VwGH Ra 2020/04/0027

VwGHRa 2020/04/002727.6.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz‑Sator und die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der X SAS in S (Frankreich), vertreten durch die Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Böhmerwaldstraße 14, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Jänner 2020, Zlen. 1. W134 2225864‑1/4E und 2. W134 2225864‑2/25E, betreffend vergaberechtliches Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. A GmbH in G, vertreten durch die Baker McKenzie Rechtsanwälte LLP & CoKG in 1010 Wien, Schottenring 25, und 2. Medizinische Universität Graz in 8036 Graz, vertreten durch die Schramm Öhler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Bartensteingasse 2/3),

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte 1) A.II und 1) A.III. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37
AVG §45 Abs2
BVergG 2018 §353
BVergG 2018 §356
BVergG 2018 §36 Abs1 Z5
VwRallg
62008CJ0275 Kommission / Deutschland

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020040027.L00

 

Spruch:

Die Spruchpunkte 1) A I und 2) A des angefochtenen Erkenntnisses werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1.1. Die Zweitmitbeteiligte (im Folgenden Auftraggeberin) führte zur Beschaffung eines kombinierten Röntgenmess‑Komplettsystems ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durch. Der Lieferauftrag wurde mit Beauftragungsschreiben vom 22. Oktober 2019, gegengefertigt am 30. Oktober 2019, an die Erstmitbeteiligte (im Folgenden Auftragnehmerin) vergeben. Die Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung erfolgte am 31. Oktober 2019. Der Gesamtpreis für den Lieferauftrag betrug Euro 1.249.500,‑‑

2 1.2. Mit Antrag vom 28. November 2019 (einlangend beim Bundesverwaltungsgericht) stellte die Revisionswerberin folgende Anträge

-) Das Bundesverwaltungsgericht möge feststellen, dass die Durchführung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung „kombiniertes Röntgenmess‑Komplettsystem (Röntgenvollschutzgerät)“ durch die Auftraggeberin wegen Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz 2018 rechtswidrig gewesen sei,

-) Das Bundesverwaltungsgericht möge den am 30. Oktober 2019 geschlossenen Vertrag zwischen den mitbeteiligten Parteien über die Lieferung eines kombinierten Röntgenmess‑Komplettsystems (Röntgenvollschutzgerät) für nichtig erklären,

-) Das Bundesverwaltungsgericht möge „in eventu über die Auftraggeberin eine Geldbuße verhängen“.

3 Die Antragstellerin brachte im Wesentlichen vor, die Voraussetzungen für die Ausnahmebestimmung des § 36 Abs. 1 Z 5 BVergG 2018 würden nicht vorliegen. Bei dem Lieferauftrag gehe es um das Kombinieren von am Markt erhältlichen Komponenten und den Anschluss der beiden Komponenten an eine gemeinsame Metalljet‑Röntgenquelle. Dafür seien Anpassungsleistungen erforderlich, die die Revisionswerberin ebenso hätte ausführen können wie die Auftragnehmerin. Es handle sich um die Durchführung von hardware‑ und softwaretechnischen Anpassungen und nicht um Forschungs‑, Entwicklungs‑, Versuchs‑, oder Untersuchungsleistungen im Sinne der von der Auftraggeberin ins Treffen geführten Ausnahmebestimmung.

4 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht sämtliche Anträge ab und erklärte unter einem die Revision für nicht zulässig. Weiters fasste das Bundesverwaltungsgericht den Beschluss, dass der Antrag auf Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren durch die Auftraggeberin gemäß § 341 BVergG 2018 abgewiesen werde.

5 In seiner Begründung traf das Bundesverwaltungsgericht die Feststellungen, das zu beschaffende Röntgenvollschutzgerät werde zum Zweck der Entwicklung, Lieferung und anschließender Erprobung seiner Funktionalität hergestellt. Das Gerät gebe es weltweit noch nicht und werde im Steirischen Forschungscluster erstmals entwickelt. Es bestehe im Wesentlichen aus drei Komponenten die jeweils am Markt verfügbar seien. Es gelte diese Komponenten zusammenzustellen und zu integrieren. Um das Röntgenvollschutzgerät funktionsfähig zu machen seien eine Vielzahl von Entwicklungs‑ und Erprobungsleistungen zu erbringen wie zum Beispiel die Entwicklung einer neuen Software, die am Markt nicht erhältlich sei, der Röntgenschutz des Gesamtgerätes, der ebenso nicht erhältlich sei, und die Entwicklung der Hardwarekomponenten, um das Zusammenspiel der drei Geräte zu ermöglichen. Die zu entwickelnde Software sei notwendig für das Betreiben und Steuern der Komponenten und für die Speicherung und Verwaltung der erhaltenen Daten. Es handle sich um einen Prototypen, wobei der Auftrag keine Serienfertigung umfasse.

6 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht unter Zugrundelegung des § 36 Abs. 1 Z 5 BVergG 2018 aus, es handle sich bei dem zu beschaffenden Röntgenvollschutzgerät um eine Ware im Sinne der angeführten Gesetzesbestimmung, die „auch ausschließlich zu Versuchszwecken“ hergestellt werde. Wie die Auftraggeberin in der mündlichen Verhandlung schlüssig und nachvollziehbar angegeben habe, bestehe der Versuchszweck bei der Herstellung des Röntgenvollschutzgerätes darin, zu erproben, „ob es prinzipiell möglich ist mit so einem Gerät für die Forschung verwertbare Daten zu bekommen, wobei es aus derzeitiger Sicht nicht sicher ist, dass die Auftraggeberin mit dem Röntgenvollschutzgerät für die Forschung verwertbare Daten bekommen wird“. Eben darin liege auch der Untersuchungs‑ und der Entwicklungszweck. Bei dem zu beschaffenden Röntgenvollschutzgerät handle es sich um einen Prototypen, der somit ausschließlich zu Forschungs‑, Versuchs‑, Untersuchungs‑ und Entwicklungszwecken hergestellt werde, wobei der Lieferauftrag nicht die Serienanfertigung umfasse. Der gegenständliche Lieferauftrag könne daher zu Recht auf § 36 Abs. 1 Z 5 BVergG 2018 gestützt im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben werden. Ob auch andere Unternehmen als die Auftragnehmerin diesen Prototyp herstellen hätten können, sei für die Anwendung des Ausnahmetatbestandes nicht relevant.

7 3. Gegen dieses Erkenntnis und den Beschluss insgesamt wendet sich die vorliegende Revision, welche zur Zulässigkeit vorbringt, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, wann tatsächlich ein Lieferauftrag über Waren, die ausschließlich zur Forschungs‑, Versuchs‑, Untersuchungs‑ oder Entwicklungszwecken im Sinne des § 36 Abs. 1 Z 5 BVergG 2018 hergestellt würden, vorliege.

8 Die mitbeteiligten Parteien beantragten in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils die Zurück‑ in eventu Abweisung der Revision.

9 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 4.1. Zur teilweisen Zurückweisung der Revision:

11 Mit den ‑ als trennbar anzusehenden ‑ Spruchpunkten 1) A.II und 1) A.III. hat das BVwG die Anträge der Revisionswerberin auf Nichtigerklärung des am 30. Oktober 2019 geschlossenen Vertrages und auf Verhängung einer Geldbuße abgewiesen.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Antragsrecht betreffend die Nichtigerklärung oder Aufhebung eines Vertrages bzw. die Verhängung einer Geldbuße (gemäß nunmehr § 356 BVergG 2018) durch den Antragsteller im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht vorgesehen (vgl. VwGH 9.9.2015, Ro 2014/04/0007, mwN). Ein Antragsrecht besteht nur hinsichtlich der Feststellung bestimmter Vorgehensweisen des Auftraggebers als rechtswidrig; an einige näher bezeichnete Feststellungen knüpft das Gesetz als „Regelsanktion“ die Nichtigerklärung (ex tunc) des Vertrages bzw. subsidiär die Aufhebung (ex nunc) des Vertrages oder die Verhängung einer Geldbuße (vgl. VwGH 26.9.2022, Ra 2021/04/0005, mit Verweis auf VwGH 9.9.2015, Ro 2015/04/0013, 0014).

13 Ausgehend davon erweist sich die Abweisung der diesbezüglichen Anträge schon mangels Antragslegitimation der Revisionswerberin im Ergebnis als zutreffend, weshalb die Revision, die hinsichtlich dieser Spruchpunkte auch kein Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung erstattet, insoweit zurückzuweisen ist (vgl. zur getrennten Prüfung der Zulässigkeit einer Revision bei trennbaren Absprüchen VwGH 8.8.2018, Ra 2017/04/0112, Rn. 15, mwN).

14 4.2. Zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses:

15 Die Revision ist im Hinblick auf das Zulässigkeitsvorbringen im Übrigen zulässig und im Umfang der Abweisung des Feststellungsantrages berechtigt.

16 4.2.1. Die maßgebliche Bestimmung des BVergG 2018, BGBl. I Nr. 65, lautet auszugsweise:

„Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung bei Lieferaufträgen

§ 36. (1) Lieferaufträge können im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben werden, wenn

1. (...)

5. es sich um Waren handelt, die ausschließlich zu Forschungs‑, Versuchs‑, Untersuchungs‑ oder Entwicklungszwecken hergestellt werden, wobei der Lieferauftrag jedoch nicht die Serienfertigung zum Nachweis der Marktfähigkeit der Ware oder zur Deckung der Forschungs‑ und Entwicklungskosten umfassen darf, oder

6. (...)“

17 4.2.2. Vorauszuschicken ist Folgendes: Nach der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sind die Rechtfertigungsgründe für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung eng auszulegen (vgl das Urteil des EuGH vom 15.10.2009, Rs C‑275/08, Kommission gegen Deutschland, Rz. 54 ff). Die Beweislast dafür, dass die eine Ausnahme rechtfertigenden, außergewöhnlichen Umstände tatsächlich vorliegen, trägt derjenige, der sich darauf berufen will. Dies ändert aber nichts daran, dass demjenigen, dem die Beweislast obliegt, im Vergabekontrollverfahren die Gelegenheit gegeben werden muss, den ihm obliegenden Beweis zu erbringen.

18 4.2.3. Die Erläuterungen zu § 36 BVergG 2018 führen zu Abs. 1 Z 5 aus, dass diese Bestimmung Vorkehrung für den Fall treffe, dass bei Forschungsarbeiten mit besonders vertraulichen Daten diesem Umstand durch die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung Rechnung getragen können werden solle. Unter die Forschungs‑ und Entwicklungskosten seien auch die Kosten für Forschungs‑ und Versuchslaboratorien zu subsumieren. Aus dem Gebot der restriktiven Interpretation ergebe sich, dass von diesem Ausnahmetatbestand nur die Lieferung von Prototypen oder limitierten Testserien erfasst sei, während bereits fertig entwickelte/getestete Produkte nicht unter die Z 5 fallen könnten, selbst wenn sie von Forschungsinstituten für ihre Forschungstätigkeit verwendet würden (vgl. RV 69 BlgNR XXVI. GP ). In diesem Zusammenhang verweisen die Erläuterungen auch auf die Entscheidung des EuG vom 26. Juli 2012, EuG Rs T‑54/11, („Kommission gegen Spanien“).

19 In diesem Urteil kommt das Gericht zur Schlussfolgerung, dass auch wenn der dortige Lieferauftrag im Zusammenhang mit einem Pilotprojekt zur Vornahme von Versuchen gestanden sei, um geeignete Modalitäten für die Datenübertragung auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung zu erarbeiten, rechtfertige dies nicht die Einstufung als nur zum Zweck von Forschungen, Versuchen, Untersuchungen oder Entwicklungen hergestellten Erzeugnisses. Der dortige Vertrag habe nämlich detailliert das „gesamte Informatik‑ und Material“ angeführt, das den Vertragsgegenstand gebildet habe und das bereits auf dem Markt erhältlich war, wozu ein gewöhnlicher Anbieter aus der betreffenden Branche in der Lage gewesen wäre (vgl. dort Rn. 41).

20 Zusammengefasst ergibt sich aus dem oben Gesagten, dass es für die Inanspruchnahme der Ausnahmebestimmung nicht ausreicht, dass die zu beschaffende Ware als Pilotprojekt oder für Forschungszwecke eingesetzt werden soll. Vielmehr ist anhand des Inhalts des Auftrags auch zu prüfen, ob die zu liefernde Ware eine solche darstellt, die aufgrund der Spezifikationen nicht auch von anderen Anbietern am Markt erbracht werden könnte, etwa weil die entsprechenden Vorgaben in dem Auftrag bereits vom Auftraggeber detailliert festgeschrieben sind.

21 4.2.4. Das Verwaltungsgericht, das im Wesentlichen in den Feststellungen den Inhalt der Aussage der Auftraggebervertreter wiedergibt, hat zu der hier strittigen Frage im Wesentlichen unter Verwendung der verba legalia festgestellt, dass es sich bei dem zu beschaffenden Gerät um einen Prototyp handle und dass der Auftrag Forschungszwecken diene. Dass das angeschaffte Gerät im Rahmen von Forschungsarbeit eingesetzt werden soll und aus diesem Grund Forschungszwecke dient, macht nach dem unter Punkt 4.2.3. Gesagten den Lieferauftrag alleine jedoch noch nicht zu einem, dessen eigener Gegenstand ein Forschungsobjekt bildet. Vielmehr muss der Gegenstand der Lieferung selbst einer sein, der den Charakter eines Forschungsobjekts aufweist, was die Inanspruchnahme der Ausnahme rechtfertigt.

22 Der Inhalt des Lieferauftrages wurde durch das Verwaltungsgericht jedoch nicht näher beleuchtet. So fehlen etwa Feststellungen, die die Beurteilung erlauben, ob der Lieferauftrag im Sinne der Erläuterungen zu § 36 BVergG 2018 schützenswerte Forschungs‑ und Entwicklungsdaten enthalte. Insofern lässt sich nicht beurteilen, inwiefern mit dem Lieferauftrag selbst Forschungs‑ und Entwicklungszwecke verbunden sind, die dem in den Erläuterungen erwähnten Schutzzweck betreffend vertraulicher Daten, die mit Forschungsarbeiten einhergehen, überhaupt im Zusammenhang stehen. Auch fehlen zu dem Vorbringen der Revisionswerberin, die beauftragte Leistung hätte ebenso von anderen Anbietern ‑ unter anderem der Revisionswerberin selbst ‑ erbracht werden können, jegliche Feststellungen.

23 Insofern das Bundesverwaltungsgericht den Inhalt des Lieferauftrages im Hinblick auf diese Erfordernisse nicht beleuchtete hat es das angefochtene Erkenntnis mit einem sekundären Feststellungsmangel belastet.

24 4.3. Die über die Spruchpunkte 1) A.II und 1) A.III hinausgehenden Spruchpunkte des angefochtenen Erkenntnisses waren daher ‑ ebenso wie der den Antrag auf Pauschalgebührenersatz abweisende ‑ Beschluss wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

25 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. Juni 2023

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