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European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2025:RA2024080129.L00
Spruch:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber stellte am 2. Februar 2023 einen Antrag auf Arbeitslosengeld. Im Antragsformular erwähnte er bei der Frage nach seinen Beschäftigungszeiten eine seit 1. Jänner 2016 ausgeübte (und auch im Antragszeitpunkt weiter bestehende) selbständige Tätigkeit („Ingenieurbüro“) und gab zur Frage nach einem „eigenen Einkommen“ ein „Einkommen aus Selbständigkeit“ in der Höhe von € 400,- an. Weiters gab er zu seinen „Beschäftigungszeiten“ an, er sei von 4. Februar 2020 bis 31. Jänner 2023 (gemeint wohl: in einer unselbständigen Beschäftigung) bei einer näher genannten Gesellschaft als Bautechniker tätig gewesen.
2 Mit Bescheid vom 8. März 2023 wies die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Graz Ost (im Folgenden: AMS) diesen Antrag ab. Zur Begründung führte das AMS aus, der Revisionswerber sei „laufend betreffend eine selbständige Erwerbstätigkeit zur Pflichtversicherung gemeldet“ und habe dem AMS mitgeteilt, dass „diese Pflichtversicherung auch nicht beendet“ werde.
3 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und brachte dazu vor, die vom AMS festgestellte selbständige Erwerbstätigkeit stelle für ihn nur eine „Nebeneinkunft“ neben seinem Angestelltenverhältnis dar, welche die Geringfügigkeitsgrenze in den Jahren 2020, 2021, 2022 sowie in den Monaten Jänner und Februar im Jahr 2023 nie überschritten habe. In der Sozialversicherung der Selbständigen sei es auch bei geringfügigen Einkünften nicht vorgesehen und somit auch nicht möglich, „die Versicherung zu reduzieren“.
4 Das AMS wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 15. Mai 2023 ab. Es stellte fest, laut Abfrage beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger liege beim Revisionswerber seit dem Jahr 2007 eine selbstständige Erwerbstätigkeit „mit Pflichtversicherung“ vor; der Revisionswerber habe dem AMS mitgeteilt, dass er die Pflichtversicherung aufrechterhalten wolle. Der Revisionswerber sei aus diesem Grund im Sinne des § 12 AlVG nicht als arbeitslos anzusehen, weshalb sein Antrag zu Recht abgewiesen worden sei.
5 Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag und brachte vor, eine selbstständige Erwerbstätigkeit schließe eine Arbeitslosigkeit nur dann aus, wenn bestimmte Einkommens- bzw. Umsatzgrenzen überschritten würden (Hinweis auf § 12 Abs. 6 lit. c und e AlVG) bzw. eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung weiterbestehe. Weil die Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG iVm § 2 Abs. 2 WKG zwar bereits mit Anmeldung des Gewerbes und der damit verbundenen Mitgliedschaft in der Kammer der gewerblichen Wirtschaft eintrete, gelte „zB ein Kleingewerbetreibender“ trotz eines unter der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Einkommens grundsätzlich nicht als arbeitslos, solange die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung weiterbestehe. Tatsächlich liege hierbei ‑ und im vorliegenden Fall ‑ jedoch eine „unvermeidbare Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung“ vor, welche „unter analoger Anwendung des § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG und in Entsprechung der Rechtsprechung des BVwG“ die Annahme von Arbeitslosigkeit bei selbstständig Erwerbstätigen, Komplementären einer KG und Gesellschaftern einer OG „gerade nicht“ ausschließe: Dies dann, wenn weder das Einkommen gemäß § 36a AlVG zuzüglich der Sozialversicherungsbeiträge, noch 11,1 % des Umsatzes gemäß § 36b AlVG die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG überstiegen (Hinweis auf BVwG 8.8.2018, W238 2194133‑1).
6 Bezugnehmend auf dieses Vorbringen im Vorlageantrag des Revisionswerbers teilte das AMS dem Bundesverwaltungsgericht in einer Stellungnahme mit, dass diese Ausführungen korrekt seien und ihnen das AMS nicht entgegentrete.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab und erklärte die Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
8 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber sei „im gesamten Verfahren“ selbständig erwerbstätig gewesen und verfüge über eine aufrechte Gewerbeberechtigung; eine „Ausnahmegenehmigung“ sei nicht beantragt worden und eine Niederlegung oder Ruhendstellung des Gewerbes nicht erfolgt.
9 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht Folgendes aus:
10 Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG sei arbeitslos, wer eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet habe (Z 1), nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliege oder dieser ausschließlich auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliege (Z 2) und keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübe (Z 3). Als arbeitslos gelte jedoch nach § 12 Abs. 6 lit. a AlVG, wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erziele, das die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt. Gemäß § 12 AlVG gelte nicht als arbeitslos, wer selbständig erwerbstätig sei und diese Tätigkeit nicht beendet habe und nicht mehr (gemeint wohl: noch) der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliege. Der Revisionswerber verfüge seit 2016 über eine aufrechte Gewerbeberechtigung und unterliege daher der Pflichtversicherung, unabhängig von der Höhe seiner Einkünfte. Er gelte daher nicht als arbeitslos.
11 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 B‑VG und machte geltend, das Erkenntnis verletze ihn in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes. Mit Beschluss vom 17. September 2024, E 1707/2024-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung dieser Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Begründung dieses Beschlusses führte der Verfassungsgerichtshof Folgendes aus:
„Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Unversehrtheit des Eigentums. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer ‑ allenfalls grob ‑ unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen einer Arbeitslosigkeit iSd § 12 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) in jeder Hinsicht richtig beurteilt hat, insoweit nicht anzustellen.
Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Rechtswidrigkeit der die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften (in concreto: § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG) behauptet wird, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat:
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verfügt der Gesetzgeber im Sozialversicherungsrecht über einen weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum bei der unterschiedlichen Behandlung von Selbständigen und Unselbständigen (s. VfSlg. 10.030/1984) bzw. von verschiedenen Berufs‑ und Beschäftigtengruppen (s. VfSlg. 9551/1982; vgl. auch VfSlg. 20.565/2022 mwN). Wie der Verfassungsgerichtshof zudem bereits mehrfach ausgesprochen hat (etwa VfSlg. 18.786/2009 mwN), wird das Sozialversicherungsrecht im Allgemeinen und das Arbeitslosenversicherungsrecht im Besonderen (VfSlg. 7313/1974) nicht vom Grundsatz der Äquivalenz von Beitrags- und Versicherungsleistung beherrscht, sodass in Kauf genommen werden muss, dass es in manchen Fällen trotz Leistung von Pflichtbeiträgen zu keiner Versicherungsleistung kommt.
Vor diesem Hintergrund bestehen aus Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn eine aufrechte Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) Arbeitslosigkeit nach § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG jedenfalls ausschließt (s. dazu VwGH 25.6.2013, 2013/08/0035, mwN).“
12 In weiterer Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
13 Zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG bringt der Revisionswerber vor, es liege eine „erhebliche Schlechterstellung von selbstständig Erwerbstätigen“ vor, die aufgrund ihrer Gewerbeberechtigung und der daraus folgenden berufsrechtlichen Vorschriften „verpflichtet sind, einer Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GSVG zu unterliegen“, weil diese aufgrund der Bestimmungen des § 12 AlVG vom Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgeschlossen seien. Während sonstige selbständig Erwerbstätige, die keiner Gewerbeberechtigung bedürften, sowie unselbständig Erwerbstätige „berechtigt“ seien, „neben dem Bezug von Arbeitslosengeld einen Zuverdienst bis zur Geringfügigkeitsgrenze zu erwirtschaften“, seien jene selbständig Erwerbstätigen, die aufgrund ihrer Gewerbeberechtigung, „die sie zur Ausübung ihres Gewerbes unweigerlich benötigen“ und die daher „aus den daraus folgenden berufsrechtlichen Vorschriften jedenfalls verpflichtend der Pflichtversicherung unterliegen“, von diesem Grundsatz ausgeschlossen. Diese Problematik habe das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung erkannt und „richtigerweise den Anspruch auf Arbeitslosengeld für selbstständig Erwerbstätige, die verpflichtend einer Pflichtversicherung aufgrund ihrer Gewerbeberechtigung und der damit zusammenhängenden berufsrechtlichen Vorschriften unterliegen“, zuerkannt. Es handle sich um keine eindeutige Rechtslage. Vielmehr liege „unter Bedachtnahme auf die kaum vom Gesetzgeber gewollte Schlechterstellung von gewerbeberechtigungspflichtigen und damit verpflichtend pensionsversicherten Selbstständigen gegenüber sonstigen nicht gewerbeberechtigungspflichtigen Selbstständigen und Unselbstständigen“ eine planwidrige Gesetzeslücke vor, die mittels Analogie geschlossen werden müsse. Die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung laute, ob für selbständig Erwerbstätige, die aufgrund einer Gewerbeberechtigung und daraus folgenden berufsrechtlichen Vorschriften auch nach Ende der Beschäftigung weiter in der Pensionsversicherung pflichtversichert seien, für die somit eine „unvermeidbare Pflichtversicherung“ vorliege, Arbeitslosigkeit iSd AlVG dann anzunehmen sei, wenn aus dieser Tätigkeit weder das Einkommen gemäß § 36a AlVG zuzüglich der Sozialversicherungsbeiträge noch 11,1 % des Umsatzes gemäß § 36b AlVG die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG übersteige.
14 In den Revisionsgründen legte der Revisionswerber seine Rechtsauffassung näher dar.
15 Das AMS brachte im Rahmen des vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahrens einen mit Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz ein, in dem es darauf hinwies, dass es dem Bundesverwaltungsgericht in einer Stellungnahme mitgeteilt habe, dass die Ausführungen im Vorlageantrag des Revisionswerbers „korrekt“ seien und es diesen nicht entgegentrete. „Dennoch“ sei im angefochtenen Erkenntnis bei Beurteilung der Rechtslage „lediglich auf die vorhandene Selbständigkeit mit Pflichtversicherung Bezug genommen“ worden.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17 Die Revision ist im Hinblick auf die in ihrer Zulässigkeitsbegründung dargelegte Rechtsfrage zulässig.
18 Sie ist aber nicht berechtigt.
19 Mit der Einbeziehung von Selbständigen in die Arbeitslosenversicherung (durch die Novelle BGBl. I Nr. 104/2007) wurde unter anderem die Definition des Eintritts von Arbeitslosigkeit in § 12 Abs. 1 AlVG neu formuliert.
20 In der Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 hatte § 12 Abs. 1 AlVG folgenden Wortlaut:
„(1) Arbeitslos ist, wer
1. eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat,
2. nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt und
3. keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt.
...“
21 In den parlamentarischen Materialien (RV 298 BlgNR 23. GP 10) wurde diese Neufassung wie folgt erläutert:
„Zu Z 12 (§ 12 Abs. 1 AlVG):
Die Einbeziehung selbständig Erwerbstätiger in die Arbeitslosenversicherung erfordert eine neue Definition der Arbeitslosigkeit. Es kann nicht mehr ausschließlich auf die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses abgestellt werden, sondern muss jede Beendigung einer selbständigen oder unselbständigen Beschäftigung erfasst werden. Wie bisher soll eine andere geringfügige selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit der Annahme von Arbeitslosigkeit nicht entgegenstehen, soweit dadurch die Verfügbarkeit gemäß § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG nicht beeinträchtigt ist. Die entsprechende Regelung im § 12 Abs. 6 AlVG bleibt unverändert bestehen. Die für die Arbeitslosenversicherung maßgebliche versicherungspflichtige (oder der Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung unterliegende) Erwerbstätigkeit muss jedoch eingestellt und nicht nur reduziert werden. Andernfalls liegt keine Arbeitslosigkeit vor.“
22 Mit dem Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetz 2014 (ASRÄG 2014), BGBl. I Nr. 94, wurde die Ziffer 2 des § 12 Abs. 1 AlVG neu gefasst. § 12 Abs. 1 AlVG hat zufolge dieser Novellierung den folgenden Wortlaut:
„(1) Arbeitslos ist, wer
1. eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat,
2. nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund eines Einheitswertes, der kein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erwarten lässt, unterliegt oder auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt und
3. keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt.“
23 Dazu wurde in den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum ASRÄG 2014 (319 BlgNR 25. GP 21) Folgendes ausgeführt:
„Zu Artikel 6 (Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977):
Zu Z 1 (§ 12 Abs. 1 AlVG):
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 11.12.2013, GZ 2012/08/0133, entschieden:
‚Nach § 12 Abs. 1 AlVG ... schließt auch eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung Arbeitslosigkeit aus, selbst wenn nur eine im Sinn des § 12 Abs. 6 AlVG ‚geringfügige Erwerbstätigkeit‘ ausgeübt wurde. Dies gilt auf Grund des Wortlautes des § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG auch für eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem BSVG.‘
Nachdem das BSVG bereits ab einem Einheitswert von 1 500 Euro eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung vorsieht, hat das zwingend zu berücksichtigende Erkenntnis des VwGH zur Folge, dass nunmehr auch kleine Nebenerwerbslandwirte nicht mehr als arbeitslos gelten und nach Verlust ihrer unselbständigen Beschäftigung keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, weil dieser bei Vorliegen einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem BSVG mangels Arbeitslosigkeit zu verneinen ist.
Nebenerwerbslandwirte, die aus ihrem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nur ein geringes Einkommen erwirtschaften können, sind zur Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung gezwungen. Sie unterliegen wie andere Arbeitnehmer auch der Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung und benötigen für den Fall des Verlustes ihrer unselbständigen Beschäftigung unbedingt eine Absicherung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit.
Die mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 2009 geschaffene Regelung bezweckte keineswegs eine ungerechtfertigte Benachteiligung von Nebenerwerbslandwirten gegenüber anderen Arbeitnehmern, bei denen ein geringfügiges Einkommen aus einer weiteren Erwerbstätigkeit Arbeitslosigkeit und damit den Bezug von Arbeitslosengeld nicht ausschließt.
Es soll daher rückwirkend mit 1. Jänner 2014 eine entsprechende gesetzliche Klarstellung erfolgen. Die Beurteilung der Arbeitslosigkeit von Nebenerwerbslandwirten soll wie bisher davon abhängig sein, ob auf Grund des Einheitswertes ein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze zu erwarten ist. Ein solches Einkommen ist keinesfalls bereits ab einem für die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung maßgeblichen Einheitswert von 1 500 Euro zu erwarten, sondern erst wenn drei Prozent des Einheitswertes die monatliche Geringfügigkeitsgrenze nach dem ASVG (2014 liegt diese bei 395,31 €) übersteigen. 2014 ist bis zu einem Einheitswert von 13 177 € noch von einem geringfügigen Einkommen auszugehen.“
24 Im Ausschussbericht (334 BlgNR 25. GP ) sowie in einem in diesem Ausschussbericht wörtlich wiedergegebenen (und durch diesen als „miterledigt“ bezeichneten) Entschließungsantrag wurde zu dieser Gesetzesänderung des Weiteren Folgendes ausgeführt:
„Die Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes bezweckt die Lösung des Problems, dass Nebenerwerbslandwirte bereits ab einem Einheitswert von 1 500 Euro der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegen, und damit nach einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht als arbeitslos gelten und daher nach Verlust ihrer unselbständigen Beschäftigung kein Arbeitslosengeld beziehen können, durch eine rückwirkende gesetzliche Klarstellung im Sinne der seinerzeit vom Gesetzgeber beabsichtigten Intentionen. Finanzielle Auswirkungen sind damit nicht verbunden, weil dadurch nur der vom Gesetzgeber beabsichtigte und bis zum Erkenntnis des VwGH unbestrittene Zustand wiederhergestellt wird.
(...)
Antrag 650/A(E)
Die Abgeordneten Harald Jannach, Kolleginnen und Kollegen haben den Entschließungsantrag 650/A(E) am 24. September 2014 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
‚Die jüngste Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes hat der Verwaltungsgerichtshof zum Anlass genommen, pensionsversicherten Nebenerwerbsbauern mit bloß geringfügigem Erwerbseinkommen vom Bezug des Arbeitslosengeldes auszuschließen.
Dies führt dazu, dass Nebenerwerbslandwirte, die auf ihr Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit existentiell angewiesen sind, in die Armutsfalle tappen. Gleichzeitig zwingt man diesen Personenkreis ihre Nebenerwerbslandwirtschaft aufzugeben, um ihren Arbeitslosenbezug nicht zu verlieren.
Bisher war es so, dass Nebenerwerbslandwirte als Dienstnehmer unselbstständig beschäftigt waren und der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung unterlegen sind. Das Arbeitslosenversicherungsgesetz berücksichtigte diese Situation und gewährt Nebenerwerbslandwirten, die ihre unselbstständige Beschäftigung verlieren, Arbeitslosengeld, wenn das in der Landwirtschaft erzielte Einkommen bloß als geringfügig zu qualifizieren ist. Dass das AMS nun unter Hinweis auf die bestehende Pflichtversicherung in der bäuerlichen Sozialversicherung die Auszahlung von Arbeitslosengeld verwehrt, ist unverhältnismäßig. Dass die Nebenerwerbslandwirte mit jener Gruppe von gewerblich selbständigen Personen formal gleichgestellt werden, die bei aufrechter Gewerbeberechtigung und bestehender Pflichtversicherung in der GSVG kein Arbeitslosengeld beziehen, ist gleichheitswidrig, da es eine ungleiche Situation formal gleich behandelt.
Für Nebenerwerbslandwirte, die von dieser Neuregelung ja nach dem Willen des Gesetzgebers nicht betroffen waren, sollte sich dadurch nichts ändern: Nebenerwerbsbauern sollte bei geringem Einkommen weiterhin der Bezug von Arbeitslosengeld offen stehen. Das hatte seinerzeit der Nationalrat in seinen Erläuterungen sogar ausdrücklich festgehalten. In diesem Sinne wurde das Arbeitslosenversicherungsgesetz vom AMS bis vor kurzem auch vollzogen. Diese Praxis sollte nun wiederhergestellt werden.“
25 Durch das 6. COVID-19-Gesetz, BGBl. I Nr. 28/2020, wurde in § 12 Abs. 2a AlVG eine zeitlich befristete und durch die Covid-19-Pandemie begründete Ausnahmeregelung wie folgt eingeführt:
„(2a) Für in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätige, die ihre Erwerbstätigkeit eingestellt haben, schadet die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung in den Monaten März bis September 2020 nicht.“
26 Diese Regelung wurde in weiterer Folge mehrfach verlängert (mit BGBl. I Nr. 130/2020 bis Dezember 2020, mit BGBl. I Nr. 41/2021 bis Juni 2021, mit BGBl. I Nr. 117/2021 bis Dezember 2021, mit BGBl. I Nr. 216/2021 bis März 2022).
27 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Auslegung der seit der Einbeziehung von Selbständigen in das AlVG mit BGBl. I Nr. 104/2007 geltenden Fassung des § 12 Abs. 1 AlVG mehrfach Stellung genommen.
28 Die These, dass es für den Eintritt der Arbeitslosigkeit ausreichend sei, dass „lediglich die die Arbeitslosenversicherungspflicht begründende und zu einem Leistungsanspruch führende unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit beendet“ sei und nur auf Grund dieser (beendeten) Tätigkeit keine Pflichtversicherung mehr bestehen dürfe, während eine „neben der anspruchsbegründenden (unselbständigen) Tätigkeit“ ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeit ‑ auch wenn diese der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliege ‑ unschädlich sei, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 7. September 2011, 2009/08/0195, verworfen.
29 Er hat dazu auf den Wortlaut des § 12 Abs. 1 AlVG verwiesen, wonach nur eine solche Beendigung der Erwerbstätigkeit iS des § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG zur Arbeitslosigkeit führt, die auch zur Beendigung der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung im Sinne der Ausnahmetatbestände des § 4 Abs. 1 GSVG führt, d.h. dass sie mit einer Zurücklegung des Gewerbescheins, mit einer Ruhendstellung des Gewerbescheins oder mit einer Verpachtung des Betriebes einhergehen muss. Der Antragsteller in dem dem zitierten Erkenntnis zugrunde liegenden Verfahren hatte im Zeitpunkt der Antragstellung auf Arbeitslosengeld seine (zuletzt bestehenden) Gewerbeberechtigungen weder zurückgelegt noch ruhend gestellt. Schon auf Grund dessen waren die Voraussetzungen nach § 12 Abs. 1 AlVG nicht erfüllt, „wonach (auch) keine selbständige Tätigkeit mehr (weiter) ausgeübt werden und keine Pensionsversicherung bestehen darf“.
30 Der Verwaltungsgerichtshof bekräftigte dies in seiner nachfolgenden Rechtsprechung und hielt fest, dass auch das Ausüben einer geringfügigen Erwerbstätigkeit in den Grenzen des § 12 Abs. 6 AlVG, wenn diese Erwerbstätigkeit der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt, Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG ausschließt (VwGH 2.5.2012, 2011/08/0065, 2011/08/0194 und 2009/08/0155 [=VwSlg. 18398 A/2012]); 23.5.2012, 2011/08/0192; 23.5.2012, 2011/08/0138 [=VwSlg. 18415 A/2012]; 14.3.2013, 2012/08/0025). Dies galt, auf Grund des ohne Differenzierung nur auf die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung abstellenden Wortlauts des § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG, auch für eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem BSVG (VwGH 14.3.2013, 2012/08/0053; 11.12.2013, 2012/08/0133).
31 Die als Reaktion des Gesetzgebers auf die letztzitierten Erkenntnisse mit dem Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetz 2014 (ASRÄG 2014), BGBl. I Nr. 94, vorgenommene Neufassung der Ziffer 2 des § 12 Abs. 1 AlVG schuf von dieser Regelung eine Ausnahme, die ihrem ausdrücklichen Wortlaut nach auf solche Fälle des Unterschreitens der Geringfügigkeitsgrenze beschränkt ist, in denen dies „ausschließlich auf Grund eines Einheitswertes, der kein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erwarten lässt“, der Fall ist. Letzteres kommt nur für Pflichtversicherte nach dem BSVG in Betracht.
32 Gestützt auf diese Neufassung des § 12 Abs. 1 AlVG ging das Bundesverwaltungsgericht in vereinzelten Beschwerdefällen ‑ offenbar im Einklang mit einer auch vom AMS vertretenen Auslegung ‑ von folgender Rechtsauffassung aus, auf die sich auch der nunmehrige Revisionswerber beruft (BVwG 8.8.2018, W238 2194133-1; in gleichem Sinn BVwG 6.11.2018, W228 2200714-1):
„Das Bundesverwaltungsgericht teilt die vom AMS ins Treffen geführte Auffassung, wonach der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG nicht daran gedacht hat, dass auch Selbständige bzw. Gesellschafter, die der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegen und selbst bei einem daraus erzielten lediglich geringfügigen Einkommen keine Möglichkeit zur Ausnahme von der Pflichtversicherung haben, vom Anspruch auf Arbeitslosengeld - wie Nebenerwerbslandwirte nach der alten Rechtslage - ausgeschlossen wären. Da diesbezüglich vergleichbare Sachverhalte vorliegen, der Gesetzgeber aber nur für Nebenerwerbslandwirte eine explizite Regelung getroffen hat, liegt nach Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichtes eine planwidrige Gesetzeslücke im AlVG vor, die im Wege einer analogen Anwendung des § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG auf selbständig Erwerbstätige iSd § 12 Abs. 6 lit. c AlVG, unbeschränkt haftende Gesellschafter (Komplementäre) einer KG und Gesellschafter einer OG zu schließen ist.
Eine unvermeidbare Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung schließt demnach die Annahme von Arbeitslosigkeit bei selbständig Erwerbstätigen, Komplementären einer KG und Gesellschaftern einer OG dann nicht aus, wenn aus dieser Tätigkeit weder das Einkommen gemäß § 36a AlVG zuzüglich der Sozialversicherungsbeiträge noch 11,1 % des Umsatzes gemäß § 36b AlVG die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG übersteigen.“
33 Auf diese Auffassung beruft sich im vorliegenden Revisionsfall der Revisionswerber. Diese Rechtsansicht entspricht jedoch nicht dem Gesetz. Dafür, dass der Fall von Personen, die infolge einer Tätigkeit der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegen, dann, wenn das bezogene Einkommen (bzw. der Umsatz) bestimmte Geringfügigkeitsgrenzen nicht übersteigt, eine vom Gesetzgeber unbedachte, unbeabsichtigte und damit planwidrige „Lücke“ darstellt, lassen sich keine ausreichenden Anhaltspunkte sehen. Der Gesetzgeber des ASRÄG 2014 hat die allgemeine Regelung des § 12 Abs. 1 AlVG, wonach eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung der Arbeitslosigkeit entgegensteht, vielmehr (nur) mit einer spezifisch auf Anwendungsfälle einer Pflichtversicherung nach dem BSVG (nämlich bei Unterschreiten bestimmter Grenzen des aufgrund des „Einheitswerts“ zu erwartenden Einkommens) abstellenden Einschränkung durchbrochen. Nichts spricht dafür, dass der Gesetzgeber dabei andere Fälle der „Geringfügigkeit“ des zu erwartenden Einkommens übersehen oder nicht bedacht hätte. Dagegen spricht bereits, dass solche Konstellationen in den parlamentarischen Materialien ausdrücklich angesprochen wurden (jedoch von der mit der betreffenden Novelle erfolgten Änderung des Gesetzeswortlauts unangetastet blieben), sowie auch, dass der dargestellte Schritt des Gesetzgebers erst aus Anlass des einen Fall einer Pflichtversicherung nach dem BSVG betreffenden hg. Erkenntnisses vom 11. Dezember 2013, 2012/08/0133, erfolgte, während die schon zuvor ergangenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes, in welchen bereits allgemein klargestellt worden war, dass eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung der Arbeitslosigkeit unabhängig von einem etwaigen Unterschreiten der Geringfügigkeitsgrenze entgegensteht (VwGH 2.5.2012, 2011/08/0065, 2011/08/0194 und 2009/08/0155), keine solche Reaktion des Gesetzgebers hervorgerufen hatten. Aus den parlamentarischen Materialien geht hervor, dass der Gesetzgeber des ASRÄG 2014 das Ergebnis erreichen wollte, dass „Nebenerwerbsbauern ... bei geringem Einkommen ... der Bezug von Arbeitslosengeld offen“ steht. Eine Bestätigung dafür, dass für „in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätige“ der (Weiter)Bestand einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung jedenfalls die Arbeitslosigkeit ausschließt, findet sich zudem in der nur befristet eingeführten Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 2a AlVG, die trotz Einstellung der Erwerbstätigkeit vorsah, dass eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung der Arbeitslosigkeit nicht entgegensteht.
34 Dem auf der Annahme des Bestehens einer ungewollten Lücke in § 12 Abs. 1 AlVG beruhenden Vorbringen des Revisionswerbers war daher nicht zu folgen. Außerhalb des (auf Pflichtversicherte nach dem BSVG beschränkten) Anwendungsbereichs des mit dem ASRÄG 2014 eingefügten Ausnahmetatbestands für jene Personen, die der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung „ausschließlich auf Grund eines Einheitswertes, der kein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erwarten lässt“, unterliegen, folgt aus § 12 Abs. 1 AlVG daher unverändert, dass auch das Ausüben einer geringfügigen Erwerbstätigkeit in den Grenzen des § 12 Abs. 6 AlVG, wenn diese Erwerbstätigkeit der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt, Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG ausschließt (vgl. die bereits in Rz. 30 zitierte hg. Rechtsprechung). Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof in seinem zur Beschwerde des Revisionswerbers ergangenen Ablehnungsbeschluss vom 17. September 2024, E 1707/2024‑5, festgehalten, dass mit dieser Rechtslage auch keine unsachliche (verfassungswidrige) Ungleichbehandlung einhergeht.
35 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 10. März 2025
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