VwGH Ro 2016/10/0041

VwGHRo 2016/10/004129.3.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel in 6370 Kitzbühel, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 19. August 2016, Zl. LVwG-2016/31/1080-1, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei: B K in W), den Beschluss gefasst:

Normen

MSG Tir 2010 §20 Abs1;
MSG Tir 2010 §24;
MSG Tir 2010 §20 Abs1;
MSG Tir 2010 §24;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Dem Mitbeteiligten wurde mit Bescheid der Amtsrevisionswerberin vom 24. November 2015 für den Zeitraum Dezember 2015 Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von EUR 620,87 und mit Bescheid vom 4. Jänner 2016 für den Zeitraum Jänner 2016 in Höhe von EUR 628,32 gewährt.

2 Mit Bescheid (Beschwerdevorentscheidung) der Amtsrevisionswerberin vom 2. Mai 2016 wurde der Mitbeteiligte gemäß § 20 Abs. 1 iVm §§ 32

und 33 Tiroler Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 99/2010 idgF (TMSG), zu einem Kostenrückersatz von EUR 527,16 verpflichtet.

3 Begründend führte die Amtsrevisionswerberin aus, der Mitbeteiligte habe in der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 31. Jänner 2016 eine Mindestsicherungsleistung im Gesamtbetrag von EUR 1.423,73 bezogen. Auf Grund eines Antrags des Mitbeteiligten auf weitere Gewährung von Mindestsicherung habe die Amtsrevisionswerberin eine Anfrage an den Hauptverband der Sozialversicherungen gestellt; dabei sei herausgekommen, dass dem Mitbeteiligten von der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau (in der Folge: Versicherungsanstalt) für den Zeitraum vom 29. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2015 eine Versehrtenrente in Höhe von monatlich EUR 263,58 gewährt worden sei. Der Mitbeteiligte habe den diesbezüglichen Bescheid der Versicherungsanstalt erst über Aufforderung der Amtsrevisionswerberin am 13. April 2016 vorgelegt. Werde die Gewährung von Leistungen der Mindestsicherung durch eine Verletzung der Anzeige- bzw. Mitwirkungspflicht nach § 32 und 33 TMSG herbeigeführt, habe der Mindestsicherungsbezieher zu Unrecht bezogene Leistungen gemäß § 20 TMSG zurückzuerstatten.

4 Infolge des dagegen vom Mitbeteiligten eingebrachten (als "Beschwerde" bezeichneten) Vorlageantrags wurde dieser Bescheid mit dem angefochtenen Erkenntnis ersatzlos behoben (1.) und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für zulässig erklärt (2.).

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der Freibetrag nach § 15 Abs. 5 lit. e TMSG (in Höhe von EUR 4.188,80) auch bei der Verpflichtung zur Rückerstattung von Leistungen nach § 20 Abs. 1 TMSG zu berücksichtigen sei. Da der in Rede stehende Mindestsicherungsbetrag deutlich unter diesem Freibetrag liege, sei die Verpflichtung des Mitbeteiligten zur Rückerstattung zu Unrecht erfolgt.

6 Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Hinweis, dass das TMSG einen Freibetrag im Zusammenhang mit der Rückerstattungspflicht nach § 20 Abs. 1 TMSG nicht ausdrücklich regle und dazu auch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bestehe.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

10 Die Revision verweist zum Vorliegen einer "erheblichen Rechtsfrage" auf die Zulässigkeitsbegründung des angefochtenen Erkenntnisses; sie tritt in den Revisionsgründen der Annahme des Landesverwaltungsgerichts, dass im Anwendungsbereich des § 20 TMSG ein Freibetrag zu berücksichtigen sei, im Einzelnen entgegen.

11 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Revisionswerber auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. z.B. die hg. Beschlüsse vom 20. Mai 2015, Zl. Ro 2014/10/0086, und vom 22. Februar 2017, Zl. Ro 2016/10/0009, jeweils mwN).

12 Die Zulässigkeit der Revision setzt zudem voraus, dass das Schicksal der Revision von der geltend gemachten Rechtsfrage abhängt (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 14. Dezember 2016, Zl. Ro 2016/19/0004).

13 Die Revision ist unzulässig.

14 Die maßgeblichen Bestimmungen des Tiroler

Mindestsicherungsgesetzes, LBGl. Nr. 99/2010 idF

LGBl. Nr. 130/2013 (TMSG), lauten:

"§ 1

Ziel, Grundsätze

...

(4) Leistungen der Mindestsicherung sind so weit zu gewähren, als der jeweilige Bedarf nicht durch den Einsatz eigener Mittel und Kräfte sowie durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann. Dabei sind auch Hilfeleistungen, die nach anderen landesrechtlichen oder nach bundesrechtlichen oder ausländischen Vorschriften in Anspruch genommen werden, zu berücksichtigen.

...

§ 17

Verfolgung von Ansprüchen gegenüber Dritten

(1) Vor der Gewährung von Mindestsicherung hat der Hilfesuchende öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegen Dritte zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos oder unzumutbar ist.

(2) Mindestsicherung ist unbeschadet der Verpflichtung nach Abs. 1 als Vorausleistung zu gewähren, wenn der Hilfesuchende bis zur tatsächlichen Durchsetzung seiner Ansprüche anspruchsberechtigt im Sinn dieses Gesetzes ist. Die unmittelbar erforderliche Bedarfsdeckung ist jedenfalls zu gewähren.

§ 20

Rückerstattung von Leistungen

(1) Wurde die Gewährung von Leistungen der Mindestsicherung

vom Mindestsicherungsbezieher durch

a) unwahre Angaben über die Anspruchsvoraussetzungen,

insbesondere hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse,

b) Verschweigen entscheidungsrelevanter Tatsachen oder

  1. c) Verletzung der Anzeigepflicht nach § 32 herbeigeführt, so hat dieser zu Unrecht bezogene

    Geldleistungen bzw. den Aufwand für zu Unrecht bezogene Sachleistungen zurückzuerstatten.

    ...

    § 24

    Übergang von Rechtsansprüchen

(1) Hat der Mindestsicherungsbezieher gegenüber einem Dritten im Bezugszeitraum Ansprüche auf Leistungen nach § 17 Abs. 1, so kann das für die Gewährung der betreffenden Leistung zuständige Organ (§ 27), sofern sich aus § 42 nichts anderes ergibt, durch schriftliche Anzeige an den Dritten bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe der Aufwendungen auf Mindestsicherung auf den Rechtsträger der Mindestsicherung übergeht.

(2) Die schriftliche Anzeige bewirkt mit ihrem Einlangen beim Dritten den Übergang des Anspruches für die Aufwendungen, die in der Zeit zwischen dem Beginn des Bezuges von Leistungen der Mindestsicherung und dessen Beendigung entstanden sind bzw. entstehen.

§ 32

Anzeigepflicht

Der Mindestsicherungsbezieher hat jede Änderung der für die Gewährung und die Bestimmung des Ausmaßes von Leistungen der Mindestsicherung maßgeblichen Voraussetzungen binnen zwei Wochen dem für die Gewährung der betreffenden Leistungen zuständigen Organ (§ 27) anzuzeigen.

§ 33

Mitwirkung des Hilfesuchenden

Der Hilfesuchende hat an der Feststellung des für die Zuerkennung von Leistungen der Mindestsicherung maßgebenden Sachverhaltes mitzuwirken. Er hat die hiefür erforderlichen Angaben zu machen und die entsprechenden Unterlagen beizubringen sowie sich den allenfalls erforderlichen Untersuchungen zu unterziehen. Nachweise und Unterlagen, die über standardisierte Abfragemöglichkeiten erhoben werden können, sind davon ausgenommen."

15 Die Amtsrevisionswerberin geht im Grunde des § 20 Abs. 1 TMSG von einer Rückerstattungspflicht von gewährten Mindestsicherungsleistungen im Ausmaß der dem Mitbeteiligten (rückwirkend) zuerkannten Versehrtenrente.

16 Voraussetzung der Rückerstattungspflicht nach der genannten Bestimmung ist, dass der Mindestsicherungsbezieher die Gewährung von Mindestsicherungsleistungen durch unwahre Angaben, Verschweigen entscheidungsrelevanter Tatsachen oder Verletzung der Anzeigepflicht nach § 32 herbeigeführt hat. Die in lit. a bis bis c des § 20 Abs. 1 TMSG angeführten Verhaltensweisen müssen demnach für die (bescheidmäßige) Gewährung von Mindestsicherungsleistungen kausal (argum "herbeigeführt") gewesen sein. Die Rückerstattungspflicht umfasst zudem nur jene Geldleistungen bzw. Aufwendungen für Sachleistungen, die "zu Unrecht" bezogen wurden.

17 Schon die erste Voraussetzung liegt im Revisionsfall nicht vor:

18 Die (rückwirkende) Zuerkennung einer monatlichen Versehrtenrente an den Mitbeteiligten erfolgte mit Bescheid der Versicherungsanstalt vom 20. Jänner 2016, der dem Mitbeteiligten nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen am 25. Jänner 2016 zugestellt wurde. Erst zu diesem Zeitpunkt war der Mitbeteiligte daher in Kenntnis über den Anspruch auf einen rückwirkenden Leistungsbezug gegenüber einem Dritten. Zwar hat der Mitbeteiligte die Amtsrevisionswerberin hierüber in weiterer Folge nicht informiert (sondern den Bescheid der Versicherungsanstalt erst über Aufforderung am 13. April 2016 vorgelegt), dieses "Verschweigen" bzw. die darin zu erblickende Verletzung der Anzeigepflicht nach § 32 TMSG war für die - bereits Ende November 2105 bzw. Anfang Jänner 2016 erfolgte - Gewährung der Mindestsicherungsleistungen im Sinne des § 20 Abs. 1 TMSG aber nicht kausal.

Die Amtsrevision bringt in diesem Zusammenhang vor, der Mitbeteiligte habe es entgegen seiner Mitwirkungspflicht unterlassen, im Zuge der gegenständlichen Mindestsicherungsverfahren anzugeben, dass ein Verfahren auf Zuerkennung einer Versehrtenrente anhängig sei. Er habe hiedurch eine entscheidungsrelevante Tatsache verschwiegen, weil es damit der Amtsrevisionswerberin nicht möglich gewesen sei, die Versicherungsanstalt rechtzeitig zu kontaktieren und einen Übergang von Rechtsansprüchen gemäß § 24 TMSG zu erwirken. Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass der in § 24 TMSG vorgesehene - im Wege der Legalzession - eintretende Forderungsübergang lediglich zwischen dem Dritten (hier: der Versicherungsanstalt) und dem Rechtsträger der Mindestsicherung von Bedeutung ist. Die Frage der Verpflichtung zur Gewährung von Mindestsicherungsleistungen bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen an einen Hilfebedürftigen wird hiedurch nicht berührt.

19 Aus den genannten Gründen hat die Amtsrevisionswerberin daher im vorliegenden Fall zu Unrecht eine Rückerstattungspflicht des Mitbeteiligten nach § 20 Abs. 1 TMSG angenommen, weshalb die ersatzlose Aufhebung des Bescheides vom 2. Mai 2016 durch das angefochtene Erkenntnis im Ergebnis zu Recht erfolgte.

20 Das Schicksal der Amtsrevision hängt somit nicht von der Lösung der vom Verwaltungsgericht in der Zulässigkeitsbegründung aufgeworfenen Rechtsfrage ab. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen nicht zuständig (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 10. Dezember 2016, Zl. Ra 2016/01/0098, mwN). Auch der Amtsrevision gelingt es - wie erwähnt - nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG darzulegen.

21 Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 29. März 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte