European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200212.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 8. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.
2 Mit Bescheid vom 22. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit Erkenntnis vom 23. März 2020 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Das Bundesverwaltungsgericht hat dem vom Revisionswerber zum Grund seiner Flucht erstatteten Vorbringen ‑ er hatte seine Furcht vor Verfolgung durch die Taliban mit der Tätigkeit seines Bruders, der Soldat in der afghanischen Armee gewesen sei, begründet ‑ die Glaubwürdigkeit versagt.
8 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 13.5.2020, Ra 2020/20/0133 bis 0138, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 3.6.2020, Ra 2020/20/0161, mwN).
9 Dem Revisionswerber ist zuzugestehen, dass die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts Schwächen aufweisen. Diese erreichen jedoch kein solches Maß, dass sich die Beweiswürdigung insgesamt als unvertretbar darstellen würde und zur Wahrung der Rechtssicherheit ein Eingreifen des Verwaltungsgerichtshofs erforderlich wäre. Im Übrigen blendet die Revision aus, dass das Bundesverwaltungsgericht auch ‑ mit näherer Begründung ‑ davon ausgegangen ist, aufgrund der mittlerweile etwa sechsjährigen Abwesenheit vom Heimatland sei der Revisionswerber jedenfalls nicht mehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt. Dem tritt die Revision nicht entgegen.
10 In Bezug auf die Verweigerung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten macht der Revisionswerber geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe seine Entscheidung auf Berichte gestützt, die vor Ausbruch der „Covid‑19 Pandemie“ stammten, und verweist auf Berichte des UNOCHA und der WHO von Mitte März 2020. Weiters ist der Revision ein mit „Risken der Verbreitung von SARS‑CoV‑2 und schweren Erkrankung an Covid‑19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener“ betiteltes Schreiben von F S vom 27. März 2020 angeschlossen. Das Bundesverwaltungsgericht hätte ‑ so der Revisionswerber ‑ weitere Ermittlungsschritte setzen und ergänzende Feststellungen zur Lage in Afghanistan treffen müssen.
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat (auch) das Bundesverwaltungsgericht bei der Feststellung der entscheidungsmaßgeblichen Lage im Heimatland eines Asylwerbers die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung aktuellen Berichte zugrunde zu legen. Eine Verletzung dieser Vorgabe stellt einen Verfahrensmangel dar, dessen Relevanz, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2020/20/0049, mwN).
12 Der Revision gelingt es nicht, die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen.
13 Entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers geben die zitierten Berichte des UNOCHA und der WHO im Wesentlichen (nur) Auskunft über die Verbreitung von und die Zahl der Erkrankungen an Covid‑19 in afghanischen Provinzen bis Mitte März 2020 (etwa Balkh: 1, Herat: 13), über die Vorkehrungen, die von den Behörden zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus getroffen worden und geplant seien sowie über die Rückkehrbewegungen von afghanischen Staatsangehörigen aus dem Iran und Pakistan (mit dem Hinweis, dass diese Wanderbewegungen das Risiko der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus erhöhen). Anhaltspunkte dafür, dass der Revisionswerber bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit einer derart unzureichenden Versorgungslage konfrontiert wäre, sodass die Befriedigung seiner existentiellen Grundbedürfnisse mit hinreichender Wahrscheinlichkeit („real risk“) gefährdet wäre, lassen sich aus diesen Berichten nicht ableiten. Anders als der Revisionswerber meint, ergibt sich solches aber auch nicht aus dem der Revision beigelegten, von F S verfassten Schreiben, in dem diese ihre während eines (offenbar zweiwöchigen) Aufenthalts in Afghanistan im März 2020 gemachten Wahrnehmungen schildert und Inhalte der von ihr geführten Gespräche (kursorisch) wiedergibt. Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich beim Revisionswerber um einen jungen Erwachsenen, der gesund ist, laufend (auch während seines Aufenthalts in Österreich) mit seinen weiterhin im Heimatland lebenden Familienangehörigen in Kontakt steht und von diesen im Fall seiner Rückkehr Unterstützung erhalten wird.
14 Sollte der Revisionswerber mit seinem Vorbringen vor Augen haben, dass sich für ihn infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstelle, ist dem entgegenzuhalten, dass es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt (vgl. in diesem Sinn auch VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188, dort ebenfalls unter Bedachtnahme auf das von F S verfasste Schreiben vom 27. März 2020). Das gilt sinngemäß auch für Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. auch dazu in diesem Sinn VwGH Ra 2020/20/0188).
15 Sofern die Revision zudem vorbringt, die afghanischen Großstädte seien aufgrund von Ausgangssperren nicht erreichbar und der Revisionswerber verfüge über keinen gesicherten Zugang zu einer Unterkunft, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen hat (vgl. VwGH 21.5.2019, Ra 2019/14/0222, mwN).
16 Den zitierten Berichten lässt sich im Übrigen lediglich entnehmen, dass in Herat Mitte März 2020 (als Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2 Virus) die Schulen geschlossen und öffentliche Zusammenkünfte untersagt worden seien sowie für die Bewohner von Mazar‑e Sharif die Empfehlung ergangen sei, das Newroz‑Fest (das persische Neujahrs- und Frühlingsfest) nicht öffentlich zu feiern. Beschränkungen, welche den Zugang zu jeglicher Unterkunft dauerhaft beeinträchtigen würden, oder dauerhafte Sperren der internationalen Flughäfen ergeben sich daraus nicht.
17 Somit vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung seiner Entscheidung seien keine den Revisionswerber konkret betreffenden exzeptionellen Umstände hervorgekommen, nach denen im Fall der Ansiedelung in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kommenden Orten, insbesondere in Mazar‑e Sharif, die reale Gefahr einer drohenden Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK garantierten Rechte zu gewärtigen oder die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative unzumutbar wäre, an einer vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmenden Fehlerhaftigkeit leiden würde.
18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 2. Juli 2020
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