Normen
MSG Tir 2010 §1
MSG Tir 2010 §2 Abs22 idF 2017/052
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022100009.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Am 10. September 2020 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Weitergewährung der Mindestsicherung nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG).
2 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 12. Oktober 2020 wurde der Antrag des Revisionswerbers als unbegründet abgewiesen.
3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde.
4 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 4. Dezember 2020 änderte die belangte Behörde den Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend ab, dass dem Revisionswerber für den Zeitraum von 1. Oktober 2020 bis 31. Oktober 2020 eine einmalige Unterstützung für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Höhe von € 307,94 zuerkannt werde.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der Beschwerde insofern Folge, als es aussprach, dass dem Revisionswerber eine Unterstützung für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum von 1. September 2020 bis 30. September 2020 in Höhe von € 172,60 und für den Zeitraum von 1. Oktober 2020 bis 31. Oktober 2020 in Höhe von € 132,89 zuerkannt werde. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
6 In der Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Ermittlung des für die Berechnung der Mindestsicherung relevanten Einkommens des Revisionswerbers für die Monate September und Oktober 2020 seien die monatlichen Auszahlungsbeträge der Pensionsversicherungsanstalt an den Revisionswerber laut Kontoauszug zuzüglich eines monatlichen Betrages in Höhe von € 49,‑‑ zugrunde gelegt worden. Bei dem genannten Betrag handle es sich um einen monatlich einbehaltenen Ratenabzug durch die Pensionsversicherungsanstalt wegen einer durch den Revisionswerber ‑ aufgrund eines Auslandsaufenthaltes ‑ zu Unrecht bezogenen Ausgleichszulage. Dagegen seien die Unterhaltszahlungen des Revisionswerbers als einkommensmindernd berücksichtigt worden. Die gewährten Mietzinsbeihilfen seien dem Einkommen zugerechnet worden.
7 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, der Ratenabzug zwecks Rückzahlung der zu Unrecht bezogenen Ausgleichszulage habe nicht als einkommensmindernd berücksichtigt werden können, weil es sich dabei um die Abschöpfung eines Übergenusses an einer durch den Bund in Form der Ausgleichszulage gewährten Mindestsicherungsleistung handle, die mangels Erfüllung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen zu Unrecht bezogen worden sei. Diese sei daher als „Ausgabe neutral“ zu werten. Die Kompensation eines solchen Übergenusses auf Bundesebene durch eine auf Landesebene gewährte Mindestsicherung würde sowohl den Willen des Bundesgesetzgebers hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Ausgleichszulage und der Rückforderung zu Unrecht bezogener Leistungen als auch das Subsidiaritätsprinzip nach § 1 Abs. 4 TMSG konterkarieren. Im Fall einer eigenverantwortlichen Überweisung der Rückzahlungsraten durch den Revisionswerber wäre diese auch nicht als eine den Mindestsicherungsanspruch nach dem TMSG erhöhende oder begründende Ausgabe zu werten. Dies wäre auch nicht mit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit nach § 1 Abs. 8 TMSG zu vereinbaren.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
9 Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision beantragt.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht weiche von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf u.a. VwGH 26.11.2002, 2001/11/0168) ab, weil es verkannt habe, dass Schulden aus der Vergangenheit bei der Ermittlung der Höhe des für die Mindestsicherung relevanten Einkommens zu berücksichtigen seien, sofern sie sich im Sinne einer aktuellen Notlage auswirken würden. Das Verwaltungsgericht hätte den Ratenabzug in Höhe von monatlich € 49,00 daher als einkommensmindernd berücksichtigen müssen.
12 Die Revision ist aus diesem Grund zulässig; sie erweist sich auch als begründet.
13 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Sozialhilfegesetzen der Länder sind Zahlungsverpflichtungen für in der Vergangenheit eingegangene Schulden dann ausnahmsweise bei der Berechnung von Sozialhilfeleistungen zu berücksichtigen, wenn sie sich noch im Zeitraum der Entscheidung über die Hilfegewährung im Sinn einer aktuellen oder unmittelbar drohenden Notlage auswirken (vgl. etwa VwGH 18.4.2012, 2011/10/0095). Eine derartige aus früheren Schulden resultierende aktuelle Notlage hat der Verwaltungsgerichtshof etwa in einer wegen früherer Schulden anhängigen Lohnpfändung erblickt, weil sich dadurch der dem Hilfesuchenden tatsächlich zur Verfügung stehende Betrag entsprechend verringert (vgl. VwGH 24.4.2023, Ra 2021/10/0060; 24.6.2015, Ra 2014/10/0055, mwN).
14 Die zur anhängigen Lohnpfändung angestellten Überlegungen gelten gleichermaßen für den monatlichen Ratenabzug durch die Pensionsversicherungsanstalt, weil auch dieser den dem Revisionswerber tatsächlich monatlich zur Verfügung stehenden Betrag entsprechend verringert hat (vgl. dazu auch § 2 Abs. 22 TMSG in der hier maßgeblichen Fassung des LGBl. Nr. 52/2017, wonach das Einkommen alle Einkünfte umfasst, die dem Hilfesuchenden zufließen). Bei der Berechnung des für den Mindestsicherungsanspruch maßgeblichen Einkommens des Revisionswerbers hätte daher der monatliche Ratenabzug durch die Pensionsversicherungsanstalt als einkommensmindernd berücksichtigt werden müssen.
15 Da das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 20. November 2023
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