Normen
BFA-VG 2014 §22a Abs1;
BFA-VG 2014 §22a Abs3;
B-VG Art133 Abs4;
FrÄG 2015;
FrPolG 2005 §76 Abs1 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §76 Abs3 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §76 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §77 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §77;
PersFrSchG 1988 Art1 Abs3;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
VwRallg;
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste, nachdem er davor am selben Tag nach Italien zurückgewiesen worden war, am 19. April 2007 neuerlich illegal nach Österreich ein und stellte in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit rechtskräftigem Bescheid vom 5. November 2007 wegen der Zuständigkeit Italiens zurückgewiesen und der Revisionswerber dorthin ausgewiesen. Nachdem der Revisionswerber den unbedingten Teil einer über ihn wegen Begehung eines Suchtmitteldeliktes verhängten Freiheitsstrafe von insgesamt neun Monaten verbüßt hatte, wurde er schließlich am 10. April 2008 nach Italien abgeschoben, wobei er sich davor während Anhaltungen in Schubhaft mit dem Ziel ihrer Beendigung wiederholt Selbstverletzungen zugefügt hatte bzw. in den Hungerstreik getreten war. Mit rechtskräftigem Bescheid vom 2. April 2008 war gegen den Revisionswerber ein bis zum 1. April 2018 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.
2 Ungeachtet dessen kehrte der Revisionswerber - seinen Angaben zufolge bereits am 12. April 2008, sohin zwei Tage nach seiner Abschiebung - wieder nach Österreich zurück, und zwar wegen seiner österreichischen Lebensgefährtin und der gemeinsamen, am 21. März 2008 geborenen Tochter. Jedenfalls wurde der Revisionswerber dann am 3. Dezember 2008 von Italien kommend bei seiner (neuerlichen) Einreise mit einem PKW festgenommen, aus der anschließend verhängten Schubhaft aber wegen Haftunfähigkeit wieder entlassen. Vom 16. Dezember 2008 bis 22. April 2009 verfügte der Revisionswerber, der davor seit seiner Wiedereinreise nicht gemeldet war, lediglich über eine Obdachlosenmeldung. Anschließend befand er sich in Untersuchungshaft und - nachdem das gerichtliche Urteil vom 10. Juli 2009, mit dem der Revisionswerber wegen schweren (unter Verwendung einer Waffe begangenen) Raubes und gefährlicher Drohung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden war, in Rechtskraft erwachsen war - bis 24. Oktober 2016 in Strafhaft.
3 Während der Strafhaft stellte der Revisionswerber Anfang 2010 - nach seinen Angaben: "aus Angst", (offenbar im Fall einer bedingten Entlassung) abgeschoben zu werden - mit (von ihm später zugestanden:) falschen Verfolgungsbehauptungen einen Asylfolgeantrag. Dieser Antrag wurde samt Ausweisung in den Herkunftsstaat Marokko mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. August 2010, bestätigt durch das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 29. Oktober 2010, rechtskräftig abgewiesen. Überdies wurde über den Revisionswerber mit rechtskräftigem Bescheid vom 28. Februar 2011 ein (nunmehr) unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
4 Mit dem in Anschluss an die Strafhaft ab 24. Oktober 2016 in Vollzug gesetzten Bescheid vom 11. Oktober 2016 verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung. Dagegen erhob der Revisionswerber mit dem am 24. November 2016 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eingebrachten Schriftsatz Beschwerde.
5 Mit dem in der Beschwerdeverhandlung am 30. November 2016 mündlich verkündeten und am 2. Dezember 2016 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis wies das BVwG diese Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG ab und stellte fest, dass die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft rechtmäßig gewesen sei (Spruchpunkt A.I.). Weiters stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Danach traf das BVwG diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidungen (Spruchpunkte A.III. und A.IV.). Schließlich sprach das BVwG aus, die (ordentliche) Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil "es an einer Rechtsprechung zu § 76 Abs. 2 Z 1 und Abs. 3 FPG mangelt".
6 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, zu der keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden. Über die Zulässigkeit der Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage gemäß § 30a Abs. 6 VwGG erwogen:
7 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe für die Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Das gilt auch dann, wenn sich die Revision zwar auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen (vgl. den hg. Beschluss vom 4. August 2016, Ro 2016/21/0013, Rz 9, mwN) oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen (vgl. der Sache nach den hg. Beschluss vom 16. November 2015, Ro 2015/12/0012).
9 Letzteres ist hier der Fall, weil das BVwG in der Begründung zum Ausspruch der Zulässigkeit der Revision nicht darlegte, welche - konkret auf die vorliegende Sache bezogene - grundsätzliche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof (erstmals) zu lösen hätte (vgl. den zuletzt zitierten Beschluss vom 16. November 2015, Ro 2015/12/0012). Mit dem bloßen Hinweis des BVwG auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu näher bezeichneten Verwaltungsvorschriften wird nämlich noch nicht in ausreichender Weise dargetan, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösen wäre (vgl. den hg. Beschluss vom 23. September 2014, Ro 2014/01/0033). Demzufolge genügt die bloße Verweisung in der Revision auf die - im Sinne der vorstehenden Ausführungen: hierfür unzureichende - Begründung des BVwG nicht, um die Zulässigkeit der Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG darzustellen.
10 Im Übrigen macht die Revision in Bezug auf ihre Zulässigkeit (in Verbindung mit der weiteren Begründung) noch geltend, aufgrund der (in der Beschwerdeverhandlung) vorgebrachten Möglichkeit, bei seiner (früheren) Lebensgefährtin Unterkunft zu nehmen, wäre die Anwendung gelinderer Mittel in Form einer periodischen Meldeverpflichtung geboten gewesen. Das hielt das BVwG einerseits unter Bezugnahme auf das bisherige Verhalten des Revisionswerbers für nicht gerechtfertigt. Insbesondere habe der Revisionswerber in der durchgeführten Verhandlung die Einhaltung einer Meldeverpflichtung angesichts der in der Vergangenheit wiederholten Missachtung melderechtlicher Vorschriften nicht glaubhaft machen können. Andererseits erachtete das BVwG die behauptete Wohnmöglichkeit aufgrund der Lebensumstände der (früheren) Lebensgefährtin - sie wohnt in einer Betreuungseinrichtung für Frauen und die gemeinsame Tochter befindet sich seit 2011 bei Pflegeeltern - für unglaubwürdig.
11 Spezifische, bisher nicht gelöste Rechtsfragen stellen sich in diesem Zusammenhang nicht. So hat der Verwaltungsgerichtshof auch schon zur Rechtslage nach dem FrÄG 2015 darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben Schubhaft stets nur "ultima ratio" sein dürfe und dass ihre Verhängung zu unterbleiben habe, wenn das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden könne (vgl. den Beschluss vom 20. Dezember 2016, Ra 2016/21/0229, Rz 9, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0243, Rz 10, mwN). Dem entsprechend ist im § 76 Abs. 1 erster Satz FPG (idF des FrÄG 2015) nunmehr - im Einklang mit dem sich aus Art. 1 Abs. 3 des BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit ergebenden verfassungsrechtlichen Gebot des Vorrangs der Anordnung gelinderer Mittel (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. Oktober 2012, G 140/11 ua., VfSlg. 19.675, Punkt III.2.3.1. der Entscheidungsgründe) - auch ausdrücklich normiert, Fremde könnten in Schubhaft (nur) angehalten werden, "sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann". Demnach dürfen bei Fehlen eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs nur gelindere Mittel angeordnet werden; besteht überhaupt kein Sicherungsinteresse oder ist es so gering, dass selbst gelindere Mittel unverhältnismäßig wären, dann ist auch davon Abstand zu nehmen. Kann somit das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen. Es ist daher mit der Verhängung (bloß) eines gelinderen Mittels vorzugehen, wenn einem allfälligen Sicherungsbedürfnis schon auf diesem Weg Genüge getan werden kann (vgl. idS auch die ErläutRV 582 BlgNR 25. GP 23 zum FrÄG 2015 zur Z 7 des § 76 Abs. 3 FPG; siehe dazu im Übrigen des Näheren das hg. Erkenntnis vom 2. August 2013, Zl. 2013/21/0008, Punkt 2.3. und 2.4. der Entscheidungsgründe, die sinngemäß auch für die aktuelle Rechtslage gelten).
12 In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde weiters schon dargelegt, dass die Frage, ob bei Vorliegen eines Tatbestandes nach § 76 Abs. 3 FPG dann auch konkret von (erheblicher) Fluchtgefahr auszugehen sei, stets eine solche des Einzelfalles ist, die daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel sei, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. den Beschluss vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0256, Rz 14, mwN). Das gilt sinngemäß auch für die Frage, ob von einem Sicherungsbedarf auszugehen sei, dem nur durch Schubhaft und nicht auch durch gelindere Mittel begegnet werden könne (vgl. den Beschluss vom 26. Jänner 2017, Ra 2016/21/0323, Rz 10).
13 Auch daraus folgt die Unzulässigkeit der Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG, weil die diesbezügliche, nach mündlicher Verhandlung vorgenommene Einschätzung des BVwG vor dem Hintergrund des eingangs dargestellten Verhaltens des Revisionswerbers jedenfalls vertretbar ist. Aufgrund dieses Verhaltens durfte das BVwG nämlich - entgegen der Meinung in der Revision - durchaus eine manifeste Absicht des Revisionswerbers zur Vereitelung seiner in Umsetzung des gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbotes beabsichtigten Abschiebung unterstellen, zumal das BVwG - auch zu Recht - von der Verwirklichung der Tatbestände der Z 1, 2, 3, 5 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG ausgegangen ist. Außerdem hat es zutreffend ernstlich bezweifelt, dass dem Revisionswerber eine Wohnsitznahme bei seiner (ehemaligen) Lebensgefährtin, die in einer Betreuungseinrichtung für Frauen untergebracht ist, überhaupt möglich wäre. Überdies durfte das BVwG der Sache nach wegen der gravierenden Delinquenz des Revisionswerbers auch noch das besonders große öffentliche Interesse an der Effektuierung seiner Außerlandesschaffung bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Schubhaft berücksichtigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2009/21/0276, mwN, dessen diesbezügliche Überlegungen sich auch auf die aktuelle Rechtslage übertragen lassen).
14 Im Übrigen liegen auch die in der Revision weiters noch relevierten Begründungsmängel nicht vor, weil sich das BVwG mit dem im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstatteten Vorbringen des Revisionswerbers, insbesondere auch zur möglichen Erlangbarkeit eines Ersatzreisedokumentes, nach ausführlicher Erörterung in der Verhandlung dann auch im Erkenntnis umfassend auseinandergesetzt hat.
15 Vom Revisionswerber wird somit insgesamt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargetan, von deren Lösung die Erledigung der Revision abhängt. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 11. Mai 2017
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)