VwGH Ra 2023/02/0166

VwGHRa 2023/02/016628.11.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer‑Kober sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Andrés, über die Revisionen der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom 19. Juni 2023, 1. E 157/09/2023.006/002 und 2. E 157/09/2023.007/002, jeweils betreffend Zwangsstrafe nach dem VVG (mitbeteiligte Parteien: 1. S in A und 2. S in A, jeweils vertreten durch Dr. Josef Lagler, Rechtsanwalt in 7132 Frauenkirchen, Franziskanerstraße 62), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
PolStG Bgld 1986 §7 Abs2
RPG Bgld 1969 §14 Abs3 lita
VVG §4
VVG §4 Abs1
VVG §5
VVG §5 Abs1
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023020166.L00

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die Gegenschrift des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Soweit für die Revisionsverfahren von Bedeutung wurde mit den im Berufungsverfahren ergangenen Bescheiden des Gemeinderates der Marktgemeinde S vom 5. Oktober 2018 dem Zweitmitbeteiligten (Ra 2023/02/0167) als Liegenschaftseigentümer sowie dem Erstmitbeteiligten (Ra 2023/02/0166) als Nutzungsberechtigtem von nach Grundstücksnummer, Einlagezahl und Katastralgemeinde umschriebenen Grundstücken u.a. (a) gemäß § 7 Abs. 2 Bgld. Landes‑Polizeistrafgesetz iVm § 14 Abs. 3 lit. a Bgld. Raumplanungsgesetz aufgetragen, die Tierhaltung auf diesen Grundstücken auf die maximale Stückzahl von sieben Hühnern, fünf Gänsen und sieben Enten einzuschränken, (b) die Haltung von diese eingeschränkte Stückzahl übersteigenden Tieren sowie die Haltung von Hähnen untersagt, und (c) aufgetragen, die Tiere während der Zeit der täglichen Nachtruhe (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) in einem verschlossenen Stall zu verwahren. Diese Maßnahmen seien binnen vier Wochen ab Zustellung der Bescheide bei sonstiger Vollstreckung vorzunehmen.

2 Mit den Bescheiden der belangten Behörde und nunmehr revisionswerbenden Partei vom 8. März 2023 wurde über die Mitbeteiligten jeweils die Verhängung einer Zwangsstrafe in Höhe von € 2.000,‑‑ angeordnet; der Spruch lautete auszugsweise jeweils wie folgt (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof): „Mit Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde S vom 5.10.2018 zur Zahl [...] sind Sie zu folgender Leistung verpflichtet worden: 1) Einschränkung der Tierhaltung auf den Gst. Nr. [...] auf die maximale Stückzahl von 7 Hühnern, 5 Gänsen und 7 Enten. 2) Verwahrung der Tiere während der Zeit der täglichen Nachtruhe (22 Uhr bis 6 Uhr) in einem verschlossenen Stall Dieser Verpflichtung sind Sie laut Mitteilung der Gemeinde S vom 28.02.2023 nicht nachgekommen, da die Tierhaltung die erlaubte Anzahl übersteigt.“ Zugleich wurde jeweils die Verhängung einer weiteren Zwangsstrafe in Höhe von € 2.000,‑‑ unter Setzung einer zweiwöchigen Frist „ab Zustellung dieses Schreibens“ angedroht.

3 Den dagegen erhobenen Beschwerden der Mitbeteiligten wurde mit den angefochtenen Erkenntnissen des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland (Verwaltungsgericht) stattgegeben und die Bescheide behoben. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht jeweils für unzulässig.

4 Unter dem Punkt „Verfahrensverlauf, Sachverhalt“ gab das Verwaltungsgericht diesen Verfahrensgang sowie den Beschwerdeinhalt wieder. In den Beschwerden sei unter anderem vorgebracht worden, die „Überzahl der Tiere“ sei den Mitbeteiligten von zwei benachbarten Grundstücken zugelaufen, was deshalb möglich sei, weil sich auf einem weiteren näher genannten Grundstück eine Baustelle befinde und im Zuge dieser Bauarbeiten die bauliche Abtrennung und die Einfriedung zu allen vier angrenzenden Grundstücken teilweise entfernt worden seien, wodurch die Tiere auf die beiden verfahrensgegenständlichen Grundstücke gelangen könnten.

5 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht ‑ soweit für die Revisionen von Bedeutung ‑ aus, es liege keine unvertretbare Leistung gemäß § 5 VVG vor. Der zulässige Tierbestand könne von der Vollstreckungsbehörde durch Ersatzvornahme nach § 4 VVG hergestellt werden. Die Vollstreckungsbehörde könne über den zulässigen Bestand hinausgehende Tiere von den Grundstücken auf Kosten des Verpflichteten durch Dritte entfernen lassen. Die Ersatzvornahme sei jedenfalls so lange zulässig, als der Pflicht nicht zur Gänze nachgekommen worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 19. September 2006, 2004/05/0159, die Ersatzvornahme bei der Entfernung landwirtschaftlicher Nutztiere ausdrücklich als zulässiges Vollstreckungsmittel erachtet und festgehalten, dass daraus aber auch folge, dass die Ersatzvornahme das einzige in Betracht kommende Vollstreckungsmittel sei. Der angefochtene Bescheid nach § 5 VVG sei zu beheben.

6 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die außerordentlichen Revisionen der belangten Behörde jeweils wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

7 Das Verwaltungsgericht machte bei der Vorlage der Revisionen weder Angaben zur Rechtzeitigkeit der Revisionen noch zu den von ihm durchgeführten Zustellungen (vgl. § 30a Abs. 7 VwGG), sondern erstattete vielmehr eine Gegenschrift mit rechtlichen Ausführungen.

8 Die Revisionen erweisen sich als unzulässig:

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision ‑ gesondert ‑ vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Die Revisionen machen zur Begründung ihrer Zulässigkeit jeweils geltend, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil der Vollstreckungstitel nicht zur einmaligen Abgabe von Tieren verpflichte. Titelmäßige Verpflichtung sei einerseits die Einschränkung der Tierhaltung auf eine näher festgelegte Anzahl von Tieren, welcher der Verpflichtete zwischen Eintritt der Rechtskraft der Titelentscheidung und der Erlassung der Vollstreckungsverfügung auch nachgekommen sei. Andererseits sei dem Verpflichteten auf Dauer untersagt worden, mehr als die im Titel festgelegten Tiere zu halten und es sei ihm aufgetragen worden, die Tiere während der Nachtruhe in einem verschlossenen Stall zu verwahren. Die Vollstreckungsverfügung gründe auf der Zuwiderhandlung des Verpflichteten gegen die Verpflichtung, es auf Dauer zu unterlassen, mehr als die im Titel festgelegten Tiere zu halten. Die Vollstreckung einer Verpflichtung auf Dauer sei nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März 1997, 96/05/0112, eine Leistung, die nicht durch Dritte zu bewerkstelligen sei, weshalb als Zwangsmittel nur die Zwangsstrafe in Betracht komme. Auch ergebe sich aus dem Auftrag, nicht mehr Tiere zu halten als im Titel festgelegt, die Verpflichtung, es zu unterlassen, mehr Tiere zu halten. Der Titel enthalte daher eine Verpflichtung zur Unterlassung und sei daher gemäß § 5 Abs. 1 VVG mittels Zwangsstrafe zu vollstrecken.

§ 4 Abs. 1 VVG in der Stammfassung BGBl. Nr. 53/1991 und § 5 Abs. 1 VVG in der Fassung BGBl. I Nr. 14/2022 lauten:

Erzwingung anderer Leistungen und Unterlassungen

a) Ersatzvornahme

§ 4. (1) Wenn der zu einer Arbeits‑ oder Naturalleistung Verpflichtete dieser Pflicht gar nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit nachgekommen ist, so kann die mangelnde Leistung nach vorheriger Androhung auf Gefahr und Kosten des Verpflichteten bewerkstelligt werden.

[...]

b) Zwangsstrafen

§ 5. (1) Die Verpflichtung zu einer Duldung oder Unterlassung oder zu einer Handlung, die sich wegen ihrer eigentümlichen Beschaffenheit nicht durch einen Dritten bewerkstelligen lässt, wird dadurch vollstreckt, dass der Verpflichtete von der Vollstreckungsbehörde durch Geldstrafen oder durch Haft bis zur Gesamtdauer von einem Jahr zur Erfüllung seiner Pflicht angehalten wird.

[...]“

13 Die Ersatzvornahme stellt das im VVG zur Erbringung vertretbarer Leistungen ausdrücklich vorgesehene Zwangsmittel dar. Das Gesetz sieht in § 5 VVG Zwangsstrafen nur zur Erzwingung von Duldungen und Unterlassungen sowie von unvertretbaren Handlungen vor. Eine Verhängung solcher Zwangsstrafen kommt daher in Fällen, in denen mit Ersatzvornahme vorzugehen ist, überhaupt nicht in Betracht (VwGH 17.12.1991, 91/07/0121).

14 In dem vom Verwaltungsgericht zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. September 2006, 2004/05/0159, war dem dortigen Beschwerdeführer die Haltung von landwirtschaftlichen Nutztieren ab einem näher genannten Zeitpunkt auf unbestimmte Zeit verboten und verfügt worden, dass die in seinem Anwesen gehaltenen landwirtschaftlichen Nutztiere bis zu diesem Zeitpunkt abzugeben seien. Da der (dortige) Beschwerdeführer weiterhin Rinder und Kälber gehalten habe und somit seiner Verpflichtung zur Abgabe der Rinder innerhalb der gesetzten Frist nicht nachgekommen sei, wurde ihm die Ersatzvornahme angedroht und eine solche schließlich angeordnet. Hierzu führte der Verwaltungsgerichtshof aus, bei der mit Titelbescheid auferlegten Verpflichtung, die im Anwesen gehaltenen landwirtschaftlichen Nutztiere bis zu einem näher genannten Zeitpunkt abzugeben, handle es sich um eine vertretbare Leistung, die durch einen Dritten bewerkstelligt werden könne, weshalb § 4 VVG zur Anwendung komme.

15 Im vorliegenden Verfahren wurde im Spruch des Bescheides der belangten Behörde vom 8. März 2023 bezüglich der Tiere lediglich auf die Einschränkung der Tierhaltung auf eine jeweils bestimmte Stückzahl Bezug genommen.

16 Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass den Mitbeteiligten mit Spruchpunkt 2a des Bescheides der revisionswerbenden Partei ‑ Einschränkung des Tierbestandes auf eine jeweils bestimmte Anzahl von Tieren ‑ insoweit ein positives Tun angeordnet worden ist (vgl. das in Rn. 14 wiedergegebene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes). Ein solches Tun kann jedoch von einem Dritten durch Ersatzvornahme ‑ der Abnahme der überzähligen Tiere ‑ jederzeit bewirkt werden (vgl. ebenso VwGH 10.10.2014, Ra 2014/03/0034).

17 Anders als die belangte Behörde in der Zulässigkeitsbegründung ihrer Revisionen ausführt, stützte sich der Spruch der von den Mitbeteiligten angefochtenen Bescheide nicht auf die Vollstreckung der Untersagung der Tierhaltung. Die von der belangten Behörde formulierte Rechtsfrage, ob diese Untersagung der Tierhaltung mittels Zwangsstrafe zu vollstrecken sei, stellt sich daher in den vorliegenden Verfahren nicht.

18 Die Zulässigkeit einer Revision setzt aber gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG voraus, dass ihr Schicksal, also der Erfolg der Revision, von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung „abhängt“. Es muss daher zumindest die Möglichkeit bestehen, dass die aufgeworfene, im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Rechtsfrage für die Lösung des Falles von ausschlaggebender Bedeutung ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist nämlich gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Lösung theoretischer Rechtsfragen befugt, sondern nur solcher, von deren Lösung der Erfolg der Revision tatsächlich abhängt. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig (vgl. VwGH 24.5.2023, Ra 2022/11/0127, mwN).

19 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen. Da das Verwaltungsgericht im Revisionsverfahren nach dem VwGG keine Parteistellung hat, war seine Gegenschrift zurückzuweisen.

Wien, am 28. November 2023

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