Wettbewerbsbehörden schreiten ein
Von Interesse ist hier auch eine aktuelle Mitteilung der englischen Wettbewerbsbehörde (Competition and Markets Authority – CMA), dass sie Änderungen von Verkaufs- und Handelspraktiken im Hinblick auf das Coronavirus beobachte und möglicherweise einschreiten werde. Ebenso hat kürzlich der französische Staatspräsident Emmanuel Macron angekündigt, dass Maßnahmen hinsichtlich der Preisstabilität von Desinfektionsmitteln gesetzt werden. Auch hier soll die französische Wettbewerbsbehörde tätig werden.
Laut Auskunft der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) beobachtet diese ebenfalls die Marktentwicklungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Beschwerden über das Verhalten von Marktteilnehmern können (offiziell oder per Whistleblowing) an sie gerichtet werden. Bisher sind allerdings noch keine derartigen Beanstandungen bekannt.
In diesem Zeichen steht auch eine aktuelle Bekanntmachung der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Diese hat in Abstimmung mit den anderen EU-Wettbewerbsbehörden eine Erklärung in Reaktion auf die derzeit dringlichsten Fragen betreffend flächendeckende Versorgung in Österreich abgegeben. Die BWB hat dabei zwei wesentliche Themen im Fokus:
Notwendige Kooperationen zur Vermeidung von Lieferengpässen und einer drohenden Produktverknappung
Einerseits hält die BWB fest, dass Kooperationen zwischen Wettbewerbern zur Vermeidung von Lieferengpässen und einer drohenden Produktverknappung in der derzeitigen Situation notwendig sein können.Natürlich stehen diese - wie immer bei Ausnahmen vom Kartellverbot - unter der Voraussetzung, dass die Maßnahmen unter einer angemessenen Beteiligung der Verbraucher und Verbraucherinnen stattfinden und zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung beitragen.
Diese Bekanntmachung der BWB erfolgt vor dem Hintergrund, dass Liefer- und Versorgungsengpässe in Österreich tunlichst vermieden werden sollen. Eine besondere Problematik in diesem Zusammenhang ist, dass Lieferketten durch die Folgen des Coronavirus ausfallen können. Die Konsequenz wäre, dass der österreichischen Industrie wichtige Vorprodukte aus den relevanten Produktionsländern wie China nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen würden. Hinzu kommt ein verändertes Abnahmeverhalten der Kunden und neue logistische Anforderungen für die Warenverteilung. Insgesamt kann es somit nicht nur zu Produktionsengpässen kommen, sondern es entstehen mitunter erhebliche Herausforderungen in der Lagerplanung (der sogenannte Bullwhip- oder Peitscheneffekt) und im Vertrieb.
Für die Wettbewerbsbehörden stellte sich somit die Frage, ob die üblichen kartellrechtlichen Beschränkungen der Kooperation zwischen Wettbewerbern unter diesen Umständen vollinhaltlich aufrecht bleiben sollen. Das Kartellrecht kennt grundsätzlich keine spezifischen Ausnahmetatbestände für Epidemien. Daher sind auch in Zeiten wirtschaftlicher Notlagen, Absprachen bzw. Koordinierungen zwischen Wettbewerbern aber unter Umständen auch zwischen Unternehmen unterschiedlicher Wirtschaftsstufen (letzteres beispielsweise, wenn es um Wiederverkaufspreise geht) in der Regel kartellrechtlich problematisch und vorab genauestens zu prüfen.
Allerdings gibt es im Kartellrecht eine wesentliche Ausnahme von dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen. Diese greift, wenn eine Vereinbarung (i) zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt und (ii) sie den Verbrauchern eine angemessene Beteiligung am Gewinn ermöglicht, ohne dass dabei (iii) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Erreichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder (iv) Möglichkeiten eröffnet werden, den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren auszuschalten. Auf diese Ausnahme bezieht sich die BWB in ihrer Bekanntmachung, wobei sie davon ausgeht, dass bei temporären Kooperationen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit diese Voraussetzungen erfüllt wären. Das betreffe insbesondere Maßnahmen bis zum 13.4.2020.
Die BWB zählt die jeweiligen in Betracht kommenden Kooperationsmaßnahmen nicht explizit auf, so dass es auch hier in der Eigenverantwortung der betreffenden Unternehmen liegen wird, festzustellen, ob das konkrete Verhalten unter die Ausnahme fällt oder nicht.
Unseres Erachtens nach kann allerdings eben die wirtschaftliche Sondersituation, die durch die Coronavirus-Epidemie ausgelöst wurde, auch eine Ausnahme von kartellrechtlichen Verboten rechtfertigen. So kann es durchaus sein, dass – wenn unverschuldete Lieferengpässe bei Rohstoffen oder anderen Vorprodukten entstehen – eine kurzfristige Querlieferung solcher auch durch ein Konkurrenzunternehmen gerechtfertigt ist (sogenannte „Kollegenlieferungen“). Darüber hinaus könnten Einkaufsgemeinschaften oder andere Unterstützungsmaßnahmen gegenseitiger Art zwischen Wettbewerbern zulässig sein, um Unterbrechungen der Lieferketten von Vorprodukten zu überbrücken. Weiters wären Kooperationen in Forschung und Entwicklung als Reaktion auf die Pandemie sowie der damit einhergehende Austausch von technischem Know-How (wie von der US-amerikanischen Wettbewerbsbehörde erklärt) denkbar.
In all diesen Fällen wird jedoch immer zwischen dem wettbewerbsbeschränkenden Effekt der betreffenden Maßnahme und ihrer Notwendigkeit zur Erhaltung des Geschäftsbetriebes abzuwägen sein. Auch hier gilt nach wie vor, dass Wettbewerbsbeschränkungen nach Möglichkeit zu minimieren sind, sowie, dass entsprechende Vorteile aus der Kooperation an die nächste Handelsstufe oder an Konsumenten weitergegeben werden müssen. Jeder einzelne Fall sollte in diesem Hinblick bzgl. der betreffenden Ausnahmekriterien entsprechend vorab kartellrechtlich geprüft werden. Die BWB hat hier auch angeboten, für Anfragen von Unternehmen zur Verfügung zu stehen.
Verhaltenskontrolle bei Marktmacht
Als zweiten Aspekt stellt die BWB klar, dass eine weitere Priorität der diskriminierungsfreie Erhalt von Produkten zum Schutz der Gesundheit ist. Aus diesem Grund werden Unternehmen, die die derzeitige Situation durch kartellrechtswidrige Praktiken wie überhöhte Preise, künstliche Angebotsverknappung, Kartellabsprachen usw. ausnützen, mit Maßnahmen der Behörde rechnen müssen.
Aus kartellrechtlicher Sicht gilt in Österreich zunächst das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung , beispielsweise durch das Fordern ungebührlich hoher Preise. Es handelt sich daher nicht per se um eine Preiskontrolle oder Preisregulierung, sondern vielmehr um eine Verhaltenskontrolle, wenn dies aufgrund der Marktmacht eines Unternehmens geboten erscheint.
Allerdings haben die meisten Unternehmen, die derzeit Produkte zur Minimierung der Ansteckungsgefahr verkaufen, wohl jeweils für sich keine entsprechende Marktmacht. Eine solche könnte jedoch entstehen, wenn es zu einem Versorgungsengpass kommt und nur mehr wenige Unternehmen ein spezifisches Produkt anbieten. Denn in einem oligopolistischen Markt kann nach dem österreichischen Kartellgesetz Marktbeherrschung bereits ab einem Marktanteil eines Unternehmens von über 5% angenommen werden. Ansonsten gilt eine Vermutung der Marktbeherrschung ab 30% Marktanteil. Eine exzessive Preiserhöhung könnte dann als Marktmachtmissbrauch zu werten sein.
Absicherung der Nahversorgung
Zu beachten ist in diesem Kontext auch das Nahversorgungsgesetz. Nach diesem können Verhaltensweisen im geschäftlichen Verkehr, die den leistungsgerechten Wettbewerb gefährden, etwa indem überhöhte Gegenleistungen verlangt werden oder zwischen Abnehmern diskriminiert wird, verboten sein. Zudem können Lieferpflichten (beispielsweise auf Antrag der BWB) angeordnet werden, wenn ansonsten Verbraucher die für die Befriedigung der Bedürfnisse des täglichen Lebens erforderlichen Waren nicht beziehen können.
Anwendung auch bei Rohstoffen/Vorprodukten
Die Relevanz dieses Themas besteht aber nicht nur für Preiserhöhungen bei Produkten, die zur Vermeidung der Ansteckung dienen oder andere Waren des täglichen Bedarfs, sondern kann auch für die Industrie oder den Handel in anderer Weise relevant sein. Das wäre unter Umständen der Fall, wenn Lieferketten (beispielsweise nach China) unterbrochen werden. Eine Umstellung auf alternative Lieferquellen ist für viele Unternehmen nicht möglich bzw. kann nicht schnell genug erfolgen. Sollte es aus diesem Grund zu einer Verknappung bei Rohstoffen oder Vorprodukten kommen, wären die obigen Prinzipien des Verbots des Missbrauches einer marktbeherrschenden Stellung uU ebenfalls anwendbar. Sollte es aus diesem Grund zu einer Verknappung bei Rohstoffen oder Vorprodukten kommen, wären die obigen Prinzipien des Verbots des Missbrauches einer marktbeherrschenden Stellung bzw. des leistungsgerechten Wettbewerbs ebenfalls anwendbar. Auch hier könnte eine temporäre Marktbeherrschung des Lieferanten entstehen, wenn ein Unternehmen im Gegensatz zu seinen Mitbewerbern noch die notwendigen Rohstoffe und Vorprodukte herstellen und liefern kann und damit an Marktmacht gewinnt. Ein aus dieser Situation resultierender Marktmissbrauch wie etwa eine unangemessene Preiserhöhung gegenüber nachgelagerten Unternehmen könnte daher kartellrechtlich unzulässig sein.
Weitere Maßnahmen der BWB
Hinzuweisen ist zudem darauf, dass die BWB auch weitgehende organisatorische Maßnahmen getroffen hat, um die Funktion der Behörde vollinhaltlich zu erhalten. So wurde beispielsweise innerhalb kürzester Zeit die elektronische Anmeldung von Zusammenschlüssen ermöglicht
Zusammenfassung
Insgesamt wirft daher die Ausbreitung des Coronavirus nicht nur in der Gesellschaft generell, sondern auch im Kartellrecht Fragen auf. Einerseits ist festzuhalten, dass das Kartellrecht auch in dieser Situation zur Gänze Anwendung findet und Verstöße wie Marktmachtmissbräuche entsprechend geahndet werden können. Andererseits könnten sich gerade aufgrund der wirtschaftlichen Sondersituation, die durch das Coronavirus verursacht wird, auch Ausnahmen in der Anwendung des Kartellrechts ergeben. Das kann sogar bei gewissen Kooperationen zwischen Wettbewerbern der Fall sein. Diese sind aber jeweils individuell und im Detail vorab kartellrechtlich zu prüfen. Begrüßenswert sind jedenfalls die Bestrebungen der BWB (sowie auch der Wettbewerbsbehörden anderer Länder), einerseits auf eine Einhaltung des Kartellrechts zu achten, um gerade im Gesundheitsbereich Marktverwerfungen zu verhindern, andererseits aber auch notwendige Kooperationen zwischen Unternehmen zur Sicherung der Versorgung in Österreich zu ermöglichen.