VwGH Ra 2020/21/0289

VwGHRa 2020/21/02895.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der K P, vertreten durch die Kocher & Bucher Rechtsanwälte OG in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 2020, G306 2219718‑1/7E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 59 iVm § 57 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §59
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52 Abs3
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
StGB §46
StPO 1975 §173a
StVG §156b
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210289.L00

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 59 iVm § 57 AsylG 2005 richtet, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina, war ab Mai 2012 regelmäßig, aber erst ab April 2016 durchgehend in Österreich gemeldet. Am 27. Dezember 2013 stellte sie im Hinblick auf ihre damalige Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Familienangehörige gemäß § 47 NAG, welcher mit rechtskräftigem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz‑Land vom 23. Oktober 2014 abgewiesen wurde.

2 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 23. Dezember 2016 wurde die Revisionswerberin wegen des Verbrechens des versuchten Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 4 Z 3 SMG als Beitragstäterin (§ 12 dritter Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten (davon 20 Monate bedingt nachgesehen) verurteilt, welche sie von 6. April 2016 bis 6. Februar 2017 verbüßte. Der Berufung der Staatsanwaltschaft gab das Oberlandesgericht Graz (OLG) mit Urteil vom 25. August 2017 insoweit Folge, als die teilbedingte Strafnachsicht aus dem Urteil ausgeschaltet wurde (zur Verbüßung der weiteren Haftstrafe siehe unten Rn. 8). Bei der Strafbemessung wurden letztlich die Unbescholtenheit und der Umstand, dass die Tat beim Versuch geblieben sei, als mildernd gewertet, während dem Geständnis vom Berufungsgericht nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen wurde, weil es sich um ein „Muss‑Geständnis“ gehandelt habe; als erschwerend wurde hingegen kein Umstand gewertet.

3 Dem Schuldspruch lag zusammengefasst zugrunde, dass die Revisionswerberin zum versuchten Überlassen von Suchtgift in einer das 25‑fache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge, nämlich 999,56 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 76,88 %, an einen verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) zu einem Kaufpreis von € 55.000,‑ ‑ beigetragen habe, indem sie zunächst den Kontakt zwischen dem verdeckten Ermittler und ihrem Auftraggeber hergestellt und sodann die Treffen mit den möglichen Suchtgiftlieferanten vereinbart habe. Hierbei habe sie Übersetzungsleistungen erbracht, sei mit dem tatsächlichen Auftraggeber, der die Lieferung des Suchtgiftes zugesagt und in weiterer Folge auch organisiert habe, in Kontakt geblieben und habe entsprechende weitere Informationen an den verdeckten Ermittler weitergegeben. Für ihre Anwesenheit und die Dolmetscherdienste habe sie sich von ihrem Auftraggeber einen finanziellen Beitrag für den Fall der positiven Abwicklung des Suchtgiftgeschäftes versprechen lassen. Die Tatbeteiligung der Revisionswerberin habe mehrere Treffen und Telefonate über den Zeitraum von zumindest 11. März 2016 bis 6. April 2016 (dem Übergabetermin) betroffen.

4 Für den Zeitraum von 27. April 2017 bis 26. April 2018 wurde der Revisionswerberin, der zunächst ein Aufschub des Vollzugs des Rests der über sie verhängten Freiheitsstrafe bewilligt worden war, eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erteilt, deren Verlängerung sie mit Eingabe vom 9. April 2018 beantragte.

5 Das BKA übermittelte dazu einen „Bericht“ vom 11. April 2018, wonach die Revisionswerberin als Vertrauensperson beim Bundeskriminalamt registriert sei und es durch ihre Tätigkeit bereits mehrmals gelungen sei, international agierende Täter (vorwiegend Drogenhändler) auszuforschen und der Festnahme zuzuführen. Zur Zeit werde die Revisionswerberin zu einer näher genannten Aktenzahl als Vertrauensperson eingesetzt. Der Einsatz sei nicht abgeschlossen und werde noch länger andauern. Aufgrund der notwendigen laufenden Informationsgewinnung sei die Anwesenheit der Revisionswerberin in Österreich unumgänglich und es werde ersucht, für die weiteren Ermittlungen und zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen der Revisionswerberin den besonderen Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 weiterhin zukommen zu lassen.

6 In der gemäß § 57 Abs. 2 AsylG 2005 erstatteten Stellungnahme vom 26. April 2018 bestätigte die Landespolizeidirektion Oberösterreich unter Bezugnahme auf das Schreiben des BKA vom 11. April 2018, dass die beantragte „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ der Gewährleistung der Strafverfolgung von konkreten gerichtlich strafbaren Handlungen diene.

7 In einem ebenfalls mit 26. April 2018 datierten Schreiben teilte das BKA dann allerdings mit, dass der Verlängerungsantrag der Revisionswerberin nicht unterstützt werde. Sie sei nämlich, da ein weiterer Haftaufschub nicht bewilligt worden sei, mit Wirksamkeit vom 20. April 2018 als Vertrauensperson „stillgelegt“ worden und komme nicht mehr als solche zum Einsatz.

8 Ab 9. Oktober 2018 verbüßte die Revisionswerberin die aufgrund des Urteils des OLG vom 25. August 2017 noch offene Haftstrafe im elektronisch überwachten Hausarrest, aus welchem sie am 22. März 2019 bedingt entlassen wurde.

9 Mit Bescheid vom 26. April 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Verlängerungsantrag der Revisionswerberin hinsichtlich einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vom 12. April 2018 gemäß § 57 AsylG 2005 iVm § 59 AsylG 2005 ab. Zugleich erließ es gegen die Revisionswerberin gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte das BFA fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Bosnien‑Herzegowina zulässig sei. Des Weiteren wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

10 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. Mai 2020 nur insoweit Folge, als die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

11 Das Bundesverwaltungsgericht stellte insbesondere fest, dass die nunmehr geschiedene Revisionswerberin regelmäßigen Kontakt zu ihrer in Österreich lebenden Cousine halte und auch den Kontakt zu Freunden pflege. In Bosnien und Herzegowina befänden sich die Mutter und die Großfamilie der Revisionswerberin, mit denen sie regelmäßigen Telefonkontakt habe und die sie auch von Zeit zu Zeit in Bosnien besuche.

12 Zur Abweisung des Verlängerungsantrags bezüglich der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ führte das Bundesverwaltungsgericht aus, das BKA habe am 26. April 2018 mitgeteilt, dass die Revisionswerberin nicht mehr als Vertrauensperson zum Einsatz komme. Da die Revisionswerberin somit nicht mehr bei der strafrechtlichen Verfolgung unterstützend herangezogen werde, sei der Tatbestand des § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht erfüllt.

13 Die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung prüfte das Bundesverwaltungsgericht nach § 52 Abs. 3 FPG iVm § 9 BFA‑VG und stützte sich zusammengefasst darauf, dass die Revisionswerberin den Großteil ihres Lebens in ihrem Herkunftsstaat verbracht und sich bis zu ihrer Inhaftnahme am 8. April 2016 nie länger durchgehend in Österreich aufgehalten habe. Aus den strafbaren Handlungen der Revisionswerberin gehe hervor, dass sie (auch wenn sie den unmittelbaren Kontakt mit Suchtgift vermieden habe) grundsätzlich jederzeit dazu bereit sei, sich auf illegale Weise ‑ auch über den für die Gesundheit der Menschen besonders gefährlichen Suchtgifthandel ‑ finanziell zu bereichern. Die Revisionswerberin habe auch bereits davor ihre Gefährlichkeit unter Beweis gestellt, indem sie am 27. September 2013 ihren ehemaligen Ehemann im Zuge einer verbalen und tätlichen Auseinandersetzung mit zwei Küchenmessern bedroht habe, woraufhin mit im Juni 2016 rechtskräftig gewordenem Bescheid ein Waffenverbot über sie verhängt worden sei. Zudem habe die Revisionswerberin die erlaubte sichtvermerksfreie Aufenthaltsdauer überschritten und sei im November und Dezember 2013 illegal beschäftigt gewesen. Aufgrund dieser mehrmaligen Verstöße der Revisionswerberin gegen österreichische Rechtsvorschriften liege ein besonders starkes öffentliches Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, vor allem zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, vor, welches die privaten Interessen der Revisionswerberin (Kontakthalten mit ihrer Cousine, legale Beschäftigungen der Revisionswerberin von Juli bis November 2017 und dann ab August 2018) eindeutig in den Hintergrund treten lasse. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei somit im gegenständlichen Fall jedenfalls gerechtfertigt.

14 Das Einreiseverbot betreffend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt sei, weil die gegen die Revisionswerberin verhängte unbedingte Freiheitsstrafe von 30 Monaten die in § 53 Abs. 3 Z 1 FPG geforderte Mindesthöhe von drei Monaten bei weitem überschreite. Die Erfüllung des Einreiseverbotstatbestandes sei jedoch nur Indiz für die von der Revisionswerberin ausgehende schwerwiegende Gefahr, weshalb deren tatsächliches Vorliegen unter Berücksichtigung des gesamten (Fehl‑)Verhaltens und aller individueller Umstände beurteilt werden müsse. Dabei führte das Bundesverwaltungsgericht die bereits zur Begründung der Rückkehrentscheidung herangezogenen Umstände ins Treffen und erwog darüber hinaus, dass die „Wohlverhaltensdauer“ seit der bedingten Haftentlassung der Revisionswerberin am 22. März 2019 im Hinblick auf ihre besonders verwerflichen strafbaren Handlungen nicht nur kurz, sondern auch dadurch relativiert sei, dass die Revisionswerberin wisse, nur bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren aus der Haft entlassen worden zu sein. Durch den mit Schreiben vom 6. Februar 2019 erfolgten Vorhalt der behördlichen Absicht, gegen die Revisionswerberin eine Rückkehrentscheidung und ein befristetes Einreiseverbot zu erlassen, sei ihr auch ihr unsicherer Aufenthaltsstatus bewusst gemacht worden. Wenngleich die Revisionswerberin ab Februar 2017 das BKA bei der strafrechtlichen Verfolgung bestimmter Straftäter als Vertrauensperson unterstützt habe und sie von Juli bis November 2017 und dann ab August 2018, auch im elektronisch überwachtem Hausarrest, legalen Beschäftigungen nachgegangen sei und sich in ihrer Stellungnahme vom 6. März 2019 und in ihrer Beschwerde vom 24. Mai 2019 reuig gezeigt habe, könne dies alles nicht ihre mit dem Suchtgifthandel zusammenhängenden besonders verwerflichen strafbaren Beitragshandlungen in den Hintergrund treten lassen.

15 Zur Bemessung des Einreiseverbots erwog das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen, dass den schwer zu Ungunsten der Revisionswerberin wiegenden Beitragshandlungen in Zusammenhang mit dem Suchtgifthandel und ihrem sonstigen Fehlverhalten nur „nicht besonders berücksichtigungswürdige private Interessen“ gegenüber stünden, habe sie doch keine über ein bloßes Kontakthalten hinausgehende nähere Beziehungen mit ihrer Cousine oder einer sonstigen Bezugsperson in Österreich geführt. Aufgrund der vorhandenen privaten Anknüpfungspunkte der Revisionswerberin in Österreich und ihrer ab 2012 nur sporadischen, ab Inhaftnahme am 8. April 2016 jedoch ununterbrochenen Aufenthaltsdauer in Österreich werde das vom BFA verhängte Einreiseverbot aber auf die Dauer von zwei Jahren herabgesetzt.

16 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA‑VG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt erscheine.

17 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

18 Hat das Verwaltungsgericht ‑ wie hier ‑ in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

19 Unter diesem Gesichtspunkt macht die Revisionswerberin hinsichtlich der Abweisung ihres Antrags nach § 59 iVm § 57 AsylG 2005 geltend, dass ihr ein Aufenthaltstitel nach dieser Bestimmung zu erteilen gewesen wäre, da sie „nach wie vor die Ermittlungsbehörden mit Informationen versorge“. Das Vorliegen der hier maßgeblichen Voraussetzungen nach der ersten Alternative des § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 (Titelerteilung „zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen“) iVm § 57 Abs. 3 AsylG 2005 (wonach ein Antrag nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen ist, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde) wird mit diesem allgemein gehaltenen Vorbringen aber nicht aufgezeigt.

20 Insoweit war die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat ‑ mangels Darlegung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung als unzulässig zurückzuweisen.

21 Im Übrigen ‑ die Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Aussprüche betreffend ‑ erweist sich die Revision aber als zulässig und berechtigt, weil das Bundesverwaltungsgericht, wie in der diesbezüglichen Zulässigkeitsbegründung aufgezeigt wird, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen ist.

22 Zunächst ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zutreffend vor dem Hintergrund des § 52 Abs. 3 FPG geprüft hat, da in Fällen, in denen ein (Verlängerungs‑)Antrag nach § 57 AsylG 2005 abgewiesen wird, die abweisende Entscheidung gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 3 FPG mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist (vgl. dazu VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0200, Rn. 10).

23 Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA‑VG zu prüfen. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0062, Rn. 11, mwN).

24 Zur Beurteilung des öffentlichen Interesses im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG bedarf es ‑ neben der fallbezogen erforderlichen Bedachtnahme auf den Umstand, dass die Voraussetzungen für einen weiteren Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht vorliegen ‑ ebenso wie für das verhängte Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 FPG (bei dem auf eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit abzustellen ist) einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einer solchen Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0034, Rn. 13, mwN).

25 Das Bundesverwaltungsgericht begründete die von der Revisionswerberin ausgehende Gefahr damit, dass aus den von ihr begangenen strafbaren Handlungen ihre jederzeitige Bereitschaft hervorgehe, sich auf illegale Weise und auch über den für die Gesundheit der Menschen besonders gefährlichen Suchtgifthandel finanziell zu bereichern. Dabei berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht allerdings nicht ausreichend die eine Läuterung nahelegende Tätigkeit der Revisionswerberin als Vertrauensperson für das BKA. Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Umstand hätte ‑ auch vor dem Hintergrund der nur einmaligen einschlägigen Verurteilung und der Rolle der Revisionswerberin als bloße Beitragstäterin ‑ jedenfalls zu einer für sie günstigeren Einschätzung ihrer Gefährlichkeit führen können. Was die vom Bundesverwaltungsgericht ebenfalls ins Treffen geführte Bedrohung ihres früheren Ehemannes betrifft, so hatte sie zu keiner Verurteilung geführt, und die Revisionswerberin hatte bereits in der Beschwerde erklärt, dass sie sich damals gegenüber ihrem gewalttätigen Ehemann verteidigt hätte. Eine Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen fehlt im angefochtenen Erkenntnis zur Gänze.

26 Aber auch das von der Revisionswerberin insgesamt nach der Begehung der Straftat nach dem SMG an den Tag gelegte Verhalten wäre näher in den Blick zu nehmen gewesen. Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0027, Rn. 15). Daraus, dass die Entlassung aus der Haft bedingt erfolgt, ergibt sich entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts keine maßgebliche Relativierung des seit der Haftentlassung gezeigten Wohlverhaltens. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch nicht berücksichtigt, dass fallbezogen nicht nur der Zeitraum seit der bedingten Entlassung aus der im elektronisch überwachten Hausarrest verbüßten Strafhaft ab 22. März 2019, sondern auch jener nach der Haftentlassung ab Februar 2017 bis zum Antritt dieses Hausarrests im Oktober 2018 mit einzubeziehen gewesen wäre (dazu, dass Zeiten des elektronisch überwachten Hausarrests dem in Freiheit gezeigten Verhalten nicht gleichzuhalten sind, vgl. hingegen VwGH 25.4.2019, Ra 2019/22/0049, Rn. 8, sowie VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0118, Rn. 12).

27 Nach dem bisher Gesagten wäre der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von der Revisionswerberin im Rahmen einer mündlichen Verhandlung, auch zur Beurteilung der mehr als ein Jahr nach der erstinstanzlichen Entscheidung des BFA weiter erlangten Integration (die Revisionswerberin bringt in der Revision vor, mittlerweile einen österreichischen Lebensgefährten zu haben und von diesem ein Kind zu erwarten), besondere Bedeutung zugekommen. Vom Vorliegen eines eindeutigen Falles, der es dem Bundesverwaltungsgericht ausnahmsweise erlaubt hätte, von der Durchführung der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung abzusehen, konnte nicht ausgegangen werden (siehe mit mehreren Nachweisen aus der ständigen Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0267, Rn. 7).

28 Das angefochtene Erkenntnis war daher ‑ soweit die Revision nicht hinsichtlich der Abweisung des Antrags nach § 59 iVm § 57 AsylG 2005 zurückzuweisen war ‑ gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

29 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 5. März 2021

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