Normen
B-VG Art134 Abs7
B-VG Art88 Abs2
DO Wr 1994 §103 Abs2
DO Wr 1994 §109 Abs1
DO Wr 1994 §109 Abs2 Z4
DO Wr 1994 §77
DO Wr 1994 §77 Abs1
DO Wr 1994 §77 Abs1 Z2
DO Wr 1994 §77 Abs1 Z3
DO Wr 1994 §77 Abs3
DO Wr 1994 §80 Abs2
DO Wr 1994 §97 Abs1 Z1
DO Wr 1994 §97 Abs1 Z2
DO Wr 1994 §97 Abs1 Z3
DO Wr 1994 §97 Abs1 Z4
DO Wr 1994 §97 Abs1 Z5
VGW-DRG 2013 §11
VGW-DRG 2013 §11 Abs1
VGW-DRG 2013 §11 Abs2
VGW-DRG 2013 §11 Abs3
VGW-DRG 2013 §11 idF 2012/084
VGW-DRG 2013 §14 Abs1
VGW-DRG 2013 §14 Abs2
VGW-DRG 2013 §15 Abs3
VGW-DRG 2013 §22 Z2a
VGW-DRG 2013 §23a Abs1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RO2024090007.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang, somit der Strafausspruch in Spruchpunkt I., Spruchpunkt II. und die Kostenentscheidung (Spruchpunkt III.), wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte steht in einem öffentlich‑rechtlichen Ruhestandsverhältnis zur Gemeinde Wien. Mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 2014 war er zum Landesverwaltungsrichter des Verwaltungsgerichts Wien ernannt worden; davor war er Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien. Mit Ablauf des 31. Dezember 2022 trat er in den Ruhestand.
2 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis vom 4. Juli 2024, W170 2272837‑1/52E, sprach das gemäß § 11 Abs. 1 Verwaltungsgericht‑Dienstrechtsgesetz (VGW‑DRG) als Disziplinargericht für die Richter des Verwaltungsgerichts Wien zuständige Bundesverwaltungsgericht den Mitbeteiligten aufgrund des Strafantrags der revisionswerbenden Disziplinaranwältin vom 1. Juni 2023 der Verletzung seiner Dienstpflichten nach § 18 Abs. 1 Dienstordnung 1994 (DO 1994), die ihm übertragenen Geschäfte unter Beachtung der bestehenden Rechtsvorschriften mit Sorgfalt zu besorgen und sich hiebei von den Grundsätzen größtmöglicher Zweckmäßigkeit und Raschheit leiten zu lassen, schuldig, weil er in 23 konkret aufgezählten Verfahren mehrjährige Verfahrensstillstände verursacht hatte, in 20 (teilweise verbundenen) Verfahren mehrjährige Ausfertigungsverzögerungen mündlich verkündeter Entscheidungen verursacht hatte, in zwei Verfahren die Revisionen vier Jahre und elf Monate dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorgelegt hatte, sowie in 19 konkret aufgezählten Verwaltungsstrafverfahren das mündlich verkündete Erkenntnis nicht innerhalb von drei Jahren schriftlich ausgefertigt hatte, wodurch Vollstreckungsverjährung eingetreten war.
Das Bundesverwaltungsgericht verhängte über den Mitbeteiligten hiefür gemäß § 14 Abs. 1 und 2 VGW‑DRG, § 109 Abs. 2 Z 3 DO 1994 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe des Vierfachen des Ruhebezugs, unter Ausschluss der Kinderzulage, wovon die Hälfte der Strafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (§ 14 Abs. 1 und 2 VGW‑DRG, § 78 Abs. 1 DO 1994). Ferner verpflichtete es den Mitbeteiligten gemäß § 14 Abs. 1 und 2 VGW‑DRG, § 106 Abs. 2 Z 3 DO 1994 zum Ersatz von 500 Euro an Kosten des Verfahren.
Hingegen wies das Bundesverwaltungsgericht den Strafantrag vom 1. Juni 2023 hinsichtlich des Vorwurfs einer zur Vollstreckungsverjährung führenden Verfahrensverzögerung in einem am 1. Oktober 2009 beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien angefallenen Verfahren zur Gänze sowie hinsichtlich fünf weiterer bestimmt bezeichneter Verfahren hinsichtlich des Vorwurfs des Verfahrensstillstands für den Zeitraum vom Anfall der Verfahren beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien bis zum 31. Dezember 2013 zurück (Spruchpunkt II.).
Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für zulässig.
3 Nach detaillierter Darlegung der Verzögerungen in den einzelnen Verfahren, der Auslastungs- und Erledigungssituation am Verwaltungsgericht Wien im Allgemeinen und für den Mitbeteiligten im Speziellen sowie Feststellungen zu dessen Person und belastenden Lebensumständen begründete das Disziplinargericht sein Erkenntnis (soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung) hinsichtlich der teilweisen Zurückweisung des Strafantrags in Spruchpunkt II. rechtlich dahin, dass durch (Wiener) LGBl. Nr. 47/2018 mit 22. September 2018 das Bundesverwaltungsgericht zum Disziplinargericht für die Richter des Verwaltungsgerichts Wien geworden sei, das damit die zuvor bestehende Disziplinarbehörde (§ 11 VGW‑DRG in der Fassung LGBl. Nr. 43/2018) abgelöst habe. Während § 22 Z 2a VGW‑DRG noch vorgesehen habe, dass die Disziplinarbehörde des Verwaltungsgerichts und die Disziplinaranwältin auch zur Verfolgung von Dienstpflichtverletzungen zuständig seien, die ein Mitglied des Verwaltungsgerichts während der Zeit seiner Mitgliedschaft zum Unabhängigen Verwaltungssenat Wien begangen habe, fehle eine solche Übergangsbestimmung für das Disziplinargericht. Eine solche Bestimmung finde sich auch nicht in § 23a VGW‑DRG, der den Übergang vom Disziplinarausschuss zum Disziplinargericht normiere.
4 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0159) sei der Gesetzgeber insbesondere in Bezug auf die Behörden- und Gerichtszuständigkeit zu einer präzisen, strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden Regelung verpflichtet und es habe eine Zuständigkeitsfestlegung klar und unmissverständlich zu sein. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts als Disziplinargericht ergebe sich aus § 11 VGW‑DRG. Danach seien auch Dienstpflichtverletzungen zu verfolgen, die ein bereits aus dem Amt ausgeschiedenes Mitglied während der Zeit seiner Mitgliedschaft im Verwaltungsgericht begangen habe. Eine Norm, dass das Disziplinargericht Dienstpflichtverletzungen zu verfolgen habe, die ein Mitglied des Verwaltungsgerichts Wien schon vor seiner Ernennung gesetzt habe, bestehe nicht. Dem Bundesverwaltungsgericht fehle es damit an einer Zuständigkeit, über eine vom Disziplinarbeschuldigten als Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien begangene Dienstpflichtverletzung abzusprechen, weil es als Disziplinargericht für das Verwaltungsgericht Wien und nicht für den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eingerichtet worden sei.
5 In dem am 1. Oktober 2009 beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien angefallenen Verfahren sei Vollstreckungsverjährung bereits mit Ablauf des 14. Februar 2010 eingetreten. Da im Strafantrag die Verfahrensverzögerung nicht für sich allein, sondern nur im Zusammenhang mit dem Eintritt der Vollstreckungsverjährung vorgeworfen werde, sei der Erfolg somit bereits während der Zeit des Mitbeteiligten beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eingetreten. Dafür sei das Bundesverwaltungsgericht nicht zuständig, sodass der Strafantrag diesbezüglich zurückzuweisen sei.
6 Sinngemäß gelte dies für die Vorwürfe betreffend die weiteren unter Spruchpunkt II. genannten Verfahren, die aber nur zum Teil auf eine Tätigkeit als Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien, zum Teil aber auf eine Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsgerichts Wien zurückzuführen seien. Nur die die Tätigkeit als Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien betreffenden Teile des Strafantrags seien daher zurückzuweisen.
7 Selbst unter Annahme einer Zuständigkeit des Disziplinargerichts ‑ so führte das Bundesverwaltungsgericht weiter aus ‑ wären die als Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenats begangen Dienstpflichtverletzungen verjährt, weil durch den Untergang der Unabhängigen Verwaltungssenate allfällig dort passierte Verfahrensverzögerungen beendet gewesen seien. Zwar seien diese Verfahren vom Verwaltungsgericht weiterzuführen gewesen (§ 3 VwGbk‑ÜG), was aber nicht bedeute, dass die Dienstpflichten eines Mitglieds des Unabhängigen Verwaltungssenats als solches nicht mit Ablauf des 31. Dezember 2013 geendet hätten, womit allfällige Dienstpflichtverletzungen zu diesem Zeitpunkt beendet gewesen seien. So spreche § 3 Abs. 7 VwGbk‑ÜG nur von der Möglichkeit, nicht aber von einer Verpflichtung der Weiterführung der Verfahren durch die vormaligen Mitglieder der Unabhängigen Verwaltungssenate, die zu Mitgliedern der Verwaltungsgerichte ernannt worden seien. Auch § 33 Abs. 2 VGWG lasse nur diesen Schluss zu. Wenn die Verfahren jedenfalls durch das vorherige Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenats und nunmehrige Mitglied des Verwaltungsgerichts jedenfalls weiterzuführen gewesen wären, wären keine „besondere Reglungen über die Weiterführung der mit 1. Jänner 2014 auf das Verwaltungsgericht Wien übergehenden Verfahren“ zu treffen gewesen. Eine Neuzuteilung stehe aber einer durchgängigen Dienstpflichtverletzung entgegen. Diese beginne erst wiederaufzuleben, wenn nach der Neuzuteilung die Entscheidungsfrist schuldhaft verstrichen sei bzw. Verjährung schuldhaft eingetreten sei. Die Dienstpflichtverletzungen seien dem Präsidenten des Verwaltungsgerichts spätestens im April 2018 bekannt und daher zum Zeitpunkt der ersten Verfolgungshandlung seit mehr als drei Jahren beendet gewesen und daher bereits verjährt.
8 Im Rahmen der Strafbemessung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Mitbeteiligte ein im Ruhestand befindliches ehemaliges Mitglied des Verwaltungsgerichts Wien sei und das Verfahren im Dienststand begangene Dienstpflichtverletzungen betreffe. Nach § 14 Abs. 2 VGW‑DRG seien daher die Disziplinarstrafen gemäß § 109 Abs. 2 DO 1994 anzuwenden, es bestehe aber auch die Möglichkeit eine zu verhängende Disziplinarstrafe nach § 78 Abs. 1 DO 1994 bedingt nachzusehen. Dies auch wenn § 78 Abs. 1 DO 1994 nur auf § 76 Abs. 1 Z 2 und 3 DO 1994 verweise. Bei einer verfassungskonformen Auslegung habe sich dieser Verweis ‑ jedenfalls bei im Dienststand begangenen Dienstpflichtverletzungen ‑ auch auf § 109 Abs. 1 Z 2 und 3 DO 1994 zu beziehen, weil keine sachliche Begründung zu sehen sei, warum für Mitglieder des Verwaltungsgerichts im Dienststand eine bedingte Strafnachsicht in Frage kommen solle, für im Ruhestand befindliche, aber nicht. Darüber hinaus regle § 109 Abs. 1 DO lediglich, dass auch Beamte des Ruhestands nach diesem Gesetz wegen einer im Dienststand begangenen Dienstpflichtverletzung zur Verantwortung zu ziehen seien. Dementsprechend seien in § 109 Abs. 2 Z 2 und 3 DO 1994 die in § 76 Abs. 1 Z 2 und 3 DO 1994 genannten Disziplinarstrafen der Geldbuße und der Geldstrafe bezogen auf den Monatsbezug, durch auf den Ruhebezug bezogene ersetzt.
9 Eine Anwendung des § 77 Abs. 3 DO 1994 setze voraus, dass das Vertrauensverhältnis zwischen einem Mitglied des Verwaltungsgerichts und dem Dienstgeber oder das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben so grundlegend zerstört sei, dass er für eine Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Verwendung untragbar sei. Bei einem im Ruhestand befindlichen Disziplinarbeschuldigten komme eine „Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Verwendung“ gar nicht in Betracht. Sofern man dies nicht als rein theoretische Prüfung sehe, sei § 77 Abs. 3 DO 1994 auf den in Ruhestand befindlichen Mitbeteiligten nicht anzuwenden.
10 Selbst wenn man von der Anwendbarkeit der § 14 Abs. 1 VGW‑DRG, § 77 Abs. 3 DO 1994 ausgehe, führe dies zu keinem anderen Ergebnis, weil der im Gesetz genannte Ausnahmetatbestand, dass „die Tat auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte“, gegeben sei, weil der Mitbeteiligte trotz der seit 2015 bei ihm bestehenden Erkrankung, die ihm eine Aufgabenerfüllung erheblich erschwert habe, trotzdem versucht habe, seine Arbeit zu erledigen und ‑ auch aus Rücksicht auf seine ebenfalls überlasteten Kollegen ‑ nicht in den Krankenstand gegangen sei. Es sei ihm trotz seiner zum Teil überdurchschnittlichen Leistungen nicht möglich gewesen seinen Rückstand effektiv abzubauen, auch wenn er, durch die ihm erschwerte Prioritätensetzung zumindest mitverursacht, die „falschen“ Verfahren erledigt habe. Dies habe er nicht nach dem Gesichtspunkt der Vermeidung schwieriger Verfahren gemacht, seien doch auch Verfahren unbearbeitet geblieben, die sehr einfach hätten erledigt werden können. Zudem habe die Dienstbehörde spätestens am 9. April 2018 erkannt, dass der Mitbeteiligte diese Dienstpflichtverletzungen begehe, aber nicht die notwendigen Schritte gesetzt. Ab diesem Zeitpunkt habe sie auch von der Erkrankung des Mitbeteiligten gewusst, aber auch diesbezüglich nicht die notwendigen Schritte gesetzt.
11 Die Strafbemessung im engeren Sinn begründete das Bundesverwaltungsgericht knapp zusammengefasst dahingehend, dass das Fehlverhalten im Kernbereich der dienstlichen Aufgaben des Mitbeteiligten erfolgt sei und diesem deshalb grundsätzlich ein bedeutendes Gewicht zukomme. Die Nichtvorlage von Rechtsmitteln sei dabei die schwerste Dienstpflichtverletzung. Zwar schließe die Versetzung in den Ruhestand die Spezialprävention nicht aus, von Bedeutung sei aber, dass dem Mitbeteiligten ausschließlich Verfahrensverzögerungen vorgeworfen worden seien, er im Übrigen unbescholten sei und sich nunmehr im dauernden Ruhestand befinde. Davon ausgehend sei eine mittlere bis hohe Geldstrafe geboten.
12 Dies gelte auch aus generalpräventiver Sicht, stelle doch die Nichtvorlage von Rechtsmitteln immer wieder ein Problem dar, die den Rechtsschutz ins Leere laufen lasse. Durch Verjährungen in Verwaltungsstrafverfahren werde zudem der Strafanspruch des Staates unterlaufen und die Behördentätigkeit frustriert.
13 Unter Darlegung der individuellen Erschwerungs- und Milderungsgründe kam das Bundesverwaltungsgericht sodann zum Ergebnis, dass trotz des Vorliegens objektiv und subjektiv schwerwiegender Dienstpflichtverletzungen und erheblicher generalpräventiver Gründe mit einer tat‑ und schuldangemessenen Strafe von einem Vierfachen des Ruhebezuges, unter Ausschluss der Kinderzulage, im Lichte der erheblich verminderten Schuld, der Mitverantwortung der Justizverwaltung und des reumütigen Geständnisses sowie des vor 2009 untadeligen Lebenswandels trotz der Vielzahl der verzögerten Verfahren auch im Lichte der herabgesetzten spezialpräventiven Gründen das Auslangen zu finden sei.
14 Mit Blick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 1.9.2022, Ro 2022/09/0004) komme eine bedingte Strafnachsicht nach § 78 Abs. 1 DO bei der Dienstpflichtverletzung der mehrfachen punktuellen Verfahrensverzögerungen hinsichtlich der gesamten Disziplinarstrafe nicht in Betracht, eine teilweise nur ausnahmsweise. Unter Berücksichtigung der psychischen Erkrankung des Mitbeteiligten, der Mitverantwortung der Justizverwaltung und des inzwischen eingetretenen Ruhestands sowie seiner Unbescholtenheit sei daher die halbe Disziplinarstrafe ‑ unter Setzung einer Bewährungsfrist gemäß § 108 Abs. 1 DO 1994 von drei Jahren ‑ bedingt nachzusehen. Auch generalpräventiv sei diese Strafe noch ausreichend, um andere Richterinnen und Richter von der Begehung gleichartiger Dienstpflichtverletzungen effektiv abzuhalten.
15 Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen von Rechtsprechung unter anderem zur Frage der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts als Disziplinargericht für Dienstpflichtverletzungen eines ehemaligen Richters des Verwaltungsgerichts Wien in Ruhe während seiner Tätigkeit als Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien sowie der Nichtanwendbarkeit des § 77 Abs. 3 DO 1994, der auf eine Untragbarkeit für eine Weiterbeschäftigung in der bisherigen Verwendung abstelle, für bereits im Ruhestand befindliche ehemalige Mitglieder des Verwaltungsgerichts Wien.
16 Gegen die teilweise Zurückweisung des Strafantrags mit Spruchpunkt II. dieses Erkenntnisses sowie die Strafbemessung und die teilbedingte Strafnachsicht richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Revision der Disziplinaranwältin. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
17 Das Revisionsvorbringen ist zunächst gegen die im angefochtenen Erkenntnis angenommene Unzuständigkeit für eine Entscheidung über Dienstpflichtverletzungen des Mitbeteiligten während seiner Tätigkeit beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien gerichtet. Dazu wird im Wesentlichen vorgebracht, dass das vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene Erkenntnis (VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0159) nicht einschlägig sei, weil nach § 11 Abs. 1 VGW‑DRG unzweifelhaft das durch einen Senat entscheidende Bundesverwaltungsgericht Disziplinargericht sei. Einer eigenen Übergangsbestimmung bedürfe es nicht. Unter „Disziplinarbehörde des Verwaltungsgerichts Wien“ in § 22 Z 2a VGW‑DRG sei das Bundesverwaltungsgericht zu verstehen. Zudem handle es sich bei den vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen um Dauerdelikte, weshalb es irrelevant sei, welche Behörde vor mehr als zehn Jahren zuständig gewesen sei. Das zum Zeitpunkt der Einbringung des Strafantrags zuständige Bundesverwaltungsgericht habe über den gesamten Vorwurf abzusprechen, ungeachtet des Zeitpunkts, zu dem Vollstreckungsverjährung eingetreten sei. Die Zuständigkeit zur Weiterführung der vormals beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien anhängigen Verfahren sei gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B‑VG, § 3 Abs. 7 VwGbK‑ÜG auf das Verwaltungsgericht Wien übergegangen. Die Neuzuteilung der Akten stehe der Annahme einer durchgehenden Dienstpflichtverletzung nicht entgegen, wenn es sich um denselben Organwalter handle. So sei der Mitbeteiligte durchgehend zur Bearbeitung der Akten zuständig gewesen, auch wenn es zu einer Neuzuteilung der Akten an ihn gekommen sei.
18 Ferner wendet sich die Revision gegen den vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Ausschluss der Anwendbarkeit des § 77 Abs. 3 DO 1994 auf den im Ruhestand befindlichen Mitbeteiligten. Aus den Materialien zu dieser Bestimmung ergebe sich eindeutig, dass mit der „Untragbarkeit in der bisherigen Verwendung“ auf den bisherigen tatsächlichen Einsatz des Beschuldigten (hier:) als Richter des Verwaltungsgerichts Wien bzw. des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien abzustellen sei. Die Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine „Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Verwendung“ nicht mehr in Betracht komme, stelle auf die nunmehrige bzw. künftige „Verwendung im Ruhestand“ ab und widerspreche dem Gesetzeswortlaut und der Intention des Gesetzgebers. Ein solches Verständnis widerspreche auch der Systematik des § 109 DO 1994, der auch für Beamte des Ruhestands die Disziplinarstrafe der Entlassung vorsehe, wobei nicht zwischen einer wegen Untragbarkeit nach § 77 Abs. 3 DO 1994 und einer solchen gemäß Abs. 1 des § 77 DO 1994 unterschieden werde.
19 In der Folge wendet sich die Revision gegen die Annahme des Vorliegens des Ausnahmetatbestands des § 77 Abs. 3 DO sowie die Strafbemessung einschließlich der bedingten Nachsicht eines Teils der ausgesprochenen Geldstrafe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
20 Die Revision ist aus dem vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigten und von der revisionswerbenden Disziplinaranwältin auch aufgegriffenen Grund der Frage des Umfangs der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts als Disziplinargericht zulässig. Sie ist auch begründet.
21 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Ausspruch über die Schuld von jenem über die Strafe in einer Disziplinarsache trennbar. Hinsichtlich nicht bekämpfter Teile eines Disziplinarerkenntnisses tritt Teilrechtskraft ein. Wird allein der Ausspruch über die Strafe bekämpft, so erwächst der Schuldspruch in Rechtskraft (siehe etwa VwGH 25.1.2024, Ro 2023/09/0009, Rn. 26, mwN).
22 Die vorliegende Revision richtet sich im Hinblick auf die Sachentscheidung lediglich gegen den Strafausspruch, sodass der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen und nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.
23 Zuvorderst wendet sich die revisionswerbende Disziplinaranwältin jedoch gegen Spruchpunkt II., mit dem das Bundesverwaltungsgericht den Strafantrag in sechs Punkten mit der Begründung zurückgewiesen hat, dass es als Disziplinargericht der Richter des Verwaltungsgerichts Wien nicht zuständig sei, über deren allfällige Dienstpflichtverletzungen während ihrer Tätigkeit als Mitglieder des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien abzusprechen.
24 Dies wurde tragend damit begründet, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht als Disziplinargericht für die Mitglieder des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien eingerichtet worden sei und für das Disziplinargericht eine § 22 Z 2a VGW‑DRG entsprechende Bestimmung nicht bestehe und diese Bestimmung bei der Novellierung nicht angepasst worden sei.
25 In der Stammfassung des Wiener Verwaltungsgericht-Dienstrechtsgesetz (LGBl. Nr. 84/2012) war als Disziplinarbehörde am Verwaltungsgericht Wien eine nach § 19 des Gesetzes über das Verwaltungsgericht Wien (VGWG) aus Mitgliedern des Verwaltungsgerichts zu besetzende Disziplinarbehörde eingerichtet (§ 11 VGW‑DRG).
26 Der mit „Übergangsbestimmungen“ betitelte § 22 VGW‑DRG sieht in seiner Ziffer 2a in diesem Zusammenhang vor, dass die Disziplinarbehörde des Verwaltungsgerichts und die Disziplinaranwältin oder der Disziplinaranwalt auch zur Verfolgung von Dienstpflichtverletzungen zuständig sind, die ein Mitglied des Verwaltungsgerichts während der Zeit seiner Mitgliedschaft zum Unabhängigen Verwaltungssenat Wien begangen hat.
27 Mit der 11. Novelle zum Wiener Verwaltungsgericht‑Dienstrechtsgesetz, LGBl. Nr. 47/2018, erhielt der nunmehr mit „Disziplinargericht“ überschriebene § 11 VGW‑DRG folgenden Inhalt:
„Disziplinargericht
§ 11. (1) Disziplinargericht ist das Bundesverwaltungsgericht, welches durch einen Senat entscheidet.
(2) Das Disziplinargericht ist zuständig zur Entscheidung über eine Suspendierung ‑ und zwar über Antrag der Präsidentin oder des Präsidenten des Verwaltungsgerichts oder der Disziplinaranwältin oder des Disziplinaranwalts ‑ und zur Erlassung von Beschlüssen und Disziplinarerkenntnissen. § 10 Abs. 1 zweiter bis fünfter Satz VGWG ist sinngemäß anzuwenden.
(3) Vom Disziplinargericht sind auch Dienstpflichtverletzungen zu verfolgen, die ein gemäß § 15 aus seinem Amt ausgeschiedenes Mitglied während der Zeit seiner Mitgliedschaft im Verwaltungsgericht begangen hat. Dies gilt nicht, wenn das ehemalige Mitglied nicht mehr Beamtin oder Beamter der Gemeinde Wien ist.“
28 Begründet wurde der diesem Gesetzesbeschluss zugrundeliegende Initiativantrag (LG‑516383‑2018‑LAT) insoweit damit, es solle „[z]ur Stärkung der Unabhängigkeit der Disziplinarbehörde und zur Vorbeugung von Befangenheitsproblemen [...] an Stelle des aus Mitgliedern des Verwaltungsgerichts Wien bestehenden Disziplinarausschusses das Bundesverwaltungsgericht mit den Aufgaben der Disziplinarbehörde für das Verwaltungsgericht Wien betraut werden. Der im Verwaltungsgericht Wien bestehende Disziplinarausschuss wird daher aufgelöst.“
29 § 22 VGW‑DRG wurde in diesem Zusammenhang nicht novelliert. Mit dem neu eingefügten § 23a Abs. 1 VGW‑DRG wurde bestimmt, dass die Zuständigkeit zur Durchführung von mit Ablauf des Tages der Kundmachung der 11. Novelle zu diesem Gesetz (21. September 2018) beim Disziplinarausschuss anhängigen Verfahren auf das Disziplinargericht übergeht, welches diese Verfahren neu durchzuführen hat.
30 Aus der ursprünglichen Schaffung des § 22 Z 2a VGW‑DRG bei Errichtung des Verwaltungsgerichts Wien ist das Anliegen des Gesetzgebers abzuleiten, dass ab dem Zeitpunkt der Errichtung des Verwaltungsgerichts über Dienstpflichtverletzungen dessen Mitglieder nur mehr die für Verwaltungsrichter zuständige Disziplinarbehörde absprechen sollte, auch wenn die Dienstpflichtverletzung bereits zu einer Zeit gesetzt worden sein sollte, zu dem das Mitglied des Verwaltungsgerichts noch beim Unabhängigen Verwaltungssenat tätig war. Voraussetzung für diese Zuständigkeit war eine Ernennung zum Verwaltungsgericht. Für nicht zum Verwaltungsgericht ernannte ehemalige Mitglieder des Unabhängigen Verwaltungssenats wurde keine Zuständigkeit der Disziplinarbehörde des Verwaltungsgerichts eingerichtet. Auch diese war daher ausschließlich für Disziplinarverfahren gegen Verwaltungsrichter zuständig.
31 Den oben dargelegten Erläuterungen zur Novellierung ist ferner zu entnehmen, dass der Gesetzgeber nicht ‑ wie dies geboten wäre ‑ strikt zwischen einem Gericht und einer Behörde unterscheidet, wenn er von der Stärkung der Unabhängigkeit der „Disziplinarbehörde“ durch die Betrauung des Bundesverwaltungsgerichts mit den Aufgaben der „Disziplinarbehörde“ spricht. Aus der unterlassenen Anpassung des § 22 Z 2a VGW‑DRG anlässlich der Etablierung eines Disziplinargerichts für die Verwaltungsrichter ist daher keine dahingehend bewusst getroffene Entscheidung des Gesetzgebers abzuleiten, dass die Kognitionsbefugnis des Disziplinargerichts gegenüber jener der zuvor zuständigen Disziplinarbehörde hätte eingeschränkt werden sollen. Für einen solchen, vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen, gewollten Ausschluss der Zuständigkeit des Disziplinargerichts für bestimmte Sachverhalte, die zuvor zweifelsfrei in die Zuständigkeit des Disziplinarausschusses gefallen waren, gibt es keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil spricht die nach § 23a Abs. 1 VGW‑DRG angeordnete pauschale Überleitung sämtlicher anhängiger Fälle des Disziplinarausschusses auf das Disziplinargericht ebenfalls dafür, dass der Gesetzgeber durch die Errichtung des Disziplinargerichts keine inhaltlichen Änderungen der Zuständigkeit gegenüber dem Disziplinarausschuss vornehmen wollte.
32 Die vom Bundesverwaltungsgericht zur Begründung herangezogene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0159) ist in diesem Zusammenhang ‑ wie in der Revision ausgeführt ‑ nicht einschlägig, war in jenem Erkenntnis doch die Abgrenzung der Einzelrichter‑ von einer Senatszuständigkeit zu beurteilen.
33 Darüber hinaus ist hier das Folgende zu bedenken:
34 Nach dem gemäß Art. 134 Abs. 7 B‑VG auch für Verwaltungsrichter geltenden Art. 88 Abs. 2 B‑VG dürfen Richter nur auf Grund eines förmlichen richterlichen Erkenntnisses ihres Amtes entsetzt, an eine andere Stelle versetzt oder in den Ruhestand versetzt werden. Daraus leitete der Verfassungsgerichtshof in der Entscheidung VfSlg. 8803/1980 ab, dass über eine allfällige Disziplinarbehandlung eines Richters ausschließlich in einem förmlichen gerichtlichen Verfahren, also im Verfahren vor einem Disziplinargericht, zu erkennen ist; Zweck der Regelungen ist es, die richterliche Unabhängigkeit zu sichern (siehe ausführlich VfGH 14.6.2018, G 29/2018‑14, u.a., VfSlg. 20254).
35 Nach § 11 Abs. 1 VGW‑DRG ist das Bundesverwaltungsgericht Disziplinargericht für die Mitglieder des Verwaltungsgerichts Wien. Es ist unter anderem zur Erlassung von Disziplinarerkenntnissen zuständig (§ 11 Abs. 2 VGW‑DRG). Gemäß § 11 Abs. 3 VGW‑DRG sind vom Disziplinargericht auch Dienstpflichtverletzungen zu verfolgen, die ein ‑ etwa durch Übertritt in den Ruhestand nach § 15 Abs. 3 VGW‑DRG ‑ aus dem Amt ausgeschiedenes Mitglied während der Zeit seiner Mitgliedschaft im Verwaltungsgericht begangen hat.
36 Nach dem gemäß § 14 Abs. 1 VGW‑DRG bei der Ahndung von Dienstpflichtverletzungen der Mitglieder des Verwaltungsgerichts geltenden § 103 Abs. 2 DO 1994 hat das Disziplinarerkenntnis (mit hier nicht relevanten Ausnahmen) die im Strafantrag angeführten Anschuldigungspunkte zur Gänze zu erledigen. Es hat auf Schuldspruch, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 97 Abs. 1 Z 1 oder 2 DO 1994 auf Freispruch oder bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 97 Abs. 1 Z 3, 4 oder 5 DO 1994 auf Einstellung zu lauten. Demnach hat ein Freispruch zu ergehen, wenn (Z 1) der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit ausschließen, oder (Z 2) die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Dienstpflichtverletzung darstellt; eine Einstellung hat hingegen zu erfolgen, wenn (Z 3) Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen, (Z 4) die Schuld des Beschuldigten gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Beschuldigten von der weiteren Verletzung von Dienstpflichten abzuhalten, oder (Z 5) der Einstellungsgrund des § 80 Abs. 2 (also das Fehlen eines disziplinären Überhangs bei einer strafgerichtlichen Verurteilung oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung) vorliegt.
37 Nach dem gemäß § 14 Abs. 2 VGW‑DRG auf Disziplinarverfahren gegen im Ruhestand befindliche ehemalige Mitglieder des Verwaltungsgerichts Wien sinngemäß anzuwendenden § 109 Abs. 1 DO 1994 sind diese wegen einer im Dienststand begangenen Dienstpflichtverletzung oder wegen einer groben Verletzung der ihnen im Ruhestand obliegenden Verpflichtungen zur Verantwortung zu ziehen.
38 Demnach ist das Bundesverwaltungsgericht als Disziplinargericht zuständig, über sämtliche gegen ein Mitglied des Verwaltungsgerichts von der Disziplinaranwältin erhobenen Vorwürfe in dem dargelegten Sinn abzusprechen (vgl. auch Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG I5 [2021] § 111 RStDG Rz. 3, wonach sich die sachliche Zuständigkeit der Disziplinargerichte auf alle nach § 101 RStDG disziplinarrechtlich zu ahndenden Pflichtverletzungen [Disziplinardelikte] erstreckt). Es besteht keine andere (Disziplinar‑)Behörde, die über eine Dienstpflichtverletzung eines Richters des Verwaltungsgerichts Wien zu entscheiden hätte, auch wenn diese bereits vor seiner Ernennung zum Verwaltungsgericht gesetzt worden sein sollte. Ein solch umfassendes Verständnis der Zuständigkeit des Disziplinargerichts ist ‑ wie aufgezeigt ‑ bereits verfassungsrechtlich angesichts der Unabhängigkeit der Verwaltungsrichter geboten, soll doch schon nach Art. 88 Abs. 2 B‑VG nur das zuständige Disziplinargericht über disziplinarrechtliche Vorwürfe gegen Richter absprechen. Das Unterlassen einer sprachlichen Anpassung des § 22 Z 2a VGW‑DRG bei der Übertragung der Kompetenzen des Disziplinarausschusses auf ein Disziplinargericht führt daher zu keinem anderen Ergebnis.
39 Indem das Bundesverwaltungsgericht seine Zuständigkeit im Umfang seines Spruchpunktes II. verneinte und den Strafantrag insoweit zurückwies, belastete es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
40 Soweit das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zur weiteren Begründung seines Ergebnisses auch auf eine Verjährung der die Zeit der Mitgliedschaft am Unabhängigen Verwaltungssenat betreffenden Vorwürfe abstellte, ist dazu zunächst auf Folgendes hinzuweisen:
41 Hat das Verwaltungsgericht einen Antrag zurückgewiesen, ist Sache des Revisionsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung (VwGH 4.4.2024, Ro 2024/09/0001; 21.10.2022, Ra 2022/09/0042, u.a.).
42 Das Bundesverwaltungsgericht hätte nach dem Gesagten über alle im Strafantrag vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen im oben dargestellten Sinn eine Entscheidung zu fällen gehabt. Vor einer solchen Entscheidung wäre aber - gerade im gegebenen Zusammenhang - zunächst zu prüfen gewesen, ob es sich bei dem Gegenstand des disziplinären Vorwurfs insoweit um voneinander trennbare Einzelhandlungen, die etwa auch einzelnen voneinander trennbaren Verjährungszeiten unterliegen, handelt oder ein aus Einzelhandlungen lediglich zusammengesetztes Gesamtverhalten während eines Zeitraumes (Dauer‑ bzw. fortgesetztes Delikt) vorliegt (siehe dazu etwa VwGH 13.12.2007, 2005/09/0130, u.a.).
43 Da über sämtliche Vorwürfe in einem Erkenntnis abzusprechen ist und die Zurückweisung wie ausgeführt zu Unrecht erfolgte, mit einem Schuldspruch der Ausspruch über die zu verhängende Strafe und jener über die Verfahrenskosten untrennbar in Zusammenhang stehen, war die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts deshalb im Umfang der Anfechtung aufzuheben.
44 Auf die weiteren Revisionsausführungen ‑ insbesondere zur Strafbemessung ‑ brauchte daher nicht eingegangen zu werden.
45 Bereits an dieser Stelle soll jedoch zur Vermeidung eines weiteren Verfahrensgangs zur Frage der Anwendbarkeit des § 77 Abs. 3 DO 1994 auf in Ruhestand befindliche Mitglieder des Verwaltungsgerichts Wien das Folgende festgehalten werden:
46 Nach dem gemäß § 14 Abs. 1 VGW‑DRG auf das vorliegende Verfahren anwendbaren § 77 Abs. 1 DO 1994 ist für die Höhe der Strafe die Schwere der Dienstpflichtverletzung maßgebend. Gemäß § 77 Abs. 3 DO 1994 ist ohne Rücksichtnahme auf die in § 77 Abs. 1 Z 2 und 3 DO 1994 genannten Strafbemessungsgründe jedenfalls die Disziplinarstrafe der Entlassung zu verhängen, wenn sich der Beamte einer derart schweren Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht hat, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstgeber oder das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben so grundlegend zerstört ist, dass er für eine Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Verwendung untragbar ist, es sei denn die Tat wäre auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte.
47 Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits ausgeführt hat, soll nach der (aus den Erläuterungen ersichtlichen) Intention des Gesetzgebers zur Anfügung des (neuen) Absatz 3 dieser Bestimmung, der sogenannte „Untragbarkeitsgrundsatz“ weiterhin als selbständiges Zumessungskriterium für eine Entlassung gelten (siehe dazu ausführlich VwGH 10.9.2015, Ra 2015/09/0053; 12.12.2003, Ra 2023/09/0148).
48 Voraussetzung für den Ausspruch einer Entlassung ohne Rücksichtnahme auf die in § 77 Abs. 1 Z 2 und 3 DO 1994 genannten Strafbemessungsgründe ist jedoch, dass der Beamte sich einer derart schweren Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht hat, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstgeber oder das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben so grundlegend zerstört ist, dass er für eine Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Verwendung untragbar ist.
49 Schon nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 77 Abs. 3 DO 1994 erfordert die Entlassung aus diesem Grund die Untragbarkeit für eine Weiterbeschäftigung in der bisherigen Verwendung. Durch einen bereits erfolgten Übertritt in den dauernden Ruhestand ist aber eine „Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Verwendung“ schon von vornherein nicht mehr möglich. Die in den Materialien zur Novelle LGBl. Nr. 2/2010 angesprochene Wirkung der Entlassung als „dienstrechtliche Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes“ (siehe abermals VwGH 10.9.2015, Ra 2015/09/0053) kommt bei dem bereits in Ruhestand befindlichen Beamten nicht mehr in Betracht.
50 Auch wenn die Disziplinarstrafe der Entlassung nicht der Sicherung der Gesellschaft, der Resozialisierung des Täters oder gar der Vergeltung dient, so handelt es sich dabei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch um eine Strafe (vgl. etwa VwGH 6.9.2012, 2012/09/0013).
51 Dies widerspricht ‑ entgegen dem dahingehenden Revisionsvorbringen ‑ auch nicht § 109 Abs. 2 Z 4 DO 1994, wonach auch über Beamte des Ruhestands die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt werden kann. Während die genannte Bestimmung die möglichen Disziplinarstrafen aufzählt, regelt demgegenüber § 77 DO 1994 die Strafbemessung, und dessen dritter Absatz unter welchen besonderen Voraussetzungen die Disziplinarstrafe der Entlassung ohne Rücksichtnahme auf weitere Strafbemessungsgründe zu verhängen ist.
52 Die Unanwendbarkeit des § 77 Abs. 3 DO 1994 auf Beamte des Ruhestands führt nämlich nicht dazu, dass nicht auch gegen einen Ruhestandsbeamten ‑ nach Berücksichtigung der in § 77 Abs. 1 Z 2 und 3 DO 1994 genannten Strafbemessungsgründe ‑ aus spezial‑ und generalpräventiven Gründen die Disziplinarstrafe der Entlassung zu verhängen wäre.
53 Auf die Frage des Vorliegens des Ausnahmetatbestands des § 77 Abs. 3 DO 1994 im konkreten Fall braucht bei diesem Ergebnis nicht weiter eingegangen werden.
54 Das angefochtene Erkenntnis ist daher im dargelegten Umfang mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Da mit dem Schuldausspruch der Ausspruch über die zu verhängende Strafe und jener über die Verfahrenskosten in Zusammenhang stehen, war das angefochtene Erkenntnis auch in diesem Umfang bereits deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (siehe etwa VwGH 28.10.2021, Ra 2021/09/0075, mwN).
Wien, am 19. November 2024
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