VwGH Ra 2019/19/0398

VwGHRa 2019/19/039813.2.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und den Hofrat Dr. Pürgy sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des E N, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2018, Zl. W245 2187036-1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §58 Abs2
AVG §60
AVG §62 Abs2
AVG §68 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190398.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 4. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, dass in Ghazni Krieg herrsche. Nach dem Tod seiner Eltern sei er zu seinem Onkel gezogen. Dieser bzw. dessen Familie hätte ihn immer geschlagen. Auf dem Weg nach Kandahar seien er und seine Mitreisenden von den Taliban aufgehalten worden. Sie hätten ihr Auto durchsucht und nach der Tazkira verlangt. Weil er keine Tazkira gehabt habe, sei er von den Taliban geschlagen und für einen Spion gehalten worden. Als sie weitergefahren seien, hätten ihnen die Taliban nachgeschossen.

2 Mit Bescheid vom 16. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab (SP I und II), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (SP III), erließ eine Rückkehrentscheidung (SP IV), stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (SP V), und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen fest.

3 Dagegen erhob der Revisionswerber fristgerecht Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 19. Oktober 2018 als unbegründet ab. 4 Begründend führte es aus, dem Revisionswerber sei es nicht gelungen, eine Bedrohung oder Verfolgung glaubhaft zu machen. Dem Vorbringen des Interesses am Christentum und einer Konversion komme keine Glaubhaftigkeit zu. Auch im Zusammenhang mit einer Scheinkonversion seien keine Umstände hervorgetreten, die zu einer Verfolgung führen könnten. Es seien auch keine außergewöhnlichen, exzeptionellen Umstände hervorgekommen, die ein Abschiebungshindernis iSd. Art. 3 EMRK darstellen könnten. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif stehe zur Verfügung.

5 Der Revisionswerber stellte am 23. Oktober 2018 einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses. Die schriftliche Ausfertigung erfolgte am 27. Dezember 2018.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht wird, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die schriftliche Ausfertigung nicht wesentlich von der mündlich verkündeten Entscheidung abweichen dürfe. Zudem habe das BVwG die der Beschwerde beigelegten Schreiben des Pastors erst in der schriftlichen Ausfertigung berücksichtigt und sich damit sowie mit den Aussagen einer vernommenen Zeugin nicht ausreichend auseinandergesetzt. Auch die einschlägigen Länderfeststellungen würden sich erst in der schriftlichen Ausfertigung finden. 7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu treffen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Die Revision bringt zunächst vor, dass die beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG in der schriftlichen Ausfertigung weit über jene im mündlich verkündeten Erkenntnis hinausgehen würden und dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unzulässig wäre.

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich der maßgebliche Inhalt einer Entscheidung nicht aus der Ausfertigung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, sondern aus jener Urkunde, die über den Entscheidungsinhalt und die Tatsache der Verkündung nach dem auch betreffend § 29 VwGVG einschlägigen § 62 Abs. 2 AVG angefertigt wurde (vgl. VwGH 28.2.2017, Ra 2016/01/0164). Mit der Verkündung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung steht einer neuerlichen im Wesentlichen gleichen Entscheidung der Einwand der entschiedenen Sache entgegen (vgl. § 32 Abs. 1 Z 4 VwGVG). An die Verkündung dieser Entscheidung knüpft daher auch ihre Unwiderrufbarkeit an, weshalb die schriftliche Entscheidungsausfertigung nicht in einem wesentlichen Spruchelement von der verkündeten Entscheidung abweichen darf (vgl. dazu neben dem vorzitierten Erkenntnis auch VwGH 23.11.2016, Ra 2015/04/0039).

12 Das Fehlen der Wiedergabe der Begründung der Entscheidung im Protokoll hat auf die Rechtsgültigkeit ihrer (wenn auch inhaltlich fehlerhaften) Erlassung durch mündliche Verkündung keinen Einfluss (vgl. VwGH 13.10.2015, Fr 2015/03/0007, mwN). Enthält das verkündete Erkenntnis entgegen dem § 29 VwGVG keine Begründung, ist die davon betroffene Partei allerdings an der entsprechenden Geltendmachung ihrer Rechte vor dem Verwaltungsgerichtshof behindert, worin - jedenfalls solange keine schriftliche Ausfertigung erfolgt - ein wesentlicher Mangel des vom Verwaltungsgericht geführten Verfahrens erblickt werden kann (vgl. etwa VwGH 19.9.2006, 2005/05/0258). Gleiches gilt, wenn die Entscheidungsgründe im Verkündungsprotokoll bloß unter Verweis auf die schriftliche Ausfertigung bzw. grob lückenhaft - dh insbesondere unter völliger Auslassung eines wesentlichen Begründungselementes (Feststellung des maßgebenden Sachverhalts, Beweiswürdigung, rechtliche Beurteilung, vgl. wiederum VwGH Fr 2015/03/0007, mwN) - dargestellt werden.

13 Auch vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass das Erkenntnis an einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Verfahrensmangel leiden würde. Weder erging das mündlich verkündete Erkenntnis nach Maßgabe der Verhandlungsschrift begründungslos noch unter völliger Außerachtlassung eines wesentlichen Begründungselementes. Auch liegt demnach keine Abweichung wesentlicher Spruchelemente zwischen mündlich verkündetem und schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis vor. Dass das BVwG eine ausführlichere Beweiswürdigung erst im schriftlichen Erkenntnis vorgenommen hat und die Länderberichte, die mit der Ladung übermittelt und in der mündlichen Verhandlung mit dem Revisionswerber erörtert wurden, erst im schriftlichen Erkenntnis abgedruckt wurden, führt somit - abgesehen von der Frage der Übertragbarkeit der wiedergegebenen Rechtsprechung betreffend die Begründungselemente auf Fälle, bei denen die Revision erst nach Ergehen der schriftlichen Ausfertigung erhoben wurde bzw. ob der Verstoß gegen diese Rechtsprechung zu einem relevanten Verfahrensmangel führt - nicht zur Zulässigkeit der Revision.

14 Die Revision wendet sich weiters gegen die Beweiswürdigung des BVwG und bringt vor, das BVwG habe den Pastor des Revisionswerbers nicht als Zeugen einvernommen und sich auch nicht mit den Schreiben dieses Pastors und den Aussagen einer vernommenen Zeugin auseinandergesetzt und damit gegen näher bezeichnete Rechtsprechung verstoßen.

15 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0393). 16 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0426; 18.10.2018, Ra 2018/19/0236).

17 Eine Einvernahme des Pastors wurde nicht beantragt. Soweit die Revision das Unterbleiben einer Einvernahme von Amts wegen rügt, ist darauf zu verweisen, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 25.2.2019, Ra 2019/19/0017; 19.3.2019, Ra 2018/01/0223; jeweils mwN). Gründe dafür, dass die unterbliebene Einvernahme des Pastors nach Lage des vorliegenden Falles einen krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfenden Verfahrensfehler darstellen könnte, vermag die Revision nicht darzulegen.

18 Das BVwG hat sich im vorliegenden Fall nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit den religiösen Aktivitäten bzw. der aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung des Revisionswerbers beschäftigt. Es ist aufgrund einer umfassenden Beweiswürdigung unter Beachtung diverser Ungereimtheiten im Vorbringen des Revisionswerbers und der Antworten in der mündlichen Verhandlung zu seiner Auseinandersetzung mit dem Christentum zur Auffassung gelangt, dass keine innere Konversion vorliege. Eine Unvertretbarkeit dieser Beweiswürdigung legt die Revision nicht dar.

19 Es ist auch nicht zutreffend, dass - wie die Revision behauptet - sich das BVwG überhaupt nicht mit den Aussagen der Zeugin und den Schreiben der baptistischen Gemeinde auseinandergesetzt hätte. Das BVwG stellte die Aussagen der Zeugin und die Inhalte der vorgelegten Schreiben den Ausführungen des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung gegenüber und gab an, weshalb es davon ausgeht, dass der christliche Glaube noch kein wesentlicher Bestandteil der Identität des Revisionswerbers geworden ist.

20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 13. Februar 2020

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