VwGH Ra 2020/20/0161

VwGHRa 2020/20/01613.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des A R N in F, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juli 2019, W216 2177127‑1/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200161.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der aus Afghanistan stammende Revisionswerber stellte am 10. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 13. Oktober 2017 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die vom Revisionswerber dagegen gerichtete Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 25. Juli 2019 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichthof, der mit Beschluss vom 5. März 2020, E 3067/2019‑7, die Behandlung derselben ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Der Revisionswerber wendet sich in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision (unter unterschiedlichen Aspekten) gegen die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 9.4.2020, Ra 2020/14/0138, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 27.3.2020, Ra 2020/20/0076, mwN).

10 Entgegen dem Vorbringen in der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht auf das vom Revisionswerber vorgelegte „Gutachten“ des Dr. R Bedacht genommen. Dass das Bundesverwaltungsgericht den darin enthaltenen Ausführungen, die sich über weite Strecken als vom Sachverständigen angestellte beweiswürdigende Überlegungen darstellen, nicht gefolgt ist, führt nicht dazu, dass sich die ‑ insbesondere durch die in der Verhandlung erfolgte Vernehmung des Revisionswerbers ‑ auf einer bedeutend breiteren Entscheidungsgrundlage beruhende Beweiswürdigung insgesamt als unvertretbar darstellen würde. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben eines Asylwerbers zu den Gründen seiner Flucht nicht in das Aufgabengebiet eines Sachverständigen fällt, sondern dem Kernbereich der richterlichen Beweiswürdigung zuzurechnen ist (vgl. VwGH 23.3.2020, Ra 2020/14/0084, mwN). Dass aber das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Beurteilung einen nicht dem Gesetz entsprechenden Beweismaßstab angelegt hätte (vgl. dazu etwa des Näheren VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472), ist am Boden des Inhalts der angefochtenen Entscheidung nicht zu sehen.

11 Vor diesem Hintergrund ist jenem weiteren Revisionsvorbringen, das auf der Richtigkeit der eigenen Behauptungen aufbaut, der Boden entzogen.

12 Zudem besteht ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens durch Recherchen im Herkunftsstaat nicht und die Frage, ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar, sondern unterliegt der jeweils einzelfallbezogen vorzunehmenden Beurteilung (vgl. VwGH 18.2.2020, Ra 2020/18/0025, mwN). Im Übrigen wird die Relevanz behaupteter Verfahrensfehler nicht dargetan.

13 Der Revisionswerber bringt weiters zur Zulässigkeit der Revision in Bezug auf die Erlassung der Rückkehrentscheidung vor, es fehle „nach wie vor an einer klaren Rechtsprechung des Höchstgerichts zur Frage, wann von einer herausragenden Integration des Asylwerbers auszugehen“ sei. Er sei ein „Paradebeispiel“ für eine gelungene Integration.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG.

15 Dieses Vertretbarkeitskalkül ist vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu sehen, wonach der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern ‑ diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat.

16 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. zum Ganzen VwGH 12.3.2020, Ra 2020/20/0066 bis 0070, mwN).

17 Bei dieser Beurteilung ist somit stets auf die den konkreten Einzelfall betreffenden Aspekte abzustellen, weshalb schon von daher der in der Revision angesprochene Klärungsbedarf nicht besteht (vgl. nochmals VwGH Ra 2020/20/0066 bis 0070).

18 Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der den Revisionswerber betreffenden Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG auf die fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände Bedacht genommen. Dass sich das Bundesverwaltungsgericht dabei bei der Gewichtung dieser Umstände von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte, ist nicht zu sehen.

19 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 3. Juni 2020

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