht erforderlich ist [vgl. Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke, EStG § 35 Anm. 41 (Stand: 1.9.2013, rdb.at), mit Verweis auf die LStR 2002 Rz 839g].

Hilfsmittel im Sinne des § 4 der VO sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Gegenstände oder Vorrichtungen, die geeignet sind, die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen oder die mit einer Behinderung verbundenen Beeinträchtigungen zu beseitigen bzw. zu mildern.

Kosten der Heilbehandlung sind Kosten für den Arzt, das Spital, ärztlich verordnete Kuren, Therapien oder Medikamente, sofern sie mit der Behinderung in Zusammenhang stehen (VwGH 18.5.1995, 93/15/0079; VwGH 3.8.04, 99/13/0169).

Können krankheitsbedingte Aufwendungen, die zu einem Grad der Behinderung von mindestens 25 % geführt haben, unter den Begriff der „nicht regelmäßig anfallenden Hilfsmittel“ oder „Heilbehandlung“ subsumiert werden, hat eine Gegenverrechnung mit dem Pflegegeld zu unterbleiben.

Im oa Erkenntnis vom 3.8.2004 führte der VwGH zur Gesetzesbestimmung des § 34 Abs. 6 Teilstrich 5 EStG 1988 (Anmerkung der Richterin: entspricht nunmehr Teilstrich 6) aus:

„Die in dieser Vorschrift getroffene Anordnung, dass Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung eines Steuerpflichtigen, der pflegebedingte Geldleistungen erhält, nur zu berücksichtigen sind, soweit sie die Summe dieser pflegebedingten Geldleistungen übersteigen, wird durch den letzten Satz des § 34 Abs. 6 EStG 1988 inhaltlich verändert, indem der Bundesminister für Finanzen auch zur Festlegung von solchen Fällen ermächtigt wird, in denen Aufwendungen "ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung" zu berücksichtigen sind.“

Und weiter:

„Hat das Pflegegeld nicht die gesetzliche Funktion der Leistung eines Beitrages auch zu den dem Behinderten erwachsenden Kosten einer Heilbehandlung seiner die Behinderung verursachenden Erkrankung, dann begründet der Bezug von Pflegegeld einerseits als Beitrag zu den (bloß) pflegebedingten Mehraufwendungen und die Möglichkeit einer Berücksichtigung der Kosten der Heilbehandlung der die Behinderung verursachenden Erkrankung als außergewöhnliche Belastung andererseits nicht eine solche "Überförderung", wie sie der Gesetzgeber mit den durch das Strukturanpassungsgesetz BGBl. Nr. 201/1996 getroffenen Regelungen verhindern wollte.“

Unter Hinweis auf den Verfassungsgerichtshof (Erkenntnis vom 13.3.2003, B 785/02), der dem Ausdruck „nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel“ ein ausdehnendes Verständnis beimaß, hielt es der Verwaltungsgerichtshof in obigem Erkenntnis für geboten, gleichartige Überlegungen für die vom dortigen Beschwerdeführer geltend gemachten Heilbehandlungskosten (Medikamente, ärztliche Behandlungen und Therapien) anzustellen (vgl. auch VwGH 28.6.2006, 2002/13/0134).

Stehen jedoch Kosten der Heilbehandlung bzw. Krankheitskosten mit der die Behinderung auslösenden Krankheit in keinem Zusammenhang, so sind diese Kosten nur mit Berücksichtigung eines Selbstbehaltes als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 20.5.2010, 2007/15/0309) ist nicht zu erkennen, dass es dem einfachen Gesetzgeber für die - an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anknüpfende - Einkommensbesteuerung bereits von Verfassung wegen untersagt wäre, beim Abzug behinderungsbedingter zwangsläufiger Mehraufwendungen eine Gegenverrechnung mit dem bezogenen Pflegegeld auch insoweit vorzunehmen, als Mehraufwendungen nicht unmittelbar mit der Pflege in Zusammenhang stehen und somit nicht solche sind, auf welche der ebenfalls vom einfachen Gesetzgeber für das bezogene Pflegegeld vorgesehene Zweck ausdrücklich abstellt.

Der VwGH verweist in diesem Erkenntnis auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 13.3.2003, B 785/02), wonach auch Aufwendungen, bei denen „die Anrechnung von Pflegegeld besonders widersinnig und daher unsachlich wäre“, erst durch die Anwendung der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen von der Gegenverrechnung mit dem Pflegegeld ausgenommen würden.

Der OGH (zB OGH 29.10.1998, 6 Ob 145/98m; OGH 5.6.2012, 10 Ob 17/12s) sprach bereits mehrfach aus, dass das Pflegegeld pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abgelten und dem Pflegebedürftigen die notwendige Betreuung und Hilfe sichern sowie dessen Möglichkeit, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen, verbessern soll.

Nach den Gesetzesmaterialien (RV 776 BlgNR 18. GP 25) soll das Pflegegeld dazu dienen, Pflegeleistungen "einkaufen" zu können. Für pflegebedürftige Menschen werde dadurch die Wahlmöglichkeit zwischen Betreuung und Hilfe in häuslicher Pflege durch den Einkauf von persönlicher Assistenz und der stationären Pflege erweitert. Das Pflegegeld solle es den Betroffenen ermöglichen, sich die erforderlichen Pflegemaßnahmen selbst zu organisieren. Es könne damit nur als Beitrag zu den pflegebedingten Mehraufwendungen verstanden werden. Die Zuordnung zu den einzelnen Pflegegeldstufen erfolge nach der Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz (BPGG) und orientiere sich am Zeitaufwand für bestimmte angeführte Pflegeleistungen (§ 1 der Einstufungsverordnung). Das Pflegegeld diene der Sicherung der Betreuung und Hilfe und solle jene Mehrbelastungen zumindest teilweise abgelten, die durch die Inanspruchnahme von notwendigen Betreuungs- und Hilfsverrichtungen durch dritte Personen erwachsen. Aufwendungen des unterhaltsberechtigten Pflegegeldbeziehers für Therapie, Kleidung und Wäsche seien als krankheitsbedingter, durch das Pflegegeld nicht gedeckter Sachaufwand zu behandeln; insoweit liege eine Doppelversorgung des Pflegegeldbeziehers nicht vor.

Nach der Judikatur des VwGH erweist sich die Rechtsansicht, das Pflegegeld stehe für die Bestreitung der Kosten von Medikamenten zur Verfügung, als unzutreffend (VwGH 26.2.2002, 2000/11/0347).

Erwägungen

Der Bf, der laut einem Vermerk in der Finanzamtsdatenbank am 11.2.2017 verstorben ist, bezog seit Juli 2013 Pflegegeld der Stufe 1; ab Oktober 2014 wurde ihm Pflegegeld der Stufe 3 zuerkannt. Auch die Ehegattin des Bf, die im Beschwerdejahr keine weiteren Einkünfte hatte, erhielt im Jahr 2014 Pflegegeld.

Die neben dem Pflegegeldbezug geltend gemachten tatsächlichen Kosten für den Bf in Höhe von 1.619,71 € und für seine Gattin in Höhe von 7.896,89 € errechneten sich laut einer Beilage für den Bf aus der Hälfte der Apothekenkosten und der Hälfte der Kosten für ein Orthopädie Sanitätshaus. Da die Kosten für die Pflege des Bf durch das Pflegegeld gedeckt waren, wurden keine weiteren diesbezüglichen Kosten beantragt.

Für seine Gattin reichte dagegen das zuerkannte Pflegegeld (8.685,60 €) nicht aus, um die Kosten für die erforderliche 24-Stunden-Betreuung (14.962,77 €) abzudecken, weshalb der Überhang von 6.277,17 € - neben der Hälfte der Apothekenkosten und der Hälfte der Kosten für das Orthopädie Sanitätshaus - als tatsächliche Kosten (in Summe 7.896,88 €) in die Einkommensteuerklärung aufgenommen wurde.

Während das Finanzamt die Kosten für die Ehegattin – mit Ausnahme der oben begründeten geringfügigen Abweichung – als außergewöhnliche Belastungen ohne Ansatz eines Selbstbehaltes anerkannte, versagte es den den Bf betreffenden Kosten die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung mit der Begründung, dass die Krankheitskosten durch das erhaltene Pflegegeld gedeckt seien.

Zu dem zwischen dem Finanzamt und dem Bf bestehenden Rechtsstreit darüber, welche Aufwendungen um das Pflegegeld zu kürzen sind, ist darauf zu verweisen, dass sowohl der OGH als auch der VwGH mehrfach ausgesprochen haben, dass das Pflegegeld ein zweckgebundener Beitrag zur pauschalen Abgeltung pflegebedingter Mehraufwendungen einer pflegebedürftigen Person ist.

Nicht mit dem Pflegegeld abgegolten sind zB eine notwendige Diätverpflegung (VwGH 23.2.2000, 97/09/0042), die Anschaffung notwendiger Medikamente (VwGH 26.2.2002, 2000/11/0347) oder ein aus der Behinderung entstandener krankheitsbedingter Sachaufwand (OGH 29.10.1998, 6 Ob 145/98m; OGH 5.6.2012, 10 Ob 17/12s – demnach dient das Pflegegeld dem „Einkauf“ von gegenüber einem nicht Behinderten erhöhten Pflege- und Betreuungsleistungen).

Dem Bf ist daher insoweit beizupflichten, als das Pflegegeld der Beschaffung von Pflege, nicht jedoch von Sachaufwand dient.

Der VwGH führte jedoch im Erkenntnis vom 20.5.2010, 2007/15/0309, wie oben bereits erläutert, aus, dass nicht erkennbar sei, dass es dem einfachen Gesetzgeber für die - an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anknüpfende - Einkommensbesteuerung bereits von Verfassung wegen untersagt wäre, beim Abzug behinderungsbedingter zwangsläufiger Mehraufwendungen eine Gegenverrechnung mit dem bezogenen Pflegegeld auch insoweit vorzunehmen, als Mehraufwendungen nicht unmittelbar mit der Pflege in Zusammenhang stehen und somit nicht solche sind, auf welche der ebenfalls vom einfachen Gesetzgeber für das bezogene Pflegegeld vorgesehene Zweck ausdrücklich abstellt.

Das bedeutet, dass nicht bereits durch den im BPGG festgelegten Zweck des Pflegegeldes der Einkommensteuergesetzgeber, wie der Bf offenbar meint, automatisch dazu verhalten wäre, ebenfalls ausschließlich unmittelbar mit der Pflege zusammenhängende Aufwendungen zur Gegenverrechnung mit dem Pflegegeld zuzulassen.  Vielmehr wurden erst durch die oa Verordnung bestimmte Aufwendungen (nämlich infolge § 1 Abs. 3 die in den §§ 2 bis 4 genannten Aufwendungen) von der Gegenverrechnung mit dem Pflegegeld ausgenommen.

Somit wurden erst durch §§ 1 Abs. 3 iVm 4 der VO bestimmte Mehraufwendungen definiert, die nicht um pflegebedingte Geldleistungen zu kürzen sind, sondern neben dem Pflegegeld und ohne Abzug des Selbstbehaltes als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden können, sofern sie im Zusammenhang mit einer Behinderung von mindestens 25 % stehen.

Aus den vorgelegten Akten war nicht ersichtlich, dass für den Bf oder seine Gattin ein Grad der Behinderung festgestellt worden wäre. Der Bezug von Pflegegeld war aber, wie oa, einem Grad der Behinderung von mindestens 25 % gleichzusetzen.

Nach Belegvorlage anerkannte das Finanzamt die geltend gemachten Kosten für Medikamente und das Orthopädie Sanitätshaus dem Grunde nach als durch die Krebserkrankungen der Ehegatten verursacht und daher ohne Abzug eines Selbstbehaltes.

Eine telefonische Rücksprache der Richterin mit der ehemaligen steuerlichen Vertretung des Bf bestätigte, dass die Belege der Apotheke Medikamente sowie Ergänzungsnahrung bei Gewichtsverlust für Krebskranke, die Kosten für das Sanitätshaus den Selbstbehalt für Windeln und für Harnflaschenhalter betrafen.

Auf Grund der konkreten Ermittlungen und der Belegprüfung durch das Finanzamt ergab sich für das Bundesfinanzgericht keine Veranlassung, von dieser Beurteilung abzugehen. Es war daher - ohne abermalige Belegeinsicht - davon auszugehen, dass die Medikamente der Behandlung ihrer Erkrankungen dienten.

Im Hinblick auf die Krebserkrankung beider Ehegatten bestanden gegen die Aufteilung der Kosten für Medikamente und das Orthopädie Sanitätshaus zur Hälfte auf den Bf und seine Gattin keine Bedenken.

Diese Kosten waren daher als Kosten der Heilbehandlung anzusehen und nach §§ 1 Abs. 3 iVm 4 der VO ohne Kürzung um das Pflegegeld als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig (zum geforderten weiten Begriffsverständnis der Kosten der Heilbehandlung vgl. das oa. Erkenntnis des VwGH vom 28.6.2006, 2002/13/0134).

Die laut Beschwerde beantragten Kosten von 1.619,71 € waren jedoch, analog zur bereits im angefochtenen Bescheid vorgenommenen Kürzung der Aufwendungen für die Ehegattin, ebenfalls um 36,82 € zu reduzieren und mit einem Betrag von 1.582,89 € anzuerkennen, weshalb der Beschwerde teilweise stattzugeben war.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gegenständlich war zu beurteilen, ob Kosten für Medikamente und Aufbaunahrung sowie Selbstbehalte für Windeln und Harnflaschenhalter als Kosten der Heilbehandlung zu qualifizieren waren. Die Subsumierung dieser Aufwendungen unter den Begriff der Heilbehandlungskosten war eine Frage der Beweiswürdigung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war daher nicht zu lösen, sodass eine ordentliche Revision nicht zulässig ist.

 

 

Linz, am 30. Mai 2017

 

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