Normen
AVG §56
AVG §69
B-VG Art133 Abs4
EURallg
NAG 2005 §54 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL
32004L0038 Unionsbürger-RL
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220087.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, beantragte am 10. September 2012 beim Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) unter Berufung auf die am 4. September 2012 in Dänemark erfolgte Eheschließung mit der slowakischen Staatsangehörigen JL die Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG). Aufgrund dieses Antrages wurde dem Revisionswerber eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG mit Gültigkeit von 21. November 2012 bis 21. November 2017 ausgestellt.
2 Am 27. Oktober 2017 stellte der Revisionswerber bei der belangten Behörde einen Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte gemäß § 54a Abs. 1 NAG.
3 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 7. Mai 2020 wurde das Verfahren hinsichtlich des Antrages vom 10. September 2012 gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm § 69 Abs. 3 AVG von Amts wegen wiederaufgenommen (Spruchpunkt I) sowie die Anträge vom 10. September 2012 und vom 27. Oktober 2017 zurückgewiesen und gleichzeitig festgestellt, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes falle.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis (mit einer für das vorliegende Revisionsverfahren nicht relevanten Maßgabe) ab. Weiters sprach es aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.
5 Das Verwaltungsgericht stellte nach Durchführung einer Verhandlung fest, dass die Ehe zwischen dem Revisionswerber und JL nach wie vor aufrecht sei, obwohl die Eheleute bereits seit Oktober 2017 keinen persönlichen Kontakt mehr gehabt hätten. Der Revisionswerber kenne die aktuelle Wohnadresse von JL nicht. Weiters stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die Ehe zu dem Zweck geschlossen worden sei, dem Revisionswerber den rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen; ein Familienleben zwischen den Eheleuten sei nicht entfaltet worden.
6 In seinen beweiswürdigenden Erwägungen stützte sich das Verwaltungsgericht vorwiegend auf widersprüchliche Angaben des Revisionswerbers in Bezug auf den gemeinsamen Aufenthalt der Eheleute in Österreich. Zudem habe der Revisionswerber weder angeben können, welcher Beschäftigung seine Ehefrau nachgegangen sei, wieviel sie verdient habe und in welchen Zeiträumen sie tatsächlich beschäftigt gewesen sei.
7 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Antrag auf Ausstellung einer „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ vom 25. September 2018 nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sei, weil die belangte Behörde nicht darüber entschieden habe. Weiters führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber durch das Eingehen einer Aufenthaltsehe sowie durch den Umstand, dass er sich im Aufenthaltstitelverfahren auf diese Ehe gestützt habe, den ihm erteilten Aufenthaltstitel erschlichen habe. Der Revisionswerber habe mit JL niemals ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt. Der Tatbestand des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG und die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme seien somit erfüllt gewesen.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Zunächst ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 9. September 2020, Ro 2020/22/0010, ausgesprochen hat, dass einer Dokumentation des Aufenthaltsrechts nicht jede Bescheidwirkung abgesprochen werden kann und mangels spezieller Regelungen betreffend die Aufhebung der Rechtswirkungen diesbezüglich ein Anwendungsfall des § 69 AVG zu bejahen ist.
13 In der Zulässigkeitsbegründung bringt die Revision vor, dass ein bloßer Verdacht keinen Wiederaufnahmegrund gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG darstellen könne; vielmehr hätte vorab ein Wiederaufnahmeverfahren gemäß § 70 AVG verfügt werden müssen. Weiters bleibe das Aufenthaltsrecht eines begünstigten Drittstaatsangehörigen, selbst wenn die Ehe als Aufenthaltsehe festgestellt werde, so lange bestehen, bis es mittels Bescheid gemäß § 54 Abs. 7 NAG beendet werde.
14 Damit übersieht die Revision zunächst, dass mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 7. Mai 2020 (ua.) sowohl die Wiederaufnahme verfügt als auch über den Antrag vom 10. September 2012 (in Form einer Zurückweisung) abgesprochen wurde.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein „Erschleichen“ eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG dann vor, wenn dieser in der Art zu Stande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2018/22/0032, mwN). Vorliegend hat sich der Revisionswerber in dem (zunächst bewilligten) Verfahren zur Ausstellung einer Aufenthaltskarte auf seine ‑ vom Verwaltungsgericht in der Folge als Aufenthaltsehe angesehene ‑ Ehe mit JL berufen. Damit lagen die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vor. Davon zu unterscheiden ist die Entscheidung über die ‑ infolge der Wiederaufnahme wieder offenen ‑ Anträge des Revisionswerbers auf Erteilung der Aufenthaltskarten (vgl. VwGH 22.4.2021, Ra 2020/22/0237).
16 Nach § 30 Abs. 1 NAG dürfen sich Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen; dies gilt gemäß § 30 Abs. 3 NAG auch für den Erwerb und die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes.
17 Gemäß § 54 Abs. 7 NAG ist ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt, wenn (ua.) eine Aufenthaltsehe (§ 30) vorliegt. Dementsprechend hat die Behörde, nachdem sie vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe ausgegangen ist, die Anträge vom 10. September 2012 und 27. Oktober 2017 gemäß § 54 Abs. 7 iVm Abs. 1 NAG zurückgewiesen. Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht war daher die Zurückweisungsentscheidung der Behörde und die damit verbundene Annahme einer Aufenthaltsehe. Inwiefern das Verwaltungsgericht seine Prüfbefugnis überschritten hätte, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
18 Soweit der Revisionswerber vorbringt, dass die Ehe zum Zeitpunkt der Antragstellung am 27. Oktober 2017 aufrecht gewesen sei und er mit seiner Ehefrau sehr wohl noch ein gemeinsames Familienleben geführt habe, zeigt er nicht auf, inwiefern die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes, die unter Heranziehung einer Mehrzahl von Aspekten sowie unter Bedachtnahme auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und der Einvernahme weiterer Zeugen erfolgt ist, unvertretbar wäre (vgl. zum insoweit eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes VwGH 9.9.2020, Ra 2019/22/0216, mwN)
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 29. Juni 2021
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
