VwGH Ro 2023/12/0071

VwGHRo 2023/12/007113.2.2025

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag.a Nussbaumer‑Hinterauer sowie Hofrat Mag. Cede und Hofrätin Mag. I. Zehetner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision der Dr.in A O in W, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz‑Josefs‑Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juli 2023, W293 2256848‑1/5E, betreffend Besoldungsdienstalter (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberstaatsanwaltschaft Wien), zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2025:RO2023120071.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin wurde mit Wirkung vom 1. Jänner 2015 auf eine Planstelle als Staatsanwältin ernannt und steht seither in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

2 Mit Bescheid der Oberstaatsanwaltschaft Wien vom 6. Oktober 2015 wurden der Revisionswerberin für die Ermittlung des Besoldungsdienstalters mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 2015 Vordienstzeiten im Ausmaß von 11 Jahren angerechnet. Dabei wurden berufseinschlägige Vordienstzeiten als Vertragsassistentin an einer Universität im Ausmaß von einem Jahr, die Zeiten der Gerichtspraxis im Ausmaß von sechs Monaten sowie eine Vortätigkeit als selbständige Rechtsanwältin von 12. Oktober 2004 bis 11. April 2014 im Ausmaß von neun Jahren und sechs Monaten zur Gänze angerechnet. Die Zeiten als Rechtsanwaltsanwärterin vom 2. Oktober 2000 bis 11. Oktober 2004 sowie als selbständige Rechtsanwältin (im verbleibenden Ausmaß) von 11. April 2013 bis 31. Oktober 2014 wurden „auf Grund der bereits voll ausgeschöpften Anrechnung von Zeiten gemäß § 12 Abs 3 GehG“ nicht angerechnet.

3 Mit Schreiben vom 15. Juni 2020 beantragte die Revisionswerberin, gestützt auf § 169h Gehaltsgesetz 1956 (GehG), die Erhöhung des Besoldungsdienstalters durch Anrechnung der bisher nicht berücksichtigten Zeiten als Rechtsanwaltsanwärterin sowie als Rechtsanwältin.

4 Mit Bescheid vom 18. Mai 2022 wies die Oberstaatsanwaltschaft Wien den Antrag ab. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, die Tätigkeiten einer Rechtsanwaltsanwärterin bzw. einer Rechtsanwältin seien mit jener als Staatsanwältin nicht „gleichwertig“ im Sinne des Gehaltsgesetzes, was sich bereits aus dem Umstand ergebe, dass die Berufswege und Ausbildungsverhältnisse durch den Gesetzgeber in verschiedenen Gesetzen unterschiedlich geregelt seien. Ungeachtet der „Verwandtschaft“ der Berufe und bestehender Anrechnungsmöglichkeiten handle es sich um zwei unterschiedliche Berufe mit unterschiedlichen Ausbildungen und Berufsprüfungen. Zudem unterschieden sich die konkreten praktischen Tätigkeiten zu mehr als 25% voneinander. Die Tätigkeit der Revisionswerberin in den ersten sechs Monaten des öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnisses habe Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Gegenstand gehabt, die sie nicht aus ihrer Vortätigkeit mitgebracht habe.

5 Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab. Die Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte es für zulässig.

7 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass die Revisionswerberin im Zeitraum von 1. März bis 30. November 1999 sowie von 1. November bis 31. Dezember 2014 das Rechtspraktikum am Oberlandesgericht Wien absolviert habe. Von 2. November 1999 bis 31. Oktober 2000 sei sie als Vertragsassistentin an der Wirtschaftsuniversität Wien beschäftigt gewesen. Im Zeitraum von 2. Oktober 2000 bis 11. Oktober 2004 sei sie als Rechtsanwaltsanwärterin und von 12. Oktober 2004 bis 31. Oktober 2014 als selbständige Rechtsanwältin tätig gewesen. Am 26. August 2014 habe die Revisionswerberin die Richteramtsprüfung in Form der mündlichen Ergänzungsprüfung gemäß § 12 Z 3 des Bundesgesetzes über die Anrechenbarkeit von Ausbildungen und die wechselseitige Anrechenbarkeit der Berufsprüfungen der Rechtsberufe (ABAG) abgelegt.

8 Als Rechtsanwaltsanwärterin und Rechtsanwältin sei Aufgabe der Revisionswerberin die Parteienvertretung gewesen. In dieser Funktion sei sie zwei‑ bis dreimal pro Woche als Vertreterin vor Gericht tätig gewesen und habe selbständig Akten bearbeitet, indem sie Fälle aufbereitet, Mandantengespräche geführt und Schriftsätze verfasst habe. In Strafverfahren sei sie als Verteidigerin, in Verfahren nach dem Mediengesetz als Antragstellerin und Antragsgegnerin und bei Sachverhaltsdarstellungen als Privatbeteiligtenvertreterin und Anzeigenvertreterin tätig gewesen. Dabei sei sie zu 25‑30% mit Agenden mit strafrechtlichen Konnex, zu ca. 40% mit Zivil‑ inklusive Arbeitsrecht sowie im Übrigen mit öffentlichem Recht und sonstigen Rechtsgebieten beschäftigt gewesen.

9 Als Staatsanwältin sei es ihre Aufgabe, in Verfahren wegen mit gerichtlicher Strafe bedrohter Handlungen Ermittlungs- und Anklagefunktionen wahrzunehmen (Hinweis auf Art. 90 B‑VG).

10 In den ersten sechs Monaten ihres öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses sei die Revisionswerberin „im Ausmaß von 100% des Aktenverteilungssystems“ mit näher bezeichneten Referaten für Strafsachen betraut gewesen. Dabei habe sie zur Erfüllung dieser Aufgaben Berichte der Kriminalpolizei und sonstige Anzeigen geprüft, Entscheidungen über die Einleitung, Einstellung, diversionelle Erledigung oder Abbrechung von Ermittlungsverfahren getroffen, Ermittlungsverfahren geführt, Ermittlungsverfahren in Kooperation mit der Kriminalpolizei geleitet, Anordnungen mit Grundrechtseingriffen getroffen, Anklageschriften und Strafanträge verfasst und den Akteneinlauf bearbeitet. Zudem sei sie durchschnittlich ein bis zwei Mal in der Woche zur Sitzungsvertretung bei Hauptverhandlungen eingeteilt gewesen. Sie habe in diesem Zeitraum keine Journaldienste oder Amtstage abgehalten.

11 In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, für die Klärung der Frage, ob die Berufstätigkeit der Revisionswerberin als Rechtsanwaltsanwärterin sowie als Rechtsanwältin im Sinne des § 12 Abs. 2 Z 1a lit. a GehG als gleichwertig gelte, sei entscheidend, dass die mit der Berufstätigkeit oder dem Verwaltungspraktikum verbundenen Aufgaben zu mindestens 75% den Aufgaben entsprächen, mit denen sie betraut gewesen sei („quantitative Komponente“), und dass für die Besorgung dieser Aufgaben eine Ausbildung auf gleicher fachlicher Ebene erforderlich sei („qualitative Komponente“).

12 Für das Kriterium der „quantitativen Komponente“ sei auf die jeweiligen Aufgaben abzustellen, wobei der Begriff „Aufgabe“ impliziere, dass damit ein bestimmtes Ziel verfolgt werde. Hierbei sei zwischen den Begriffen „Aufgabe“, welche im Sinne von „Aufgabenstellung“, und damit einer Blickrichtung, unter der die Berufstätigkeit erbracht werde, zu verstehen sei, und „Tätigkeiten“ zu unterscheiden. Tätigkeiten seien Handlungen, die zur Erfüllung der Aufgabe zu erbringen seien.

13 Unter Gegenüberstellung des in § 8 Abs. 1 Rechtsanwaltsordnung (RAO) normierten beruflichen Aufgabenkreises von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie der in Art. 90 B‑VG und Art. 90a B‑VG definierten Funktion von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich die jeweiligen Aufgaben wesentlich voneinander unterschieden und Staatsanwälte und Rechtsanwälte „im Wesenskern“, auch wenn sich einzelne Tätigkeiten überschnitten, unterschiedliche Aufgaben ausübten. Während es Aufgabe einer Staatsanwältin sei, unter Wahrung der Objektivität die korrekte Vollziehung der Gesetze als Maßstab heranzuziehen, liege es in der Natur der Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärterin bzw. Rechtsanwältin, das für den jeweiligen Mandanten beste rechtliche Ergebnis zu erzielen. Im Vordergrund der anwaltlichen Tätigkeit stünden die Interessen des Mandanten und nicht die Wahrung der Interessen des Staates.

14 Zudem liege auch keine 75%ige Übereinstimmung der ausgeübten Tätigkeiten vor. Zu den in den ersten sechs Monaten ausgeübten Tätigkeiten der Revisionswerberin, der Anordnung von Hausdurchsuchungen, dem Verfassen von Anklageschriften sowie der Erstellung von Strafanträgen und Einstellung von Verfahren, gebe es keine gleichwertigen Tätigkeiten in Rahmen der Rechtsanwaltsanwärter‑ oder Rechtsanwaltstätigkeit. Zudem hätten die vorgebrachten Tätigkeiten im Zusammenhang mit strafrechtlichen Agenden nur einen Prozentsatz von 25‑30% ausgemacht, während die Tätigkeiten einer Staatsanwältin überwiegend auf das Strafrecht beschränkt seien.

15 Der Vollständigkeit halber führte das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der „qualitativen Gleichwertigkeit“ (gemeint: § 12 Abs. 2 Z 1a lit. c sublit. bb GehG) aus, dass dieses Kriterium für die Zeiten als Rechtsanwaltsanwärterin jedenfalls nicht erfüllt sei, weil der Beruf der Rechtsanwaltsanwärterin lediglich ein erfolgreiches Studium der Rechtswissenschaften erfordere, während für eine Ernennung zur Staatsanwältin die Absolvierung der Richteramtsprüfung erforderlich sei.

16 Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung für zulässig, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Gleichwertigkeit iSd § 12 Abs. 2 Z 1a lit. c GehG vorliege. Überdies komme der Lösung dieser Rechtsfrage aufgrund einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle in Bezug auf einen Vergleich zwischen staatsanwaltlicher und richterlicher mit anwaltlicher Berufstätigkeit über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung zu.

17 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.

18 Das Bundesverwaltungsgericht führte gemäß § 30a Abs. 4 bis 6 VwGG ein Vorverfahren durch, in dessen Rahmen die Bundesministerin für Justiz eine Revisionsbeantwortung erstattete.

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

20 Der Revisionsfall gleicht ‑ sowohl hinsichtlich des ihm zugrunde liegenden Sachverhalts als auch der vom Verwaltungsgericht vertretenen Lösung der Frage der Anrechenbarkeit zusätzlicher Zeiten gemäß § 12 Abs. 2 Z 1a iVm § 169h GehG (hier: als Rechtsanwältin), der Zulassungsbegründung der angefochtenen Entscheidung und des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung der Revision ‑ jenem Revisionsfall, in dem der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 27. Jänner 2025, Ro 2023/12/0069, ein vergleichbares Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (dort: im Vergleich zwischen den Aufgaben einer Richterin mit jenen in der ausgeübten Vortätigkeit als Rechtsanwältin; hier: beim Vergleich der Tätigkeit als Staatsanwältin mit der Vortätigkeit als Rechtsanwältin) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben hat. Es genügt daher, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des zitierten Erkenntnisses zu verweisen, sowie auf das darin erwähnte und ähnlich gelagerte Erkenntnis vom 4. September 2024, Ro 2023/12/0051, in welchem der Verwaltungsgerichtshof (in Rz 23) zudem auch klargestellt hat, dass es bei dem anzustellenden Aufgabenvergleich zunächst nicht darauf ankommt, „in welcher konkreten Rechtsmaterie (Strafrecht oder Zivilrecht) der Revisionswerber jeweils tätig geworden ist“.

21 Indem das Bundesverwaltungsgericht einen unzutreffenden Maßstab angelegt hat, hat es sein Erkenntnis, soweit es sich auf Vortätigkeiten der Revisionswerberin als Rechtsanwältin bezieht, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

22 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

23 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Februar 2025

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