VfGH G108/2022 ua, V139/2022 ua

VfGHG108/2022 ua, V139/2022 ua5.10.2023

Leitsatz

Abweisung der Anträge auf Aufhebung einer Bestimmung des ABBAB-Gesetzes sowie verschiedener Verordnungen betreffend die Gewährung von Zuschüssen, Verlustersatz oder Ausfallboni an Unternehmen zur wirtschaftlichen Bewältigung der COVID-19 Pandemie; Regelungen der Verordnungen hinsichtlich des Kreises der begünstigten Unternehmen zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit, Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung sowie der Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten durch die Verordnungsermächtigung gedeckt; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch den Ausschluss öffentlicher Unternehmen von der Gewährung von Ausgleichsleistungen; kein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Rücksichtnahme zwischen den Gebietskörperschaften

Rechtssatz

Abweisung der Anträge auf Aufhebung

* des §3b Abs3 des Bundesgesetzes über die Einrichtung einer Abbaubeteiligungsaktiengesellschaft des Bundes (ABBAG-Gesetz), idF BGBl I 228/2021,

* des Punktes 3.2.2 des Anhangs zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-Gesetz betreffend Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zur Deckung von Fixkosten durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG), BGBl II 225/2020, idF BGBl II 72/2021,

* des Punktes 3.2.2 des Anhangs zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-Gesetz betreffend Richtlinien über die Gewährung eines begrenzten Fixkostenzuschusses bis € 800.000,- durch die COFAG (VO über die Gewährung eines FKZ 800.000), BGBl II 497/2020, idF BGBl II 73/2021,

* des Punktes 3.2.2 des Anhangs zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-Gesetz betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Verlustersatzes durch die COFAG (VO über die Gewährung eines Verlustersatzes), BGBl II 568/2020, idF BGBl II 75/2021,

* des Punktes 3.2.2 des Anhangs zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 des ABBAG-Gesetz betreffend Richtlinien über die Verlängerung der Gewährung eines Verlustersatzes durch die COFAG (VO über die Verlängerung der Gewährung eines Verlustersatzes), idF BGBl II 343/2021,

* des Punktes 3.2.2 des Anhangs zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-Gesetz betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Verlustersatzes durch die COFAG im Jahr 2022 (VO Verlustersatz III), idF BGBl II 582/2021,

* des Punktes 3.2.3 des Anhangs zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 des ABBAG-Gesetz betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Ausfallsbonus an Unternehmen mit einem hohen Umsatzausfall (VO Ausfallsbonus), idF BGBl II 74/2021,

* des Punktes 3.2.3 des Anhangs zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-Gesetz betreffend Richtlinien über die Verlängerung des Ausfallsbonus für Unternehmen mit sehr hohem Umsatzausfall (VO Ausfallsbonus II), idF BGBl II 342/2021 sowie

* des Punktes 3.2.3 des Anhangs zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-Gesetz betreffend Richtlinien über eine weitere Verlängerung des Ausfallsbonus für Unternehmen mit hohem Umsatzausfall (VO Ausfallsbonus III), idF BGBl II 518/2021.

Im Übrigen: Zurückweisung der Anträge.

 

Kein Verstoß des §3b Abs3 und Abs4 ABBAG-Gesetz gegen das Rechtsstaatsprinzip:

Mit VfSlg 20.518/2021 wurde hinsichtlich §3b Abs1 und Abs2 ABBAG-Gesetz festgehalten, dass bei der Gewährung finanzieller Leistungen - unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes und sachlicher Kriterien - ein weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers besteht und der Regelungsgegenstand der privatrechtsförmigen Förderungsgewährung durch klare Zielsetzungen (ua Erhaltung der Zahlungsfähigkeit und Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten, steuerliches Wohlverhalten, Unternehmenssitz in Österreich, Auskunfts- und Einsichtsrechte des Bundes) hinreichend determiniert ist. Die Novellierung des §3b ABBAG-Gesetz durch BGBl I 228/2021 ändert nichts daran, dass die (grundlegenden) Ausführungen des VfGH zur ausreichenden Bestimmtheit der Bestimmung iSd Art18 B-VG weiterhin aufrechtzuerhalten sind und angesichts des Antragsvorbringens keine Veranlassung besteht, von dieser Auffassung abzugehen.

 

Keine Bedenken gegen die Fixkostenzuschuss-VO:

Bei den in §3b Abs1 ABBAG-Gesetz genannten Kriterien (Sitz oder Betriebsstätte sowie wesentliche operative Tätigkeit in Österreich) handelt es sich um keine abschließende Regelung; durch diese Bestimmung werden lediglich jene (Mindest-)Kriterien festgelegt, die nach dem Gesetz vorliegen müssen, damit eine finanzielle Maßnahme gewährt werden darf. Die näheren Voraussetzungen für die Gewährung finanzieller Maßnahmen hat gemäß §3b Abs3 ABBAG-Gesetz der Bundesminister für Finanzen im Einvernehmen mit dem Vizekanzler durch Verordnung zu regeln. In diesem Sinne ist der Bundesminister für Finanzen gemäß §3b Abs3 Z1 leg cit unter anderem dazu ermächtigt, den Kreis der begünstigten Unternehmen festzulegen.

Dabei hat der Verordnungsgeber - wie aus §3b Abs4 ABBAG-Gesetz hervorgeht - den Kreis der begünstigten Unternehmen nach den Kriterien der Erhaltung der Zahlungsfähigkeit, der Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung und der Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten in Zusammenhang mit der Ausbreitung des Erregers SARS-CoV-2 (COVID-19) festzulegen. Die angefochtene Regelung der Fixkostenzuschuss-VO ist damit von der Verordnungsermächtigung des §3b Abs3 ABBAG-Gesetz (und den diesen flankierenden Regelungen des ABBAG-Gesetzes) gedeckt.

Bei den einschlägigen Regelungen des ABBAG-Gesetzes und den auf dieser Grundlage erlassenen Verordnungen, so auch bei der Fixkostenzuschuss-VO, handelt es sich nicht um sogenannte (reine) Selbstbindungs- bzw Statutarnormen. Selbstbindungs- bzw Statutargesetze werden dadurch charakterisiert, dass der Gesetzgeber die obersten Organe (im internen Verhältnis) bindet, ohne dass Einzelpersonen berührt werden oder daraus einen Rechtsanspruch ableiten können. Da sich die Bestimmungen des ABBAG-Gesetzes in Verbindung mit den einschlägigen Regelungen der Verordnungen des Bundesministers für Finanzen (im Einvernehmen mit dem Vizekanzler) nicht (nur) an den bzw die Bundesminister, sondern vielmehr auch an die COFAG als einen vom Bund verschiedenen Rechtsträger richten, kommt von vornherein die Qualifikation der genannten Rechtsvorschriften als (bloße) Selbstbindungs- bzw Statutargesetze nicht in Betracht. Schon aus diesem Grund müssen die einschlägigen Regelungen, auf Grund derer die COFAG die finanziellen Maßnahmen an die zu begünstigenden Unternehmen zu gewähren hat, dem Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG, aber auch den sonstigen verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen.

 

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht:

Unternehmen der öffentlichen Hand können in gleicher Weise von Liquiditätsengpässen und Einnahmenausfällen auf Grund der COVID-19-Pandemie betroffen sein. Es steht aber dem "materiell" hinter der jeweiligen juristischen Person stehenden Rechtsträger frei, "seine" Unternehmen von der Gewährung von Zuschüssen auszuschließen. Aus diesem Grund ist es unbedenklich, wenn der Bundesminister für Finanzen (im Einvernehmen mit dem Vizekanzler) in der angefochtenen Verordnungsbestimmung Unternehmen, die im alleinigen Eigentum des Bundes stehen, von der Gewährung des Fixkostenzuschusses ausnimmt.

Aus dem Gleichheitsgrundsatz folgt aber auch keine Verpflichtung des Bundes, im Alleineigentum von Ländern, Gemeinden und sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechtes stehenden Unternehmen in gleicher Weise wie privat Unternehmen Zuschüsse zu gewähren.

Den Rechtsträgern steht es im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften frei, Förderungen an "ihre" Unternehmen zu gewähren. Dass hiefür aus Gründen des unionalen Beihilfenrechtes allenfalls eine Genehmigung der Europäischen Kommission eingeholt werden muss, vermag an dieser Möglichkeit nichts zu ändern. In diesem Sinne sind die Gebietskörperschaften sowie die sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechtes primär selbst dafür verantwortlich, "ihre" Unternehmen mit hinreichenden finanziellen Mitteln auszustatten. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber mit der angefochtenen Bestimmung Mehrfach- bzw Überförderungen durch mehrere Gebietskörperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechtes hintanhalten wollte.

Die finanzverfassungsrechtliche Regelung des §2 F-VG (Bund und Länder tragen den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt, selbst), bezieht sich zum Ersten gleichermaßen auf von Bund und Ländern zu besorgende Aufgaben der Hoheitsverwaltung wie auch auf Aufgaben der Privatwirtschaftsverwaltung sowie zum Zweiten gleichermaßen auf Aufgaben, die in unmittelbarer Staatsverwaltung wahrgenommen werden, wie auch auf Aufgaben, die durch ausgegliederte, im Eigentum von Bund oder Ländern stehende Rechtsträger besorgt werden. Dabei ist auch ohne Bedeutung, ob es sich bei den Aufgaben um sogenannte Pflichtaufgaben (also Aufgaben, deren Erfüllung durch Gesetz vorgeschrieben ist) oder um "freiwillig" übernommene Aufgaben handelt.

Die finanzverfassungsrechtliche Regelung spricht somit im Ergebnis ebenso dafür, dass es nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt bzw der Verordnungsgeber dem §3b Abs3 ABBAG-Gesetz keinen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt, wenn in Punkt 3.2.2 des Anhanges zur Fixkostenzuschuss-VO (auch) Unternehmen, die im (unmittelbaren oder mittelbaren) Alleigentum eines Landes oder einer Gemeinde stehen, von der Gewährung der in der Fixkostenzuschuss-VO vorgesehenen Ausgleichsleistungen ausgeschlossen werden.

Der Verordnungsgeber differenziert somit in der angefochtenen Bestimmung nach sachlichen Kriterien anhand des materiell hinter der jeweiligen juristischen Person stehenden Rechtsträgers. Der behauptete Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie gegen die Verpflichtung zur Rücksichtnahme zwischen den Gebietskörperschaften liegt nicht vor.

Die in den anderen Verfahren angefochtenen Bestimmungen stimmen in jeglicher Hinsicht mit der Verordnungsbestimmung des Anhanges zur Fixkostenzuschuss-VO überein und auch die dargelegten Bedenken entsprechen einander in allen wesentlichen Belangen, sodass auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann.

COVID (Corona) — Förderungen — Hoheitsverwaltung — Privatwirtschaftsverwaltung — Rechtsstaatsprinzip — Legalitätsprinzip — Determinierungsgebot — Berücksichtigungsprinzip — Rechtspolitik — Ausgliederung — Verordnung — VfGH / Präjudizialität — Selbstbindungsgesetz — Finanzverfassung — VfGH / Parteiantrag

 

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18, Art139 Abs1 Z4, Art140 Abs1 Z1 litd
ABBAG-Gesetz §3b Abs3
StGG Art2
F-VG 1948 §2
FixkostenzuschussV des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-G BGBl II 225/2020 idF BGBl II 72/2021 Anhang Punkt 3.2.2
FixkostenzuschussV des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-G begrenzt bis € 800.000,- BGBl II 497/2020 idF BGBl II 73/2021 Anhang Punkt 3.2.2
VerlustersatzV des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-G BGBl II 568/2020 idF BGBl II 75/2021 Anhang Punkt 3.2.2
VerlustersatzverlängerungsV des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-G BGBl II 343/2021 Anhang Punkt 3.2.2
VerlustersatzV III des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-G BGBl II 582/2021 Anhang Punkt 3.2.2
AusfallbonusV des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-G BGBl II 74/2021 Anhang Punkt 3.2.3
AusfallbonusV II des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-G BGBl II 342/2021 Anhang Punkt 3.2.3
AusfallbonusV III des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 ABBAG-G BGBl II 518/2021 Anhang Punkt 3.2.3
VfGG §7 Abs1

G108/2022 ua, V139/2022 uaVfGH05.10.2023

Dokumentnummer

JFR_20231005_22V00139_01

Stichworte