VwGH Ra 2023/19/0459

VwGHRa 2023/19/045928.2.2024

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision 1. des N D, 2. der R S, und 3. des B D, alle vertreten durch Dr. Alexandra Schwarzmayr‑Peterleitner, Rechtsanwältin in 5730 Mittersill, Zellerstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. November 2023, 1. I406 2280455‑1/4E, 2. I406 2280449‑1/4E und 3. I406 2280451‑1/4E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023190459.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern des Drittrevisionswerbers. Sie sind tunesische Staatsangehörige.

2 Die revisionswerbenden Parteien stellten am 13. November 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Dazu gaben sie im Wesentlichen an, auf Grund unbeglichener Schulden des Erstrevisionswerbers bedroht worden zu sein. Der Erstrevisionswerber sei wegen Problemen mit seinem Onkel in Tunesien zudem bereits mehrfach inhaftiert gewesen und befürchte, bei einer Rückkehr erneut ins Gefängnis zu müssen. Die Zweitrevisionswerberin gab beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) an, sich mit den Lehren der Zeugen Jehovas zu beschäftigen.

3 Mit Bescheiden vom 20. September 2023 wies das BFA diese Anträge jeweils sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen alle revisionswerbenden Parteien Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Tunesien zulässig sei. Die Behörde legte jeweils keine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis ‑ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ als unbegründet ab. Die von den revisionswerbenden Parteien eingebrachten Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurden als unzulässig zurückgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG jeweils für nicht zulässig erklärt.

5 Begründend führte das BVwG ‑ soweit hier wesentlich ‑ aus, das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien zu den Gründen des Verlassens ihres Herkunftsstaates sei glaubhaft. Allerdings würden sie nicht die hinreichend erforderliche Verknüpfung mit einem Konventionsgrund aufweisen. Es gebe keine konkreten Hinweise für eine drohende staatliche Verfolgung. Bei den von den revisionswerbenden Parteien dargestellten Problemen mit ihren Gläubigern oder der Familie des Erstrevisionswerbers handle es sich weder um eine von einer staatlichen Behörde ausgehende noch um eine dem Staat zurechenbare Verfolgung. Der Rückkehr stünden auch keine exzeptionellen Umstände oder besondere Vulnerabilitäten entgegen. Die erwachsenen revisionswerbenden Parteien seien gesund und arbeitsfähig und könnten in ihrem Herkunftsstaat am Erwerbsleben teilnehmen.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit zunächst vorgebracht, dass das BVwG eine mündliche Verhandlung hätte durchführen müssen. Das BFA habe den Sachverhalt in Bezug auf das Vorbringen, wonach der Erstrevisionswerber „aufgrund seines Onkels bereits mehrmals Haftstrafen verbüßt“ habe, nicht ausreichend ermittelt.

10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA‑VG ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. zu diesen Leitlinien grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 14.12.2023, Ra 2023/19/0453, mwN).

11 Das BFA hat den Erstrevisionswerber in Bezug auf die behauptete drohende Verfolgung durch seinen Onkel umfangreich befragt. Die Revision legt nicht hinreichend dar, inwiefern das BVwG in diesem Punkt von einem unzureichenden Ermittlungsverfahren hätte ausgehen müssen.

12 Die revisionswerbenden Parteien bringen weiters vor, das BVwG hätte sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung mit in der Beschwerde enthaltenen Länderberichten über die Situation von „Kindern in Afghanistan“ auseinandersetzen müssen. Ausgehend davon, dass es sich bei den revisionswerbenden Parteien um tunesische Staatsangehörige handelt, ist diesem im Übrigen unsubstantiierten Vorbringen jedoch der Boden entzogen.

13 Soweit sich die revisionswerbenden Parteien weiters gegen die vom Gericht vorgenommene Beweiswürdigung wenden, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 25.9.2023, Ra 2023/19/0297, mwN).

14 Wenn in diesem Zusammenhang eine fehlende Auseinandersetzung mit einem ‑ sich nicht im Verfahrensakt befindlichen ‑ Haftbefehl sowie den Haftbedingungen in Tunesien moniert wird, übersieht die Revision, dass das BVwG das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates als glaubhaft erachtete. Es verneinte eine asylrelevante Verfolgung vielmehr mangels Vorliegens eines Konventionsgrundes.

15 Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2018/19/0576, mwN).

16 Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision, die dazu kein konkretes Vorbringen enthält, nicht einen relevanten Begründungsmangel aufzuzeigen.

17 Schließlich bemängelt die Revision, das BVwG habe sich vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Ukrainekrieges auf die tunesische Volkswirtschaft nicht ausreichend mit der Rückkehrsituation der revisionswerbenden Parteien auseinandergesetzt.

18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

19 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz‑ und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (zu all dem vgl. etwa VwGH 17.7.2023, Ra 2022/19/0184, mwN).

20 Das BVwG legte seinem Erkenntnis vorliegend das aktuelle ‑ nach dem Ausbrechen des Ukrainekrieges erschienene ‑ Länderinformationsblatt vom 3. August 2023 zu Grunde und stellte fest, dass der Erstrevisionswerber die Berufsreifeprüfung absolviert und im Tourismus sowie am Bau gearbeitet habe. Die Zweitrevisionswerberin sei in Tunesien als Schneiderin tätig gewesen. Das BVwG legte mit näherer Begründung dar, dass die gesunden und arbeitsfähigen erst‑ und zweitrevisionswerbenden Parteien ihren Lebensunterhalt ausreichend erwirtschaften könnten.

21 Die Revision zeigt vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung nicht konkret auf, dass diese Beurteilung mit einer vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmenden Mangelhaftigkeit belastet wäre.

22 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 28. Februar 2024

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