Normen
B-VG Art133 Abs4
DBAbk Schweiz 1975 Art4 Abs2 lita
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RO2017130014.J00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der (als Beschwerde zu behandelnden) Berufung des Mitbeteiligten Folge und hob die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2007 und 2008 ersatzlos auf. In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, nach Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA Schweiz gelte eine Person, die in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte verfüge, in dem Vertragsstaat als ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen habe (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Nach einer Abwägung der Gesamtheit der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Mitbeteiligten gelangte das Bundesfinanzgericht zum Ergebnis, dass der Mitbeteiligte in den Streitjahren 2007 und 2008 den Mittelpunkt der Lebensinteressen in der Schweiz gehabt habe, sodass Österreich nicht das Besteuerungsrecht an den verfahrensgegenständlichen Einkünften (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für einen Schweizer Arbeitgeber in der Schweiz) zustehe.
5 Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil "für den im konkreten Fall vorliegenden Sachverhalt keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu finden" sei.
6 Im Revisionsfall ist strittig, ob sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen (Art. 4 Abs. 2 lit. a des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BGBl. Nr. 64/1975, kurz: DBA) des Mitbeteiligten in den Streitjahren 2007 und 2008 in Österreich oder in der Schweiz befunden hat.
7 Nach Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA gilt eine Person, die in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte verfügt, als in dem Vertragsstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).
8 Die Beurteilung der Frage, in welchem Staat ein Steuerpflichtiger den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hat, ist im Rahmen einer einzelfallbezogenen Gesamtabwägung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu ermitteln (vgl. dazu etwa VwGH 17.10.2017, Ra 2016/15/0008; 15.9.2016, Ra 2016/15/0057) und hängt damit entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 10.5.2017, Ra 2017/11/0042, mwN).
9 Dass dem Bundesfinanzgericht im vorliegenden Fall eine die Zulässigkeit begründende, grobe Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, zeigt die Revision nicht auf.
10 Soweit in der Amtsrevision vorgebracht wird, das Bundesfinanzgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach für die Zuteilung des Besteuerungsrechts die wesentlichsten und gewichtigsten persönlichen Beziehungen aus dem Vorhandensein von Ehepartner und Kindern abzuleiten seien, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Pflegebedürftigkeit von Angehörigen eine gewichtige Rolle für die Beurteilung der persönlichen Beziehungen zukommen kann (vgl. VwGH 30.1.1990, 89/14/0054; sowie zur Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung VwGH 20.12.2018, Ra 2016/13/0016, mwN). In diesem Zusammenhang hat das Bundesfinanzgericht seine Entscheidung auf Einzelheiten in den Angaben des zur Verhandlung aus der Schweiz angereisten Mitbeteiligten über seine Eltern gestützt, die in der Niederschrift nicht so detailliert wiedergegeben wurden wie im angefochtenen Erkenntnis. Wenn die Amtsrevision geltend macht, diese Einzelheiten seien weder in der Niederschrift noch in den Akten des Finanzamts "aufzufinden" und dem Finanzamt sei zu ihnen kein Parteiengehör gewährt worden, so wird - angesichts des Umstands, dass das Finanzamt in der Verhandlung vertreten war und nicht behauptet wird, die im angefochtenen Erkenntnis beschriebenen Einzelheiten seien dort nicht vorgekommen - auch damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.
11 Die Revision war daher zurückzuweisen.
12 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 21. April 2020
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